1 Universität Rostock Erziehung im Tierreich - eine vergleichende Perspektive - Dissertation zur Erlangung des akad...
Universität Rostock
Erziehung im Tierreich - eine vergleichende Perspektive -
Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor rerum naturalium (Dr. rer. nat.) am Institut für Biowissenschaften der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock ____
vorgelegt von: Susanne Böx, geb. am 26.05.1983 in Friedrichroda
Rostock, September 2012 urn:nbn:de:gbv:28-diss2013-0031-3
Diese Arbeit wurde durch ein dreijähriges Stipendium der Landesgraduiertenförderung Mecklenburg-Vorpommern gefördert.
Gutachter Prof. Dr. Stefan Richter Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock Prof. Dr. Michael Großheim Philosophische Fakultät, Universität Rostock Prof. Dr. Carolin Retzlaff-Fürst Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
Datum der Einreichung: 24.09.2012 Datum der Verteidigung: 28.01.2013
Danksagung Prof. Dr. Stefan Richter danke ich dafür, dass er mich in das wissenschaftliche Arbeiten eingeführt hat und mit seiner konstruktiven Kritik immer wieder dazu beigetragen hat, dass ich meine Gedanken ordnen konnte. Prof. Dr. phil. Michael Großheim danke ich dafür, dass er mir den Blick über den Tellerrand ermöglicht hat und mein interdisziplinäres Denken geschärft hat. HDoz. Dr. Helga Dietrich und PD Dr. Andreas Bick danke ich für ihre freundliche Unterstützung bei der Antragsstellung. Ich danke dem Zoo Rostock, insb. Frau Zimmermann und Frau Tischler, dafür, dass sie es mir so unkompliziert ermöglicht haben, meine Beobachtungsstudien durchzuführen. Claudia Frey, Stephan Scholz und Erik Lüttkemöller danke ich für die Hilfe bei der Statistik. Ich danke dem interdisziplinären Doktorandenkolloquium des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung, insb. Lutz Hellmig, für anregende Diskussionen. Wilko De Buhr danke ich dafür, dass er sich mit Teilen des Textes intensiv auseinandergesetzt hat und mir sowohl inhaltlich als auch formal weitergeholfen hat. Lucy Cathrow danke ich für die Hilfe beim Englischen. Mein Dank gilt natürlich auch allen Mitarbeitern der Allgemeinen und Speziellen Zoologie, die bisher noch nicht genannt wurden und die dazu beigetragen haben, dass die Zoologie zu mehr wurde als nur einer Arbeitsstätte. Mein Dank gilt Prof. em. Dr. Ragnar Kinzelbach, Dr. Helmut M. Winkler, Kerstin Schwandt, Helga Kreft, Norma Schmitz, Antja Hlawa und Olaf Rust. Besonders danke ich Dr. Christian S. Wirkner für viele kritische Anmerkungen und seine stetige Hilfsbereitschaft. Herzlich danke ich den Doktorandinnen und Doktoranden Kati Huckstorf, Günther Jirikowski, Jonas Keiler, Martin Schwentner, Bastian Klußmann-Fricke und Martin Stegner. Sie haben mich über Jahre begleitet und hatten immer ein offenes Ohr für viele wissenschaftliche und unwissenschaftliche Probleme. Martin Fritsch und Ole Möller sei, als meinen Bürokollegen, besonders gedankt. Viele Durststrecken hätten ohne sie nicht bewältigt werden können. Ich möchte ebenso den vielen bekannten und unbekannten Gesprächspartnern danken, die immer wieder Interesse an dem Thema gezeigt haben und durch ihre Ansichten neue Ideen entstehen ließen und den Blick für die alten geschärft haben. Sie haben dazu beigetragen, dass ich mich immer wieder neu für mein Thema begeistern konnte. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern, meiner Familie und meinen Freunden – dafür, dass sie an mich geglaubt haben und für mich da waren. Letztendlich danke ich der Landesgraduiertenförderung Mecklenburg-Vorpommern für ein dreijähriges Stipendium.
Inhalt 1 Einführung ....................................................................................................................................... 7 2 Was ist Erziehung? ..................................................................................................................... 11 2.1 Annäherung an einen Begriff ............................................................................................................ 11 2.2 Definitionenvielfalt ............................................................................................................................... 15 2.3 Die Frage nach der Intention ............................................................................................................ 23 2.4 Anwendbarkeit des Erziehungsbegriffs auf Tiere .................................................................... 25 3 Material und Methoden ........................................................................................................... 31 4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung................................................................................................................................... 35 4.1 Wirbellose ................................................................................................................................................ 35 4.2 Fische ......................................................................................................................................................... 36 4.3 Amphibien ................................................................................................................................................ 38 4.4 Reptilien.................................................................................................................................................... 38 4.5 Vögel ........................................................................................................................................................... 39 4.6 Säugetiere................................................................................................................................................. 41 4.6.1 Die Bedeutung der Mutter und des Vaters .............................................................................. 42 4.6.2 Die Rolle des Kindes bzw. Jungtieres ......................................................................................... 45 4.6.3 Die Rolle anderer erwachsener Individuen ............................................................................ 45 4.6.4 Die Rolle älterer Jungtiere bzw. Geschwister ......................................................................... 50 Exkurs I: Erziehung und die Bedeutung des Spiels............................................................ 51 4.6.5 Die Rolle der Großmutter ............................................................................................................... 53 5 Lernen und Lehren .................................................................................................................... 59 5.1 Soziales Lernen ...................................................................................................................................... 59 5.2 Lehren ........................................................................................................................................................ 62 5.2.1 Wie kann man Lehren beschreiben? .......................................................................................... 63 5.3 Lernen und Lehren bei verschiedenen Säugetiergruppen .................................................... 68 5.3.1 Marsupialia, Beuteltiere .................................................................................................................. 69 5.3.2 Placentalia, Plazentatiere ............................................................................................................... 72 5.3.2.1 Lagomorpha, Hasentiere ............................................................................................................. 72 5.3.2.2 Rodentia, Nagetiere ....................................................................................................................... 73 1
5.3.2.3 Microhiroptera, Fledermäuse ................................................................................................... 76 5.3.2.4 Carnivora, Raubtiere ..................................................................................................................... 77 5.3.2.5 Canidae, Hundeartige ................................................................................................................... 77 5.3.2.6 Mustelidae, Marderartige ........................................................................................................... 80 5.3.2.7 Herpestinae, Mangusten.............................................................................................................. 81 5.3.2.8 Felidae, Katzenartige .................................................................................................................... 82 5.3.2.9 Ursidae, Bären ................................................................................................................................. 87 5.3.2.10 Pinnipedia, Robben..................................................................................................................... 88 5.3.2.11 Cetacea, Wale ................................................................................................................................ 89 5.3.2.12 Artiodactyla, Paarhufer ............................................................................................................. 94 5.3.2.13 Proboscidea, Elefanten .............................................................................................................. 95 5.3.2.14 Primates, Affen ............................................................................................................................. 96 5.3.2.14.1 Platyrrhini, Neuweltaffen ..................................................................................................... 97 5.3.2.14.2 Catarrhini, Altweltaffen (ohne Hominidae) .................................................................102 5.3.2.14.3 Hominidae, Menschenaffen ...............................................................................................114 5.4 Diskussion ..............................................................................................................................................131 5.4.1 Soziales Lernen.................................................................................................................................131 5.4.2 Vergleich des Lernens beim Menschen und anderen Tieren .........................................131 5.4.3 Lehren ..................................................................................................................................................133 5.4.4 Bedingungen des Lehrens ............................................................................................................134 5.4.4.1 Bestimmte kognitive Fähigkeiten als Voraussetzung für Lehren .............................134 5.4.4.1.1 Primaten vs. die anderen Säugetiere ................................................................................135 5.4.4.1.2 Menschenaffen vs. die anderen Primaten .......................................................................135 5.4.4.2 Evolutionstheoretische bzw. ökologische Bedingungen des Lehrens.....................136 5.4.4.2.1 Lehren tritt auf, wenn das Verhalten, welches gelernt werden muss, gefährlich ist ......................................................................................................................................................................137 5.4.4.2.2 Lehren tritt auf, wenn das Verhalten, welches gelernt werden muss, sehr komplex bzw. kompliziert ist .................................................................................................................138 5.4.4.2.3 Lehren tritt auf, wenn das Verhalten, welches gelernt werden muss, spezialisiert ist.............................................................................................................................................138 5.4.5 Bestrafung ..........................................................................................................................................139 5.4.6 Vergleich des Lehrens beim Menschen und anderen Tieren .........................................140 5.4.6.1 Quantitative Unterschiede........................................................................................................140 5.4.6.2 Qualitative Unterschiede...........................................................................................................142 5.4.6.2.1 Lehren mit Perspektivenübernahme oder „mental state attribution“ ................143 5.4.6.2.2 Lehren über Sprache ...............................................................................................................143 5.4.6.2.3 Der Grad an Stereotypie ........................................................................................................143 5.4.6.2.4 Lehren als Vormachen (Vorzeigen, Aufforderung zum Imitieren) .......................144 2
5.4.6.2.5 Bestrafung zur Förderung eines Verhaltens ..................................................................144 6 Das Zeigen ...................................................................................................................................147 6.1 Primates, Affen .....................................................................................................................................148 6.2 Carnivora, Raubtiere ..........................................................................................................................161 6.3 Pinnipedia, Robben ............................................................................................................................165 6.4 Cetacea, Wale ........................................................................................................................................166 6.5 Perissodactyla, Unpaarhufer und Artiodactyla, Paarhufer .................................................167 7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter ..............................................................................................................................................169 7.1 Verhaltensstile der Primatenweibchen .....................................................................................170 7.1.1 Einflussfaktoren auf den Verhaltensstil der Mutter ..........................................................171 7.1.1.1 Dispositionen der Mutter ..........................................................................................................171 7.1.1.1.1 Das Temperament ....................................................................................................................171 7.1.1.1.2 Alter und Erfahrung der Mutter .........................................................................................172 7.1.1.1.3 Die Stellung der Mutter in der Rangordnung ................................................................173 7.1.1.2 Eigenschaften des Jungtieres...................................................................................................174 7.1.1.2.1 Das Geschlecht des Jungtieres .............................................................................................174 7.1.1.3 Eigenschaften der Umwelt .......................................................................................................175 7.1.1.3.1 Zugänglichkeit sozialer Unterstützung durch Verwandte .......................................175 7.1.1.3.2 Die Anwesenheit von Geschwistern..................................................................................176 7.1.1.3.3 Die Anwesenheit fremder Männchen ...............................................................................176 7.1.1.3.4 Die Eigenschaften des Habitats und der Einfluss unterschiedlicher Haltebedingungen ......................................................................................................................................176 7.1.2 Auswirkungen auf das Jungtier ..................................................................................................178 Exkurs II: Aggression und Unabhängigkeitsentwicklung bei Husarenaffen (Erythrocebus patas) ..................................................................................................................181 II.1 Einleitung ...............................................................................................................................................181 II.2 Material und Methoden ....................................................................................................................182 II.3 Ergebnisse .............................................................................................................................................184 II.3.1 Kontaktverhalten ............................................................................................................................184 II.3.1.1 Kontakt zur Mutter .....................................................................................................................184 II.3.1.2 Unterschiede im Kontakt der beiden Mutter-Jungtier-Paare .....................................185 II.3.1.3 Kontakt zu anderen Gruppenmitgliedern ..........................................................................185 II.3.1.4 Kontaktverhalten – Spiel ..........................................................................................................187 II.3.2 Regulation der Nähe zwischen Mutter und Jungtier .........................................................187 II.3.3 Aggressives Verhalten ...................................................................................................................189 3
II.3.3.1 Aggressives Verhalten durch die Mutter ............................................................................189 II.3.3.2 Aggressives Verhalten durch andere Gruppenmitglieder ...........................................191 II.3.4 Zusammenhang von aggressivem Verhalten und Unabhängigkeitsentwicklung ..193 II.4 Diskussion .............................................................................................................................................193 II.4.1 Kontaktverhalten ............................................................................................................................194 II.4.2 Regulation der Nähe zwischen Mutter und Jungtier .........................................................195 7.1.3 „Vererbung“ des Verhaltensstils der Mutter .........................................................................197 7.1.4 Extremform eines Stils: Misshandlung und Vernachlässigung ......................................198 7.1.4.1 Ursachen der Misshandlung bzw. Vernachlässigung .....................................................200 7.1.4.1.1 Zusammenhang mit einem bestimmten Verhaltensstil der Mutter .....................200 7.1.4.1.2 Sozialer Stress............................................................................................................................201 7.1.4.1.3 Das Vorhandensein von Misshandlungen innerhalb der Familie ..........................201 7.1.4.1.4 Das Aufwachsen in Isolation ................................................................................................202 7.1.4.2 Misshandlung vs. Vernachlässigung .....................................................................................203 7.1.4.3 Auswirkungen auf das Jungtier ..............................................................................................204 7.1.4.4 Misshandlung als adaptive Strategie oder Verhaltenspathologie .............................204 7.1.5 Bedeutung für den Menschen .....................................................................................................206 7.2 Individuelle Unterschiede im mütterlichen Verhalten bei Nicht-Primaten .................207 8 Inhalte der Erziehung .............................................................................................................209 8.1 Die Kultur ...............................................................................................................................................210 8.2 Was ist Kultur? (Kultur des Menschen)......................................................................................211 8.3 Kultur der anderen Tiere .................................................................................................................213 8.3.1 Definition der Kultur bei Tieren und das Erkennen über Kriterien ............................216 8.4 Kultur bei verschiedenen Säugetiergruppen ...........................................................................223 8.4.1 Rodentia, Nagetiere ........................................................................................................................224 8.4.2 Carnivora, Raubtiere ......................................................................................................................225 8.4.2.1 Canidae, Hundeartige .................................................................................................................225 8.4.2.2 Mustelidae, Marderartige .........................................................................................................226 8.4.2.3 Felidae, Katzenartige ..................................................................................................................226 8.4.3 Cetacea, Wale ....................................................................................................................................226 8.4.4 Artiodactyla, Paarhufer .................................................................................................................230 8.4.5 Proboscidea, Elefanten ..................................................................................................................230 8.4.6 Primates, Affen .................................................................................................................................231 8.4.6.1 Platyrrhini, Neuweltaffen .........................................................................................................231 8.4.6.2 Catarrhini, Altweltaffen (ohne Hominidae) .......................................................................234 8.4.6.3 Hominidae, Menschenaffen ......................................................................................................238 8.5 Diskussion ..............................................................................................................................................260 4
8.5.1 „Life history“-Parameter und kognitive Fähigkeiten .........................................................260 8.5.2 Kultur in Abhängigkeit sozialer Strukturen ..........................................................................261 8.5.3 Kultur in Abhängigkeit von Strategien des Nahrungserwerbs ......................................265 8.5.4 Kultur bei Walen ..............................................................................................................................266 8.5.5 Besonderheiten der Kultur des Menschen ............................................................................268 8.6 Verhalte dich deinem Geschlecht entsprechend .....................................................................270 9 Erziehung im Tierreich ..........................................................................................................275 9.1 Phylogenetische Stellung, kognitive Fähigkeiten und „life history“ Merkmale ..........276 9.2 Ökologische Rahmenbedingungen ...............................................................................................277 9.3 Sozialstruktur .......................................................................................................................................278 10 Ausblick – Was ist der Mensch? ........................................................................................279 10.1 Erziehung zur Individualität ........................................................................................................279 10.2 Erziehung mit schöpferischer Qualität ....................................................................................280 10.3 Erziehung über Sprache .................................................................................................................280 10.4 Institutionalisierung von Erziehung, Erziehung als Aufgabe der Gemeinschaft .....281 10.5 Erziehung und Moral .......................................................................................................................281 11 Schluss .......................................................................................................................................287 12 Zusammenfassung ................................................................................................................289 13 Literatur....................................................................................................................................291 A Anhang .........................................................................................................................................371
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1 Einführung
1 Einführung „Viele Irrwege im menschlichen Erziehungswesen und in unseren politischen Institutionen wären uns erspart geblieben, wenn die Humanpsychologen und Soziologen sich etwas mehr mit Verhaltensbiologie und Evolutionslehre beschäftigt hätten“ (Mayr 1973, S. 17). Erziehung ist für den Menschen von zentraler Bedeutung. Durch Erziehung werden Wissen, Werte und Normen weitergegeben. Die Charakteristika einer bestimmten Gesellschaft werden über Erziehung vermittelt und sie trägt dadurch zu deren Erhalt bei. Bisher fehlen jedoch ausführliche Beschreibungen dieses Verhaltenskomplexes bei anderen Tieren. Kommt Erziehung hier nicht vor? Hat man sich bisher einfach nicht mit diesem Verhalten auseinandergesetzt oder wird das Verhalten vielleicht mit anderen Begriffen beschrieben? Diese Arbeit soll klären, ob und in welcher Form Erziehung im Tierreich stattfindet. Sie befindet sich damit im Spannungsfeld von Natur- und Geistes- bzw. Sozialwissenschaft. Sozialwissenschaftler betrachten den Menschen häufig auf einer anderen Ebene als Biologen. Menschliche Gesellschaftsformen seien zu komplex, zu speziell, um sie mit Hilfe biologischer Theorien beschreiben zu können. Das Verhalten der Tiere sei deutlich von dem der Menschen zu trennen. Auch Erziehung sei demnach ein Verhalten, das allein für den Menschen kennzeichnend sei, diesen von den anderen Tieren unterscheide. Biologen hingegen sehen eine kontinuierliche Veränderung von Merkmalen und Verhaltensweisen im Laufe der Evolution. Will man den Ursprüngen menschlichen Erziehungsverhaltens auf die Spur zu kommen, muss man sich vor Augen führen, dass das Erziehen der Kinder nicht aus dem Nichts entstanden sein kann. Wie und in welcher Form ist dieses Verhalten im Tierreich verwirklicht? Von welchen Bedingungen ist es abhängig, dass Erziehungsverhalten gezeigt wird? Welche Aussagen lassen sich daraus auch für den Menschen ableiten? Die Evolutionstheorie nimmt mittlerweile auf die verschiedensten Disziplinen – bis hin zur Wirtschaftswissenschaft – Einfluss. In Bezug auf das Erziehungsverhalten des Menschen ist die evolutionäre Pädagogik (oder auch die pädagogische Anthropologie) von Bedeutung. Im Mittelpunkt dieser Strömung steht die Anwendung allgemeiner evolutionstheoretischer (soziobiologischer) Theorien auf den Menschen. In Bezug auf die Erziehung geht es dabei um die „Ursprünge, Gründe und Korrelate elterlicher Einfluss7
1 Einführung nahme auf die Entwicklung und das Lebensgeschick der Nachkommen“ und damit auch darum, „moderne Erziehungspraxis mit ihren differenzierten Schattierungen im Hier und Heute besser zu verstehen“ (Voland 2004, S. 10). Die allein teleologische Sichtweise der Pädagogik, die Erziehung als etwas Zweckmäßiges, als etwas, das auf ein Ziel bezogen ist, versteht, soll durchbrochen werden. Nach einer teleonomischen Sichtweise – wie die der Evolutionstheorie – ist der Zufall maßgebend. Der Zweck ergibt sich erst im Nachhinein – nebenbei. In diesem Sinne gibt es Erziehung, weil sie einen Selektionsvorteil hat. Voland (2004) schreibt (S. 26): „Man sieht: erzieherische Teleologie und biologische Teleonomie begegnen sich geradezu antipodisch. Diesen Widerspruch in Theorie und Praxis konstruktiv aufzubrechen, gehört sicherlich zu den mental sperrigen, gleichwohl genuinen Aufgaben einer zukünftigen evolutionären Pädagogik“ (siehe dazu auch Treml 2002). Ein Unterschied der vorliegenden Arbeit zu der klassischen Vorgehensweise der evolutionären Pädagogik besteht darin, dass das Erziehungsverhalten der Tiere untersucht wird und weniger allgemeine Theorien (wie z.B. der Eltern-Kind-Konflikt) in ihrer Bedeutung für den Menschen geprüft werden. Damit kann das Erziehungsverhalten von Mensch und Tier direkt verglichen werden. In dieser Arbeit werden in erster Linie die Säugetiere betrachtet. Vor allem die nichtmenschlichen Primaten stehen immer wieder im Fokus der Betrachtungen. Auch in anderen Arbeiten, die sich mit menschlichen Eigenschaften, wie z.B. der Kognition, der Intelligenz oder dem Bewusstsein beschäftigen, wird den nichtmenschlichen Primaten häufig ein eigenes Kapitel zugestanden. Sie sind nicht nur ein Studienobjekt der Zoologie, sondern auch der Psychologie oder Anthropologie. Diese besondere Bedeutung wird auch daran deutlich, dass es zwar eine Primatologie, aber z.B. keine „Carnivorologie“ gibt. Der Fokus auf die nichtmenschlichen Primaten kann damit begründet werden, dass sich aus ihrem Verhalten Homologien zum Verhalten des Menschen ableiten lassen. Die nahe Verwandtschaft zum Menschen macht es möglich, einen gemeinsamen evolutionären Ursprung eines Verhaltens auszumachen. Häufig wird aber vergessen, dass auch aus Analogien wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können. Sie können – im Gegensatz oder auch als Ergänzung zur Homologie als „conceptual model“ – ein „referential model“ darstellen (vgl. z.B. King 1994, S. 21; siehe auch Lorenz 1973). Aus diesem Grund wird auch das Erziehungsverhalten der anderen Tiergruppen dargestellt. In dieser Arbeit werden Aspekte hervorgehoben, die nicht neu sind, aber neue Einblicke in alte Probleme geben. Es handelt sich dabei nicht um revolutionär neue Ideen; den8
1 Einführung noch wurde es bisher versäumt den Sachverhalt in dieser Weise darzustellen. Das Neue liegt in der Einteilung und Anordnung der Fakten und Ideen. Wesentlich ist die Fülle von Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Es kann gezeigt werden, wie vielfältig die Erziehung im Tierreich verwirklicht ist und dass auch die Fähigkeit des Menschen zur Erziehung ihre Wurzeln in seiner frühen Evolutionsgeschichte hat. Diese Arbeit beginnt mit einem einleitenden, theoretischen Teil, in dem der Begriff der Erziehung und ihm verwandte Begriffe definiert werden. Erziehung lässt sich demnach rein formal als eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen verstehen. Dies allein reicht aber nicht aus, um von Erziehung sprechen zu können. Erziehung hat auch immer eine zugrunde liegende Methode und einen Inhalt bzw. ein Ziel – was unter einem materialen Erziehungsbegriff zusammengefasst werden kann. Lehren (und als Voraussetzung dafür Lernen, insb. soziales Lernen) ist die maßgebliche Methode des Erziehens. Eine besondere Form des Lehrens ist das Zeigen, das aufgrund der aktuellen Debatte in der Erziehungswissenschaft und des Interesses bzgl. dieser Fähigkeiten bei Tieren in einem eigenen Kapitel behandelt wird. Desweiteren ist es interessant, dass man bei Primatenweibchen (und z.T. auch bei Weibchen anderer Taxa) individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen beobachten kann. Da dieses Verhalten über verschiedene Jungtiere hinweg stabil ist, kann es als Stil der Mutter bezeichnet werden. Es wurde schon erwähnt, dass Erziehung nicht an sich vonstattengehen kann; sie hat immer auch einen Inhalt bzw. ein Ziel. Im Wesentlichen geht es darum, ein Individuum zu schaffen, das sich an eine bestimmte, bestehende Gesellschaftsstruktur anpasst – die Kultur einer bestimmten Gruppe übernimmt. Letztendlich müssen diese notwendigen Bedingungen für Erziehung zusammengeführt werden, um aus der Kombination dieser Aspekte Aussagen zum Erziehungsverhalten der Tiere ableiten zu können.
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2 Was ist Erziehung?
2 Was ist Erziehung? Jeder Mensch hat eine gewisse Vorstellung davon, was Erziehung ist. Will man sich wissenschaftlich mit diesem Thema auseinandersetzen, muss man diesen Alltagsbegriff von einer allgemeingültigen und damit für eine wissenschaftliche Diskussion brauchbaren Definition abgrenzen. Hinderlich ist es hierfür aber vor allem, dass der Begriff der Erziehung immer mit einer gewissen Emotionalität behaftet ist. Er ist mit Erfahrungen der eigenen Kindheit untrennbar verbunden, weil „ein jeder zumindest die eigene Erziehung erfahren hat, sie dementsprechend mit Leidenschaft oder Ressentiment, jedenfalls kaum mit nüchterner Gelassenheit sieht“ (Winkler 2006, S. 57). Ein weiteres Problem ist, dass der Begriff, wie andere aus dem Alltagssprachgebrauch übernommene Begriffe, ein Interpretationskonstrukt ist. Es stellt sich die Frage, ob eine Interaktion erst durch die subjektive Interpretation der Beteiligten oder Beobachter zu Erziehung wird; nach dem Motto: „,Erziehung‘ ist diejenige Praxis in der Gesellschaft, die als ,Erziehung‘ bezeichnet wird“ (Menck 1998, S. 20) oder ob es auch einen allgemeingültigen, prinzipiellen Begriff der Erziehung geben kann. Um diesem prinzipiellen Begriff näher zu kommen, werden im folgenden Abschnitt verschiedene Möglichkeiten, Erziehung begrifflich zu fassen, dargestellt und diskutiert. Das Ergebnis ist ein Erziehungsbegriff, der verschiedene klar beschreibbare Kriterien enthält und sich damit gut eignet, Erziehung im Tierreich darzustellen. Bevor dies geschehen kann, ist es jedoch nötig, auf die Wurzeln des Erziehungsbegriffs einzugehen, da auch unser heutiges Verständnis von diesen historischen und philosophischen Einflüssen geprägt ist.
2.1 Annäherung an einen Begriff Erziehung ist ein Begriff, der in der Regel nur in Bezug auf den Menschen verwendet wird. Bei Tieren spricht man z.B. von Brutpflege oder Fürsorge, aber nicht – oder nur selten – von Erziehung. Diese spezielle Behandlung des Menschen kann auf eine historisch begründete philosophisch-anthropologische Sichtweise zurückgeführt werden. Erziehung wurde – und wird – benutzt, um den Menschen vom Tier abzugrenzen (vgl. z.B. Hoyle 1966, S. 51; Gergely & Csibra 2006, S. 246). Der Vergleich von Mensch und Tier galt als „Königsweg der philosophischen Anthropologie“ (Bräuer 1969, S. 256). In keinem anderen Land gab es in der Philosophie eine so starke Betonung auf biologische Aspekte wie in Deutschland. Wein (1957) schreibt dazu (S. 52): „[This] idea is in con11
2 Was ist Erziehung? trast both to traditional anthropology with its metaphysical framework and to contemporary American empirical anthropology.” Plessner (1965, S. XV) spricht in diesem Kontext beispielsweise von einer „Anwendung des biologischen Verhaltensprinzips auf den Menschen“ und Hartmann (1941, S. 168) beschreibt diese neue, biologische Herangehensweise als eine „Gesamtanschauung des Menschenwesens von seinen biologischen Grundlagen aus.“1 Immanuel Kant gilt als wichtiger, früher Vertreter der philosophischen Anthropologie. Sein anthropologisches Interesse wird auch an der kantischen Frage „Was ist der Mensch?“ deutlich. Für Kant war der Mensch zwar auch ein Tier – ein Naturwesen – aber ebenso durch Vernunft charakterisiert und bestimmt. Dies bringe ihn dazu, sich in der Gesellschaft zu kultivieren und zu moralisieren. Das könne das Kind aber nicht von sich aus leisten. Im Gegensatz zum Tier, das „schon alles durch seinen Instinkt“ sei (Kant 1803, S. 9), brauche der Mensch die Erziehung. Dabei gilt: „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht“ (Kant 1803, S. 11). Von Johann Gottfried Herder stammt der Ausdruck vom Menschen als ersten „Freigelassenen der Schöpfung“ (Herder 1784, S. 231) und die Idee des Menschen als „Mängelwesen“ (Herder 1772, S. 34 u. 39), die später von Gehlen aufgegriffen wurde. Er schreibt, dass der Mensch „zwar ein schwaches Kind [sei], aber doch ein Freigeborener; wenn noch nicht vernünftig, so doch einer besseren Vernunft fähig; wenn noch nicht zur Humanität gebildet, so doch zu ihr bildbar“ (Herder 1784, S. 232 f.). Erziehung wird damit zur existentiellen Notwenigkeit, zugleich aber auch zu einer großen Möglichkeit. „Eben 1
Es wäre an dieser Stelle interessant zu prüfen, inwieweit bestimmte historisch-philosophische Ansichten
das Verständnis von Erziehung (bei Tier und Mensch) in anderen Ländern beeinflusst haben. Diese Ausführungen würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen, können aber Ausgangspunkt für weitere Betrachtungen sein. Ein interessanter Anhaltspunkt ergibt sich schon aus dem Versuch „Erziehung“ ins Englische zu übersetzen. Die ist nur annäherungsweise oder mit Umschreibungen möglich. Es gibt kein Wort, das dem deutschen „erziehen“ entspricht. Sicherlich hat dieser unterschiedliche Gebrauch von Wörtern einen Einfluss auf das Verständnis des Erziehens. Die Idee einer „typisch deutschen Sichtweise“ ist dabei natürlich nicht absolut zu sehen, sondern eher als Tendenz. Auch in anderen Ländern gab es Versuche, die Sonderstellung des Menschen durch Erziehung oder Bildung zu begründen. Beispielsweise schreibt Hoyle (1966, S. 51): „It is not unreasonable to say that it is education that separates us from the other animals.” (Wobei er unter „education” „formal education in our schools and universities or informal education in the home” versteht.). Noch älter und einflussreicher ist Plato, der von Ritter (1896, S. 51) folgendermaßen zitiert wird: „Von der Erziehung hängt es ja bei guter Anlage allein ab, ob der Mensch den Vorrang, dem wir ihm vor dem Tiere zuerkennen, wirklich behauptet und zur Gottähnlichkeit sich erhebt, oder ob er zur Bestie entartet.“
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2 Was ist Erziehung? deswegen kommt der Mensch so schwach, so dürftig, so verlassen, von dem Unterricht der Natur, so ganz ohne Fertigkeiten und Talente auf die Welt, wie kein Thier, damit er, wie kein Thier, eine Erziehung genieße und das menschliche Geschlecht, wie kein Thiergeschlecht, ein innigverbundenes Ganze werde!“ (Herder 1772, S. 174). Die eigentliche Philosophische Anthropologie entstand in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. z.B. Fischer 2008). Wichtige Vertreter sind Max Scheler, Helmut Plessner, Adolf Portmann, Erich Rothacker oder Arnold Gehlen. Durch sie und andere wurde das Bild des Menschen als erziehungsbedürftiges Wesen, in Abhängigkeit von Kultur und Gesellschaft, gefestigt. Tiere galten als instinktive Wesen und die Erziehung wurde zu etwas exklusiv Menschlichem. Der Philosoph und Soziologe Max Scheler zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht die Ähnlichkeit des Menschen zu Gott, sondern den Gegensatz zum Tier in den Vordergrund seiner Betrachtungen stellt (Scheler 1928). Die Sonderstellung des Menschen sei durch seinen Geist begründet (S. 47). Der Mensch sei nicht umweltgebunden wie das Tier, sondern könne sich unbegrenzt weltoffen verhalten. Der Schweizer Zoologe Adolf Portmann bezieht sich bei seinen Ausführungen auf die körperliche Beschaffenheit des Menschen. Er prägte z.B. den Begriff der „physiologischen Frühgeburt“ (Portmann 1951, S. 44). Zum Zeitpunkt seiner Geburt sei der Mensch auf Totalversorgung angewiesen. Er habe erst „[nach] einem Jahr […] den Ausbildungsgrad, den ein seiner Art entsprechendes echtes Säugetier zur Zeit der Geburt verwirklichen müsste“, erlangt (Portmann 1951, S. 45). Im Gegensatz zu den Tieren, deren „instinktive Gebaren“ „umweltgebunden“ seien, sei der Mensch gerade durch seine Unvollendetheit und Hilflosigkeit zum Zeitpunkt der Geburt auch „weltoffen“ (Portmann 1951, S. 63). Alle postnatalen Entwicklungsprozesse finden eingebettet in einem soziokulturellen Kontext statt. Durch Erziehung kann der Mensch, in der jeweiligen, ihn umgebenden Gesellschaft, bestehen. Arnold Gehlen verbreitete den Gedanken, den Menschen, in Anlehnung an Herder, als „Mängelwesen“ zu begreifen (Gehlen 1950, S. 21; 1961, S. 18). Die Sonderstellung des Menschen sei „schon physisch durch seine mangelhafte Ausstattung mit organischen Waffen oder organischen Schutzmitteln, durch die Unsicherheit und den rückgebildeten Zustand seiner Instinkte, durch die bescheidenen Sinnesleistungen“ begründet (Gehlen 1961, S. 17 f.). Aus diesen „einmaligen und besonderen, einzigartigen biologischen Bedingungen des Menschen“ folgert Gehlen (1961, S. 21), dass die vom Menschen geschaffene Kultursphäre für ihn lebensnotwendig sei. „Der Mensch ist also organisch ,Mängelwesen‘ (Herder), er wäre in jeder natürlichen Umwelt lebensunfähig, und so 13
2 Was ist Erziehung? muß er sich eine zweite Natur, eine künstlich bearbeitete und passend gemachte Ersatzwelt, die seiner versagenden organischen Ausstattung entgegen kommt, erst schaffen, und er tut dies überall, wo wir ihn sehen. Er lebt sozusagen in einer künstlich entgifteten, handlich gemachten und von ihm ins Lebensdienliche veränderten Natur, die eben eine Kultursphäre ist“ (Gehlen 1961, S. 48). Aus diesen Ansichten entsteht ein Bild des Menschen, das ihn – und nur ihn – als erziehungsfähiges, aber eben auch erziehungsbedürftiges Wesen begreift. Für Tiere sei Erziehung bedeutungslos, da sie durch ihre instinktive Ausstattung an eine bestimmte, nur ihnen eigene Umwelt angepasst seien.2 Natürlich beeinflussen diese Strömungen auch das aktuelle Verständnis von Erziehung. Erziehung wird immer wieder als etwas exklusiv Menschliches beschrieben: „Dass der Mensch das einzige Wesen ist, das der pädagogischen Praxis bedürftig und fähig ist, lässt sich auf der Grundlage der beiden konstitutiven Prinzipien pädagogischen Denkens und Handelns nun so fassen: Allein der Mensch ist bildsam, und nur er kann zur Selbständigkeit auffordern und aufgefordert werden“ (Benner 2005, S. 81). „Bekanntlich ist der Mensch bei seiner Geburt allein lebensunfähig; seine weitere Existenz hängt von der Fürsorge anderer Menschen ab. Nur durch Lernen kann er sich in die Lage versetzen, im Rahmen seiner jeweiligen Kultur ein selbstständiges Leben zu führen. Der Mensch ist also von seiner Natur her ein ,lernbedürftiges Wesen‘. Ob man daraus auch folgern muß, daß er ,erziehungsbedürftig‘ ist, ist strittig. … Akzeptabel ist diese Schlussfolgerung, wenn man unter ,Erziehung‘ versteht einerseits ein dem jeweiligen Alter angemessenes Lernangebot und andererseits das Setzen von Grenzen für den Handlungsspielraum des Kindes“ (Giesecke 1996, S. 25). 2
Eine interessante Ausnahme in Bezug auf die Verwendung des Begriffs Erziehung für Mensch und Tier,
sind Haustiere. Es ist z.B. durchaus üblich, davon zu sprechen, dass ein Mensch seinen Hund erzieht. Aus diesem Kontext scheint auch die Bedeutung des Wortes zu stammen. Das deutsche Wort „erziehen“ geht auf das lateinische „educare“ zurück, wonach Erziehung (lat. educatio) mit Aufzucht oder Pflege zu übersetzen wäre (vgl. z.B. Bardy & Knapp 2003, S. 31). „Eine Aufschlüsselung der Wortwurzel weist darauf hin, daß ,Ziehen‘ zunächst das Herausziehen des ungeborenen Jungtieres aus dem Mutterleib beschreibt und ,Zucht‘ das Eingewöhnen des heranwachsenden Tieres in Verhaltensformen meint, die der jeweiligen Vorstellung des Menschen von Tierhaltung entsprechen“ (Kunert 1974, S. 87). Der Ursprung des Wortes ist also im Tierreich zu finden. Im Laufe der weiteren Entwicklung entfernte sich das Wort aber immer weiter von seiner eigentlichen Bedeutung (vgl. Bardy & Knapp 2003, S. 31 f.).
14
2 Was ist Erziehung? „Das Ziel der Erziehung besteht in der Menschwerdung und dem Erreichen der Mündigkeit. Das bedeutet, daß der zu erziehende Mensch noch nicht als Mensch betrachtet wird. Sein Menschsein scheint sich erst in seiner Mündigkeit zu erfüllen. Implizit enthält dieser Begriff also eine anthropologische Annahme, die darin besteht, daß der Mensch grundsätzlich erziehungsbedürftig im umfassenden Sinn ist, weil er mit seiner Geburt noch kein ,richtiger‘ Mensch sei“ (Lenzen 1999, S. 166; vgl. dazu auch Lassahn 1983, S. 7). Neben einer Darstellung des anthropologischen Grundgedankens werfen diese Aussagen weitere Fragen auf. Welcher Erziehungsbegriff liegt diesen Aussagen zugrunde? Nach welchem Verständnis von Erziehung erscheint nur der Mensch als erziehungsbedürftiges und -fähiges Wesen? Gibt es nicht auch andere Möglichkeiten, Erziehung zu definieren? Im folgenden Kapitel wird aufgezeigt, welche weiteren Möglichkeiten es gibt, Erziehung allgemeiner und prinzipieller zu fassen und dass andere Ansätze durchaus Möglichkeiten zulassen, Erziehung auch bei anderen Tieren zu beschreiben.
2.2 Definitionenvielfalt Innerhalb der Erziehungswissenschaft oder Pädagogik3 ist die Definition des Erziehungsbegriffs ein viel diskutiertes Thema. Es gibt verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Schwerpunkten. „Zu einer eindeutigen und allgemein als verbindlich anerkannten Auffassung kam es bis heute nicht“ (Bardy & Knapp 2003, S. 32). Eine Möglichkeit besteht darin, festtellende und festsetzende Verwendungen des Begriffs der Erziehung, zu unterscheiden. Feststellende oder deskriptive Begriffe beschreiben, „was man tatsächlich beobachten kann“; sie wollen erfassen, „wie der Begriff normalerweise verwendet wird“ (Fuhr 2000, S. 433). Sie sind in keiner Weise wertend. Festsetzende Begriffe hingegen definiert Erziehung „nicht wie sie ist, sondern wie sie sein soll“ (Fuhr 2000, S. 433). Sie haben also auch ein moralisches Interesse und sind vor allem von Bedeutung, wenn es um die Entwicklung von Aktionsprogrammen geht. „[Es] wird ein bestimmter Begriff von Erziehung gegeben, um damit ein praktisches Programm zu fördern“ (Fuhr 2000, S. 433). Prange (1996) unterscheidet neben diesen bei3
Einige Wissenschaftler unterscheiden zwischen Erziehung und Pädagogik (Heid 1994), andere gebrau-
chen die Begriffe synonym (Liedtke 1997). Ich werde im Folgenden hauptsächlich den Begriff der Erziehung verwenden. Wenn von Pädagogik die Rede ist, ist der Begriff – sofern nicht explizit erwähnt – synonym zum Erziehungsbegriff zu verstehen.
15
2 Was ist Erziehung? den Möglichkeiten der Definition des Begriffs der Erziehung noch eine weitere – eine operative – Bestimmung. Der Begriff der Erziehung wird hier auf Grundlage der Operationen gebildet und „nicht primär in Hinsicht auf die anthropologischen, kulturellen oder sozialen Voraussetzungen der Erziehung und auch nicht in Hinsicht auf ihre Ziele, Intentionen und Programme“ (Prange 1996, S. 139). Ein derartiger Begriff ist „von Anfang bis Ende bei sich selbst und braucht nicht erst den Umweg über anderes Wissen, das nachträglich noch pädagogisiert wird“ (Prange 1996, S. 139). Fuhr (2000) leitet aus diesen und weiteren Verwendungen des Begriffs der Erziehung, materiale und formale Herangehensweisen bzw. Definitionen ab. Materiale Definitionen enthalten eine oder mehrere Bestimmungen dazu „wie oder wozu erzogen werden darf und wie oder wozu nicht“ (S. 436). Dem gegenüber stehen formale Definitionen, die eine wertende Darstellung umgehen wollen. Materiale Begriffe von Erziehung können – nach Fuhr – auch als Normbegriffe oder als normative Begriffe bezeichnet werden, formale Begriffe von Erziehung dagegen als nicht-normative Begriffe von Erziehung. Mit einer formalen Definition werden viele Probleme, die mit dem Erziehungsbegriff assoziiert sind, umgangen. Sie orientiert sich an den objektiven Gegebenheiten, die es deskriptiv-empirisch zu erfassen gilt (Prange 1996) und ist damit frei von Meinungen oder willkürlich gesetzten Zielen. Einige Beispiele für formale Begriffsbestimmungen sind in Tab. 1 wiedergegeben. Den Aussagen ist gemein, dass sie Erziehung als eine Interaktion verstehen, oder genauer als eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen. Tabelle 1: Darstellung verschiedener, hauptsächlich formaler Begriffsbestimmungen der Erziehung Dilthey
1924, „Unter Erziehung verstehen wir die planmäßige Tätigkeit, durch wel-
S. 83
che die Erwachsenen das Seelenleben von Heranwachsenden bilden.“
Durkheim
„Erziehung ist die Einwirkung, welche die Erwachsenengeneration auf
1972, S. 30
jene ausübt, die für das soziale Leben noch nicht reif sind.“
Herbart
„Diese Sphäre kann bezeichnet werden als die Gesamtheit dessen, was
1873/1971, S. das gereifte Geschlecht mit dem nachwachsenden vornimmt, die Alten 243
mit den Jungen vornehmen.“ Erziehung ist die „Assimilation der jüngeren Generation an die ältere.“
Schleiermacher „Auf diese Grundlage des Verhältnisses der älteren zur jüngeren Gene1826/1983, S. ration, … bauen wir alles, was in das Gebiet dieser Theorie [gemeint 9 u. 12
ist die Erziehung] fällt.“ Erziehung endet, wenn die Einwirkung nicht 16
2 Was ist Erziehung? mehr asymmetrisch ist, sondern eine gleichberechtigte Interaktion stattfindet. Die „Einwirkung der älteren Generation auf die jüngere nimmt ab, und wird am Ende gleich Null.“ Schulze 1995, „Erziehung ist die Reaktion der Gesellschaft auf die Tatsache des LerS. 407 Treml
nens.“ 2004b, „Erziehung ist Interaktion.“
S. 276 Materiale Definitionen führen unweigerlich zu dem Problem der Begründung, warum gerade bestimmte Ziele oder Operationen bzw. Methoden als zum Erziehungsprozess gehörig bezeichnet werden dürfen und andere nicht. Andererseits hat Erziehung immer ein Ziel bzw. einen Inhalt und bestimmte Methoden mit denen diese Inhalte übermittelt werden. Bei einer rein formalen Begriffsbestimmung werden diese Aspekte nicht berücksichtigt; Erziehung wird damit nur ungenau erfasst. Fuhr (2000) beschreibt dies treffend, indem er Erziehung als Handlung und nicht als Verhalten bezeichnet. „Das heißt, sie geschieht absichtlich und ist auf einen Zweck bezogen, der durch die Handlung erreicht werden soll“ (Fuhr 2000, S. 437). Eine Kommunikation oder Interaktion von Erwachsenen und Kindern wird erst durch das Ziel und die damit verbundenen Methoden zu Erziehung. Verdeutlichen lässt sich dieses Verhältnis am didaktischen Dreieck, welches sich zu einem pädagogischen Dreieck weiterentwickeln lässt (vgl. Fuhr 2000). Demnach gehören zur Erziehung immer ein Erzieher bzw. eine Erzieherin, ein Educand bzw. eine Educandin und ein Inhalt über den kommuniziert wird (siehe Abb. 1). Schultheis (1998) spricht in diesem Zusammenhang auch davon, Erziehung als „Thematisierung“ zu verstehen. Im pädagogischen Dreieck nicht explizit dargestellt sind die Methoden mit denen die Inhalte übermittelt werden. Die Verbindungsstriche der einzelnen Elemente können aber dementsprechend gedeutet werden. Was genau nun die Ziele oder Inhalte der Erziehung sein sollen, ist immer eine subjektive Einschätzung. In Tab. 2 sind verschiedene Definitionen, die Erziehung über ihre Ziele bzw. ihren Inhalt zu fassen versuchen, zusammengefasst. Deutlich wird, dass die Ziele der Erziehung häufig mit dem Begriff der Moral verknüpft sind. Es geht z.B. um „höhere Werte“ wie darum, die „Potentiale des Guten bestmöglich auszuschöpfen“ (Voland & Voland 2002, S. 691). Andererseits sollte der moralische Charakter aber auch nicht überbewertet werden. Wenn beispielsweise eine Mutter ihrem Kind zeigt, wie es einen Löffel halten soll, hat sie dabei wahrscheinlich keine höheren moralischen Ziele im Sinn, sie bringt ihrem Kind aber bestimmte, gesellschaftlich etablierte Umgangsformen bei: 17
2 Was ist Erziehung? Europäer essen mit Löffeln und nicht mit Stäbchen oder Händen. Auch Winkler (2006) schreibt (S. 63): „Normativ geladene öffentliche Debatten, angesichts der Komplexität und Kontingenz des Geschehens angestrengte wissenschaftliche Versuche zur Bestimmung von Erziehung stehen in merkwürdigem Widerspruch zur Banalität der Ereignisse – vielleicht beginnt Erziehung wirklich damit, wie Luhmann einmal vermutet, dass der Nachwuchs zum Pinkeln vor die Türe der Hütte geschickt wird.“
Abbildung 1: Pädagogisches Dreieck Des Weiteren wird deutlich, dass die Ziele entweder mehr auf das Individuum bezogen sind oder auf seine Rolle in der Gesellschaft. Steht das Individuum im Fokus der Betrachtungen, soll es gestärkt und gefördert werden. Es soll sich seinen Anlagen entsprechend verwirklichen können, sich zu einer mündigen, selbstbestimmten Person entwickeln. Bei den in der Tabelle genannten Definitionen sind Ziele, die auf die Rolle des Individuums in der Gesellschaft abzielen, häufiger anzutreffen. Als repräsentativ kann Durkheim angesehen werden. Wesentlich ist, dass ein junger Mensch das bisher Erreichte einer Gesellschaft in Zukunft weiterführt. Durkheim (1972) schreibt (S. 29): „Die Gesellschaft kann nur überleben, wenn unter ihren Mitgliedern ein ausreichender Grad an Homogenität besteht. Die Erziehung erhält und bestärkt fortwährend diese Homogenität, indem sie in der Seele des Kindes von Anfang an jene wesentlichen Gleichförmigkeiten fixiert, welche das kollektive Leben erfordert.“ Als Ergebnis entstehen Tradition oder Kultur. Die Errungenschaften der einen Generation werden an die nächste weitergegeben, damit nicht „jede Generation von vorn anfangen müßte und etwas tun, was vorher schon getan wäre“ (Schleiermacher 1826/1983, S. 11). Ob – in Bezug auf die Inhalte oder Ziele der Erziehung – eher die individuelle oder die gesellschaftliche Ebene im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, ist wiederum von bestimmten Ansichten der jeweiligen Gesellschaft abhängig. Der Schwerpunkt auf Individualität und Selbstbestimmung ist sicherlich eine zeitlich recht junge Entwicklung unserer westlichen Gesellschaften (vgl. z.B. Nipkow 2004, S. 90). Selbst wenn man sein Kind 18
2 Was ist Erziehung? individuell fördert, macht man das in einem bestimmten, gesellschaftlich anerkannten Rahmen. Wenn das Kind z.B. gern Sachen kaputt macht oder Menschen verprügelt und das auch sehr gut kann, fördert man das sicherlich nicht. Man schickt es vielleicht zum Boxen und lenkt die Fähigkeit damit in gesellschaftlich akzeptierte Bahnen. Tabelle 2: Herangehensweisen, die die Ziele oder Inhalte der Erziehung in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen Brezinka 1990,
Unter Erziehung sind „Handlungen [zu verstehen], durch die Men-
S. 35
schen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Weise dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.“
Durkheim
„Ihr [gemeint ist die Erziehung] Ziel ist es, im Kinde gewisse physische,
1972, S. 30
intellektuelle und sittliche Zustände zu schaffen und zu entwickeln, die sowohl die politische Gesellschaft in ihrer Einheit als auch das spezielle Milieu zu dem es in besonderer Weise bestimmt ist, von ihm verlangen.“
Giesecke 1996, Erziehung ist die „Vermittlung von Mündigkeit an Unmündige.“ S.
10;
Ritzel
1973, S. 15 Lassahn 1983, Eine „Gruppe von Menschen und jede Gesellschaft ist darauf angeS. 7
wiesen, ihr Wissen, ihr Können, ihre Erfahrungen und Verhaltensweisen an die nachfolgende Generation zu vermitteln, wenn der Bestand der jeweiligen Gruppe gewahrt werden soll.“
Lassahn 1983, Erziehung ist das „Eingreifen in den Prozess des Werdens der Person.“ S. 8
Dabei geht es darum dem „Heranwachsenden eine bestimmte Form zu geben.“
Loch 1968, S. Erziehung ist eine „Enkulturationshilfe“. Die Kultur müsse vom Men165
schen gelernt werden und dabei benötige der Mensch Hilfe.
Nohl 1935, S. „Die Grundlage der Erziehung ist das leidenschaftliche Verhältnis eines 169
reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen, daß es zu seinem Leben und seiner Form komme“
Schleiermacher Der Sinn von Erziehung ist, dass die ältere Generation der jüngeren 1826/1983, S. Wissen und Erfahrung weitergibt, um dadurch zu verhindern, „daß 19
2 Was ist Erziehung? 11
jede Generation von vorn anfangen müßte und etwas tun, was vorher schon getan wäre.“
Treml
2004b, „Erziehung verändert Menschen.“
S. 19 Voland & Vo- „Menschen sind formbar in ihrem Wissen, ihrer Moral, ihrem ästhetiland 2002, S. schen Urteil, ihren ideologisch-religiösen Überzeugungen, ihren Kom691
petenzen. Erziehung soll dazu dienen, diese Potentiale des Guten bestmöglich auszuschöpfen.“
Winkler 2006, „Dabei stellt sich Erziehung zunächst als Vermittlung des nichtgenetiS. 66
schen Erbes durch die ältere Generation an die jüngere dar.“
Wuketits 2004, „Ihr Sinn der Erziehung liegt … darin, dass sie Erfahrungen und ErS. 39
lerntes im Rahmen eines sozialen Systems stabilisiert.“
Bleibt noch zu klären, in welcher Form eine Kommunikation stattfinden muss, damit sie als Erziehung bezeichnet werden kann. Die Frage, wie erzogen werden soll – als Teil der materialen Begriffsbestimmung – steht im Mittelpunkt. Aus Tab. 3 wird ersichtlich, dass in diesem Bereich zwei Formen unterschieden werden können. Die eine stellt den Erzieher in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Erziehung wird über die zugrundeliegenden Handlungen definiert. Dieses Verständnis von Pädagogik oder Erziehung als „Handlungswissenschaft“ (Treml 2004, S. 277) ist vor allem für die Praxis von Bedeutung. Ein anderes, mehr einer strukturalistischen Erziehungswissenschaft entsprechendes Verständnis geht vom lernenden Individuum aus, das selbst bestimmt, wie und was es lernt. Erziehung ist demnach eine Tätigkeit „durch die Menschen Weltstrukturen so transformieren, daß lernende Menschen einen Aufbau ihrer kognitiven Strukturen in optimaler Weise vornehmen können“ (Lenzen 1999, S. 173). Gemeinsam ist diesen beiden Punkten, dass sie ein aktives Verhalten von Seiten des Erziehers oder der Erzieherin voraussetzen. Im ersten Fall in Interaktion mit dem Schüler und im zweiten Fall indirekt über Aufgaben. Prange (1995; 1996; 2000) fasst alle Formen dieses aktiven Verhaltens von Seiten des Erziehers unter dem Begriff des Zeigens zusammen. „Das heißt: überall, wo erzogen wird, wird auch etwas gezeigt“ (Prange 1996, S. 140). Unter dem Begriff des Zeigens ließen sich alle anderen vorgeschlagenen Operationen bzw. Methoden der Erziehung – wie z.B. „Unterrichten, Informieren, Beraten, Arrangieren, Animieren“ (Giesecke 1996, S. 67 ff.) – fassen. 20
2 Was ist Erziehung? Im Kontext dieser Arbeit wird das Lehren als die zentrale Methode der Erziehung bezeichnet. Fasst man diesen Begriff recht weit, kommt er dem, was Prange unter „zeigen“ versteht, recht nahe. Lernen ist ebenso von Bedeutung, vor allem nach einem strukturalistischen Verständnis, welches vom lernenden Individuum ausgeht. Wichtig ist aber, dass Lernen zwar eine Voraussetzung für Erziehung ist, Erziehung aber immer auch ein aktives Verhalten von Seiten des Erziehers oder der Erzieherin – was als Lehren bezeichnet wird – beinhaltet. Lernen allein macht eine Interaktion noch nicht zu Erziehung. Tabelle 3: Herangehensweisen, die die Operationen oder Methoden der Erziehung in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen Bardy & Knapp 2003, Erziehung geschieht über das Stellen von Aufgaben. Der PädaS. 36
goge hat dafür zu sorgen, „daß der Heranwachsende möglichst alle seine Fähigkeiten entfaltet und seine Möglichkeiten nutzt. Das kann er ihm aber nicht per Dekret verordnen, etwa dadurch, daß er täglich drei- bis zehnmal den Appell an ihn richtet: ,Entfalte dich!‘ Die Hilfe gelingt lediglich über Aufgaben.“
Benner 2005, S. 80 f.
Erziehung ist eine „Aufforderung zur Selbständigkeit“. Der ZuErziehende soll „durch pädagogische Interaktion zur selbsttätigen Mitwirkung an seinem Bildungsprozess tatsächlich aufgefordert werden.“
Giesecke 1996, S. 67 Erziehung besteht aus 5 Grundformen: Unterrichten, Informieff.
ren, Beraten, Arrangieren, Animieren
Koring 1992
Erziehung besteht aus 3 Grundformen: Unterrichten, Beraten, Arrangieren
Menck 1998, S. 21; Ein zentrales Kriterium von Erziehung ist eine Einwirkung, BeMarotzki et al. 2005, einflussung oder Einflussnahme auf den zu Erziehenden. S.
137;
Durkheim
1972, S. 26; Treml 2004b, S. 82 Prange 1995, S. 151;
„Das Erziehen besteht der Form nach darin, den Kindern und
siehe
auch
Fuhr Heranwachsenden die Welt und das Leben zu zeigen.“
1999;
2000;
Kraft
2007; Prange 2000; 2005; Treml 2004b 21
2 Was ist Erziehung? Prange 2000, S. 223
Denkbar wären auch weitere Einzelbestimmungen wie „gewöhnen, anleiten, unterweisen, ermahnen, ermutigen, organisieren usw.“
Prange 2000, S. 224
„Das Zeigen bildet die vermittelnde Variable zwischen dem Lehren und dem Üben. Es besteht darin, das begrifflich Erfasste in Handlungen zu demonstrieren, oder zeitgemäß gesprochen: zu operationalisieren.“
Scheuerl 2000, S. 193
Erziehung ist „Hilfe zur Selbsterziehung“. Der Erzieher „kann nicht ,Menschen formen‘ nach seinem Bilde. Aber er kann anregen, helfen, wecken; er kann hier belehren, dort ermahnen und appellieren; er kann jetzt eine Aufgabe stellen, dann eine Forderung erheben. … Doch die Seele des Partners, mit dem er sich einläßt, hat er nicht in der Hand. Er kann, wie ein Sprichwort sagt, sein Pferd zur Tränke führen; trinken muß es dort aber selber.“
Treml 2002, S. 657 f.
„Von Erziehung sprechen wir […], wenn das Lernen durch ein Verhalten bzw. Handeln anderer Menschen angeregt und beschleunigt wird.“
Zusammenfassend kann man sagen, dass Erziehung zunächst – nach einem formalen Verständnis – als Interaktion von Individuen verschiedener Generationen verstanden werden kann. Zusätzlich hat Erziehung immer ein Ziel bzw. einen Inhalt und eine Methode; man kann die Fragen stellen wie und wozu erzogen werden soll. Diese Punkte werden mit dem materialen Begriff der Erziehung erfasst (siehe Abb. 2).
Abbildung 2: Das Konzept von Erziehung auf der Grundlage verschiedener Begriffsbestimmungen 22
2 Was ist Erziehung?
2.3 Die Frage nach der Intention Ein weiterer, wichtiger Punkt, der mit einem Ziel von Erziehung verbunden ist, ist die Implikation einer Intention (vgl. z.B. Prange 1995, S. 151; Luhmann 1988, S. 330). Sobald man, wie z.B. Dilthey (1924, S. 83), Erziehung als „planmäßige Tätigkeit“ versteht, verfolgt der Erwachsene immer eine bestimmte Absicht oder ein bestimmtes Ziel. Diese Ansicht spiegelt das allgemein verbreitete teleologische Verständnis von Erziehung wider. Andererseits geht Koring (1999, S. 123) davon aus, „daß Bewußtheit, Intentionalität und Planmäßigkeit nicht zwingend zu einem Erziehungsvorgang hinzugehören müssen“ (siehe dazu auch Fuhr 1999, S. 119; Heid 1994, S. 51). Woher kommen diese unterschiedlichen Ansichten bzgl. einer Intention im Erziehungsprozess? Warum wird Erziehung einmal als ein aktiver Akt und ein anderes Mal als ein eher passives Verhalten beschrieben? Weil diese verschiedenen Ansichten zwei unterschiedliche Prozesse beschreiben. Zum einen gibt es den Prozess, dass ein Individuum einem anderen etwas Bestimmtes beibringen möchte und sich dessen auch bewusst ist. Es weiß, was der andere weiß oder nicht weiß und handelt dementsprechend. Zum anderen beeinflussen wir unsere Kinder aber natürlich auch einfach dadurch, dass wir so sind, wie wir sind. In unserem alltäglichen Verhalten geben wir die verschiedensten Dinge an die nächste Generation weiter, ohne uns dessen immer bewusst zu sein. Sicherlich spielen beide Prozesse bei der Verhaltensentwicklung des Kindes eine entscheidende Rolle; Erziehung wurde aber im Rahmen dieser Arbeit als Handlung und nicht als Verhalten beschrieben. Sie geschieht damit absichtlich und ist auf einen Zweck bezogen. Erziehung ist – wenn auch nicht nachweislich mit einer Intention – so doch immer mit irgendeiner Form von aktivem Verhalten gegenüber dem Kind verbunden. Ändert das Kind sein Verhalten, ohne dass das erwachsene Individuum an dieser Veränderung aktiv beteiligt ist, kann es sich um Sozialisation handeln. Emil Durkheim war einer der ersten, der den Begriff der Sozialisation in die Wissenschaft einführte. Er bezeichnete damit die Integration der jungen Generation in die moralischen Verhaltensmuster der Erwachsenengesellschaft. Erziehung ist als Teilprozess der Sozialisation zu verstehen, als „Mittel, mit dem die Gesellschaft in ihren Kindern die wesentlichen Bedingungen ihrer Existenz vorbereitet.“ Sie ist die „planmäßige Sozialisation der jungen Generation“ (Durkheim 1972, S. 30). 23
2 Was ist Erziehung? Das, was Durkheim als „planmäßige“ bezeichnet, wird bei Luhmann (1988, S. 330) noch präzisiert. Er sieht die Erziehung durch eine Intention von der Sozialisation abgegrenzt. Als Erziehung seien nur beabsichtigte oder geplante Aktionen zu bezeichnen. Sozialisation hingegen bezieht auch eine unbeabsichtigte Beeinflussung der Persönlichkeit mit ein (siehe auch Geulen 2001, S. 1747; Knapp 2003, S. 147). Eine Unterscheidung, die hier mit angedeutet wurde, aber einer genaueren Auseinandersetzung bedarf, ist die, dass es bei Sozialisation eher darum ginge, „wie alle anderen“ zu werden (Kron 2001, S. 49; Menck 1998, S. 136; Knapp 2003, S. 150), bei Erziehung hingegen darum, eine eigene Identität zu entwickeln, also „zu sein wie kein anderer“ (Kron 2001, S. 49; Menck 1998, S. 136; Knapp 2003, S. 150). Diese Unterscheidung ist theoretisch machbar, sie trennt aber künstlich Prozesse, die sich in der Realität nicht trennen lassen. Wenn bei der Erziehung nur die Individualität im Vordergrund stünde, würde beim Menschen einiges, was intuitiv als Erziehung bezeichnet wird, nicht mehr unter diesen Begriff fallen. Ein Erzieher versucht immer – wie schon beschrieben – das Verhalten eines Kindes zunächst in gesellschaftlich anerkannte Bahnen zu lenken, wobei dabei natürlich individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten berücksichtigt werden sollten. Die Betonung auf Individualität ist eine geschichtlich recht junge Errungenschaft, die ihren Schwerpunkt auf unseren westlichen Gesellschaften hat. Die Ziele der Erziehung bestehen sowohl darin, das Kind so zu beeinflussen, dass es „wie kein anderer“ wird als auch darin, dass Kind an die jeweils vorherrschende Gesellschaftsform anzupassen, also so zu werden „wie alle anderen“. Erziehung hat demnach immer sowohl Ziele auf einer individuellen als auch auf einer gesellschaftlichen Ebene. Ein weiterer Unterschied der Begriffe Sozialisation und Erziehung ergibt sich aus den am Prozess beteiligten Individuen. Erziehung findet im Allgemeinen zwischen Individuen verschiedener Generationen statt, ist also, in Bezug auf die Seite des Rezipienten, auf das Kindesalter beschränkt (vgl. z.B. Knapp 2003, S. 150). Sozialisationsprozesse finden auch unter Gleichaltrigen statt und begleiten damit ein Leben lang. Enkulturation ist ebenfalls ein Begriff, der ein Angleichen an einen gewissen Standard, ein Hineinwachsen in die Gesellschaft beschreibt, mit dem Unterschied, dass bei der Verwendung dieses Begriffs die Kultur als das Medium menschlichen Daseins gedacht wird. Die Gesellschaft ist dabei eine spezifische kulturelle Leistung. Sie ist die grundlegende Organisationsform als Teil der Kultur. „Die spezifisch pädagogische Bedeutung von Kultur ist nun darin zu sehen, dass sich Sozialisation und Erziehung im Medium der Kultur bewegen“ (Kron 2001, S. 48). Als deutlichere Abgrenzung schreibt Fend (1976, S. 6), dass Sozialisation „das Lernen einer spezifischen Klasse von Kultur, nämlich der so24
2 Was ist Erziehung? zialen Werte und Normen“ sei. Sozialisation ist demnach ein Teilprozess der Enkulturation, die als das Lernen aller kulturellen Inhalte zu verstehen ist. Als ein einleuchtendes Beispiel beschreibt Fend (1976, S. 47 f.) das Sprachlernen: Im Prozess der Enkulturation lernt der Mensch das Lautmaterial seiner Muttersprache. Später wird dieses Lautmaterial zu Wörtern kombiniert, bis schließlich am Ende, durch das implizite Erlernen weiterer Regeln, ganze, richtige Sätze gesprochen werden können. Im Prozess der Sozialisation lernt er die Sprache im Rahmen der üblichen sozialen und moralischen Normen zu gebrauchen. Das Kind soll nicht fluchen oder bestimmte Wörter, die als unanständig angesehen werden, sagen. Es lernt, im Umgang mit verschiedenen Personen – Eltern, Lehrern, Mitschülern – jeweils andere Wörter zu gebrauchen. Zusammenfassend kann man sagen, dass Sozialisation und Erziehung und auch Enkulturation sehr eng miteinander verflochten sind. Im Rahmen dieser Arbeit ist vor allem die Unterscheidung zwischen Sozialisation und Erziehung wichtig. Im Gegensatz zur Sozialisation beinhaltet Erziehung immer eine Form von aktivem Verhalten gegenüber dem Kind. Außerdem ist es das Ergebnis der Sozialisation, so wie alle anderen zu sein. Im Rahmen der Erziehung gibt es zusätzlich die Bestrebung, das Kind zur Individualität anzuhalten. Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf die beteiligten Individuen. Wie dargestellt wurde, findet Erziehung zwischen Individuen verschiedener Generationen statt. Sozialisation hingegen hat keine solche Einschränkung; sie kann auch unter Gleichaltrigen stattfinden.
2.4 Anwendbarkeit des Erziehungsbegriffs auf Tiere Natürlich gibt es auch in der Biologie Begriffe, die den Umgang der Erwachsenen mit den Jungtieren beschreiben und daher einer näheren Erläuterung bedürfen. Elterliche Investition („parental investment“) bezieht sich auf das Ausmaß, in welchem die elterliche Fürsorge eines oder mehrerer Jungtiere den verbliebenen reproduktiven Wert eines Elternteiles reduziert (Clutton-Brock 1991, S. 9; Clutton-Brock & Godfray 1991, S. 234; Krebs 2004, S. 53; Trivers 1972, S. 139). Heute wird dieser Begriff im Allgemeinen recht weit gefasst und bezeichnet alle materiellen Investitionen oder Verhaltensinvestitionen der Eltern, die die Fitness der Nachkommen erhöhen und dabei auf Kosten der Fitness der Eltern gehen; die Kosten beziehen sich sowohl auf den zukünftigen Paarungserfolg als auch generell auf das Überleben oder die Fruchtbarkeit (vgl. z.B. 25
2 Was ist Erziehung? Clutton-Brock 1991, S. 9; Krebs 2004, S. 53). Erziehung kann also als Teil der elterlichen Investition verstanden werden. Elterliche Fürsorge („parental care“) ist jegliches elterliches Verhalten, das zur Erhöhung der Fitness der eigenen Nachkommen und damit auch zur Erhöhung der eigenen Fitness, beiträgt (Clutton-Brock 1991, S. 8; Clutton-Brock & Godfray 1991, S. 234). Der Begriff ist rein deskriptiv, das heißt, er sagt noch nichts über die Kosten in Form von Energie oder Fitness aus. Im weitesten Sinne beinhaltet elterliche Fürsorge den Bau von Nestern oder Höhlen, die Produktion großer, dotterreicher Eier, die Fürsorge der Eier oder Jungen innerhalb oder außerhalb des Körpers, die Unterstützung der Jungtiere vor und nach der Geburt und die Betreuung des Nachwuchses ab dem Erreichen einer von den Eltern unabhängigen Ernährung. In einem engen Sinne beschreibt „parental care“ lediglich die Betreuung der Eier bzw. Jungtiere nach dem Verlassen des elterlichen Körpers (Clutton-Brock 1991, S. 8). Andere Autoren benutzen für „parental care“ im engeren Sinne, also die elterliche Fürsorge nach der Geburt, mit Kontakt zum Jungtier eigene Begriffe, wie z.B. Aufzucht (Krebs 2004, S. 54) oder Brutfürsorge (Treml 2004a, S. 133). Diese Begriffe werden gebraucht, um Kosten und Nutzen verschiedener Investitionen der Eltern gegenüber ihren Jungen zu vergleichen. Fragen, wie die Größe der Eier mit dem Wachstum und der Fitness der Jungen zusammenhängen oder unter welchen Bedingungen es sinnvoll ist, sich weiter um den Nachwuchs zu kümmern oder nicht, stehen dabei im Mittelpunkt. Verhaltensweisen, die untersucht werden, sind die Versorgung mit Nahrung, der Schutz der Jungen usw. Die Beschreibungen gehen aber nur selten über die Phase der Entwöhnung hinaus. Diese Ansätze sind für die Fragestellung der Arbeit insofern von Bedeutung, da Fürsorgeverhalten durch die Eltern eine Voraussetzung dafür ist, dass Erziehung stattfinden kann. Erziehung geht aber eindeutig über die bloße Versorgung mit Nahrung oder den Schutz des Jungtieres hinaus. Dennoch können Modelle, welche erklären, unter welchen Umständen es sinnvoll ist, dem eigenen Nachwuchs mehr oder weniger Schutz oder Nahrung zur Verfügung zu stellen, auch zu einer Erklärung beitragen, unter welchen Umständen es – unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten – sinnvoll ist, seinen Nachwuchs zu erziehen. Dass diese eben beschriebenen Prozesse im Tierreich stattfinden, ist im Allgemeinen anerkannt; bei der Frage, ob Tiere auch erziehen, sieht das anders aus. So schreibt z.B. Voland (2004, S. 9): „Im Tierreich gibt es zwar mehr oder weniger intensive Brutpflege einschließlich sozial vermittelter Einflüsse auf körperliche und psychische Entwicklungs- und Reifeprozesse …, aber Erziehung (jedenfalls in einem entwickelten Sinn des 26
2 Was ist Erziehung? Wortes) wird dies üblicherweise kaum genannt. So gesehen ist Erziehung […] ein spezifisch menschliches Unternehmen.“ Man kann aber auch bei Tieren – was im Verlauf der Arbeit noch deutlicher wird – von Erziehung sprechen. Sicherlich ist diese Erziehung nicht mit der des Menschen identisch, aber in bestimmten Punkten doch vergleichbar. Um aber diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten genauer verstehen zu können, muss detailliert beschrieben werden, wie Erziehung bei Tieren aussehen kann. Im Folgenden wird beschrieben, wie das im Abschnitt 2.2 erarbeitete Konzept, auf das Tierreich angewandt werden kann. Nach einem formalen Verständnis des Erziehungsbegriffs kann Erziehung als Interaktion von Individuen verschiedener Generationen verstanden werden. Bei vielen Tierarten interagieren ältere Tiere auf eine bestimmte Art und Weise mit den jüngeren und schaffen dadurch die Voraussetzung dafür, dass das nichtgenetische Erbe von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. Eine ausführliche Darstellung, bei welchen Taxa Tiere der älteren Generation mit denen der jüngeren interagieren, wird in Kapitel 4 gegeben. Nach einer materialen Begriffsbestimmung können zwei Fragen unterschieden werden. Die Frage „Wie wird erzogen?“ fragt nach den der Erziehung zugrunde liegenden Operationen bzw. Methoden. Zentral sind die Begriffe des Lernens und Lehrens, vorausgesetzt der Begriff des Lehrens ist relativ weit gefasst. Lernen ist eine Voraussetzung für Erziehung, reicht allein aber nicht aus. Erziehung verlangt immer ein aktives Verhalten von Seiten des Erwachsenen, was als Lehren bezeichnet wird. Eine vor allem durch Prange (1995; 2000) propagierte Methode des Erziehens ist das Zeigen. Eine genauere Erläuterung dieser Fragen erfolgt in Kapitel 5 und 6. Im Zusammenhang mit verschiedenen Erziehungsstilen des Menschen stellt sich die Frage, ob auch Tiere individuelle Unterschiede im Umgang mit ihren Jungen aufweisen und wenn ja, was diese Unterschiede bedingt und wie sie sich auf das Jungtier auswirken (siehe Kapitel 7). Die zweite Frage des materialen Begriffsverständnisses lautet „Wozu wird erzogen?“. Ein Jungtier muss lernen, wie die Gruppe, in die es hineingeboren wird, funktioniert. Es kann z.B. darum gehen, höherrangige Individuen von niederrangigen zu unterscheiden oder bestimmte gruppeneigene Normen und Regeln einzuhalten. Diese Normen können als die Kultur oder als Traditionen einer Gruppe bezeichnet werden. Unabhängig von bestimmten sozialen, das Gruppenleben der Tiere betreffenden Regeln gibt es z.B. beim Werkzeuggebrauch der Schimpansen Unterschiede zwischen verschiedenen Populatio-
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2 Was ist Erziehung? nen, die mit großer Wahrscheinlichkeit von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden und als Kultur zu bezeichnen sind. Neben diesen Zielen oder Inhalten, die auf einer gesellschaftlichen Ebene anzusiedeln sind, ist beim Menschen auch eine Erziehung zur Individualität ein wesentliches Charakteristikum. Ohne Frage gibt es auch bei anderen Tieren individuelle Unterschiede; es weist aber nichts darauf hin, dass die Tiereltern diese Individualität fördern oder beeinflussen würden. Dennoch beziehen sich auch hier die Inhalte der Erziehung nicht ausschließlich auf die gesellschaftliche Ebene. Es werden ebenso individuelle Fähigkeiten gefördert; diese sind für das Leben nötig oder erleichtern dieses – z.B. beim Erlernen spezifischer Beutefangtechniken. Es wäre aber verwirrend hier von Individualität zu sprechen. Wenn man fragt, welche Ziele Tiere mit ihrer Erziehung verfolgen, stellt sich ebenso die Frage, ob Tiere überhaupt Ziele haben. Eine andere Frage ist, ob sie sich ihrer Ziele bewusst sein müssen, das heißt, haben sie eine Intention dem Jungen etwas Bestimmtes beizubringen? Auch diese Frage ist nicht so einfach zu beantwortet. Mit der Intention verwandte, aber eher in der Biologie gebräuchliche Begriffe, sind „mental state attribution“ oder „theory of mind“. Die Grundidee ist, dass man, um jemanden erziehen zu können, eine Vorstellung davon braucht, was im Kopf des anderen vor sich geht. Ein Individuum, das sich nicht vorstellen kann, was der andere schon weiß, oder noch nicht weiß, kann auch kein Unwissen oder falsche Ansichten erkennen, es kann nicht selektiv einige, aber nicht alle Individuen mit bestimmten neuen Informationen versorgen (vgl. z.B. Cheney & Seyfarth 1991, S. 175). Dies wird aber oft als zentraler Bestandteil von Erziehung oder Pädagogik angesehen. Ob Tiere eine solche Fähigkeit besitzen, ist umstritten (vgl. z.B. Cheney & Seyfarth 1990; Premack & Woodruf 1978). Zumindest bei den hochentwickelten Säugern und hier insbesondere bei den Primaten deuten aber zahlreiche Einzelbeobachtungen darauf hin, dass diese Tiere in der Lage sind, zielgerichtet zu handeln oder die Ziele andere Individuen zu verstehen (vgl. z.B. Hebb 1979 zit. nach Gallup 1985, S. 635). Ebenso versuchen sie z.B. die Aufmerksamkeit anderer Individuen auf sich zu ziehen, bevor sie mit ihnen interagieren („attention getting behavior“, vgl. Gómez 1996; Povinelli et al. 2003; Theall & Povinelli 1999) bzw. nutzen sie visuelle Gesten nur, wenn der Adressat auch schaut (vgl. Hosetter et al. 2007; Tomasello et al. 1994) – was dafür spricht, dass sie eine Vorstellung davon haben, was der Andere sieht oder weiß. Insgesamt ist es aber äußerst schwierig, derartige kognitive Fähigkeiten experimentell nachzuweisen. Eine Möglichkeit mit diesem Problem umzugehen, besteht darin, Erziehung funktional zu definieren und damit die Frage nach einer Intention oder der Be28
2 Was ist Erziehung? wusstheit einer Handlung vorerst auszuklammern. Wenn z.B. ein Elterntier ein bestimmtes Verhalten nur in Gegenwart des Jungen zeigt bzw. sein Verhalten ändert, wenn ein Junges anwesend ist, ist der Effekt in Bezug auf das Junge der gleiche, als wenn das Elterntier bewusst sein Verhalten ändert, um dem Jungen damit etwas bestimmtes zu zeigen. Um den Prozess zu beschreiben, ist die Annahme einer Intention nicht nötig. Ähnliches schreibt Menzel (1974, S. 134): „As far as I know, the only way in which the question of intent can be assessed with animals is to examine how the leader’s actions vary as a function of the consequences they produce in the actions of the followers.” Eine genauere Darstellung der Frage wozu erzogen wird, erfolgt in Kapitel 8.
Abbildung 3: Das Konzept von Erziehung auf der Grundlage verschiedener Begriffsbestimmungen mit konkreten Methoden und Inhalten Ein Vorteil der Einteilung in einen formalen Erziehungsbegriff und einen materialen, der die Fragen wie und wozu erzogen werden soll, enthält (siehe Abb. 3), ist, dass diese drei Punkte als einzelne Elemente in ihrer Bedeutung für das Tierreich geprüft werden können. Die einzelnen Punkte können dann zwar nicht – jeder für sich betrachtet – als Erziehung bezeichnet werden, sie können aber einen Anhaltspunkt für weitere Betrachtungen liefern. Erziehung kann demnach folgendermaßen definiert werden: Erziehung ist eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen. Diese Interaktion führt beim Individuum der jüngeren Generation zu einer Verhaltensänderung. Das Verhalten des jüngeren Individuums wird dem des älteren immer ähnlicher und gleicht diesem schließlich. Die Interaktion beinhaltet immer ein aktives Verhalten von Seiten des älteren Individuums (siehe auch Abb. 3).
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3 Material und Methoden Um also festzustellen, ob es im Tierreich Erziehung gibt, müssen folgende Punkte untersucht werden (siehe Abb. 3): (1) Bei welchen Tiergruppen gibt es eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen? Diese Interaktion ist eine Voraussetzung dafür, dass Erziehung stattfinden kann. (2) Inwieweit findet bei Tieren Lernen und Lehren statt? Lehren (und als Voraussetzung dafür Lernen) ist die wesentliche Methode der Erziehung. (3) Gibt es bei Tieren Phänomene, die als Kultur bezeichnet werden können? Wie äußert sich diese Kultur? Fördern Elterntiere individuelle Fähigkeiten ihrer Jungen? Diese einzelnen Punkte sind die notwendigen Bedingungen für Erziehung. Von Erziehung sollte man nur dann sprechen, wenn diese drei Punkte gleichzeitig vorkommen.
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3 Material und Methoden
3 Material und Methoden Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Art Metaanalyse. Um die gestellten Fragen beantworten zu können, wurden publizierte Einzeluntersuchungen zusammengefasst. Eine statistische Auswertung wurde nicht vorgenommen; der Schwerpunkt lag auf einer qualitativen Erfassung. Zur Literaturrecherche wurden gängige Suchmaschinen nach relevanten Stichwörtern durchsucht; ebenso wurde die Sekundärliteratur, der gefundenen Arbeiten, gesichtet. Die entsprechenden Arbeiten wurden in ein Literaturverwaltungsprogramms (EndNote) eingegeben. Letztendlich standen ca. 2.200 Einträge für eine weitere Nutzung zur Verfügung. Mithilfe eines Kategorien- bzw. Stichwortsystems (die Kategorie Erziehung beinhaltet z.B. die Stichwörter Zeigen, Lernen, soziales Lernen, Lernen durch Nachahmung, Lehren, Tradition, Kultur, Moral, Brutpflege, Fürsorge etc.) konnte eine Übersicht über die Daten gewonnen werden und eine Auswertung erfolgen. Des Weiteren wurden zu bestimmten Themenschwerpunkten Tabellen erstellt, die die relevanten Untersuchungen zusammenfassen (siehe Tab. A1 und A2 im Anhang). Da in dieser Arbeit sehr viele Beobachtungen und Belege eines Verhaltens den Charakter einer Anekdote haben, muss noch darauf eingegangen werden, welche wissenschaftliche Aussagekraft derartige Äußerungen eigentlich haben. Während einige Autoren ihre Verwendung ablehnen (vgl. Maestripieri & Whitham 2001), plädieren andere dafür, dass sie für bestimmte Fragestellungen und kontrolliert eigesetzt, genauso von Wert seien wie „harte“ Daten (vgl. Bates & Byrne 2007; King 1994). Erstere argumentieren, dass die Verwendung von Anekdoten in vielen Fällen keine brauchbare Strategie sei, da sie aus einer subjektiven Interpretation der qualitativen Beobachtungen herrühren und deshalb nicht geeignet seien, um Schlussfolgerungen abzuleiten. Eine behutsame, quantitative Analyse sei der bessere Weg. Maestripieri & Whitham (2001) schreiben (S. 343): „Whenever scientists use subjective interpretations of anecdotes as explanations for animal behavior, their explanations are no better than those of casual observers with no scientific training, who are seeing animals for the first time.” Was hier aber nicht beachtet wird, ist, dass es nicht darum geht, dass „Märchen“ die Grundlage für wissenschaftliche Untersuchungen sein sollen. Auf die „Art“ der Anekdote kommt es an. Was zählt, sind Berichte seltener, ungewöhnlicher Ereignisse, beobachtet von trainierten und erfahrenen Wissenschaftlern. Die Berichte sollten detailiert sein und unmittelbar nach Auftreten des Ereignisses verfasst werden (vgl. Bates & Byrne 2007, S. 31
3 Material und Methoden 14). Besteht kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Berichte, wäre es falsch, sie zu ignorieren. Ein Problem das bleibt, ist ein z.T. nur einmaliges Auftreten eines Verhaltens. Kann ein bestimmtes Verhalten wirklich nur einmal beobachtet werden, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es sich um einen Zufall handelt. Dieses Problem ist in vielen Fällen aber nur ein scheinbares, das gerade durch das strikte Ablehnen der Anekdote, als Verhaltensbeschreibung, verstärkt wird. In einigen Fällen konnte durch ein Sammeln (bzw. Wahrnehmen) dieser Ereignisse aufgezeigt werden, dass es keinesfalls einmalige Ereignisse sind, sondern dass sie zwar selten, aber in einer zählbaren Häufigkeit auftreten. Mit einem Vorgehen nach den „klassischen“ Methoden der Verhaltensbiologie hätten diese Verhaltensweisen nie dem Repertoire einer Tierart zugeordnet werden können. Auch Anekdoten – einmalige Beobachtungen interessanter Verhaltensweisen – sollten publiziert werden (vgl. z.B. auch King 1994). Standardisierte, experimentelle Designs, um die kognitiven Fähigkeiten bestimmter Tiere zu untersuchen, sind in ihrem Aufbau z.T. so, dass die abgefragten Verhaltensweisen gar nicht zum Repertoire einer Art gehören. Vor allem wenn die untersuchte Art phylogenetisch sehr weit vom Menschen entfernt ist, aber Designs aus der Primatenforschung übernommen werden. Die Berücksichtigung von Anekdoten ist ein sinnvoller Ansatz, um dieses Dilemma zu lösen. Ein interessantes Verhalten, das Rückschlüsse auf bestimmte kognitive Fähigkeiten einer Art zulässt, bisher aber nur sporadisch beobachtet werden konnte, ist der optimale Ausgangspunkt für ein experimentelles Design. Zwei beeindruckende Arbeiten, die die Bedeutung von Anekdoten aufzeigen, sind die von Byrne & Whiten (1990; siehe auch Whiten & Byrne 1986; 1988b) und Caro & Hauser (1992) zur Täuschung und zum Lehren. Byrne & Whiten (1990) kontaktierten eine Vielzahl erfahrener Primatenforscher und fragten sie nach Beobachtungen, die ihrem Konzept von Täuschung entsprachen. Das Ergebnis war eine bemerkenswerte Ansammlung an Verhaltensbeobachtungen, die bisher nicht publiziert wurden. Aufgrund dieser Sammlung konnten z.B. vollkommen neue Ansätze zur Untersuchung der „theory of mind“ entwickelt werden. Caro & Hauser (1992) benutzten für ihre Argumentation publizierte Beobachtungen, die sie aber wie Anekdoten behandelten, da es sich bei manchen um einmalige Ereignisse handelte, genauso wie experimentelle Studien. Das Ergebnis dieser Metaanalyse ist eine umfassende Darstellung des Vorhandenseins von Lehren im Tierreich (vgl. dazu z.B. auch Kapitel 5; als weitere Beispiele für ein derartiges Vorgehen vgl. Reader & Laland 2001; 2002). 32
3 Material und Methoden Auch diese Arbeit stützt sich zu einem großen Teil auf Anekdoten. Als Einzelbeobachtungen haben sie sicherlich keine sehr große Aussagekraft, durch ihre Anhäufung – ein „catch all approach“ (vgl. Bates & Byrne 2007, S. 16) – werden sie aber wissenschaftlich brauchbar und auswertbar. Anekdoten werden im Allgemeinen als wichtige Zusatzinformation zu „harten Daten“ akzeptiert (vgl. Goodall 1986; King 1994; Smuts 1985; Whiten & Byrne 1988b). Ihr Stellenwert kann aber weitergehen. Bernstein (1988) schreibt, dass Daten nicht der Plural von Anekdoten sind. Ich denke aber, behutsam behandelt, können auch Anekdoten wichtige Daten sein. Um einige Ergebnisse, die sich aus der Literaturrecherche ergaben, untermauern bzw. überprüfen zu können, wurde eine eigene Beobachtungsstudie durchgeführt. Das methodische Vorgehen entsprach den allgemeinen Standards der Verhaltensbiologie (für Details siehe Exkurs II; S. 182 f.).
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung Ein formales Verständnis von Erziehung definiert den Begriff als Interaktion von Individuen verschiedener Generationen. Ein Menschenkind wird im Laufe seines Lebens von vielen verschiedenen Personen erzogen. Unabhängig von Kultur und Zeit sind es zunächst die Eltern und insbesondere die Mutter, die eine Schlüsselrolle einnehmen. Die jeweilige Bedeutung beider Elternteile (und auch anderer Personen) veränderte sich im Laufe der Geschichte und ist auch heute immer wieder Gegenstand erziehungswissenschaftlicher und politischer Debatten (vgl. z.B. Andersen 2004; Lewis 1986). Im Laufe des Lebens wird der Kreis der Erziehenden durch zahlreiche Professionelle in Hort, Kindergarten oder Schule erweitert (vgl. z.B. Marotzki et al. 2005, S. 140). Bei Tieren findet Erziehung im Rahmen der elterlichen Fürsorge („parental care“) statt. Es ist also sinnvoll zu fragen, welche Tiergruppen überhaupt eine solche Fürsorge betreiben bzw. bei welchen Taxa es nach der Geburt oder dem Schlupf eine gewisse Phase der Abhängigkeit der Jungtiere von den Eltern gibt, die eine Interaktion ermöglicht, die wiederum eine Bedingung für Erziehung ist. Zudem stellt sich die Frage, welche Rolle die Mutter, der Vater und auch andere Individuen, wie Großeltern, Geschwister oder auch „Tanten“ bei dieser Interaktion spielen.
4.1 Wirbellose Die elterliche Fürsorge in einem engeren Sinne – also mit Kontakt zum Jungtier – der wirbellosen Tiere ist recht unvollständig bekannt. Die Mehrzahl der Arten legt viele Eier und kümmert sich nicht weiter darum. Gelegentlich werden die Eier auf Beutetiere gelegt, von denen sich die Jungtiere nach dem Schlupf ernähren. Wenn bei Wirbellosen elterliche Fürsorge stattfindet, wird sie meist vom Weibchen geleistet. Die Eier werden mit Substrat bedeckt oder das Gelege wird bewacht und gepflegt (Zsf. z.B. bei CluttonBrock 1991, S. 107 ff.; für einen Überblick über terrestrische Arthropoden siehe z.B. Zeh & Smith 1985). Es kommt aber auch Fürsorge durch das Männchen oder beide Elternteile vor. Männliche Fürsorge findet z.B. bei einigen getrenntgeschlechtlichen Polychaetenarten statt. Bei einigen Arten verspeist das Männchen außerdem das Weibchen, nachdem es die Eier gelegt hat (für Neanthes caudata vgl. Reisch 1957, S. 217). Unter marinen Invertebraten ist uniparentale Fürsorge durch das Männchen vor allem bei Pygnogoniden verbreitet. 35
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung In einigen Taxa tragen die Männchen die Eier angeheftet an ein spezielles Beinpaar, das als Eiträger fungiert (vgl. Jarvis & King 1972; 1975; Ridley 1978). Fürsorge durch beide Elternteile findet sich vor allem bei Arten, die für ihren Nachwuchs Nester bauen und bewachen, wie zum Beispiel beim Totengräber (Nicrophorus spp.), der Aas für seine Jungen verteidigt und sie damit füttert (vgl. Eggert et al. 1998). Schließlich werden bei den zahlreichen staatenbildenden Insekten, die Bruten ebenfalls intensiv umsorgt und gefüttert; allerdings in vielen Fällen nicht von den Eltern, sondern von den Arbeiterinnen der Kolonie, bei denen es sich um die Geschwister handelt. Insgesamt findet bei Wirbellosen in der Zeit nach dem Schlupf aber kaum eine Art von Interaktion statt, die ein Vorhandensein von Erziehung ermöglichen würde.
4.2 Fische Bei Knorpelfischen (Chondrichthyes), die zum größten Teil lebend gebären, lassen sich keine Hinweise auf Fürsorge finden (vgl. Dulvy & Reynolds 1997; Kappeler 2006). Ebenso ist sie bei Knochenfischen (Osteichthyes) eher die Ausnahme. Hier betreiben 21% der Familien elterliche Fürsorge (vgl. Gross & Sargent 1985). Wenn bei Fischen Fürsorge stattfindet, ist väterliche Fürsorge mit Abstand am häufigsten (vgl. z.B. Gross & Sargent 1985). Eine sehr spezielle Form dieses Fürsorgetyps ist bei Seepferdchen und Seenadeln (Syngnathidae) verwirklicht. Während der Paarung übertragen die Weibchen ihre Eier in spezialisierte morphologische Strukturen (Bruttaschen) am Bauch oder Schwanz des Männchens. Nach der Fertilisation werden die Jungen vom Vater bei der Osmoregulation unterstützt und zusätzlich mit Sauerstoff versorgt (vgl. Wilson et al. 2001). Welcher Fürsorgetyp vorherrschend ist, kann durch verschiedene Eigenschaften der Reproduktionsbiologie bzw. des Paarungssystems erklärt werden. Uniparentale Fürsorge durch das Männchen, wie sie bei Fischen zu finden ist, findet vor allem bei Arten mit äußerer Befruchtung statt (siehe auch Gross & Sargent 1985). Äußere Befruchtung führt zu Bedingungen, die diesen Fürsorgetyp wahrscheinlich machen. Wesentlich scheint hierbei die Reihenfolge der Gametenabgabe zu sein. Nachdem das Weibchen die Eier gelegt hat, werden sie vom Männchen befruchtet. Das Weibchen hat also die Möglichkeit das Männchen mit den Eiern zurückzulassen (vgl. Kappeler 2006, S. 401; Krebs & Davies 1996, S. 245; Gross & Sargent 1985). Im Gegensatz dazu versetzt die innere Befruchtung bei Vögeln und Säugetieren das Männchen in die Lage, zuerst den Partner zu verlassen und damit dem Weibchen allein die Fürsorge zu überlassen (siehe S. 43). So plausibel 36
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung diese Hypothese auch klingen mag, kann sie durch empirische Befunde nicht bestätigt werden. Tatsächlich ist bei Fischen die häufigste Form der Gametenabgabe eine simultane Freisetzung von Eiern und Spermien (vgl. Krebs & Davies 1996, S. 245; Gross & Sargent 1985). Beide Geschlechter haben also die gleiche Chance wegzuschwimmen und den Partner mit den befruchteten Eiern zurückzulassen. Eine andere Tatsache, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich das Männchen um den Nachwuchs kümmert, ist eine relative Sicherheit der Vaterschaft aufgrund der äußeren Befruchtung (vgl. Gross & Sargent 1985). Bei innerer Befruchtung ist es nie sicher, welches Männchen der Vater der Jungen ist und es ist sinnvoller, mit Investitionen sorgsam zu haushalten. Bei einer äußeren Befruchtung ist die Vaterschaft relativ sicher. Dies allein reicht für eine Erklärung aber nicht aus, denn das Männchen könnte sich ja genauso gut gar nicht um den Nachwuchs kümmern. Ein zusätzlich wirkender Faktor ist die Möglichkeit weiterer Verpaarungen. Zurückzubleiben und sich um den Nachwuchs zu kümmern ist für das Männchen dann von Vorteil, wenn es nach dem Abwandern keine oder nur wenige weiteren Möglichkeiten der Verpaarung und damit zur Erhöhung des Reproduktionserfolges hat (vgl. Krebs & Davies 1996, S. 245). Eine andere Hypothese geht auf Williams (1975, S. 134 f.) zurück. Er ging davon aus, dass die Assoziierung mit den Embryonen ein Geschlecht für die Brutpflege präadaptiert. Bei der inneren Befruchtung ist das Weibchen viel stärker mit dem Embryo assoziiert, was dazu führt, dass es sich eher an der Aufzucht der Jungen beteiligt als das Männchen. Werden bei der äußeren Befruchtung Eier und Spermien ins Freie abgegeben, geschieht das meist im Revier des Männchens. Folglich ist der Revierinhaber enger mit den Nachkommen verbunden. Die Verteidigung des Reviers führt dann eher zufällig zu einer Verteidigung der Eier oder Jungen. Dieses Verhalten sei dann eine Präadaption für ein ausgeprägtes Brutpflegeverhalten durch das Männchen. Diese Hypothese stimmt sehr gut damit überein, dass männliche Brutpflege häufig bei territorialen Arten beobachtet werden kann. Ebenso tritt Territorialität häufig gemeinsam mit äußerer Befruchtung auf (zur Korrelation von Territorialität und Brutfürsorge durch das Männchen siehe auch Gross & Sargent 1985; Ridley 1978). Außerdem stört eine mit dem Revier assoziierte Brutpflege nicht bei weiteren Verpaarungen; im Revier können mehrere Gelege bewacht und gepflegt werden. Obwohl Fische ein z.T. ausgeprägtes Brutpflegeverhalten zeigen, findet nach dem Schlupf der Jungen meist keine Interaktion statt. Es ist damit nahezu unmöglich, dass Fische ihre Jungen erziehen.
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung
4.3 Amphibien Auch bei Amphibien ist elterliche Fürsorge eher die Ausnahme. Ebenso ist kein klarer Trend bzgl. einer biparentalen oder uniparentalen Fürsorge durch Männchen oder Weibchen erkennbar (vgl. z.B. Clutton-Brock 1991, S. 123). Wenn Fürsorge geleistet wird, äußert sie sich z.B. bei Fröschen vor allem im Bewachen von Eiern oder Kaulquappen. Bei Geburtshelferkröten (Alytes ssp.) tragen die Männchen ein Paket von Eiern für mehrere Wochen an den Hinterbeinen oder Fersengelenken (vgl. Bush 1996). Bei Beutelfröschen (Gastrotheca marsupiata) trägt das Weibchen die Eier bis zum Schlupf der Kaulquappen in einem extra dafür vorgesehenen Beutel auf dem Rücken. Bei den Oophaga spp. werden die Kaulquappen vom Weibchen mit unbefruchteten Eiern gefüttert. In außergewöhnlichen Fällen werden die jungen Frösche auch noch nach der Metamorphose vom Vater getragen (für Liophryne schlaginhaufeni und Sphenophryne cornuta vgl. Bickford 2002). Brutpflegeverhalten kann vor allem bei landlebenden Fröschen beobachtet werden, da die Tiere hier vor dem Problem stehen, die Eier bis zum Schlupf feucht halten zu müssen (vgl. Clutton-Brock 1991, S. 123). Ähnlich wie bei den Fischen wird aber auch bei Amphibien die Brutpflege im Allgemeinen nur bis zum Zeitpunkt des Schlüpfens betrieben. Danach findet kaum mehr eine Interaktion statt. Von Erziehung kann demnach nicht gesprochen werden.
4.4 Reptilien Fürsorge nach der Eiablage ist bei Reptilien nicht sehr weit verbreitet. Meist werden die Eier vergraben und allein gelassen (vgl. Clutton-Brock 1991, S. 125). Bei einigen Taxa (z.B. Krokodile, Skinks, Kobras und Pythons) werden die Nester aber auch bis zum Schlupf bewacht. Auffällig ist, dass es große, wehrhafte Arten sind, die ihre Nester bewachen; wahrscheinlich weil nur sie in der Lage sind, ihre Eier effektiv zu verteidigen (vgl. Clutton-Brock 1991, S. 125). Bei Eidechsen und Schlangen bewachen meist die Weibchen das Nest; bei Krokodilen sind es die Mutter oder beide Eltern (Kappeler 2006). Das Königspythonweibchen (Python regius) bewacht z.B. das Gelege für zwei Monate und reduziert dabei von allem den Wasserverlust der Eier (vgl. Aubret et al. 2003). Bei Krokodilen findet auch nach der Geburt eine Interaktion zwischen Mutter und Jungtieren statt. Sie betreiben eine recht komplexe Brutpflege, die sich von der der übrigen Reptilien unterscheidet (vgl. z.B. Böhme 2004; Trutnau 1994). Bereits vor dem Schlupf geben die Jungen akustische Signale von sich, die die Mutter dazu animieren, die Eier 38
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung auszu-graben und die Jungen, mit ihrem Kiefer, beim Aufbrechen der Schale zu unterstützen. Die geschlüpften Jungtiere werden im Maul zum Wasser getragen. Dort bleiben die Jungen in den ersten Wochen zusammen. Droht Gefahr flüchten sie in das Maul der Mutter. Dennoch ist diese Interaktion so gering und beschränkt sich auf die Hilfe zum Überleben, dass es unwahrscheinlich ist, dass bei Krokodilen auch Erziehung stattfindet. Bei den übrigen Gruppen kann Erziehung ausgeschlossen werden
4.5 Vögel Alle bisher bekannten Vogelarten betreiben eine zumeist recht intensive elterliche Fürsorge (vgl. Kappeler 2006).4 Bei mehr als 90% aller Vogelarten wird die Fürsorge von beiden Eltern geleistet (vgl. Lack 1968). Bei einigen Arten tritt rein weibliche Fürsorge auf (vgl. z.B. Welty & Baptista 1988, S. 263); rein männliche Fürsorge ist seltener, kommt aber z.B. bei den Straußenvögeln vor (vgl. z.B. Owens 2002; Welty & Baptista 1988, S. 264). Die bei Vögeln so weit verbreitete biparentale Fürsorge findet statt, „… wenn die Jungen mehr Fürsorge benötigen, als von einem Elter zu leisten ist, oder wenn es keine weiteren aktuellen alternativen Paarungsgelegenheiten gibt“ (Kappeler 2006, S. 420; siehe auch Reynolds et al. 2002). Dieses erhöhte Bedürfnis an Fürsorge bei Vögeln liegt höchstwahrscheinlich an der Begrenzung des Fortpflanzungserfolges durch die Menge und Häufigkeit an Futter, die an das Nest der Jungen gebracht werden kann (vgl. Krebs & Davies 1996, S. 243). Es ist naheliegend, dass beide Elternteile doppelt so viele Junge versorgen können, wie allein und somit auch der Fortpflanzungserfolg beider Elternteile gesteigert wird (vgl. Krebs & Davies 1996, S. 243). Es wird kontrovers diskutiert, welcher Fürsorgetyp für die Vögel ursprünglich ist bzw. wie sich dieser verändert hat (vgl. z.B. Ligon & Ramos 1999; Tullberg et al. 2002; Wesolowski 1994; Wesolowski 2004). Es ist unwahrscheinlich, dass sich aus einem fehlenden Fürsorgeverhalten die heute so häufig anzutreffende biparentale Fürsorge entwickelt hat. Sehr viel wahrscheinlicher ist ein Umweg über eine alleinige Fürsorge durch das Männchen oder das Weibchen. Dementsprechend können zwei Hypothesen unterschieden werden: Die „female first“-Hypothese (vgl. Reynolds et al. 2002; Tullberg et al. 4
Eine Ausnahme bilden die Großfußhühner (Megapodiidae). Bei diesem australischen Taxon ist der Bau
von Bruthügeln, in die die Eier gelegt werden, am häufigsten verbreitet. Die Jungen schlüpfen als Nestflüchter (Lack 1968).
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung 2002) besagt, dass die Fürsorge durch das Weibchen die ursprüngliche Form darstellt (vgl. Burley & Johnson 2002). Die Linie der Vögel soll sich dann in die Neognathen mit biparentaler Fürsorge und die Palaeognathen, mit väterlicher Fürsorge, aufgespaltet haben (vgl. Burley & Johnson 2002). Basierend auf diesen Verwandtschaftsverhältnissen ist die „male first“-Hypothese genauso wahrscheinlich. Sie postuliert die väterliche Fürsorge als ursprünglichen Typ (vgl. z.B. Ligon & Ramos 1999; van Rhijn 1990; Wesolowski 1994; Wesolowski 2004). Bei der Aufspaltung in Palaeognathen und Neognathen wurde dann in der einen Linie die väterliche Fürsorge beibehalten und in der anderen Linie entwickelte sich die biparentale Fürsorge. Nach der „male first“-Hypothese könnte es so gewesen sein, dass die Männchen, durch ihren im Vergleich zur Gelegegröße relativ großen Körper, gleichzeitig die Eier mehrerer Weibchen bebrüten konnten (vgl. z.B. Vehrencamp 2000). Der Nutzen der Fürsorge kann dadurch größer sein als die Kosten. Weitere Faktoren, die das Auftreten männlichen Fürsorgeverhaltens wahrscheinlicher machen, sind das Fehlen weiterer Verpaarungsmöglichkeiten z.B. durch eine geringe Dichte an Weibchen (vgl. Owens 2002) und eine relativ hohe Vaterschaftssicherheit (vgl. Møller & Cuervo 2000). Die Argumente sind insgesamt denen der Erklärung der Fürsorge bei Fischen sehr ähnlich. Neben den Eltern können sich bei Vögeln noch weitere Individuen an der Fürsorge beteiligen. Bei einigen Arten helfen ältere Jungtiere. Diese sogenannten Helfer-am-NestGesellschaften werden vor allem dann angetroffen, wenn die Möglichkeiten der eigenen Reproduktion eingeschränkt sind (vgl. Emlen & Vehrencamp 1985). Beispiele sind der Florida-Blaubuschhäher (Aphelocoma coerulescens), der Graufischer (Ceryle rudis), Weißstirnspinte (Merops bullockoides) und der Seychellen-Rohrsänger (Acrocephalus seychellensis) (für eine Zusammenfassung siehe z.B. Brown 1987; Stacey 1990; Woolfenden & Fitzpatrick 1984). Auch nicht-verwandte Tiere können sich zu Brutgemeinschaften zusammenschließen (vgl. Emlen & Vehrencamp 1985). Mehrere Paare brüten gemeinsam, so dass sich in einem Gelege Eier verschiedener Individuen (verschiedener Mütter und/oder Väter) finden. Diese gemeinschaftliche Aufzucht der Jungen betreibt z.B. der Eichelspecht (Melanerpes formicivorus), Gimpelhäher (Struthidea cinerea), Glattschnabelani (Crotophaga ani) und der Riefenschnabelani (Crotophaga sulcirostris) (für eine Zusammenfassung siehe Brown 1987; Stacey 1990). Im Vergleich zu den anderen, bisher behandelten Tiergruppen, sind Vögel hoffnungsvolle Kandidaten für Erziehung. Erziehung könnte durch die Eltern und in einigen Fällen auch durch ältere Geschwister oder andere erwachsene Individuen geleistet werden. 40
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung
4.6 Säugetiere In Bezug auf das Erziehungsverhalten gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Vögeln und Säugetieren. Vögel sind nach nur ca. 1% ihrer gesamten Lebenszeitspanne ausgewachsen; Säugetiere erst nach 30% oder mehr (vgl. Immelmann & Sossianka 1986). Das heißt, die Zeitspanne einer möglichen Interaktion zwischen Erwachsenen und Jungtieren ist bei Säugetieren deutlich länger. Damit erhöhen sich auch die Möglichkeiten für Erziehung. Bei allen Säugetiertaxa ist die Mutter an der Fürsorge der Jungen beteiligt. Die Laktation ist dabei das ausschlaggebende Merkmal. Ihr evolutionsbiologischer Vorteil liegt wahrscheinlich darin, dass laktierende Weibchen ihre Jungen unabhängig von aktuellen Nahrungsbedingungen ausreichend füttern können (vgl. z.B. Dall & Boyd 2004). Die Monotremata sind zwar eierlegend, nach dem Schlüpfen der Jungen stellen ihnen die Weibchen aber Milch auf einem Drüsenfeld bereit. Die Marsupialia waren möglicherweise ursprünglich ebenfalls eierlegend (vgl. Zeller 1999). Rezente Arten sind aber durch Lebendgeburten nach sehr kurzen Tragzeiten charakterisiert. Ihre „lebend geborenen Embryonen“ wandern nach der Geburt in den mütterlichen Beutel, wo sie sich an einer Milchdrüse verankern. Beuteltiere können in der Regel bis zu drei Jungtiere unterschiedlichen Alters gleichzeitig versorgen. Ein frisch geborenes Jungtier kann neben einem älteren Geschwister saugen; gleichzeitig kann die Mutter einen Embryo tragen. Väterliche Fürsorge ist bei beiden Gruppen ursprünglicher Säugetiere nicht bekannt (vgl. z.B. Jarman 2000, S. 25). Bei den Plazentalia verbringen die Jungtiere einen relativ langen Teil ihrer Entwicklung im mütterlichen Körper und werden nach der Geburt von der Mutter mit Milch versorgt. Da funktionierende Milchdrüsen, mit Ausnahme einer malaysischen Flughundart (Dyacopterus spadiceus, vgl. Francis et al. 1994), auf die Weibchen beschränkt sind, können sich männliche Säugetiere nur eingeschränkt an der Jungenfürsorge beteiligen, zumindest ist die Mutter dadurch zunächst prädisponiert, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Vor allem bei den Primaten ist aber ein Trend hin zur biparentalen Fürsorge erkennbar (vgl. Reynolds et al. 2002). Bei den Säugetieren herrschen optimale Voraussetzungen dafür, dass Erziehung stattfinden kann. Im Folgenden soll noch etwas detaillierter auf die mögliche Rolle der einzelnen Individuen im Erziehungsprozess eingegangen werden.
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung
4.6.1 Die Bedeutung der Mutter und des Vaters „Wie die Mutter die wahre Amme ist, so ist der Vater der wahre Lehrer. Sie müssen sich also über ihre Funktionen wie über ihre Methoden verständigen. Aus der Hand der einen muß das Kind in die Hand des anderen übergehen“ (Rousseau 1971, S. 22). „Am meisten kommt es auf die Erziehung an, die unbestreitbar Sache der Frauen ist. Wenn der Schöpfer der Natur gewollt hätte, daß sie Sache der Männer wäre, er hätte ihnen Milch gegeben, um die Kinder zu stillen“ (Rousseau 1971, S. 9). Bei den Säugetieren kann zunächst davon ausgegangen werden, dass die Mutter eine wesentlich wichtigere Rolle bei der Fürsorge der Jungen spielt als der Vater. So kommen auch Kleiman & Malcom (1981) zu dem Ergebnis, dass sich bei nur 10% der Arten das Männchen an der Aufzucht der Jungen beteiligt. Es handelt sich dabei vor allem um die Raubtiere (Carnivora), Primaten (Primates) und Nagetiere (Rodentia) (siehe auch Woodroffe & Vincent 1994). Die Aufgabe des Männchens besteht z.B. im Wärmen, Bewachen und Tragen (z.B. Krallenäffchen) oder im Versorgen mit fester Nahrung (z.B. bei vielen Carnivoren) (vgl. Dewsbury 1985; Kleiman & Malcom 1981; Woodroffe u. Vincent 1994; siehe auch Krebs & Davies 1996, S. 244). Warum sich bei einigen Arten das Männchen am Fürsorgeverhalten beteiligt und bei anderen nicht, ist nicht ganz klar. Wichtig ist aber wohl zunächst einmal, wie schon beschrieben, dass nur das Weibchen das Jungtier mit Milch versorgen kann und sich das Junge eine recht lange Zeit im Körper des Weibchens entwickelt. Das schränkt die Rolle, die das männliche Säugetier spielen kann, von vornherein ein (vgl. z.B. Gordon 1969; Maynard Smith 1977). Außerdem wird auch immer wieder die innere Befruchtung mit Bedingungen in Verbindung gebracht, die dazu führen, dass das Männchen kein Fürsorgeverhalten zeigt. Die innere Befruchtung führt dazu, dass das Männchen das Weibchen mit den noch ungeborenen Jungen zurücklassen kann, um z.B. nach neuen Paarungsmöglichkeiten zu suchen. Dem Weibchen steht diese Möglichkeit nicht zur Verfügung (vgl. z.B. Dawkins & Carlisle 1976). Gegen diese Theorie spricht, dass auch Vögel eine innere Befruchtung haben und die Männchen hier ein ausgeprägtes Fürsorgeverhalten zeigen. Desweiteren ist mit der inneren Befruchtung auch immer eine Unsicherheit der Vaterschaft verbunden. Der Vater kann sich nie sicher sein, ob die Nachkommen wirklich von 42
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung ihm gezeugt sind. Eine Mutter ist sich ihrer Mutterschaft immer sicher. Es ist also für den Vater von Vorteil, mit seinen Investitionen sorgsam umzugehen. Wieder schwächt ein Vergleich mit den Vögeln diese Theorie ab. Auch hier kann sich der Vater nicht sicher sein, ob es sich wirklich um seine eigenen Jungen handelt. Dennoch zeigt er ein ausgeprägtes Fürsorgeverhalten. Auch ein Vergleich innerhalb der Säugetiere stellt die Bedeutung dieser Variable in Frage. Männchen, die nicht der Vater sind, zeigen nicht selten Fürsorgeverhalten (vgl. Woodroffe & Vincent 1994). Whitten (1987, S. 454) schreibt in Bezug auf die Primaten, dass Vaterschaft weder eine notwendige, noch eine ausreichende Bedingung dafür sei, dass Männchen Fürsorgeverhalten gegenüber dem Jungen zeigen. Was sind dann aber die Faktoren, die begünstigen, dass sich auch die Männchen um den Nachwuchs kümmern? Kleiman & Malcom (1981, S. 373) sehen ein dauerhaftes Leben in der Gruppe als entscheidend an. Die Männchen haben hier viele Möglichkeiten sich direkt oder auch indirekt um den Nachwuchs zu kümmern – vor allem in kleinen, geschlossenen Gruppen in denen die Individuen verwandt sind. Verlassen die jungen Männchen mit einsetzender Geschlechtsreife die Gruppe erhöht das zudem die Vaterschaftssicherheit. Sehr deutlich wird der Einfluss dieser Bedingungen bei Mangusten (vgl. z.B. Gorman 1979). Im Wesentlichen können hier zwei Typen unterschieden werden. Einige Mangusten sind tagaktiv, leben in Gruppen und jagen gemeinschaftlich (z.B. Mungos mungo, Helogale parvula, und Suricata suricatta). Die Mehrzahl der Mangusten lebt hingegen solitär und ist hauptsächlich nachtaktiv (für Schlankmangusten, Herpestes sanguineus vgl. Rood & Waser 1978; für Herpestes auropunctatus vgl. Gorman 1979). Eine Beteiligung des Vaters und auch anderer Individuen an der Brutfürsorge kann vor allem bei den in Gruppen lebenden Taxa beobachtet werden (für Zwergmangusten, Helogale parvula vgl. Rasa 1977; Rood 1974; 1978). Ganz allgemein kann gesagt werden, dass Fürsorgeverhalten durch das Männchen begünstigt wird, wenn es keine weiteren Möglichkeiten der Verpaarung gibt; wenn die Weibchen z.B. recht weit verstreut sind oder in unregelmäßigen Abständen empfängnisbereit werden (Kleiman & Malcom 1981). Vergleichbar mit den Vögeln gilt auch bei Säugetieren die Regel: Fürsorgeverhalten durch beide Elternteile tritt dann auf, wenn die Jungen mehr benötigen, als durch ein Elternteil geleistet werden kann (vgl. Gubernick & Teferi 2000; Woodroffe & Vincent 1994, S. 296). So bringen z.B. viele Krallenäffchen und Tamarine Zwillinge zur Welt. Diese haben zusammen ca. 15-20% des Körpergewichts eines Erwachsenen. Es ist kaum 43
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung vorstellbar, dass ein Weibchen über einen längeren Zeitraum beide Jungtiere tragen kann. Als Konsequenz könnte ein Weibchen die beiden Jungtiere gar nicht allein groß ziehen. Weibliche Dsungarische Zwerghamster können unter Laborbedingungen, wenn sie allein sind, ihr Junges selbst bei 4°C nicht aufziehen, obwohl sie es in freier Wildbahn, wenn sich das Männchen an der Fürsorge beteiligt, bei -10°C können (vgl. Gubernick & Teferi 2000). Häufig wird beschrieben, dass väterliches Fürsorgeverhalten mit dem Verhaltensmuster der Monogamie assoziiert sei. So ist eine männliche Beteiligung an der Fürsorge innerhalb der Primaten häufig bei den monogam lebenden Neuweltaffen (wie Tamarine, Krallenäffchen oder Springaffen) zu finden (vgl. z.B. Box 1975; Epple 1975; siehe auch Higley & Suomi 1986, S. 176). Hier übernimmt das Männchen sehr große Teile des Fürsorgeverhaltens; das Weibchen spielt eine eher untergeordnete Rolle. Gegen diese Annahme spricht aber, dass ausgeprägtes väterliches Fürsorgeverhalten auch bei polygyn lebenden Makaken- und Pavianarten gefunden werden kann (vgl. Komers & Brotherton 1997; für Anubispaviane, Papio anubis und Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. DeVore 1963; für Berberaffen, Macaca sylvanus vgl. Burton 1972; Lahiri & Southwick 1966). Zum Teil kommen Untersuchungen sogar zu dem Ergebnis, dass Monogamie häufiger bei Säugetieren anzutreffen ist, die keine väterliche Fürsorge zeigen, als bei solchen, die väterliche Fürsorge zeigen (vgl. Komers & Brotherton 1997). Insgesamt kann man sagen, dass es bisher keine befriedigende Erklärung dafür gibt, warum Väter einiger Arten Fürsorgeverhalten zeigen und andere nicht. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist es aber auch wichtig zu bedenken, dass die Bedeutung des Männchens – selbst wenn keine direkte biparentale Fürsorge stattfindet – nicht unterschätzt werden darf. Bei in Gruppen lebenden Tieren sind immer, zumindest zu bestimmten Zeiten, auch Männchen in der Gruppe und diese interagieren auf verschiedene Weise mit dem Jungtier. Auch, wenn das Männchen kein direktes Fürsorgeverhalten (z.B. Füttern, Bewachen, Tragen) zeigt, kann es Vorbild für das Junge sein oder auf irgendeine andere Art und Weise Lernprozesse beschleunigen und sich dadurch an der Erziehung des Jungen beteiligen.5 5
Für einen Überblick zu „paternal care“ bei Säugetieren vgl. Komers & Brotherton 1997; Ridley 1978; für
Primaten vgl. Hrdy 1976, S. 440 ff.; Mitchell & Brandt 1972; Mitchell 1969; Parke & Suomi 1981; Swartz & Rosenblum 1981; Whitten 1987; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Itani 1959; für Mandrills, Mandrillus sphinx vgl. Laidre & Yorzinski 2008; für Weißbüschelaffen, Callithrix jacchus vgl. Rothe 1975; für Ährenmäuse, Mus spicilegus vgl. Feron & Gouat 2007; für Kalifornische Mäuse, Peromyscus californicus vgl.
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung
4.6.2 Die Rolle des Kindes bzw. Jungtieres Da es in dieser Arbeit nicht nur um elterliche Fürsorge, sondern um Erziehung gehen soll, darf auch die Rolle des Kindes bzw. Jungtieres nicht außer Acht gelassen werden. Erziehung ist ein zweiseitiger Prozess. Der Schwerpunkt der Betrachtungen liegt aber meist auf den Erwachsenen und weniger beim Kind bzw. Jungen (vgl. Schaffer & Collis 1986; siehe aber auch Sluckin & Herbert 1986, S. 1 f.). Beobachtungen aus der Primatenforschung zeigen aber, dass auch das Junge einen aktiven Part übernimmt (vgl. z.B. Baldwin 1986, S. 295; Dolhinow 1995; Higley & Suomi 1986, S. 154; King 1991, S. 98; King 1994, S. 5). Es kann z.B. durch die Wahl der Personen mit denen es interagiert die Art der Information beeinflussen, die ihm zur Verfügung gestellt werden (vgl. King 1991, S. 98). So scheinen sich z.B. Jungtiere mehr zu Erwachsenen des gleichen Geschlechts hingezogen zu fühlen, was die Möglichkeit bietet, geschlechtsspezifisches Verhalten zu erlernen (für Paviane vgl. z.B. Pereira 1988, S. 200). Ebenso werden als Jungtier und im Jugendalter Verbindungen geknüpft, die im späteren Leben von Vorteil sein können, z.B. wenn bevorzugt Kontakt zu höherrangiger Individuen gesucht wird (vgl. Fairbanks 1993; S. 211) oder wenn sich das Junge, wenn es von der eigenen Mutter abgewiesen wird oder diese stirbt, seine Adoptivmutter selbst aussucht (vgl. Dolhinow 1980; Dolhinow & DeMay 1982; King 1994, S. 29 f.). Zum Erziehungsprozess gehört nicht nur das lehrende Individuum, sondern auch das lernende. Erziehung ist eine Interaktion, bei der alle Beteiligten berücksichtigt werden müssen.
4.6.3 Die Rolle anderer erwachsener Individuen Bei Säugetieren zeigen gelegentlich auch andere erwachsene Tiere Fürsorgeverhalten (für einen Überblick siehe z.B. Emlen 1991; König 1997). Als „alloparents“ oder – vor allem in Bezug auf die nichtmenschlichen Primaten – auch „Tanten“ („aunts“, vgl. Hrdy
Gubernick & Teferi 2000; für Campbell-Zwerghamster, Phodopus campbelli vgl. Jones & Wynne-Edwards 2000; für einen Überblick bei Raubtieren vgl. Kleimann & Eisenberg 1973; Malcolm 1985; für Löffelhunde, Otocyon megalotis vgl. Wright 2006; für Mähnenwölfe, Chrysocyon brachyurus vgl. Veado 2005; für Kojoten, Canis latrans vgl. Sacks & Neale 2001; für Rotfüchse, Vulpes vulpes vgl. Vergara 2001; für Tiger, Panthera tigris vgl. Tyabji 1991; für Marderhunde, Nyctereutes procyonoides vgl. Yamamoto 1987; für Galápagos-Seelöwen, Zalophus wollebaeki vgl. Barlow 1972; Barlow 1974; Miller 1974.
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung 1976; Rowell et al. 1964; Wilson 2000, S. 349) werden vorrangig Weibchen bezeichnet, die Fürsorgeverhalten zeigen, aber nicht näher mit dem Jungtier verwandt sind. Dieses Fürsorgeverhalten kann die unterschiedlichsten Formen annehmen. Es kann aus einer einfachen Annäherung an das Jungtier bestehen oder das Junge wird getragen gepflegt oder vor Gefahren beschützt. Bei Primaten kann nicht selten auch agonistisches Verhalten gegenüber dem Jungen beobachtet werden. Von 4400 gelisteten Säugetierarten zeigen ca. 15% irgendeine Form kooperativer Fürsorge innerhalb ihrer sozialen Gruppe (vgl. Gittleman 1985; Riedman 1982). Bei fast allen Primatenarten (inklusive des Menschen) zeigen vor allem verwandte und nichtverwandte Weibchen ein sehr großes Interesse am Jungtier. Lancaster (1971) schreibt für die Äthiopischen Grünmeerkatzen (Cercopithecus aethiops) (S. 166): „The small black infant acts as a magnet to juvenile female regardless of her age or social position.” Ein extremes Beispiel sind die Languren (Presbytis entellus). Sie haben insgesamt eine weniger enge Mutter-Jungtier-Beziehung als viele andere Primaten und so interagiert eine Vielzahl verschiedener Individuen mit dem Jungen. Sie kümmern sich um das Junge und es werden schon in einem frühen Alter verschiedenste soziale Beziehungen geknüpft. Bereits im Alter von wenigen Monaten haben die Jungen Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Sozialpartnern gesammelt. Die Weibchen, die mit ihnen interagieren, unterscheiden sich in Alter, der Erfahrung als Mutter und sie bieten eine ungemein große Bandbreite an Persönlichkeitstypen (vgl. McKenna 1981, S. 395; Jay 1962). Aber auch außerhalb der Primaten helfen zumeist verwandte Individuen ihren Artgenossen beim Großziehen der Jungen. Ein Extremfall aus diesem Bereich sind Gesellschaften, in denen sich – ähnlich wie bei staatenbildenden Insekten – nur das dominante Weibchen fortpflanzt. Die anderen Individuen der Gruppe sind reproduktiv inaktiv und betreuen die Jungen der „Königin“ („helper at the nest societies“). Beispiele aus dem Reich der Säugetiere sind Hyänenhunde (oder Afrikanische Wildhunde, Lycaon pictus), Goldschakale (Canis aureus), Schabrackenschakale (Canis mesomelas), Zwergmangusten (Helogale parvula), Erdmännchen (Suricata suricatta) und Nacktmulle (Heterocephalus glaber) (vgl. König 1997, S. 96; für Schabrakenschakale siehe auch Moehlman 1979). Ebenso gibt es Taxa, bei denen sich die meisten oder alle Weibchen fortpflanzen und die Jungen dann gemeinsam aufziehen („communal breeding societies“). Beispiele sind Löwen (Panthera leo), Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta), Nasenbären (Nasua nasua) und Zebramangusten (Mungos mungo) (vgl. König 1997, S. 96). Zwischen diesen beiden Varianten gibt es die verschiedensten Übergangsformen. Bei Hausmäusen gibt es z.B. Gruppen, in denen niederrangige Weibchen, die keine Jungen 46
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung haben, die Jungtiere anderer Weibchen groomen oder tragen, aber auch Gruppen, in denen sich nur die Weibchen die Junge haben in einem gemeinsamen Nest gegenseitig unterstützen (vgl. König 1994a). In den meisten Fällen sind es Verwandte, die unterstützt werden. Dass das aber nicht zwingend der Fall sein muss, beweisen Bolivianische Totenkopfäffchen (Saimiri boliviensis, Williams et al. 1994), Abendsegler (Nycticeius humeralis, Wilkinson 1992), Dreizehnstreifenziesel (Spermophilus tridecemlineatus, Zimmerman 1974) oder Hausmäuse (Mus domesticus, König 1994b). Es ist nicht ganz einfach zu erklären, warum dieses Verhalten gezeigt wird. Maestripieri (1994c) listet nicht weniger als 14 Hypothesen, die die Evolution und Funktion dieses Verhaltens erklären sollen – zumeist beziehen sich die Erklärungen auf die Primaten, da das Phänomen hier am stärksten ausgeprägt ist. Der Nutzen für das fürsorgende Individuum muss letztendlich größer sein, als die Kosten, sonst hätte sich das Verhalten im Laufe der Evolution nicht durchgesetzt. Es ist naheliegend, das Verhalten zunächst im Kontext der Verwandtenselektion zu verstehen (vgl. z.B. Nicolson 1987; Riedman 1982). Hilft man verwandten Individuen bei der Aufzucht ihrer Jungen wirkt sich das auch positiv auf die eigene Gesamtfitness aus. Gegen diese Idee spricht, dass das Verhalten nicht selten auftritt, wenn die Tiere gar nicht verwandt sind. Als Alternative könnte man dann den reziproken Altruismus zur Erklärung des Hilfeverhaltens heranziehen (vgl. z.B. Riedman 1982), nach dem Motto: „Ich helfe dir bei der Aufzucht deiner Jungtiere und du oder irgendjemand anders hilft mir dann später bei der Aufzucht meiner Jungen.“ Alle Varianten des „alloparental“ Verhaltens können damit aber auch nicht erklärt werden. Wie schon erwähnt, beinhaltet das „Interesse“ am Jungen auch agonistisches Verhalten, wie Misshandlungen oder ein „aunting-to-death“ (vgl. Hrdy 1976; Maestripieri 1994c; Quiatt 1979). Eine andere Hypothese geht davon aus, dass das Verhalten dem Erlernen korrekten mütterlichen Verhaltens dient („learning-to-mother hypothesis“, „play-mothering“ vgl. Blaffer Hrdy 1976; Blaffer Hrdy 1977, S. 199; Epple 1975; Hrdy 1976; Jay 1962; Lancaster 1971; Maestripieri 1994c; Nicolson 1987; Quiatt 1979; Wilson 2000, S. 350). Primaten bekommen ihr erstes Junges relativ spät im Leben, sie gebären meist nur ein Jungtier, haben lange Tragzeiten und es gibt – bei manchen Arten – nur bestimmte Zeiten im Jahr, in denen die Jungen geboren werden. Als Ergebnis wäre ein Verlust des Jungen durch Nachlässigkeit oder aufgrund mangelnder Erfahrung mit sehr hohen Kosten verbunden. Wenn man davon ausgeht, dass mütterliches Verhalten eine Fähigkeit ist, die die Weibchen, bevor sie selbst Mutter werden, erlernen können, kann „allomaternal“ 47
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung Verhalten unerfahrenen Müttern enorme Möglichkeiten bieten (vgl. Blaffer Hrdy 1977; Hrdy 1977; Lancaster 1971). Wie dieses Lernen funktionieren könnte, beschreibt Lancaster (1971, S. 175 f.). Die Fürsorge der unerfahrenen Weibchen steht unter ständiger Beobachtung der Mutter. Fälle von Fahrlässigkeit, Unbeholfenheit oder echter Misshandlung werden unmittelbar bestraft. Fängt das Junge an zu schreien, wird jede Mutter, im Normalfall, sofort zu ihm eilen, und es an sich nehmen. Wird das Jungtier misshandelt, wird sie auch das Weibchen, das dafür verantwortlich ist, beißen. Auf diese Weise kann durch einfache Konditionierung erklärt werden, wie junge Weibchen angemessenes mütterliches Verhalten lernen, mit der dauerhaften Anwesenheit des Jungen als Belohnung. Diese Hypothese wird durch das Verhalten einer großen Bandbreite von Primatenarten gestützt. Die Faszination unerfahrener Weibchen an den Jungtieren anderer Weibchen wird vor allem von Arten berichtet, bei denen auch „allomaternal caretaking“ beobachtet werden kann (Zsf. bei Hrdy 1977)6. Auch, dass es mit wenigen Ausnahmen Weibchen sind, die sich für die Jungtiere anderer Weibchen interessieren, stützt diese Hypothese (Zsf. bei Higley & Suomi 1986, S. 184; Lancaster 1971; Maestripieri 1994c). Gegen diese Hypothese sprechen aber z.B. die Ergebnisse von Seay (1966). Er verglich unerfahrene und erfahrene Rhesusaffenweibchen in Bezug auf ihr mütterliches Verhalten. Es fanden sich zwar in einigen untersuchten Variablen Unterschiede im Verhalten der beiden Gruppen; diese hätten aber keinen Einfluss auf die Qualität des Fürsorgeverhaltens. Seay (1966) fasst zusammen (S. 163): „primiparous mothers normally give adequate care to their infants" (siehe auch McKenna 1979, S. 826; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Tanaka 1989). Das heißt also, ein Lernen mütterlichen Verhaltens ist nicht nötig. Ebenso sind es meist die älteren, erfahrenen Weibchen, die sich aggressiv gegenüber dem Jungtier verhalten. Gerade sie sollten, nach dieser Hypothese, aber angemessenes mütterliches Verhalten zeigen (für eine Zusammenfassung siehe auch Maestripieri 1994c). Es werden auch immer wieder bestimmte Umweltfaktoren oder bestimmte Eigenschaften des Sozialsystems vorgeschlagen, die dazu führen, dass Individuen außer der Mutter Fürsorgeverhalten zeigen. So könnten z.B. unvorhersehbare, unstabile Umweltbedin6
Für Indische Hutaffen, Macaca radiata vgl. Rahaman & Parthasarathy 1969; für Dscheladas, Theropithe-
cus gelada vgl. Dunbar & Dunbar 1974; für Totenkopfäffchen, Saimiri sp. vgl. DuMond 1968, S. 123; für Mantelbrüllaffen, Alouatta palliata vgl. Glander 1974; für Kolobusaffen, Colobus abyssinicus vgl. Leskes & Acheson 1971; für Nilgiri-Languren, Presbytis johnii vgl. Poirier 1970, S. 307 ff.; für Hanuman-Languren, Presbytis entellus vgl. Sugiyama 1965, S. 228 ff.
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung gungen oder das Fehlen eigener Verpaarungsmöglichkeiten dazu führen, dass es, in einem evolutionsbiologischen Sinne, vorteilhafter ist, den andern zu helfen, als sich selbst fortzupflanzen (vgl. z.B. Riedman 1982). Für Maestripieri (1994c) ist, bei Altweltaffen, die Sozialstruktur der maßgebliche Faktor, der das Auftreten der „alloparental care“ beeinflusst. Die Sozialstruktur hat einen Einfluss darauf, wie die Mutter mit ihrem Jungen umgeht, was wiederum das Verhalten der anderen Individuen gegenüber dem Jungen beeinflusst. Am Beispiel der Rangordnung wird diese Beziehung deutlich. Bei despotischen Arten mit einer strikten Rangordnung kann weniger „alloparental care” beobachtet werden, da die Mütter niederen Rangs oft große Probleme haben, ihr Junges von einem Weibchen, das in der Rangordnung weiter oben steht, wiederzubekommen. Die Mütter sind hier weniger tolerant und eher restriktiv. Bei egalitären Arten mit einer aufgelösten Rangordnung kann hingegen mehr „alloparental care“ beobachtet werden. Die Mütter sind freizügiger, weil sie ihre Jungen auch wiederbekommen. Des Weiteren könnte es sich bei dem Verhalten auch um einen „reproductive error“ handeln (Riedman 1982, S. 425). Diese eher proximate Erklärung geht davon aus, dass Individuen, die kurz vor der Fortpflanzung stehen oder auch gerade Jungtiere haben, in Bezug auf ihr Verhalten und auch hormonell prädisponiert sind, Fürsorgeverhalten zu zeigen. Maestripieri (1994c) nennt eine ähnliche Erklärung die „null hypothesis”. Ein großer Teil des Umgangs mit den Jungen hätte keine spezifische Funktion oder einen adaptiven Wert. Weibchen seien einfach hormonell und genetisch dazu veranlagt, Fürsorgeverhalten zu zeigen. Es ist auch denkbar, dass das Verhalten der „allomother“ dazu führt, dass ihr Status innerhalb der Gruppe erhöht wird, vor allem, wenn sie sich um ein Jungtier eines ranghöheren Weibchens kümmert (vgl. Nicolson 1987). Das Verhalten hilft der „allomother“ sich in die soziale Gruppe zu integrieren (vgl. Cheney 1978). Als alleinige Erklärung scheint dieser Punkt aber nicht ausreichend. In Bezug auf die mögliche Verursachung des Verhaltens wurde bisher nur die Seite der „allomother“ betrachtet. Könnte die Entstehung des Verhaltens nicht auch dadurch begünstigt worden sein, da es für die Mutter oder das Jungtiere Vorteile bringt? Die Mutter könnte z.B. die Zeit, in der sich ein anderes Individuum um ihr Jungtier kümmert, zur Nahrungssuche nutzen (vgl. z.B. Lancaster 1971; Nicolson 1982, S. 337 f.; Nicolson 1987). Die Kosten für die Reproduktion und für die Aufzucht des Jungen sinken dadurch sicherlich; gleichzeitig steigt aber auch das Risiko, dass das Junge durch die Behandlung der „allomother“ verletzt wird oder stirbt (siehe S. 47).
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung Ähnlich könnte die Argumentation in Bezug auf das Jungtier lauten. Natürlich erhöht sich durch „alloparental behaviour“ z.B. die Wahrscheinlichkeit adoptiert zu werden, falls die leibliche Mutter stirbt oder das Jungtier verstoßen wird (vgl. z.B. Lancaster 1971; Nicolson 1987). Insgesamt ist das Verhalten für das Jungtier aber auch – wie beschrieben – mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden, verletzt zu werden oder zu sterben. Insgesamt scheinen die Vorteile für die Mutter oder das Junge bei der Evolution des Verhaltens eine eher untergeordnete Rolle gespielt zu haben. So konnten auch Quiatt (1979) oder Paul (1999) in ihren Untersuchungen keinen Vorteil für die Mutter oder das Jungtier ausmachen. Keine der Theorien kann „alloparental behaviour“ befriedigend erklären. Sehr wahrscheinlich liegt das auch daran, dass das Verhalten kein homogenes Phänomen ist, sondern dass es verschiedene Komponenten beinhaltet, die sich je nach Art unterscheiden und in unterschiedlichem Maße von sozioökologischen Rahmenbedingungen abhängen bzw. unter dem Begriff des „allomaternal behaviour“ verschiedene Verhaltensweisen zusammengefasst werden (siehe auch Maestripieri 1994c).7
4.6.4 Die Rolle älterer Jungtiere bzw. Geschwister Ältere Jungtiere, wie z.B. Geschwister, werden oft vernachlässigt, wenn es um die Frage nach der Erziehung geht. Insofern diese mehr Erfahrung oder bessere Fähigkeiten besitzen als die jüngeren Tiere, können aber auch sie dazu beitragen, bestimmte Errungenschaften der älteren Generation in der nächsten weiterleben zu lassen (vgl. z.B. King 1994, S. 114). Auch wenn es sich hierbei nicht um verschiedene Generationen handelt, kann man in diesem Fall von Erziehung sprechen. Spielgruppen, in denen Jungtiere verschiedenen Alters zusammen sind, „assist parents in childcare, help in the transmission of culture, and promote greater intergenerational equality” (Hewlett 1991, S. 18). Auch im Rahmen der Helfer-am-Nest-Gesellschaften sind es nicht selten die älteren Geschwister, die ihren Eltern beistehen.
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Weitere Literatur zu „alloparental care“: Für einen Überblick vgl. Higley & Suomi 1986; Maestripieri
1994c; McKenna 1979; Paul 1999; Quiatt 1979; Riedman 1982; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Hiraiwa 1981; für Rhesusaffen, Macaca mulatta und Bärenmakaken, Macaca arctoides vgl. Rhine & HendyNeely 1978; Rowell et al.; Spencer-Booth 1968; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Lancaster 1971; für Languren, Presbytis entellus vgl. Jay 1963; für Totenkopfäffchen Saimiri sp. vgl. DuMond 1968; Hunt et al. 1978; Rosenblum 1972; für Doppelkamm-Beutelmäuse, Dasyuroides byrnei vgl. Meißner & Gansloßer 1985; für Orkas, Orcinus orca vgl. Haenel 1986.
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4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung
Exkurs I: Erziehung und die Bedeutung des Spiels Für die Pädagogik gehören Kind und Spiel „wie selbstverständlich zusammen“ (Prange & Strobel-Eisele 2006, S. 117). Das Spiel ist ebenso fester Bestandteil in der Organisation der Erziehung. Im Mittelpunkt stehen Fragen, wie man im und durch das Spiel lernen kann und wie man das Spielen im Einzelnen als Mittel für pädagogische Zwecke einsetzen kann (vgl. z.B. Prange & Strobel-Eisele 2006, S. 119). Auch im Tierreich ist das Spielen fester Bestandteil der Entwicklung. Trotz der kontroversen Diskussion, was Spielverhalten sei und welche Funktion es erfülle, kann es als „eine Art generalisierte Simulation des Ernstfalls unter herabgesetztem Risiko“ bezeichnet werden (Treml 2004, S. 126). So ist Spielen sicherlich maßgeblich an der Entwicklung des normalen Verhaltensrepertoires eines Tieres beteiligt. Zunächst kann es aber nicht in einem Erziehungskontext verstanden werden, da Erziehung als ein Verhalten definiert wurde, das zwischen zwei Generationen stattfindet und Spielen im Allgemeinen unter Gleichaltrigen erfolgt. Unter zwei Bedingungen kann aber auch Spielen, Erziehung sein. Nämlich (1) wenn durch das Spiel älterer Individuen mit jüngeren, Wissen oder Fähigkeiten übermittelt werden, die Bestandteil des Wissens der älteren Generation sind oder (2) wenn die Eltern oder andere erwachsene Individuen mit dem Jungtier spielen. Der letzte Fall ist bei genauerer Betrachtung häufiger zu finden, als man zunächst vielleicht vermuten würde. Beispiele finden sich bei Delfinen (vgl. Kuczaj & Highfill 2005), Beuteltieren (vgl. Higginbottom & Croft 1999, S. 94 f.) und Primaten (vgl. Higley & Suomi 1986). Fagen (1981) fasst zusammen, dass Spielen ein auffälliger Bestandteil des Verhaltens junger Beuteltiere ist und bei vielen Taxa beobachtet werden kann – wenn auch nicht sehr häufig (siehe auch Lissowski 1996). Bei einigen Beuteltiertaxa, wie z.B. beim Östlichen Grauen Riesenkänguru (Macropus giganteus) (vgl. Stuard-Dick 1987, zit. nach Higginbottom & Croft 1999) und bei allen größeren Dasyuridae (vgl. Croft 1982, S. 303) ist das Spielverhalten zwischen Mutter und Jungtier relativ gut beschrieben. Bei Arten, die nur ein Junges zur Welt bringen, ist die Mutter der bevorzugte Spielpartner. Die Initiation geht dabei meist vom Jungtier aus. Die Rollen können aber auch getauscht werden. Beim Riesenbeutelmarder (Dasyrus maculatus) gibt die Mutter einen bestimmten Laut von sich, um das Jungtier zum Spielen zu animieren (vgl. Lissowski 1996). Das Spiel beinhaltet agonistisches oder sexuelles Verhalten, Prädationsstrategien, sowie gespieltes, gegenseitiges Jagen (vgl. Lissowski 1996; Russell 1989). Dass das Spielverhal51
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung ten einen Einfluss auf das spätere Verhalten hat, wird durch geschlechtsspezifische Unterschiede im Spiel nahegelegt. So beinhaltet das Spiel der Mütter mit Söhnen mehr „play fighting” als das Spiel mit Töchtern (vgl. Lissowski 1996; Watson & Croft 1993). Eine naheliegende Erklärung ist, dass die Männchen dadurch auf das Erwachsenenalter vorbereitet werden, in dem sie mehr kämpfen als die Weibchen (vgl. Lissowski 1996). Bei den Primaten ist das Spielen zwischen Eltern und Jungtier vor allem bei den Neuweltaffen zu finden (vgl. z.B. Higley & Suomi 1986, S. 168). Ausgiebiges Spielen kann hier z.B. bei Buschbabys (Galagines spp., Charles-Dominique 1977; Ehrlich 1974) und Sifakas (Propithecus verreauxi, Richard & Heimbuch 1975) beobachtet werden. Bei Altweltaffen kann Spielen zwischen Mutter und Jungem, mit Ausnahme der Menschenaffen, nur selten beobachtet werden. So fand z.B. Suomi (1982, S. 226) bei Rhesusaffen nur sehr wenig Spielverhalten, wohingegen bei den Menschenaffen alle Beobachter, die sich mit mütterlichem Verhalten beschäftigten, auch vom Spielen zwischen Mutter und Jungtier berichten (für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. van Lawick-Goodall 1967, S. 319 ff.; Miller & Nadler 1981, S. 253 ff.; Nicolson 1977, S. 540; für Orang-Utans, Pongo spp. vgl. MacKinnon 1974, S. 59; Miller & Nadler 1981 S. 253 ff.; Rijksen 1978, S. 246; für Gorillas, Gorilla spp. vgl. Fossey 1979, S. 146 f.). Man kann sagen, dass die Mutter in den ersten Jahren der wichtigste Spielpartner für das Junge ist (vgl. Miller & Nadler 1981, S. 258). Es ist wichtig zu erwähnen, dass durch das Spielen neue Verhaltensweisen in einer Gruppe entstehen können. Häufig sind es die Jungtiere, die durch ihr stark ausgeprägtes Neugierverhalten maßgeblich an der Entstehung und Ausbreitung eines neuen Verhaltens beteiligt sind (vgl. z.B. Itani & Nishimura 1973, S. 35; Nishida 1987). Die Spielgruppe ist der Ort, an dem neue Gewohnheiten einer Gruppe entstehen, die dann zu Kultur werden können. Bemerkenswert ist das Spielen mit Objekten. In einigen Fällen wurde berichtet, dass junge Kibale-Schimpansen mit Holzstücken spielen, wie Menschenkinder mit Puppen (vgl. z.B. Kahlenberg & Wrangham 2010; Matsuzawa 1997; Wrangham & Peterson 2001). Interessant ist, dass die Schimpansen dabei ein geschlechtsspezifisches Verhalten zeigen, das mit dem des Menschen vergleichbar ist. Bisher ging man davon aus, dass es ein Ergebnis der Sozialisation ist, dass Mädchen lieber mit Puppen und Jungs mit Spielzeug mit Rädern oder waffenähnlichen Objekten spielen. Die Untersuchung von Kahlenberg & Wrangham (2010) hat dazu beigetragen, dass eine stärkere biologische Komponente dieses Verhaltens vermutet werden kann, da das Herumtragen von Stöcken hauptsächlich von den Weibchen gezeigt wird. Das Spielen mit Stöcken sei eine Form 52
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung des Mutter-Spielens, da die Jungtiere mit den Stöcken so umgehen, wie Weibchen mit ihren Jungtieren (vgl. Kahlenberg & Wrangham 2010).
4.6.5 Die Rolle der Großmutter Eine in den letzten Jahren – vor allem mit dem Aufstreben der Soziobiologie – vieldiskutierte Frage ist die nach der Rolle der Großmutter (vgl. z.B. Voland et al. 2005b). Die Existenz einer Lebensphase, in der keine Reproduktion mehr stattfindet, ist, aus evolutionstheoretischen Gesichtspunkten, paradox. Für eine generelle Zunahme der Lebensspanne ließen sich sicherlich noch Gründe finden, schwieriger ist es jedoch, ultimate Ursachen für die Alterssterilität der Frau nach der Menopause zu finden. Wieso lebt eine Frau, nachdem sie ihre Reproduktion eingestellt hat, ca. noch einmal so lange, ohne sich weiter fortzupflanzen, wenn nach „darwinischer Logik […] evolutionäre Vorteile reproduktive Vorteile“ sind (Voland 2004, S. 22)? Zudem ist eine Phase der Großmutterschaft im Tierreich nicht sehr weit verbreitet (siehe S. 55 ff.), was dazu führte, sie als Schlüsselanpassung auf dem evolutionären Weg zum Homo sapiens zu betrachten (vgl. z.B. Voland 2004, S. 21 f.). Eine – für dieses Thema – interessante Überlegung geht davon aus, dass die reproduktive Bilanz einer Frau, obwohl sie in der zweiten Hälfte ihres Lebens nicht mehr fortpflanzungsfähig ist, aufgrund evolutionsgenetischer Effekte der großmütterlichen Hilfeleistung, positiv wird. Der Effekt dieser großmütterlichen Hilfe könnte also die Ursache zur Verlängerung dieser Lebensphase des Menschen gewesen sein. Junge Mütter konnten, dank der Unterstützung durch ihre eigenen Mütter, früher abstillen. Die Kindersterblichkeit sank, da auch die Großmutter das Kind mit Nahrung versorgen konnte. Die Fruchtbarkeit und damit auch der Lebensreproduktionserfolg der Mutter würde sich erhöhen und sich damit – im Sinne der Gesamtfitness – auch positiv auf die Großmutter auswirken (Hamilton 1966; Hawkes & Blurton Jones 2005; Hawkes et al. 1998; Hawkes et al. 2000; Mayer 1982; Williams 1957). Es ist davon auszugehen, dass diese Großmütter nicht nur Nahrung und Schutz bereitstellten, sondern auch nicht-materielle Güter, wie Wissen über den Umgang mit Krankheiten oder medizinisch wirksame Pflanzen; ebenso wie sie als Geburtshelferinnen tätig gewesen sein könnten (Voland et al. 2005a, S. 8). Nach dieser Theorie ist die Großmutter, als evolutionsbiologisches Modell, einzigartig menschlich. Das heißt aber natürlich nicht, dass sich nicht auch bei anderen Arten, die Großmutter (auch wenn sie sich selbst noch reproduziert) an der Erziehung der Enkel beteiligen kann. 53
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung Andere Varianten dieser Hypothese legen ihren Schwerpunkt weniger auf die Rolle der Großmutter, sondern auf die der Mutter. Die Idee ist, dass die Frauen einen Fitnessvorteil hatten, die eine gewisse Zeit vor ihrem Tod mit der Reproduktion aufhörten und ihre Aufmerksamkeit und Energie stattdessen in die bereits vorhandenen Nachkommen bzw. in das zuletzt geborene Junge steckten. Diese Mütter sollen im Durchschnitt mehr Junge hinterlassen als Mütter, die sich bis an ihr Lebensende reproduzieren und dann Waisen hinterlassen. Das vor allem im Vergleich zu anderen Tieren extrem abhängige Menschenkind scheint für diese Hypothese zu sprechen (vgl. Voland et al. 2005a, S. 5). Diese Hypothese wird „good mother hypothesis”, „stopping early hypothesis” oder „altriciality life span hypothesis” genannt (Peccei 2005; Sherman 1998; Williams 1957). Sie geht ebenso wie die Großmutter-Hypothese davon aus, dass die Alterssterilität der Frau an sich positiv selektioniert wurde. Diese Erklärungen klingen zunächst recht einleuchtend; sie wurden aber durch Untersuchungen infrage gestellt. Vor allem, dass der positive Einfluss der Großmutter (oder Mutter) zu einer Verlängerung der postmenopausalen Phase geführt hätte, ist zweifelhaft (vgl. Kachel et al. 2011). Ebenso können mathematische Modelle nicht bestätigen, dass eine Frau einen Fitnessvorteil hat, wenn sie mit der eigenen Reproduktion aufhört und in ihre vorhandenen Nachkommen oder Enkel investiert (vgl. Peccei 2001). Untersuchungen an heute lebenden Jäger- und Sammlergesellschaften kommen bzgl. der Bedeutung der großmütterlichen Hilfeleistung zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die in den tansanischen Savannen lebenden und jagenden Hadza unterstützen diese Hypothese (vgl. Hawkes et al. 1989; 1997). Hier erwirtschaften die älteren Frauen zusätzlich Nahrung, die die Fertilität ihrer erwachsenen Töchter steigert (für weitere Untersuchungen, die für die Großmutterhypothese sprechen siehe auch Jamison et al. 2002; Lahdenperä et al. 2004; Ragsdale 2004; Sear et al. 2000). Die in den Regenwäldern Paraguays lebenden Ache unterstützen die Hypothese nicht. Die hier lebenden Großmütter tragen so gut wie gar nicht zu einer höheren Reproduktivität ihrer Töchter bei (vgl. Hill & Hurtado 1991; 1996, S. 424 f. u. 432; 2009; für weitre Untersuchungen, die gegen die Großmutterhypothese sprechen siehe auch Kaplan et al. 2000; Sear 2008; van Bodegom et al. 2010). Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass nur die Großmutter mütterlicherseits einen positiven Einfluss auf das Enkelkind hat (vgl. Jamison et al. 2002; Sear et al. 2000; Voland & Beise 2002; 2004). Lebt die Mutter des Vaters mit im Haushalt, kann das sogar einen negativen Einfluss haben. Geht man dazu davon aus, dass in den frühen menschlichen 54
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung Gesellschaften die Frauen den Haushalt ihrer Mutter verlassen haben und mit ihrem Mann – und dessen Mutter – in einem Haushalt lebten (vgl. Peccei 2001; vergleichbar mit den heute lebenden Schimpansen), erhöht sich der negative Einfluss der Großmutter auf das Enkelkind (siehe aber auch Lahdenperä et al. 2004 mit einem positiven Einfluss sowohl der Großmutter mütterlicherseits als auch der väterlicherseits). Aufgrund dessen wurde die Idee, dass die Menopause eine Adaption sei und an sich positiv selektioniert wurde, vielfach aufgegeben. Sie sei vielmehr ein Nebenprodukt der Selektion zur Langlebigkeit oder zur Selektion zu einer gesteigerten Reproduktivität in frühen Jahren. Verschiedene Autoren entwickelten diesbezüglich verschiedene Hypothesen und betitelten sie je nach Schwerpunkt (z.B. „new grandmother hypothesis“, Peccei 2001; „antagonistic pleiotropy hypothesis“, Wood et al. 2001; Charlesworth 1994, S. 199; siehe auch Voland et al. 2004). Im Wesentlichen ist diesen Hypothesen gemeinsam, dass sie die Menopause als „Erblast“, als eine phylogenetische Vorgabe, verstehen, die aus bisher unbekannten Gründen evolutionär nicht umkonstruiert werden konnte („evolutionary constrain“). Eine Frau tritt in die Menopause ein, da ihr Vorrat an Eizellen aufgebraucht ist. Soll eine Frau länger fruchtbar sein, müsste schon bei der Geburt eine größere Anzahl an Eizellen angelegt werden. Die Kosten für dieses Umkonstruieren sind anscheinend zu groß, als dass sie sich hätten durchsetzen können (vgl. z.B. Voland et al. 2005a, S. 4). Die hinzugewonnenen Lebensjahre könnten aber sekundär durch adaptive Verhaltensstrategien, etwa durch typisches Großmutterverhalten, in Beschlag genommen worden sein. „Die typisch menschliche Langlebigkeit wäre demnach ein ursprünglich funktionsloses evolutionäres Nebenprodukt, das sekundär mit der ,Erfindung‘ der Großmutterrolle evolutionäre Bedeutung gewonnen hätte“ (Voland et al. 2004, S. 367) oder auch ein „making the best of a bad job“ (Voland et al. 2004, S. 368). Das Vorhandensein einer postmenopausalen Phase – und damit auch der Großmutter, wie wir sie kennen – bei anderen Tieren, außer dem Menschen, ist umstritten. Die sichersten Daten stammen von Grindwalen (vgl. Jamison et al. 2002; Marsh & Kasuya 1986). Kurzflossen-Grindwale (Globicephala macrorhynchus) werden bis zu 80 Jahre alt; es konnte aber kein Weibchen gefunden werden, dass nach einem Erreichen von 40 Lebensjahren noch einen Eisprung zeigte (vgl. Kasuya & Marsh 1984; Marsh & Kasuya 1986). Untersuchungen an Orkas (Orcinus orca) kommen zu einem ähnlichen Ergebnis (vgl. Olesiuk et al. 1990; Rendell & Whitehead 2001) und selbst wenn die großen Delphiniden keine postreproduktive Phase im engeren Sinne zeigen, erhöhen sich mit zunehmendem 55
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung Alter doch die Geburtenintervalle, so dass in den späteren Jahren keine Jungen mehr geboren werden (vgl. Martin & Rothery 1993; für einen Überblick bei den Cetacea siehe auch Marsh & Kasuya 1986). Diese Daten sprechen dafür, dass die älteren Weibchen, bei Walen, eine wichtige Funktion im Gruppenverband einnehmen. Sicherlich beinhaltet diese Funktion auch Fürsorgeverhalten gegenüber den Enkeln. Es gibt ebenso Hinweise darauf, dass einige Primatenarten eine gewisse Zeit, bevor sie sterben, mit der Reproduktion aufhören. Die Kinderlosigkeit könnte dabei entweder auf eine Verlängerung der Geburtenintervalle, Totgeburten oder ein Einstellen der Ovulation zurückgeführt werden (vgl. Hrdy & Whitten 1987). Aus freier Wildbahn gibt es Ergebnisse, die in diese Richtung deuten (für Mangaben, Cercocebus albigena vgl. Waser 1978; für Ceylon-Hutaffen, Macaca sinica vgl. Dittus 1975; Mayer 1982; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Fairbanks 1988b; für Hanuman-Languren, Presbytis entellus vgl. Blaffer Hrdy 1981; Sommer et al. 1992; für „provisioned“ Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Koyama et al. 1975; McDonald Pavelka & Fedigan 1999; Takahata et al. 1995; für die Schimpansen der Mahale-Berge, Pan troglodytes vgl. Takahata et al. 1995; siehe aber auch Emery Thompson et al. 2007). Untersuchungen, die an in Gefangenschaft lebenden Tieren durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass das Ende des Lebenszyklusses weiblicher Primaten mit einem irregulären, verlängerten Menstruationszyklus, einem reduzierten Östrogenlevel und immer länger werdenden Geburtenintervallen einhergeht. In einigen Fällen konnte auch ein Einstellen der Ovulation beobachtet werden (für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. Gould et al. 1981; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Graham et al. 1979; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Sade et al. 1976; Small 1984; für Berberaffen, Macaca sylvanus vgl. Paul et al. 1993). Interessant ist auch, dass das Muster der Menstruationsblutung und die Hormonzusammensetzung im Serum von Makaken im dritten Lebensjahrzehnt, mit der, peri- und postreproduktiver Frauen vergleichbar sind (vgl. Hodgen et al. 1977). Weibliche Elefanten (Loxodonta africana) reproduzieren, wenn auch mit einem ansteigenden Geburtenintervall und abnehmendem Erfolg, bis an ihr Lebensende. Die Fruchtbarkeit hat im Alter von 30 bis 40 Jahren ihren Höhepunkt erreicht und fällt dann mit dem Älterwerden immer mehr ab. Laws et al. (1975, S. 161 u. 218) schreiben, dass damit bei Elefanten – im Vergleich der Daten aus freier Wildbahn – das nächstliegende Gegenstück zur Menopause des Menschen zu finden sei. Sie begründen das damit, dass die Großmutter, wie beim Menschen, ein integraler Bestandteil der Gruppe sei und wichtige Führungs- bzw. Fürsorgefunktionen übernimmt. 56
4 Eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen als Voraussetzung für Erziehung Selbst wenn es außerhalb des Menschen keine reguläre postmenopausale Phase gibt,8 heißt das nicht, dass nicht auch bei anderen Tieren, die Großmutter – wie andere verwandte Individuen auch – ihre erwachsene Tochter und deren Junges unterstützen könnte. Die Ergebnisse hierzu sind aber sehr unterschiedlich. Bei indischen Hutaffen (Macaca radiata) hat das Vorhandensein der Großmutter keinen Einfluss auf die Mutter-Jungtier-Beziehung – zumindest, was den Kontakt zum Jungtier betrifft (vgl. Silk 1991). Ebenso hat bei Anubispavianen (Papio anubis) die Anwesenheit der Mutter keinen Einfluss auf das Alter in dem ein Weibchen in die Pubertät kommt, auf ihre Geburtenintervalle, auf erfolgreiche Schwangerschaften oder ob das Jungtier bis zu seinem ersten Geburtstag überlebt (vgl. Packer et al. 1998). Hiraiwa (1981, S. 324) schreibt, dass es bei freilebenden Japanmakaken (Macaca fuscata) eher die Regel sei, dass die Großmutter das Junge ignoriert bzw. sogar aggressives Verhalten zeigt. Er konnte aber ebenso Einzelfälle beobachten, in denen sich die Großmutter, bei vorübergehender Abwesenheit der Mutter, um das Jungtier kümmerte (siehe dazu auch Nakamichi et al. 2010). Andererseits ist der Reproduktionserfolg der Grünen Meerkatzenweibchen (Cercopithecus aethiops), deren eigene Mutter in derselben Gruppe lebt, höher als der, der Weibchen ohne Mutter. Sie bekommen signifikant mehr Junge und die Jungtiersterblichkeit ist geringer (vgl. Fairbanks & McGuire 1986). Auch Paul (2005) fasst zusammen, dass sich die Großmutter bei Primaten, ob sie sich nun noch reproduziert oder nicht, um das Enkel kümmert, es toleriert und unterstützt; und das in einem unerwartet hohen Maße. Elefanten (Loxodonta africana) sind ein klassisches Beispiel dafür, dass ältere Tiere Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die sie im Laufe ihres Lebens ansammeln konnten, an ihre Jungtiere und Enkel weitergeben (vgl. z.B. McComb et al. 2001). Weibliche Elefanten leben in ausgedehnten Familieneinheiten – einem Matriarchat (vgl. z.B. Laws et al. 1975, S. 159). Erwachsene Weibchen assistieren ihren Töchtern bei der Geburt ihres ersten Jungen. Sie verhalten sich gegenüber jüngeren Schwestern oder Nichten wie die eigenen Eltern (vgl. Douglas-Hamilton & Douglas-Hamilton 1976; Laws et al. 1975, S. 204-227). Untersuchungen weisen darauf hin, dass für Gruppenentscheidungen ältere Individuen essentiell sind (vgl. McComb et al. 2011). Ihr Wissen beeinflusst die ganze Gruppe. Auch bei Löwen (Panthera leo) ist die Wurfgröße oder das Überleben der Jungen bis zum ersten Lebensjahr unabhängig davon, ob die Mutter der Mutter tot ist oder noch lebt und sich in einer postreproduktiven Phase befindet. Das Überleben der Jungen wird 8
Für einen Überblick zur Menopause im Tierreich siehe auch Austad (1994; 1997).
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5 Lernen und Lehren allerdings durch die Anwesenheit einer sich reproduzierenden Mutter beeinflusst – zurückzuführen auf eine bessere Versorgung mit Milch, da auch die Enkel gesäugt werden (vgl. Packer et al. 1998). Weibchen des Östlichen Grauen Riesenkängurus (Macropus giganteus), deren Mutter oder auch Schwester in der gleichen Population lebt, sind bei der Aufzucht ihrer ersten beiden Jungen erfolgreicher als Weibchen ohne Verwandte in der Gruppe; danach verschwindet der Einfluss (vgl. Jarman 1994). Zusammenfassend kann bisher gesagt werden, dass sich vor allem Wirbeltiere und hier besonders Vögel und Säugetiere für eine detailliertere Betrachtung eignen. Besonders die Säugetiere weisen eine enorme Bandbreite an Interaktionen von Individuen verschiedener Generationen auf. Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf die Säugetiere. Für die Säugetiere – und hier besonders die Primaten – kann außerdem ganz klar gesagt werden, dass für eine normale Entwicklung des Jungen, alle in der Gruppe lebenden Individuen, von Bedeutung sind. Suomi (1982) schreibt (S. 242): „[Different] individuals in an infant’s social network might fulfill different roles in the process of socialization. For example, mothers might serve primarily as caretakers, peers might serve as individuals with whom emerging social behavior patterns can be practiced and perfected, while other adults might serve both as social models and as ‘enforcers’ of group ‘rules’” (siehe auch Mitchell 1970, S. 211; Mason 1965, S. 31; Jay 1962, S. 468).
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5 Lernen und Lehren
5 Lernen und Lehren Einem wesentlichen Punkt eines materialen Verständnisses des Erziehungsbegriffs liegt die Frage zugrunde, wie erzogen wird. Lernen und Lehren sind dabei als die zentralen Elemente. Lernen ist eine Voraussetzung dafür, dass Lehren und damit Erziehung stattfinden kann. Treml (2004b) schreibt (S. 97): „Lernen ist die (empirische) Bedingung der Möglichkeit von Erziehung, denn Erziehung nimmt Einfluss auf das Lernen. Es gibt deshalb wohl Lernen ohne Erziehung, aber es kann keine Erziehung ohne Lernen geben.“ Dass Tiere – zumindest Wirbeltiere – lernfähig sind, steht außer Frage. Lernfähigkeit allein ist aber noch keine Erziehung, „denn diese [gemeint ist die Erziehung] impliziert eine soziale Zuwendung, zumindest aber ein soziales Arrangement von Umwelterfahrungen, das der Anregung von Lernprozessen dient“ (Treml 2004b, S. 133). Zu den Methoden der Erziehung gehört also nicht nur das Lernen, sondern immer auch irgendeine Form aktiven Verhaltens von Seiten des Erwachsenen, was als Lehren bezeichnet werden kann. Im Folgenden werden diese beiden Prozesse genauer erläutert.
5.1 Soziales Lernen Je nach Kontext des Lernens kann man individuelles und soziales Lernen unterscheiden. Individuelles Lernen ist ein Lernen, das weitestgehend ohne äußeren Einfluss stattfindet. Ein Individuum lernt z.B. durch Versuch und Irrtum, eigenständig eine Lösung für ein Problem zu finden. Da beim Erziehen immer mehrere Individuen beteiligt sind bzw. eine Interaktion stattfindet, ist diese Variante des Lernens von untergeordneter Bedeutung. Soziales Lernen hingegen meint eine Veränderung des Verhaltens, die zumindest z.T. auf der Beobachtung des Verhaltens eines anderen Individuums beruht (vgl. z.B. Box 1984, S. 212 ff. u. siehe Abb. 4). Nach Box & Gibson (1999, S. x) bezeichnet es „the social transfer of information and skills among individuals – most usually of the same species.” Im einfachsten Fall lernt ein Individuum einfach dadurch, dass es ein anderes begleitet. Das Verhalten der Anderen erlaubt dem Lernenden, Erfahrungen zu sammeln und Ressourcen zu begegnen, die ihm sonst verwehrt geblieben wären. Durch ihr Verhalten erlauben die anderen Individuen dem Lernenden, zu lernen (vgl. z.B. Fragaszy & Perry 2003, S. 8). Um aber von Erziehung sprechen zu können, ist ein aktives Verhalten gegenüber dem Jungen nötig. Soziales Lernen allein ist noch keine Methode des Erziehens. Für diese Arbeit ist es aber insbesondere aus drei Gründen von Bedeutung: (1) Soziales Lernen ist 59
5 Lernen und Lehren die Voraussetzung dafür, dass Lehren stattfinden kann, (2) in vielen Fällen weiß man nicht, ob es eine Verhaltensänderung von Seiten des erwachsenen Individuums gab – es könnte sich also durchaus um Lehren handeln, man hat es nur nicht feststellen können – und (3) das Ergebnis des sozialen Lernens und das des Lehrens ist das gleiche: Gruppentypische Verhaltensweisen werden von Generation zu Generation weitergegeben. Das lernende Individuum verhält sich irgendwann so wie die Individuen, von denen es gelernt hat. Die Bezeichnung „soziales Lernen“ bezieht sich auf den Kontext, nicht auf den Mechanismus des Lernens (vgl. Fragaszy & Perry 2003). Es können verschiedene Formen des sozialen Lernens unterschieden werden. (1) Social facilitation „Social facilitation” kann als eine Art „ansteckendes” Verhalten beschrieben werden, bei dem ein Verhalten, das im Repertoire des Individuums bereits vorhanden ist – ein meist mehr oder weniger instinktives Verhaltensmuster – durch ein anderes Individuum ausgelöst oder in Häufigkeit oder Intensität erhöht wird (siehe Abb. 4). Als Ergebnis kann ein bestimmtes Verhalten von der gesamten Gruppe gezeigt werden (vgl. Thorpe 1963, S. 133; siehe auch Clayton 1978; Fraser & Broom 2007; Galef 1992; Mason 1965, S. 515; Nishida 1987, S. 471 f.; Zajonc 1965). (2) Local enhancement und stimulus enhancement „Local enhancement“ bzw. „stimulus enhancement“ bezeichnen einen speziellen Fall von „social facilitation“ und meinen eine scheinbare Nachahmung, die daraus resultiert, dass die Aufmerksamkeit eines Tieres, durch das Verhalten eines anderen Tieres, auf ein bestimmtes Objekt („stimulus“) oder einen bestimmten Teil der Umwelt („local“) gelenkt wird (siehe Abb. 4). Das Verhalten an sich wird eigenständig durch Versuch und Irrtum gelernt (vgl. Thorpe 1963 S. 134; siehe auch Beck 1980 S. 163; Bernstein 2000, S. 377; Byrne 1995 S. 56; Boesch & Tomasello 1998, S. 598; Galef 1992; Inoue-Nakamura & Matsuzawa 1997; Jaeggi et al. 2010; Klopfer 1959, S. 283; Nishida 1987, S. 472; Spence 1937; Whiten & Ham 1992, S. 249). (3) Imitieren Eine weitere, wichtige Form des sozialen Lernens ist das Imitieren (siehe Abb. 4). Auch wenn es mittlerweile – nicht zuletzt durch die Beschäftigung vieler, unterschiedlicher Disziplinen mit diesem Thema – sehr vielfältige Bezeichnungen für verschiedene For60
5 Lernen und Lehren men des Imitierens gibt (vgl. z.B. Galef 1988b, S. 10 f.9), ist echtes Imitieren im Wesentlichen das Nachahmen eines neuen oder anderweitig unwahrscheinlichen Verhaltens, für das es eindeutig keine instinktive Tendenz gibt (vgl. Thorpe 1963, S. 135, Nishida 1987, S. 472; Beck 1980, S. 163). Häufig wird betont, dass zum echten Imitieren sowohl das Nachahmen der Verhaltenssequenz als auch des beabsichtigten Ergebnisses gehört (vgl. z.B. Boesch & Tomasello 1998, S. 599). (4) Emulation Vor allem im Kontext der Primatenforschung wurde „emulation“ als ein weiterer Term zur Beschreibung von Lernprozessen eingeführt (siehe Abb. 4). Im Gegensatz zum Imitieren wird bei „emulation“ nur das Ziel oder Ergebnis der Handlung kopiert, nicht aber die Handlungssequenz an sich (vgl. Tomasello 1990, S. 284). Im genauen Wortlaut heißt das: „The process whereby an individual observes and learns some dynamic affordance of the inanimate world as a result of the behavior of other animals and then uses what it has learned to devise its own behavioral strategies is called emulation learning” (Boesch & Tomasello 1998, S. 598; siehe auch Tomasello 1996b, S. 320 ff.; Byrne 1995, S. 59). Ähnlich ist auch das von Byrne benutzte „programme-level imitation“ zu verstehen. Byrne & Byrne (1993) untersuchten das Futterverhalten der Berggorillas und konnten zeigen, dass es hierarchisch organisiert ist. Die Komplexität des Verhaltens führte die Autoren zu der Annahme, dass die Technik nur durch Beobachtungslernen erlangt werden könne. Jedes Individuum hat aber einen spezifischen Weg bzgl. der einzelnen Schritte. So werden z.B. von verschiedenen Individuen unterschiedliche Handgriffe benutzt, um an das gleiche Ziel zu gelangen. Um diese Variante des Lernens zu beschreiben, entwickelte Byrne (1995, S 69 ff.) das Konzept der „programme-level imitation“. Byrne & Russon (1998, S. 676) definierten „programme-level imitation“ dann als „copying the structural organization of a complex process (including the sequence of stages, subroutine structure, and bimanual coordination), by observation of the behavior of another individual, while furnishing the extract details of actions by individual learning.”
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“We now have available (in addition to imitation, intelligent imitation, reflective imitation, instinctive
imitation, and pseudo-imitation), true imitation, allelomimetic behavior, mimesis, protoculture, tradition, contagious behavior, social facilitation, local enhancement, marched dependent behavior, stimulus enhancement, vicarious conditioning, observational conditioning, copying, modeling, social learning, social transmission, and observational learning, to mention but some of the more visible terms.”
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5 Lernen und Lehren (5) Ontogenetic ritualization Vor allem beim Erlernen kommunikativer Verhaltensweisen scheint ein weiterer Lernprozess, der als „ontogenetic ritualization“ (Boesch & Tomasello 1998, S. 600; Tomasello & Call 1997, S. 301; Tomasello et al. 1997b) oder auch „conventionalization“ (Smith 1977, S. 327; Tomasello et al. 1985) bezeichnet wird, entscheidend zu sein. Bei diesem Prozess bildet sich ein kommunikatives Signal durch eine wiederholte soziale Interaktion der Individuen. Bei diesem Prozess ahmt ein Individuum das andere aber nicht nach; es handelt sich also nicht um Imitieren.10
5.2 Lehren Im Gegensatz zum Lernen wird dem Lehren nur sehr einseitig Aufmerksamkeit geschenkt. Sowohl Biologen als auch Pädagogen oder Erziehungswissenschaftler beschäftigen sich eingehend mit der Thematik des Lernens; Lehren ist zwar Gegenstand von Pädagogik, Psychologie oder Erziehungswissenschaft, findet in der Biologie aber kaum Beachtung – zumindest soweit, dass es in Lehrbüchern thematisiert würde.11 Das ist verwunderlich, denn Lehren ist unter evolutionstheoretischen bzw. soziobiologischen Gesichtspunkten ein interessanter Sachverhalt. So schreibt z.B. Bonner (1983, S. 136): „Im Hinblick auf ihr Bestreben, ihre Gene in zukünftigen Generationen weiterleben zu lassen, ist es für Eltern von Vorteil, sich so viel wie möglich um ihre Nachkommen zu kümmern und über ihr Wohlergehen zu wachen. Dies ist der erste Schritt im Laufe der Evolution in Richtung Lehren.“ Lehren von Seiten der Eltern kann die Überlebenswahrscheinlichkeit der Jungen erhöhen, ist für sie aber gleichfalls mit Kosten verbunden. Es ist sowohl unter phylogenetischen als auch ökologischen Gesichtspunkten spannend zu fragen, welche Arten in der Lage sind zu lehren und unter welchen Bedingungen Lehren von Vorteil ist.
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Zur Diskussion der verschiedenen Begriffe des sozialen Lernens siehe auch Galef 1988b; Mitchell 1989;
Whiten 2000a; Whiten 2000b; Whiten & Ham 1992. 11
Eine frühe Ausnahme ist Lloyd Morgan (1930), der sich fragte, ob Schwalben das Fliegen gelehrt be-
kommen (S. 120): „Do the parent birds, under normal circumstances, teach their offspring to fly; and, if so, in what sense of the word ‘teach‘?“
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5 Lernen und Lehren
5.2.1 Wie kann man Lehren beschreiben? Um der Frage nachgehen zu können, ob Tiere lehren, muss zunächst geklärt werden, was unter Lehren zu verstehen ist. Bonner (1983, S. 137) spricht von „Lehren […], wenn ein Elternteil seinen Nachkommen zur Verteidigung oder Nahrungssuche und -aufnahme anleitet.“ Krebs (2004, S. 54) spricht etwas differenzierter von Unterweisung, wenn das Elterntier Verhaltensweisen zeigt, „die erkennbar auf das erleichterte Erlernen einer umschriebenen Aufgabe für das Jungtier bezogen sind. Diese elterlichen Verhaltensweisen stimulieren, korrigieren oder stützen das Verhalten des Jungtieres.“ Im Gegensatz zum sozialen Lernen ist Lehren ein Verhalten, das mit einer Änderung des Verhaltens von Seiten des Lehrers verbunden ist. Der Lehrer zeigt irgendeine Form von nicht zufälligem, aktivem Verhalten gegenüber dem Schüler (siehe z.B. auch Caro & Hauser 1992; King 1991; Nishida 1987, S. 471). In Bezug auf die zugrunde liegenden kognitiven Mechanismen kann dieses aktive Verhalten auf eine Intention von Seiten des Lehrers zurückgeführt werden. Der Lehrer will dem Schüler bestimmtes Wissen oder eine bestimmte Fähigkeit vermitteln. Er hat ein ganz bestimmtes Ziel, dessen er sich bewusst ist. Im Idealfall reflektiert der Lehrer das Verhalten des Schülers und passt sein Lehren den bestehenden Kenntnissen oder Fähigkeiten des Schülers an. Das lehrende Individuum muss eine Vorstellung davon haben, was im Kopf des anderen Individuums vor sich geht, was es weiß oder auch nicht weiß (Boesch & Tomasello 1998, S. 601; Cheney & Seyfarth 1990, S. 233; Tomasello & Call 1994, S. 290). Im Folgenden wird diese Form des Lehrens als „intentionales Lehren“ bezeichnet12 (siehe Abb. 4). Definiert man Lehren auf diese Art und Weise, ist es gleichzusetzen mit der Frage nach einer „theory of mind“, der Fähigkeit zu „mental state attribution“ oder Perspektivenübernahme (Cheney & Seyfarth 1990, S. 302; Krachun 2002, S. 7; Povinelli & O'Neill 2000, S. 481; Povinelli & Vonk 2003; Seyfarth & Cheney 1993, S. 211). Ob Tiere diese Fähigkeit besitzen, ist sehr umstritten bzw. kann nicht einfach mit ja oder nein beantwortet werden. Verschiedene Experimente kommen z.T. zu sehr widersprüchlichen Ergebnissen. In der Mehrzahl der Versuche kann Tieren und besonders den Primaten, eine solche Fähigkeit nicht nachgewiesen werden (siehe z.B. Cheney & Seyfarth 1990, S. 253; Cheney & Seyfarth 1991; Povinelli & O'Neill 2000, S. 481; Povinelli 12
“intentional teaching” (Caro & Hauser 1992), auch „insightful form“, “active teaching” (Boesch & Toma-
sello 1998; Inoue-Nakamura & Matsuzawa 1997, S. 172; Tomasello & Call 1994), „teaching in a strict sense” (Barnett 1973)
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5 Lernen und Lehren & Vonk 2003; Seyfarth & Cheney 1993; Tomasello et al. 1993a). Die meisten Anhaltspunkte dafür, dass Tiere diese Fähigkeit besitzen, kommen aus Experimenten, die die Fähigkeit zur Täuschung untersuchen (Byrne & Whiten 1992; Whiten 1997; Whiten & Byrne 1988b, S. 624).
Abbildung 4: Verschiedene, theoretisch denkbare Formen des Lehrens 64
5 Lernen und Lehren Das größte Problem ist, dass man aus der reinen Beobachtung eines Verhaltens nicht mit Sicherheit schlussfolgern kann, ob sich ein Individuum seines eigenen oder des mentalen Zustandes eines anderen Individuums bewusst ist oder nicht. Diese Herangehensweise und andere Uneindeutigkeiten in Bezug auf den Begriff des Lehrens brachte viele Biologen und Psychologen zu dem Schluss, dass es nur sehr wenige Hinweise auf Lehren im Tierreich gibt (Barnett 1973, S. 393; Box 1984, S. 239 f.; Kawamura 1959, S. 48; Maestripieri 1995b, S. 373; Nicolson 1991, S. 21; Povinelli & O'Neill 2000, S. 481) bzw. das Lehren auf den Humanbereich beschränkt ist (Barnett 1973, S. 393; Premack 1984, S. 26 f.; Tomasello et al. 1993a). Laland & Hoppitt (2003) kritisieren diese Herangehensweise. Lehren würde hier als ein „all-or-nothing phenomenon“ (S. 156) beschrieben. Lehren nur einem Individuum mit einer Intention oder einer „theory of mind“ zuzuschreiben, verschleiere, dass es verschiedene Abstufungen des Lehrens gäbe. Das Ergebnis ist das Fehlen einer befriedigenden Klassifikation oder Terminologie von Lehren im Tierreich. Um dieses Problem zu lösen, kann man verschiedene Stufen der Intentionalität annehmen, wie das z.B. Maestripieri (1995b) getan hat. Er spricht den Tieren (S. 361) „firstorder intentionality“, also die Fähigkeit zu zielgerichtetem Verhalten zu13, aber keine höheren kognitiven Prozesse, wie „attribution of knowledge/ignorance or perspectivetaking.”
13
Maestripieri (1995b) bezieht sich in seiner Einteilung auf Dennett (1998). Dieser unterscheidet (S. 242
ff.): Zero-order intentionality: an agent posses no beliefs or desires, and therefore responds to events and stimuli in the environment through reflexes; such as producing a scream vocalization when frightened or running to evade a predator. First-order intentionality: an agent possess beliefs and desires, but not beliefs about beliefs; such as producing an alarm call because they believe a predator is present, or want others to run into trees. Byrne (1995) gibt dazu ein weiteres Beispiel (S. 120 ff.): For example, primate mothers might have learned that their infants more quickly show the behaviors they want them to show if they themselves perform the behaviors in front of their infants. In this case, the mother would not need to be fully aware of why her infant’s behavior changed in the desired way. Her intention is to change or encourage behavior, not knowledge. Second-order intentionality: an agent possesses mental states about another’s mental states; such as producing an alarm call because they want others to believe there is a predator nearby. Third-order intentionality: an agent possess mental states about another’s mental states about their mental states; such as producing an alarm call because they want others to believe that they think that they should run into the trees (siehe auch Dennett 1983, S. 345 ff.).
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5 Lernen und Lehren Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Kognition des Lehrens auszuklammern und Lehren funktional zu definieren (siehe Abb. 4). Caro & Hauser (1992) erarbeiteten eine Definition von Lehren, die keinen Bezug auf die kognitiven Prozesse nimmt. Es heißt (S. 153): „An individual actor A can be said to teach if it modifies its behavior only in the presence of a naive observer, B, at some cost or at least without obtaining an immediate benefit for itself. A’s behavior thereby encourages or punishes B’s behavior, or provides B with experience, or sets an example for B. As a result, B acquires knowledge or learns a skill earlier in life or more rapidly or efficiently than it might otherwise do, or that it would not learn at all.” Caro & Hauser (1992, S. 151 ff.) meinen, dass Lehren nicht zwingend mit einer komplexen Form der Intentionalität oder der Attribution von mentalen Zuständen verbunden sein muss. Bei ihrer Definition stehen proximate Mechanismen des Lehrens im Vordergrund, die „Kognition des Lehrens“ wird ausgeklammert. Trotzdem wird Lehren als ein aktiver Prozess beschrieben, der an einer Verhaltensänderung des Lehrers sichtbar wird. Sie rechtfertigen ihre Ansicht, das heißt das Ausblenden kognitiver Prozesse, damit, dass Instruktionen oder das Unterrichten auch ohne Annahme einer Attribution der mentalen Zustände eines anderen Individuums, im Selektionsprozess von Vorteil wären. Stehen die evolutionären, ökologischen oder kausalen Aspekte des Lehrens im Vordergrund, würde Intentionalität als Kriterium, der Forschung nur hinderlich sein. Der große Vorteil dieser Art von Definition besteht darin, dass nicht von vornherein der Unterscheid zwischen Mensch und Tier betont wird bzw. von Phänomenen ausgegangen wird, die nur sehr schwer empirisch zu prüfen sind. Ein weites, funktionales Verständnis des Lehrens lenkt den Blick auf eine kontinuierliche, schrittweise Veränderung des Phänomens im Verlauf der Evolution und ermöglicht einen Vergleich der verschiedenen Taxa. Es scheint Erfolg versprechender, wenn es darum geht, ein tiefergehendes Verständnis des Lehrens, in all seinen Schattierungen, zu bekommen. Je nach Art der Verhaltensänderung des Lehrers kann man eine direktive und eine interaktive Form des Lehrens unterscheiden. Bei der direktiven Variante verändert der Lehrer die Situation, um bestimmte Lernprozesse beim Schüler zu fördern oder er bringt den Schüler in eine Situation, die das Lernen anregt (siehe Abb. 4); es kommt aber zu keiner Interaktion zwischen Lehrer und Schüler. Caro & Hauser (S. 67) bezeichnen diese Variante als „opportunity teaching“, Boesch (1991) spricht von „stimulation“ oder 66
5 Lernen und Lehren „facilitation“ (siehe auch Boesch 1996b, S. 416 ff.; 1998, S. 174 ff.; Boesch & BoeschAchermann 2000, S. 214) und Barnett (1973, S. 399) spricht von „encouragement“14 (siehe auch Ewer 1969, S. 698). Bei der interaktiven Variante des Lehrens ändert der Lehrer nicht die Situation, sondern den Schüler (siehe Abb. 4). Bonner (1983, S. 131) schreibt, dass Eltern das Jungtier, wenn dieses nicht schnell genug lernt, „zum Ansporn stupsen, knuffen oder ihm einen aufmunternden Klaps versetzen.“ Caro & Hauser (1992, S. 166) bezeichnen diese Form als „coaching”. Es sei die offensichtlichste Form des Lehrens. Der Lehrer modifiziert dabei direkt das Verhalten des Schülers durch Bestrafung („punishing“) oder Belohnung („encouraging“). Auch Nishida (1987, S. 472) unterscheidet „discouragement” und „encouragement” (siehe auch Maestripieri 1995b). Interaktives Lehren kann also sowohl in einer positiven als auch in einer negativen Variante auftreten. Eine weitere Variante des interaktiven Lehrens ist das von Boesch (1991) beschriebene „active teaching“ (siehe auch Boesch 1996b, S. 416 ff.; 1998, S. 174 ff.; Boesch & Boesch-Achermann 2000, S. 214; siehe Abb. 4). Lehren geschieht hier aber nicht über Belohnung oder Bestrafung, sondern dadurch, dass in die Handlung des Jungen eingegriffen und die richtige Lösung für ein bestimmtes Problem demonstriert wird. Der Lehrer fordert den Schüler auf, sein Verhalten nachzuahmen; er zeigt ihm, wie es geht. Ein wesentliches Element der Definition von Caro & Hauser (1992) ist, dass die Verhaltensänderung nur in Gegenwart des Jungen gezeigt wird. Es soll dabei sichergestellt werden, dass das Verhalten auf das Jungtier bezogen ist und dass es unmittelbar keinem offensichtlich anderen Zweck dient, als dem Jungen etwas zu lehren (siehe auch Thornton & Raihani 2008, S. 1825). Verbietet die Mutter dem Jungen z.B. sich einer potentiellen Gefahrenquelle zu nähern, dient das Verhalten unmittelbar dem Schutz des Jungen und ist deshalb nicht als Lehren zu bezeichnen, auch wenn das Junge mittelbar durch das Verhalten ebenso lernt, was Gefahrenquellen sind. Das Lernen ist in diesem Fall aber ein Nebenprodukt. Wobei anzumerken ist, dass natürlich auch ein Lehren potentieller Gefahrenquellen – also ein Beibringen angemessenen Verhaltens, ohne das akute Gefahr besteht – letztendlich dem Schutz des Jungen dient, aber eben nur mittelbar. Ähnlich verhält es sich mit Bestrafung. Vielfach wird in der Literatur nicht zwischen aggressivem Verhalten gegenüber dem Jungen und Bestrafung im Sinne von Lehren unterschieden (vgl. z.B. Barnett 1968; Clutton-Brock & Parker 1995, S. 209, 211 u. 214). Damit 14
Die Bezeichnung als „encouragement“ ist verwirrend, da auch eine Variante der interaktiven Form des
Lehrens so bezeichnet wird, sie wird im Folgenden im Kontext der direktiven Variante nicht weiter verwendet.
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5 Lernen und Lehren aggressives Verhalten als Bestrafung bzw. Lehren bezeichnet werden kann, darf das bestrafende Individuum nicht zu seinem eigenen Vorteil handeln, also keinen unmittelbaren Nutzen aus dem Verhalten ziehen (siehe z.B. Thornton & Raihani 2008). Attackiert z.B. ein weiblicher Seeelefant ein fremdes Jungtier, das Saugen möchte, hat das Weibchen einen unmittelbaren Nutzen. Es zeigt das Verhalten, um sich selbst Unannehmlichkeiten zu ersparen; es hat dabei keine „pädagogische Intention“ (Cheney & Seyfarth 1990, S. 225; siehe auch King 1991, S. 103). Es handelt sich dann nicht um Lehren, selbst wenn das Jungtier aufgrund dieses aggressiven Verhaltens bestimmte Regeln des sozialen Umgangs in der Gruppe lernt. Handelt es sich allerdings um aggressives Verhalten, das dem Aggressor bzw. Bestrafenden einen verzögerten Nutzen verschafft, der auf ein Lernen beim aggressiv Behandelten bzw. Bestraften zurückgeführt werden kann, kann das aggressive Verhalten als Bestrafung und damit auch als Lehren bezeichnet werden (siehe z.B. Thornton & Raihani 2008).15 Thornton & Raihani (2008) nennen das aggressive Verhalten im Sinne von Bestrafung oder Lehren „training“, um es von anderen Formen des aggressiven Verhaltens abzugrenzen.
5.3 Lernen und Lehren bei verschiedenen Säugetiergruppen Die Lernfähigkeit der Wirbeltiere und insbesondere der Säugetiere ist unumstritten. Sie kann und muss an dieser Stelle nicht für jedes Taxon dargestellt werden. Sie ist bei all diesen Gruppen zumindest so weit ausgebildet, dass eine Voraussetzung für Erziehung gegeben ist. Das was insbesondere dargestellt werden soll, sind die Fälle, in denen ein erwachsenes Tier Einfluss auf das Lernen nimmt – sei dieser ohne Verhaltensänderung (soziales Lernen) oder mit Verhaltensänderung in Bezug auf das Jungtier (Lehren). Von besonderem Interesse ist natürlich der zweite Fall, da nur, wenn auch Lehren stattfindet, von Erziehung gesprochen werden kann (für eine Übersicht siehe auch Tab. A1 im Anhang).
15
Ein Beispiel: Es gibt Vögel, bei denen die älteren Jungtiere regelmäßig die jüngeren und kleineren atta-
kieren, auch wenn keine Ressource da ist, um die man sich streiten könnte (vgl. Drummond 2006, zit. nach Thornton & Raihani 2008). Nach Caro & Hauser (1992) handelt es sich um Lehren, da das Verhalten keinen unmittelbaren Nutzen für den Bestrafer bzw. Lehrer hat, ja sogar mit Kosten verbunden ist. Die Jüngeren lernen dadurch, sich in zukünftigen Interaktionen unterwürfig zu verhalten. Wie beim Lehren wirkt sich das Verhalten irgendwann positiv auf die Fitness des Lehrers aus, zurückzuführen auf die Förderung des Lernens bei einem anderen Individuum.
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5 Lernen und Lehren
5.3.1 Marsupialia, Beuteltiere Da bei dieser Arbeit der Schwerpunkt auf den Säugetieren liegt, darf eine Betrachtung der Beuteltiere nicht fehlen. Diese Gruppe ist wenig untersucht. Sicher nicht aus mangelndem Interesse, sondern vielmehr aufgrund methodischer Schwierigkeiten. Viele Vertreter sind klein, kryptisch und nachtaktiv. Der größte Unterschied zwischen Plazentatieren und Beuteltieren liegt in der Reproduktion. Die Zeitspanne zwischen erster Auseinandersetzung mit der Umwelt und Entwöhnung, also die Zeit, in der soziales Lernen oder Lehren vermehrt stattfinden kann, ist bei Beuteltieren länger als bei Plazentatieren. Die Besonderheiten, die mit einem Aufwachsen im Beutel zusammenhängen, machen diese Gruppe – vor allem auch für Vergleiche – sehr interessant. Bei der Mehrzahl der Beuteltiere zeigt allein die Mutter Fürsorgeverhalten. Bei einigen Arten werden die Jungen recht früh in einem Nest zurückgelassen. Von Zeit zu Zeit kommt die Mutter zum Nest zurück und säugt die Jungen. Später folgen diese der Mutter bei der Nahrungssuche oder erkunden eigenständig ihre Umgebung. Andere Beuteltiertaxa haben jeweils nur einen Nachkommen, der zu Anfang im Schutz des Beutels saugt, dann aber nach und nach immer mehr Zeit damit verbringt, der Mutter unabhängig zu folgen. Diese lange Zeit der Abhängigkeit, verbunden mit einer geringen Möglichkeit zum sozialen Lernen im Erwachsenenalter, aufgrund der geringen Vergesellschaftung unter den Marsupialia, schafft optimale Voraussetzungen für das Jungtier, von der Mutter zu lernen bzw. für die Mutter, zu lehren (vgl. z.B. Higginbottom & Croft 1999). Die diesen Kriterien am ehesten entsprechenden Taxa sind Koalas, Bettongs, Kängurus und Wallabys. Diese Taxa haben einen großen Beutel und ein einzelnes Jungtier, das eine lange Zeit im Beutel verbringt, bis es selbständig laufen kann. Danach folgt es der Mutter oder wird, beim Koala, auf dem Rücken getragen, bis es entwöhnt wird (vgl. z.B. Higginbottom & Croft 1999). Durch diese enge Verbindung lernt z.B. das junge Känguru (Macrocopus) eine angemessene Nutzung der Umwelt und Reaktion auf diese. Soziales Lernen beeinflusst die Auswahl der Nahrung, das Verhalten bei Gefahr oder auch die Auswahl bestimmter Plätze. Beispielsweise lernt das Jungtier, welche Nahrung konsumiert wird, dadurch, dass es sich, während die Mutter frisst, im Beutel befindet und immer, wenn sich diese überbeugt, in sehr engen Kontakt mit dem Boden kommt. Es riecht oder kaut an der Vegeta-
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5 Lernen und Lehren tion oder anderen Objekten in Reichweite (vgl. Higginbottom & Croft 1999, S. 88; Russel 1973)16. Bei einer drohenden Gefahr (wie z.B. beim Ruf eines Vogels oder beim Entdecken eines menschlichen Eindringlings) flieht die Mutter, was ein unmittelbares Fliehen des Jungen zur Folge hat; zeigt die Mutter allerdings keine Anzeichen von Alarm und nur das Junge flieht, geht es gewöhnlich nur eine kurze Distanz und kehrt dann um (für Rotnackenwallabys, Macropus rufogriseus vgl. K. Higginbottom, unveröffentlicht, zit. in Higginbottom & Croft 1999). Das Jungtier lernt dadurch, welche Situationen wirkliche Gefahren darstellen. Die Jungtiere lernen auf den Wanderungen mit der Mutter Futterplätze, Ruheplätze oder Plätze, an denen Jungtiere versteckt werden, kennen. Diese Plätze sind sehr stabil (vgl. Higginbottom & Croft 1999, S. 91). Als Ergebnis nutzen z.B. Rotnackenwallabys als erwachsene Tiere häufiger als erwartet, die Plätze, die auch die Mutter genutzt hat (vgl. K. Higginbottom, unveröffentlicht, zit. in Higginbottom & Croft 1999). Der wahrscheinlichste soziale Lernprozess in diesen drei Fällen ist „local“- bzw. „stimulus enhancement“. Von Lehren kann hier nicht gesprochen werden, da die Mutter kein aktives Verhalten gegenüber dem Jungen zeigt (z.B. bei Auswahl der Nahrung) bzw. das Verhalten unmittelbar einem anderen Zweck dient (z.B. dem Aufsuchen bestimmter Plätze). Die Mutter verändert ihr Verhalten in diesem Fall also nicht in Bezug auf das Jungtier, sondern aus anderen Gründen und das Lernen ist nur ein Nebeneffekt. In anderen Fällen ist Lehren sehr wahrscheinlich, auch wenn im Einzelfall nicht alle Kriterien der Definition von Caro & Hauser (1992) erfüllt sind. Immer wenn die Mutter gegenüber dem Jungtier ein Verhalten zeigt, das offensichtlich keinem unmittelbar anderen Zweck dient, handelt es sich vermutlich um eine Art von Lehren. Die Mutter unterrichtet das Junge darin, in den Beutel zurückzukehren, ihr zu folgen oder Hindernisse zu überqueren. Im Allgemeinen kehren junge Kängurus in den Beutel zurück, wenn die Mutter das entsprechende Signal gibt. Stuard-Dick (1987, zit. nach Higginbottom & Croft 1999, S. 89) spricht davon, dass dieses Verhalten beim Östlichen Grauen Riesenkänguru (Macrocopus giganteus) aktiv trainiert wird. Er begründet dies damit, dass das Verhalten auch gezeigt wird, wenn es keine offensichtliche, unmittelbare Funktion hat; es wird häufig wieder16
Auch später, während der „young-at-food“ Periode toleriert die Mutter das fressende Jungtier wesent-
lich näher bei sich, als sie andere Artgenossen tolerieren würde. Sie fressen häufig mit ihren Köpfen sehr nah beieinander, was dem Jungtier ermöglichen könnte, das Fressen der geeigneten Nahrung zu erlernen (vgl. Higginbottom & Croft 1999, S. 88).
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5 Lernen und Lehren holt und die Zeit, die sich das Junge außerhalb des Beutels befindet, nimmt zu. Während dieser Aktion ist die Aufmerksamkeit der Mutter auf das Junge gerichtet. Ein ähnliches, wenn auch weniger intensives Verhalten, kann auch bei Rotnackenwallabys (Macropus rufogriseus) beobachtet werden (vgl. K. Higginbottom, unveröffentlicht, zit. in Higginbottom & Croft 1999). Auch wenn das Jungtier offensichtlich dazu veranlagt ist, der Mutter zu folgen, benutzt die Mutter häufig bestimmte Rufe, um ihr Junges zum Nachlaufen zu animieren, während sie wartet und erst weiter hüpft, wenn das Junge sie eingeholt hat (vgl. R. I. StuartDick, persönl. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999, S. 89; K. Higginbottom, unveröffentlicht, zit. in Higginbottom & Croft 1999, S. 89). Beim Östlichen Grauen Riesenkänguru (Macrocopus giganteus), dem Riesenkänguru (Macropus rufus) und dem Derbywallaby (Macropus eugenii) kann diese Verhaltensabfolge auch beobachtet werden, wenn es für die Mutter keinen offensichtlichen Grund gibt, sich fortzubewegen (vgl. R. I. Stuart-Dick, persönl. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999, S. 89). Auch wenn es einen alternativen, einfacheren Weg gibt, springen Mütter des Östlichen Grauen Riesenkängurus häufig über Hindernisse (wie z.B. einen Baumstamm). Anschließend wartet die Mutter und bringt ihr Junges durch Rufe dazu, ihr zu folgen (vgl. R. I. Stuart-Dick, persönl. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999, S. 89). Es handelt sich bei diesen drei Fällen also um die interaktive, positive Form des Lehrens. Die Mutter animiert das Junge, bestimmte Verhaltensweisen zu zeigen. Das Verhalten ist für die Mutter mit Kosten verbunden oder hat keinen unmittelbaren Nutzen. Die Frage, ob Jungtiere, die keine Instruktion erhalten, das entsprechende Verhalten nicht oder später lernen, kann aus diesen Beobachtungen aus freier Wildbahn nur schwer geschlussfolgert werden. Ein solcher Einfluss wird aber durch Experimente und andere Studien nahegelegt. Per Hand aufgezogene Kängurus passieren, im Vergleich zu ihren in freier Wildbahn aufgewachsenen Artgenossen, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit unbekannte Zäune – ein übliches Hindernis in der Gegend, in die die Tiere entlassen werden – und wählen seltener besonders nahrhafte Grasarten (vgl. Campbell 1994, zit. nach Higginbottom & Croft 1999, S. 93). Auswilderungen in Gefangenschaft aufgewachsener Tiere sind oft nicht erfolgreich, da die Tiere ihren Prädatoren erliegen (vgl. z.B. Serena 1995, zit. nach Higginbottom & Croft 1999, S. 93). Für Rotnackenwallabys (Macropus rufogriseus, vgl. K. Higginbottom, unveröffentlicht, zit. in Higginbottom & Croft, 1999) und Östliche Graue Riesenkängurus (Macrocopus giganteus, vgl. R. I. Stuart-Dick, persönl. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999) ist auch direktives Lehren beschrieben. Die Tiere gehen mit ihren Jungen auf außergewöhnlich 71
5 Lernen und Lehren lange Touren, die sie entlang ihrer Reviergrenze führen, ohne dass es dafür einen offensichtlichen Grund gäbe. Da das Verhalten am Ende der Phase des intensiven MutterJungtier-Verbandes gezeigt wird, erweckt es den Eindruck einer endgültigen Eingewöhnung in das Gebiet.
5.3.2 Placentalia, Plazentatiere 5.3.2.1 Lagomorpha, Hasentiere Hasentiere haben eine relativ hohe Fortpflanzungsrate und bringen Würfe mit vielen, nackten Jungtieren zur Welt, deren Augen zu Beginn noch geschlossen sind (Nesthocker). Der Wurf liegt meist in einem geschützten Nest in einem Bau. Auch wenn bei einem Nesthockerdasein, durch eine, im Vergleich zum Nestflüchter, längere Abhängigkeit von der Mutter, im Prinzip optimale Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass Lernen und Lehren stattfinden können, ist das bei den Hasentieren nicht der Fall. Die Jungen sind die meiste Zeit allein im Nest und werden von der Mutter nur zum Säugen aufgesucht (für Schneehasen, Lepus arcticus, L. othus, L. timidus vgl. Klein 1999; für das Europäische Kaninchen, Oryctolagus cuniculus vgl. Hudson et al. 1999). Beim Europäischen Kaninchen sind diese Besuche sehr kurz (3-4 Minuten). Das Weibchen stellt sich dabei einfach über die Jungen und unterstützt sie auch sonst in keiner Weise. Anschließend verlässt sie die Jungen für einen weiteren Tag. Die Jungen werden nicht gewärmt, gesäubert oder in das Nest zurückgetragen, wenn sie sich entfernt haben (vgl. Hudson et al. 1999). Die Möglichkeiten von der Mutter zu lernen sind damit extrem eingeschränkt. Nicht vergessen werden darf aber eine für den Menschen wesentlich weniger sichtbare Form der Kommunikation über das olfaktorische System. Das „nipple-search“-Pheromon steuert beispielsweise das Saugverhalten der Jungen. Über olfaktorische Hinweisreize könnten z.B. durch die Nahrung, die die Mutter während Schwangerschaft und Stillzeit zu sich nimmt, Futterpräferenzen bei den Jungtieren hervorgerufen werden. Ein aktives Verhalten von Seiten der Mutter, also Lehren, ist allerdings sehr unwahrscheinlich (vgl. Hudson et al. 1999). Genauere Mechanismen oder Inhalte, die über das olfaktorische System übertragen werden, sind noch weitestgehend unbekannt.
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5 Lernen und Lehren
5.3.2.2 Rodentia, Nagetiere Unter den Nagetieren ranken sich vor allem um die Ratten sehr alte Mythen. Sie würden ihren Jungen zeigen, wo Futter zu finden ist und sie sogar vor vergifteten Ködern warnen. Wie in den meisten Fällen steckt in solchen Gerüchten ein wenig Wahrheit, die Einzelheiten sind dann aber doch weniger mysteriös. Galef & Clark (1971) kommen zu dem Ergebnis, dass junge Ratten (Rattus norvegicus) auf ihren ersten Streifzügen außerhalb des Nestes dazu neigen, anderen, älteren Ratten, zu folgen. Die älteren Ratten haben bereits, aufgrund von Erfahrung beim Fressen verschiedener Nahrung, bestimmte Konsumgewohnheiten entwickelt. Die Jungen werden dann dementsprechend bei ihrer eigenen Futterwahl beeinflusst. Barnett (1973) hebt besonders die Bedeutung des Folgeverhaltens hervor und schreibt (S. 396): „This is neither imitation by the young, nor teaching by elders, but is a consequence of following.” Im Kontext dieser Arbeit kann dieser Prozess dem „local“- bzw. „stimulus enhancement“ zugeordnet werden. Flandera & Novakova (1975) berichten von einer beschleunigten Entwicklung des Mäusetötens bei Rattenjungen (Rattus norvegicus), deren Mütter in ihrer Gegenwart Mäuse getötet hatten. Rattenjungtiere, die bei einer Mutter aufwuchsen, die vermehrt Mäuse tötete, töteten im Vergleich zu Jungtieren, die bei einer Mutter aufwuchsen, die keine Mäuse tötete, mit einer größeren Wahrscheinlichkeit später selbst Mäuse. Ab einem Alter von 30 Tagen ist ein solcher Effekt aber nicht mehr nachweisbar. Alle Ratten töteten ab diesem Alter Mäuse, auch wenn sie vorher keine Erfahrung damit gemacht haben. Galef (1996) konnte keinen Einfluss der Mutter auf das Tötungsverhalten der Jungen finden. Zwei Rattenweibchen bekamen Junge und er tauschte jeweils die Hälfte des Wurfes aus. Der Mutter des einen Wurfes wurde gelegentlich eine Maus gegeben und die Jungen zeigten großes Interesse an den Jagdaktivitäten der Mutter. Der andere Wurf wuchs ohne Erfahrung mit Mäusen auf. In einem anschließenden Test wurde das Verhalten der Ratten gegenüber Mäusen untersucht und es gab keine Unterschiede der beiden Gruppen. Es ist nicht eindeutig klar, zu welchem Zeitpunkt Galef den abschließenden Test durchführte. Ab einem Alter von 30 Tagen konnte auch bei Flandera & Novakova (1975) kein Unterschied mehr zwischen den beiden Gruppen nachgewiesen werden. Lehren kann in diesen Fällen ausgeschlossen werden, da die Mutter kein aktives Verhalten gegenüber den Jungen zeigte. Vielmehr konsumierte sie die ihr gegebene Beute ohne auf die Jungen zu achten. Andererseits zeigen die Jungen ein sehr großes Interesse am Jagdverhalten ihrer Mutter. Sie folgen ihrer Mutter, wenn sie eine Maus jagt, schauen zu, wie sie diese tötet, ergreifen den Körper der Maus und fressen auch davon. Insofern den 73
5 Lernen und Lehren Jungen dadurch die Möglichkeit gegeben wird, eigenständig zu lernen, könnte das Verhalten durch soziales Lernen oder genauer „stimulus enhancement“ erlernt werden. Sollte es aber wirklich so sein, dass auch eine Ratte, die niemals das Töten von Mäusen beobachtet hat, sehr gut Mäuse töten kann, sind soziale Lernprozesse nicht nötig, damit sich das Verhalten entwickelt. Eine Untersuchung, die etwas spezieller das Lehren der Tiere untersuchte, wurde von Galef et al. (2005) durchgeführt. Er prüfte, ob die Mütter ihre Futterwahl ändern, um ihre Jungen zu lehren. Er gab erwachsenen Ratten (Rattus norvegicus) zunächst zwei verschiedene Arten von Futter – eine genießbare und eine ungenießbare Variante. Im eigentlichen Experiment wurden den Jungtieren diese beiden Futtervarianten vorgesetzt. Die Mütter bekamen eine zusätzliche, besonders schmackhafte Art von Futter. Diese Mütter verwendeten – im Vergleich zur Kontrollgrupe, die nicht auf eine ungenießbare Futtervariante trainiert wurde – nicht mehr Zeit, um in Gegenwart ihrer Jungen das genießbare Futter zu fressen, sondern fraßen das besonders schmackhafte Futter. Die Mütter zeigten also kein Verhalten, das die Jungen bei der Wahl der Nahrung hätte beeinflussen können. Zur Gültigkeit dieser Ergebnisse sollte einschränkend erwähnt werden, dass der Versuchsaufbau insgesamt sehr unnatürlich war und den Müttern nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Verfügung standen, den Jungen bei der Wahl genießbaren und ungenießbaren Futters zu helfen (für weitere Versuche, die beschreiben, wie die Tiere lernen, welche Nahrung gefressen wird, siehe auch Galef 1988a; 1990; Laland & Plotkin 1991; Posadas-Andrews & Roper 1983). Eine Rattenpopulation (Rattus rattus) von Jerusalem hat sich angewöhnt, Piniensamen als Nahrung zu nutzen (siehe S. 224 f.). Die Frage ist, welche Lern- oder Lehrmechanismen an der Aneignung dieses Verhaltens beteiligt sind. Aisner & Terkel (1992) untersuchten experimentell die Entwicklung des Zapfenöffnens und fanden heraus, dass nur Jungtiere, nicht aber erwachsene Tiere die Technik des Öffnens erlernen können, indem sie erfahrene Individuen dabei beobachten, wie diese mit den Zapfen umgehen. „Social transmission“ (genauer „social facilitation“) sei dafür verantwortlich, dass die Technik von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die Jungtiere sind dabei, wenn die Mutter die Zapfen öffnet, sie klauen der Mutter Samen und teilweise geöffnete Zapfen. Sie lernen durch „trial and error“ die genaue Technik. Es handelt sich also um „local“bzw. „stimulus enhancement“ (siehe auch Terkel 1996; Zohar & Terkel 1991). Zusammenfassend kann man sagen, dass Ratten außergewöhnlich gute Fähigkeiten zum sozialen Lernen haben, Lehren – also eine aktive Beeinflussung dieses Lernens – von Seiten der Mutter oder anderer Erwachsener aber sehr unwahrscheinlich ist. 74
5 Lernen und Lehren Previde & Poli (1996) untersuchten im Experiment an Goldhamstern (Mesocricetus auratus), ob eine bestimmte Technik, um an Futter heranzukommen – Zähne und Vorderpfoten benutzen, um an ein Stück Futter von einer Kette zu entfernen – von der Mutter an die Jungtiere weitergegeben wird. Jungtiere, die mit einer erfahrenen Mutter, die diese Technik benutzte, zusammenlebten, hatten signifikant mehr Erfolg, als Jungtiere, die mit einer Mutter zusammenlebten, die die Technik nicht beherrschte. Welcher Lernmechanismus genau an der Aneignung dieses Verhaltens beteiligt ist, ist schwer zu sagen. Previde & Poli (1996) schreiben, dass die Jungen häufig sehr nah bei der Mutter waren, wenn diese das Futter angelte und z.T. erfolgreich einzelne Bissen ergatterten. Es besteht also die Möglichkeit zum Beobachtungslernen bzw. Imitieren. Auch, dass die Jungen die gleiche Technik – eine für Hamster eher untypische Bewegung – benutzten, wie ihre Mutter, weist auf Imitieren hin. Bei einem Lernen durch „local“- bzw. „stimulus enhancement“ würden die Tiere keine für Hamster so untypische Bewegung zeigen, sondern eine andere, einfachere Technik benutzen. Die Autoren schreiben aber, dass es die Datenlage nicht erlaubt, genauere Aussagen zu den beteiligten Mechanismen zu machen. Lehren ist unwahrscheinlich, da kein aktives Verhalten von Seiten der Mutter beobachtet werden konnte. Freilandbeobachtungen und Laboruntersuchungen zeigen, dass auch bei Mäusen (Mus musculus) soziale Lernprozesse, also das Lernen von anderen, weit verbreitet ist. Natürliches Verhalten, aber auch künstliche Antworten werden durch die Interaktion mit anderen Individuen hervorgerufen. Die Tiere passen sich sehr schnell und effizient an neue Situationen an, indem sie von anderen lernen, wie man bestimmte Probleme löst (vgl. Mainardi & Mainardi 1988; Valsecchi et al. 1993; Valsecchi et al. 1989) oder neue Futterressourcen ausbeutet (vgl. Valsecchi & Galef 1989; für einen Überblick siehe auch Mainardi 1980). Lehren konnte bisher aber nicht nachgewiesen werden. Präriehunde (Cynomy ludovicianus) müssen bestimmte Rufe lernen. Der territoriale Ruf wird von den Gruppenmitgliedern meist dann gezeigt, wenn alles in Ordnung ist. Dieser Ruf ist mit einem bestimmten Sprung assoziiert. Dieser Sprung ist so heftig, dass das Tier z.T. nach hinten überfällt. Bekommt das Tier aber kaum die Füße vom Boden, handelt es sich entweder um ein erwachsenes Tier, das eine Serie von Rufen von sich gibt oder um ein Jungtier, das noch nicht gelernt hat, wie man sich angemessen verhält (vgl. King 1955, S. 73). Mit Sicherheit sind soziale Lernprozesse bei der Aneignung des Verhaltens beteiligt. Dass auch Lehren stattfindet, ist unwahrscheinlich.
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5 Lernen und Lehren
5.3.2.3 Microhiroptera, Fledermäuse Wilkinson & Boughmann (1999, S. 191) beschreiben verschiedene Fälle sozialen Lernens bei Fledermäusen. Nahrungspräferenzen könnten dadurch entstehen, dass die Eltern die Jungen mit Nahrung versorgen. Nächtliche Beobachtungen, in einem ausgehöhlten Baum, brachten ans Tageslicht, dass eine männliche Große Spießblattnase (Vampyrum spectrum) mit einem Rosttäubchen (Columbina talpacoti) zurückkehrte und dieses anschließend mit einem Jungtier teilte (vgl. G. S. Wilkinson, unveröffentlicht, zit. in Wilkinson & Boughmann 1999). Vergleichbar damit, kann beim Gemeinen Vampir (Desmodus rotundus) häufig das Teilen von Futter durch Regurgitation zwischen Weibchen und Jungtieren beobachtet werden (vgl. Wilkinson 1984). Dieses Verhalten könnte den Jungen helfen, den Geschmack und Geruch des Blutes kennenzulernen, welches die Mutter verzehrt. Gemeine Vampire bevorzugen ganz bestimmte Rinder- oder Pferderassen (vgl. Turner 1975). Außerdem fliegen junge Vampirfledermäuse gemeinsam mit ihren Müttern zu den Viehweiden und fressen manchmal sogar von der gleichen Wunde (vgl. Wilkinson 1985, S. 124; Turner 1975, S. 109). Natürlich stellt sich auch hier die Frage, ob die Mutter das Junge einfach nur füttert oder ob sie ein spezifisches Verhalten zeigt, welches beim Jungen bestimmte Nahrungspräferenzen hervorrufen soll; wobei man dann von Lehren sprechen könnte. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um Füttern handelt; auch wenn das Verhalten des Jungen durch das der Mutter beeinflusst wird, handelt es sich nicht um Lehren, sonder nur um Lernen. Fledermäuse migrieren im Kontext der Nahrungssuche und zum Überwintern; ebenso gebären sie an traditionellen Plätzen. Dass die Erwachsenen die Jungtiere in solchen Situationen tolerieren, spricht dafür, dass auch hier soziales Lernen von Bedeutung ist (vgl. Wilkinson & Boughmann 1999, S. 192). Hinweise darauf, dass die Rufe verändert werden, um die Ähnlichkeit innerhalb der Gruppenmitglieder zu erhöhen, liefert die Große Hufeisennase (Rhinolophus ferrumequinum, vgl. Jones & Ransome 1993). Mütter und Jungtiere zeigen mehr Übereinstimmungen, als man erwarten würde. Darüber hinaus verändert sich bei den Weibchen im Laufe ihres Lebens die Frequenz der Rufe; die Rufe der Jungen folgen dem gleichen Muster. Ebenso gibt es Anzeichen dafür, dass Jungtiere der Kleinen Lanzennase (Phyllostomus discolor) bestimmte Kennzeichen des Isolationsrufes ändern, um sich den Richtungsrufen der Mutter anzupassen (vgl. Esser 1994). Esser (1994) meint, dass eine Zunehmende 76
5 Lernen und Lehren Ähnlichkeit zwischen Mutter und Jungtier die individuelle Erkennung beim Wiederfinden erleichtert. Aber auch hier ist wohl nur soziales Lernen und kein Lehren beteiligt.
5.3.2.4 Carnivora, Raubtiere Raubtiere fallen im Vergleich zu vielen anderen Tiergruppen vor allem durch ihre oft spektakulären Jagdtechniken auf. Einiges weist darauf hin, dass diese gelernt und z.T. auch gelehrt werden. Vom Jagen abgesehen, weisen Raubtiere eine enorme Diversität im Sozialverhalten auf. Einige Taxa leben in Rudeln oder Kolonien, ebenso sind einige Vertreter Einzelgänger oder sie leben in Familienverbänden (für einen Vergleich der Canidae und Felidae siehe auch Kleimann & Eisenberg 1973). Es ist spannend zu fragen, wie soziale Struktur und Lehr- bzw. Lernverhalten zusammenhängen.
5.3.2.5 Canidae, Hundeartige Das häufigste Paarungssystem der Hundeartigen ist eine Langzeit-Paarbeziehung. Allerdings gibt es bei den kleineren Arten (z.B. < 6kg) eine Tendenz zur Polygynie, was vielleicht auf eine reduzierte Notwendigkeit der elterlichen Fürsorge zurückgeführt werden kann (vgl. z.B. Moehlman 1989). Bei den anderen Arten erfolgt die Versorgung der Jungen durch beide Eltern und z.T. auch durch Helfer (z.B. Jungtiere eines früheren Wurfes). Im Gegensatz zu vielen anderen Säugetieren ist das Männchen in einem bedeutenden Maße an der Aufzucht der Jungen beteiligt. Die Jungtiere werden mit noch lebender Beute versorgt oder angedaute Nahrung wird erbrochen. Häufig übernimmt das Männchen aber auch noch weitere Aufgaben. Beim Löffelfuchs (Otocyon megalotis) beschützt das Männchen die Jungen und führt sie noch während der Phase des Säugens in das Futtersuchen und Jagen ein, während das Weibchen allein auf Jagd geht (vgl. Nel 1978). Trotz dieser offensichtlich guten Voraussetzungen für soziales Lernen bei Hundeartigen gibt es in der Literatur kaum Beschreibungen, die als soziales Lernen ausgelegt werden können (siehe z.B. Nel 1999, S. 264). Dieser Mangel liegt z.T. sicherlich daran, dass Carnivore – abgesehen von den sozialen – oft nachtaktiv und klein sind. Sie jagen häufig allein oder paarweise in dichter Vegetation, was eine kontinuierliche, direkte Beobachtung schwierig bis unmöglich macht. Für einige Arten (z.B. Rotfüchse, Vulpes vulpes vgl. Macdonald 1980; Dingos, Canis lupus dingo vgl. Corbett 1995; Löffelfüchse, Otocyon megalotis vgl. Nel 1978) gibt es, vor allem im Kontext des Jagens dennoch Hinweise auf direktives und interaktives Lehren. Das 77
5 Lernen und Lehren heißt, die Eltern verändern ihr Verhalten in Gegenwart des Jungen und geben ihnen dadurch die Möglichkeit zu lernen bzw. interagieren dabei mit ihm. Das Verhalten wird entweder durch die Weibchen (bei Rotfüchsen und Dingos) oder die Männchen (bei Löffelfüchsen) gezeigt. Macdonald (1980, S. 196) beschreibt einen Fall, bei dem ein Rotfuchsjungtier (Vulpes vulpes) mit einem „mouse jump” – eine spezielle Jagdtechnik zum Fangen von Mäusen – erfolglos versuchte, einen Regenwurm zu fangen. Daraufhin lief es zu seiner Mutter, um den Regenwurm zu untersuchen, den sie gefangen hatte. Das Jungtier fuhr mit seinen erfolglosen Versuchen fort, bis die Mutter einen dritten Regenwurm fing, ihn aber nicht komplett aus dem Boden zog, sondern straff hielt, bis das Junge ihn von ihr nahm (siehe Abb. 5). Kurz darauf wiederholte sie die Prozedur. Das Jungtier fing nun an, die Technik der Mutter zu nutzen (siehe auch Thornton & Raihani 2008). Es handelt sich damit um interaktives Lehren und zwar um die Variante, die Boesch (1991) als „active teaching“ bezeichnet.
Abbildung 5: Eine Rotfuchsweibchen (Vulpes vulpes) zeigt ihrem Jungen die Jagdtechnik zum Fangen von Regenwürmern (Zeichnung nach einer Abbildung aus MacDonald 1980, S. 196) Sind Dingo Jungtiere (Canis lupus dingo) noch klein, werden sie von Gruppenmitgliedern mit Kaninchen versorgt, die diese entfernt vom Bau gefangen haben (vgl. Corbett 1995, S. 95). Die Kaninchen werden am Bau freigelassen und den jungen Dingos wird die Möglichkeit gegeben, sich ihnen zu nähern und Erfahrungen zu sammeln. Werden die Dingos älter, schleichen sie sich zunächst an die Kaninchen heran und beginnen sie erst auf den letzten Metern zu jagen, als ob sie ein Gefühl hätten, wann die Aussichten auf Erfolg am größten sind. Ein Weibchen konnte dabei beobachtet werden, wie sie den Jungtieren das Heranschleichen beibrachte (vgl. Corbett 1995, S. 96). Sie schlich einige Meter nach vorn 78
5 Lernen und Lehren und wartete, bis die Jungtiere ihr folgten, um die Kaninchen dann erneut zu jagen. Die Jungtiere machten ihr Verhalten nach, indem sie anhielten, wenn sie anhielt und rannten, wenn sie rannte. Ab einem Alter von sechs Monaten begleiten die Jungtiere Männchen, die ihrer Mutter folgen, was darauf hindeutet, dass junge Dingos ihr Jagen und andere Verhaltensweisen weiterentwickeln, indem sie auch das Verhalten der älteren Männchen beobachten. Während der Zeit des Entwöhnens beginnt das Löffelfuchsmännchen (Otocyon megalotis) die Jungtiere in das Jagen einzuführen (vgl. Nel 1978; 1999; Pauw 1997). Bei den Tieren der südwestlichen Kalahari-Wüste gehen die Weibchen in der Zeit, in der sie ihre Jungen noch Säugen für einen z.T. recht langen Zeitraum auf Nahrungssuche. Währenddessen bewacht das Männchen die Jungtiere und führt sie, mit dem Älterwerden, nach und nach weiter vom Bau weg. Das Männchen fängt Beutetiere, wie z.B. Walzenspinnen (Solifugae) und ruft die Jungen mit einem „low whistle“ zu sich. Die Walzenspinne wird freigelassen, woraufhin die Jungen versuchen sie zu fangen. Haben sie keinen Erfolg, wiederholt das Männchen die Prozedur. Nach der Phase der Entwöhnung und der Einführung in das Jagdverhalten, bleiben die Jungen für etwa sechs bis sieben Monate bei ihren Eltern und bilden eine Kernfamilie. Während dieser Phase jagt die Familie gemeinsam als Gruppe, wenn sie auf Termitenjagd („harvester termites“) geht. Entdeckt eines der Tiere einen Termitenbau, werden die anderen mit einem „low whistle“ gerufen. Auf diese Weise wird den Jungen sowohl die Art der Nahrung (Walzenspinnen und Termiten) als auch die Jagdstrategie gezeigt (vgl. Nel 1996, zit. nach Nel 1999). Im ersten dieser beschriebenen Fälle findet wirkliches Lehren (direktiv) statt, da das Männchen dieses Verhalten nur in Gegenwart der Jungtiere zeigt. Beim Jagen von Termiten ist der Fall weniger eindeutig, da das Verhalten unmittelbar einen anderen Grund hat, nämlich den anderen mitzuteilen, wo ein Termitenbau ist. Das Verhalten wird nicht ausschließlich in Gegenwart des Jungen gezeigt; es ist nicht explizit auf das Junge gerichtet. Das Individuum informiert die anderen zwar, es lehrt aber nicht. Das soziales Lernen („local“- bzw. „stimulus enhancement“) stattfindet, steht aber außer Frage. Wie wichtig das Lernen von den Erwachsenen ist, wird immer wieder an missglückten Auswilderungsversuchen deutlich. Sheepers & Venzke (1995) beschreiben diesen Fall für Wildhunde (Lycaon pictus). Mehrmals hintereinander wurde versucht, in Gefangenschaft aufgezogene Wildhunde in den Etosha National Park in Namibia auszuwildern. Die Versuche scheiterten, weil die Tiere nicht in der Lage waren, große Beutetiere zu fangen. Sie verhungerten oder wurden von Löwen getötet. Jagderfolg, angemessenes Verhalten, um sich selbst zu schützen oder das Verjagen anderer Tiere, die die Beute 79
5 Lernen und Lehren streitig machen wollen, sind sozial übermittelte Verhaltensweisen, die die Gesellschaft erfahrener Erwachsener voraussetzen (vgl. z.B. Nel 1999). Aus diesen Beobachtungen lässt sich aber nicht schlussfolgern, welche genauen Lern- oder Lehrmechanismen nötig sind, damit ein bestimmtes Verhalten ausgebildet wird; es kann aber geschlussfolgert werden, dass irgendeine Form von sozialem Lernen nötig ist.
5.3.2.6 Mustelidae, Marderartige Seeotter (Enhydra lutris) leben rund um die Beringsee in Alaska und Russland, auf den Aleuten und an der kanadischen und kalifornischen Pazifikküste. Als Nahrung dienen ihnen Muscheln, Schnecken, Seeigel und Seesterne. Zum Öffnen der hartschaligen Beute schwimmt der Otter auf dem Rücken und schlägt die Beute wiederholt auf einen Stein, der auf seinem Bauch liegt und als Amboss dient (vgl. z.B. Riedman & Estes 1990).17 Diese und weitere Ernährungsgewohnheiten werden von der Mutter an die Jungen weitergegeben. Auch wenn die genauen Lern- bzw. Lehrmechanismen unklar sind, gibt es zahlreiche Hinweise, die auf soziales Lernen und evtl. auch auf Lehren hindeuten. Junge Weibchen wählen aus einem breiten potentiellen Nahrungsspektrum die gleiche Nahrung wie ihre Mutter. Sie benutzen Werkzeug auf die gleiche Art und Weise wie ihre Mutter und auch die Jagdstrategien gleichen sich (vgl. Estes et al. 2003; Riedman et al. 1989 zit. nach Riedman & Estes 1990, S. 35). Diese Übereistimmungen können durch „local“- bzw. „stimulus enhancement“ oder Beobachtungslernen bzw. Imitieren entstehen. Ob nur das Jungtier oder auch die Mutter einen aktiven Part in diesem Aneignungsprozess übernimmt, ist unklar. Es ist beschrieben, wie Jungtiere der Mutter nachtauchen (vgl. Hall & Schaller 1964), was ihnen ermöglichen könnte, durch das Beobachten die verschiedenen Methoden des Sammelns und Öffnens von Nahrung zu erlernen. Aber auch die Mutter zeigt aktives Verhalten gegenüber dem Jungen. Normalerweise beschaffen sich Jungtiere ein Stück Muschelfleisch, indem sie von dem Stück, das die Mutter in den Vorderpfoten hält, etwas abbeißen. In einigen Fällen konnte jedoch beobachtet werden, wie eine Mutter ein großes Stück Muschelfleisch abbiss, die Schale auf ihrem Bauch ruhen ließ und dem Jungen das Fleisch mit der Vorderpfote gab (vgl. Hall & Schaller 1964). Das war ein positiver Akt des Futtergebens, der dazu dienen könnte, dem Jungtier geeignete Nahrung zu zeigen; es könnte sich aber auch einfach nur um Füttern gehandelt haben.
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siehe auch: http://www.arkive.org/sea-otter/enhydra-lutris/video-ne08b.html
80
5 Lernen und Lehren Estes et al. (2003), die sich sehr eingehend mit dem Verhalten der Seeotter beschäftigt haben, schreiben (S. 153): „Although no direct evidence of this exists, it is conceivable and even likely that sea otter females actively teach foraging skills to their offspring.” Beobachtungsstudien können diese Frage aber nicht eindeutig klären. Fischotterweibchen (Lutra canadensis) können häufig dabei beobachtet werden, wie sie Flusskrebse, Frösche und kleine Fische fangen und anschließend die Jungen zu sich rufen. Der Ruf ist ein langgezogenes Geräusch, das Liers (1951) als „un-huh, un-huh“ beschreibt. Kommt das erste Jungtier bei der Mutter an, entlässt diese die Beute und das Junge ist auf sich selbst gestellt. Häufig entwischt die Beute in das Wasser und das Junge hat Schwierigkeiten, sie wieder einzufangen (vgl. Liers 1951, S. 7 f.). Somit handelt es sich bei diesem Verhalten um direktives Lehren. Die Mutter gibt den Jungen durch ihr Verhalten die Möglichkeit, den Umgang mit der Beute zu üben ohne selbst in die Handlungen des Jungen einzugreifen. Interaktives Lehren kann sowohl in seiner positiven als auch negativen Form beobachtet werden. Junge Fischotter gehen häufig nicht von allein ins Wasser (vgl. Liers 1951, S. 7). Manchmal packt die Mutter die Jungen an der losen Genickhaut und trägt sie ins Wasser. Bei den nun folgenden ersten Schwimmversuchen haben die Jungen vor allem Probleme, ihren Kopf über Wasser zu halten; immer wieder kippt er unter. Aber alle lernen nach einigen Anstrengungen zu schwimmen. Durch ihr Verhalten fördert die Mutter das Schwimmenlernen der Jungen. Unter Umständen bestraft die Mutter die Jungen (interaktives, negatives Lehren). Schwimmen sie nicht den Weg, den sie vorgibt, sondern entfernen sich zu weit, werden sie von der Mutter leicht in die Nase gebissen (vgl. Liers 1951, S. 8). Das derartig bestrafte Jungtier lässt sich zurückfallen und verhält sich ruhig. Ist die Bestrafung schwerer, verharrt das Jungtier in der Rückenlage, bis die Mutter zu ihm zurückkommt und es „liebkost“, als würde sie – wie Liers schreibt – dem Jungtier sagen wollen, dass doch alles in Ordnung sei und sich das Junge nur zu benehmen brauche (vgl. Liers 1951, S. 8).
5.3.2.7 Herpestinae, Mangusten Thornton & McAuliffe (2006, S. 277 f.) beschreiben, wie Erdmännchen (Suricata suricatta) ihren Jungtieren den Umgang mit relativ gefährlicher Beute, wie z.B. Skorpionen (Parabuthus spp. und Opistophthalamus spp.), beibringen. Nachdem ein Helfer einem Jungen ein Beutetier gebracht hat, bleibt es normalerweise da und beobachtet bzw. bewacht dessen Verhalten gegenüber der Beute. Wenn sich das Jungtier nicht mit der Beu81
5 Lernen und Lehren te beschäftigt, wird sie vom Helfer wiederholt mit der Nase oder den Pfoten angestupst, was dazu führt, dass das Jungtier der Beute Aufmerksamkeit schenkt. Die Dauer der Überwachung und das Anstupsen der Beute, sowie die Versorgung mit toter oder verletzter Beute, nehmen mit zunehmendem Alter des Jungen ab und die Versorgung mit intakter Beute nimmt zu, was darauf hindeutet, dass ein Helfer sein Verhalten an die zunehmende Kompetenz des Jungen anpasst. Das Anstupsen wird häufiger, wenn dem Jungen seltene Beute präsentiert wird, was dafür spricht, dass die Aufmerksamkeit des Jungen auf die unbekannte Nahrung gelenkt werden soll (für ein ähnliches Verhalten, bei dem Insekten verfüttert werden, siehe Ewer 1963, S. 592). Damit handelt es sich bei dem Verhalten um direktives Lehren, da die erwachsenen Tiere dem Jungen durch ihr Verhalten die Möglichkeit geben, das Töten von Skorpionen zu erlernen und das Verhalten für den Lehrer mit Kosten verbunden ist. Um aber wirklich von Lehren sprechen zu können, müsste man nachweisen, dass die Jungtiere, die kein Training erhalten haben, weniger gut mit Skorpionen umgehen können. Genau dieser Effekt konnte experimentell nachgewiesen werden (vgl. Thornton & McAuliffe 2006, S. 227). Jungtieren wurde entweder die Möglichkeit gegeben, mit toten oder mit lebenden, stachellosen Skorpionen, zu hantieren. Die mit lebenden Skorpionen konfrontierten Jungtiere waren am vierten Tag des Experiments sehr gut in der Lage, mit der potentiellen Beute umzugehen. Jungtiere, die ihre Erfahrungen nur mit toten Tieren machen konnten, ließen später die lebenden Skorpione entwischen oder wurden von deren Scheren gezwickt bzw. vom stachellosen Hinterteil getroffen. Junge Zwergmangusten (Helogale parvula) begleiten sowohl die Mutter als auch den Vater auf ihren Jagdausflügen. Fangen diese ein Insekt, halten sie es den Jungen zum Verzehr vor (Ewer 1973, S. 347). Es könnte sich bei dem Verhalten um Füttern, aber auch um direktives Lehren handeln.
5.3.2.8 Felidae, Katzenartige Bei vielen Katzenartigen gibt es Hinweise darauf, dass die Mutter einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, damit die Jungen das Jagen erlernen (vgl. z.B. Kitchener 1999, S. 239). Das Verhalten der Mutter folgt dabei einem bestimmten Muster. Am Anfang, wenn die Jungen noch klein sind, bringt sie tote Beutetiere zu ihrem Nachwuchs und konsumiert diese in deren Beisein. Später bringt sie lebende Beutetiere, mit denen die Jungen spielen und sie schließlich töten. Sie greift nur ein, wenn die Beute zu entwischen droht oder um die Jungen auf die Beute aufmerksam zu machen, wenn diese das Interesse ver82
5 Lernen und Lehren loren haben. Schließlich folgen die Jungen der Mutter, wenn sie auf die Jagd geht. Ihnen wird nun die Möglichkeit gegeben, selbständig Beute zu machen. Dieses Verhalten kann als direktives Lehren bezeichnet werden, da die Mutter den Jungen die Möglichkeit gibt, den Umgang mit der Beute zu erlernen. Löwen und andere Großkatzen unterscheiden sich von kleineren Arten dadurch, dass die Beute im Allgemeinen nicht zu den Jungen gebracht wird, da sie zu groß und zu schwer ist, um größere Distanzen getragen zu werden. Die Jungtiere unter den Großkatzen beobachten das Töten von Beutetieren, wenn sie ihre Mutter das erste Mal auf der Jagd begleiten (vgl. Leyhausen 1979). Aber auch hier gibt es Hinweise darauf, dass nicht nur soziales Lernen, sondern auch Lehren beteiligt ist. Eine Besonderheit der Katzenartigen (z.B. im Vergleich zu den Hundeartigen) sind ihre relativ spezialisierten Jagdtechniken. Meist schleichen sie sich unbemerkt an ihre Beute an und töten sie mit einem gezielten Nackenbiss (vgl. z.B. Henry 1996). Interessanterweise wurde die Entwicklung des Jagdverhaltens kaum unter der Perspektive des sozialen Lernens betrachtet (als Ausnahme siehe z.B. Caro 1994). Es wurde nicht bedacht, dass soziales Lernen auch für als Einzelgänger lebende Arten enorm wichtig sein kann. Die Einheit zwischen Mutter und Jungtier ist die beständigste und bietet viele Gelegenheiten für soziales Lernen und Lehren. Das relativ ähnliche Muster in Bezug auf das Lehren des Jagdverhaltens bei allen katzenartigen macht es zudem relativ einfach, an nur einer Art gewonnene Ergebnisse, auf andere Arten zu übertragen. Allgemeine Aussagen zur Entwicklung des Jagdverhaltens bei Katzenartigen können aus experimentellen Studien, die mit relativ geringem Aufwand an Hauskatzen durchgeführt werden können, abgeleitet werden (vgl. Kitchener 1999). So wurden auch die ersten Beobachtungen bzw. Untersuchungen zur Entwicklung des Jagdverhaltens der Katzenartigen an Hauskatzen (Felis cattus) durchgeführt. Berry (1908) und Kuo (1930) konnten zeigen, dass Katzen angemessene Jagdstrategien anscheinend nur entwickeln, wenn sie entsprechende Lernerfahrungen machen konnten, in die die Mutter involviert war. Kuo (1930) wies nach, dass 85% der Jungtiere zu Rattentötern wurden, wenn sie beobachten konnten, wie ihre Mutter Ratten (Rattus norvegicus) tötete. Im Allgemeinen verändert die Mutter ihr Verhalten in einer Folge von Stadien (vgl. Leyhausen 1979). Weibliche Katzen, die keinen Nachwuchs haben, fangen und fressen ihre Beute relativ zügig und gehen ohne Verzögerung zum nächsten Fang über. Ab einem bestimmten Zeitpunkt nach der Geburt, wenn die Jungen langsam anfangen, mobil zu werden (mit ca. vier Wochen) und aus dem Nest zu krabbeln, verändert die Mutter ihr 83
5 Lernen und Lehren Verhalten. Sie trägt die Beute zu ihren Jungtieren, um sie vor ihnen zu fressen. Sind die Jungen größer (ca. sechs Wochen alt) wird lebende Beute zu den Jungtieren gebracht, die dann damit spielen. Entwischt die Beute, wird sie erneut von der Mutter gefangen. Schließlich beteiligt sich die Mutter nur noch in geringem Maße am Fangen der Beute. Sie bewegt sich höchstens in Richtung der Beute, während diese von den Jungtieren erfolgreich gejagt, gefangen und getötet wird (vgl. Leyhausen 1979). Caro (1980b; 1981) untersuchte die Entwicklung des Jagdverhaltens bei Katzen unter Laborbedingungen. Vier bis zwölf Wochen alten Jungtieren wurden entweder in Gegenwart oder in Abwesenheit ihrer Mutter Mäuse (Mus domesticus) präsentiert. Die Mutter spielte eine wesentliche Rolle dabei, die Aufmerksamkeit der vier bis fünf Wochen alten Jungtiere auf die Beute zu lenken. Dies geschah durch Rufen, durch das Anschauen der Beute oder dadurch, dass die Beute direkt zu den Jungen gebracht wurde. Werden die Jungen älter und ihr Jagdverhalten entwickelt sich, verändert sich auch das Verhalten der Mutter. Am Anfang tötet die Mutter die Beute im Beisein der Jungen; später tötet sie nur noch selten, was den Jungen die Möglichkeit gibt, durch direkte Erfahrungen den Umgang mit der Beute zu lernen – wobei die Mutter immer wieder die Aufmerksamkeit der Jungen auf die Beute lenkt. Jungtiere, die im Beisein ihrer Mutter aufgezogen wurden, machten im Vergleich zu Jungtieren, die ohne Mutter aufwuchsen, mehr Beute und interagierten länger mit ihr. Sie töteten außerdem im Alter von zwölf Wochen fünfmal mehr Beutetiere und nutzten den Genickbiss zum Töten von Mäusen signifikant häufiger als die Jungtiere, die ohne Mutter aufwuchsen. Jungtiere folgen den Beutevorlieben ihrer Mutter und nähern sich dieser Beute mit größerer Sicherheit als anderen Beutetieren. Diese Untersuchung belegt die wichtige Rolle, die die Mutter bei der Entwicklung des Jagdverhaltens und der Auswahl der Nahrung der Jungen spielt (siehe auch Caro 1980a; 1980c; zum Lernen bzw. Lehren des Jagens siehe auch Baerends-van Roon & Baerends 1979; zum Einfluss der Mutter beim Erlernen anderer Aufgaben siehe Chesler 1969; Leyhausen 1979). Bei dem Verhalten der Mütter handelt es sich um direktives Lehren, da die Mutter ihr Verhalten in Gegenwart der Jungen ändert und das sogar abgestuft, je nach Entwicklungsstand des Jungen. Das Verhalten ist für die Mutter mit Kosten verbunden, da immer wieder Beutetiere entwischen und es konnte experimentell gezeigt werden, dass Jungtiere die keine solche Instruktion erhalten, einen geringeren Jagderfolg haben. Die Schwarzfußkatze (Felis nigripes) hat einen Alarmruf, der die Jungtiere dazu bringt, sich zu verstecken und stillzuhalten. Die Jungtiere kehren erst zu ihrer Mutter zurück, wenn sie einen Ruf von sich gibt, der der „Entwarnung“ dient (vgl. Leyhausen 1975, S. 84
5 Lernen und Lehren 198). Unmittelbar dient das Verhalten dem Schutz des Jungen, deshalb kann hier auch nicht von Lehren gesprochen werden. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die Jungen als Nebeneffekt lernen, wer ihre Feinde sind. Die Mütter helfen ihren Jungen ebenso dabei, das Jagen zu erlernen (vgl. Leyhausen 1975, S. 77). Diese Beutefangübungen können auch bei weiteren Großkatzen in freier Wildbahn beobachtet werden. Schaller (1967, S. 272 f.) beschreibt, wie ein Tigerweibchen (Panthera tigris) einen Büffel (Bubalus bubalis) angriff, ihn dann aber ihren Jungtieren zum Töten überließ. Das gelang diesen nicht gleich und als der Büffel fliehen wollte, stürzte ihn die Mutter erneut nieder. Es handelt sich hierbei um direktives Lehren, da die Mutter den Jungtieren durch ihr auf sie gerichtetes Verhalten ermöglicht, das Erlegen gefährlicher Beutetiere zu erlernen. Löwenjunge (Panthera leo) folgen ihrer Mutter ab einem Alter von fünf bis sieben Monaten. Ab einem Alter von elf Monaten nehmen sie auch an der Jagd teil, töten ab einem Alter von 15 bis 16 Monaten Gazellen und größere Beute ab einem Alter von zwei Jahren (Kitchener 1999, S. 245 f.). Schenkel (1966, S. 16) schreibt, dass Jungtiere normalerweise beim Jagen nicht nur von den erwachsenen Mitgliedern des Rudels toleriert werden, sondern dass die Mutter sie dazu animiert, zur Beute zu kommen und von ihr zu fressen. Sie kann häufig dabei beobachtet werden, wie sie sich neben der Beute niederlässt und ihre Jungen dann durch Lecken, Beißen, Ziehen oder Herumkauen dazu animiert, es ihr gleichzutun (zum Lernen und Lehren des Jagens siehe auch Eaton 1972b; Elliott et al. 1977).18 Es handelt sich dann also nicht nur um soziales Lernen, wie z.B. „local“- bzw. „stimulus enhancement“, sondern um Lehren in seiner direktiven Form.
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Schenkel (1966, S. 17) beschreibt Fälle von erfolglosen Jagdversuchen der Löwenweibchen (Panthera
leo), die er als „hunting exercise“ interpretiert: Bei Sonnenaufgang erreichten zwei Mütter ihre sechs Jungen und wurden unmittelbar von diesen begrüßt. Nach einer kurzen Phase des Spiels siedelten die Tiere auf eine kleine Erhöhung in dem ansonsten flachen Terrain um, die z.T. mit Flötenakazien bedeckt war und beobachteten die Umgebung. Als zwei Gnubullen in einer Entfernung von ca. 50m an der Gruppe vorbeiliefen, stand eines der Weibchen unverzüglich auf und das andere folgte ihm. Beide liefen im Schleichgang, mit einer Entfernung von ca. 15m zwischen ihnen vorwärts, um die Bullen schräg von hinten zu erreichen. Ohne zu zögern, folgten ihnen die Jungen. Sie formten eine unregelmäßige Linie und nutzten die Deckung der Akazien. Als die Bullen anfingen, schneller zu laufen, gingen die Löwen nicht sehr viel näher heran und einer nach dem anderen – auch die Mütter – gaben auf. Nur zwei der Jungtiere behielten die Verfolgung bei, bis sie eine komplett leere Fläche überqueren mussten. Hier wurden sie von den Gnubullen entdeckt, die dann im Galopp davonliefen. Diese und ähnliche Szenen können zwar auch Fälle erfolglosen Jagens sein, sie können aber ebenso, im Sinne Schenkels (1966) als Lehren verstanden werden. In den Fällen, in denen die Löwin den Jungen er-
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5 Lernen und Lehren Selten kann auch beobachtet werden, dass die Löwin lebende Beutetiere zu ihren Jungen bringt. Ist das der Fall handelt es sich um kleinere Tiere, wie z.B. das Kitz einer Thomson-Gazelle (vgl. Schaller 1972, S. 263). Eine der wenigen Studien, die die Entwicklung des Jagdverhaltens bei Geparden (Acinonyx jubatus) und den Einfluss der Mutter, in freier Wildbahn, untersucht, ist die von Caro (1994). Sind die Jungtiere in einem Alter von anderthalb Monaten, bringt die Mutter die Beute zu ihnen und tötet sie in ihrem Beisein. Sind die Jungen zweieinhalb bis dreieinhalb Monate alt, tendiert die Mutter dazu, ihnen lebende oder verletzte Beute zu überlassen. Nachdem die Jungtiere fünf bis fünfzehn Minuten mit der Beute „gespielt“ haben, wird sie von der Mutter getötet. Im Alter von fünfeinhalb bis sechseinhalb Monaten wird nahezu ein Drittel der Beute den Jungen überlassen. Bei den Tieren, die den Jungen überlassen werden, handelt es sich vorrangig um junge oder kleine Tiere, da diese leichter zu überwältigen sind. Ausgewachsene und große Tiere werden von der Mutter geschlagen. Sind die Jungen zehn Monate alt, wird ihnen immer weniger Beute überlassen. Die Jungtiere jagen jetzt zunehmend selbständig (siehe auch Eaton 1970, S. 498 ff.; Kaore 2003; Kruuk & Turner 1967, S. 12 f.). Damit handelt es sich bei diesem Verhalten um direktives Lehren, wie es für Katzenartige typisch ist. Die Mutter ändert ihr Verhalten in Gegenwart der Jungen und gibt ihnen dadurch die Möglichkeit, angemessene Jagdstrategien zu entwickeln. Auch ist das Verhalten für die Mutter mit Kosten verbunden, da den Jungtieren die Beute immer wieder entwischt und sich die nächste Mahlzeit dadurch verzögert (vgl. Caro 1994, S. 137). Ob Jungtiere, die keine solche Instruktion erhalten, weniger gut in der Lage sind, Beute zu machen, ist schwer zu sagen, aber sehr wahrscheinlich. Eaton (1970, S. 503) fasst seine Untersuchungen zusammen und schreibt, dass das Anschleichen und Jagen der Beute aus ziemlich starren Erbkoordinationen bestehen, dass sich aber das Festhalten und der Tötungsbiss nur durch Erfahrung vollständig entwickeln können. Die Unterweisungen durch die Mutter sind dafür maßgeblich. Leopardenjungtiere (Panthera pardus) erhalten von ihrer Mutter ab einem Alter von ca. drei Monaten Beutetiere. Sie begleiten ihre Mutter ab einem Alter von neuneinhalb Monaten auf der Jagd und töten ihr erstes Impala nicht bevor sie elf Monate alt sind (vgl. Skinner & Smithers 1990, S. 401). Turnbull-Kemp (1967, S. 37) berichten von einem Leopardenjungen, das seine Mutter auf der Jagd begleitete und auf einen Kommandolaut hin stehen blieb, während es die Mutter dabei beobachtete, wie sie ein Beutetier erlegte. laubt, an der Jagd teilzunehmen oder sie sogar dazu animiert, hat sie nicht die Absicht zu jagen. Es ist wahrscheinlicher, dass das Verhalten dazu dient, dass die Jungen den Umgang mit der Beute lernen.
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5 Lernen und Lehren Wie bei vielen anderen Katzenartigen lehrt auch die Leopardenmutter den Umgang mit der Beute. Auch bei Luchsen ist in Bezug auf das Lehren des Jagens ein ähnliches Muster zu erkennen. Für den europäischen Luchs (Lynx lynx) beschreibt dies Haglund (1966, S. 254).
5.3.2.9 Ursidae, Bären Bären leben als Einzelgänger. Eine Ausnahme ist die Mutter-Jungtier-Einheit, die eine enorme Möglichkeit für soziales Lernen bietet. Die Jungtiere verbringen eine recht lange Zeit (drei bis dreieinhalb Jahre) mit ihrer Mutter und einigen Geschwistern. Bei Polarbären (Ursus maritimus) setzt die lange Phase der Abhängigkeit eine beachtliche Investition von Seiten der Mutter voraus und bietet eine bedeutende Möglichkeit für soziales Lernen und Lehren in einem relativ geschützten Milieu. Das Lernen und Üben von Jagdtechniken ist entscheidend für das Überleben der Bärenjungen. Erlangen die Jungen ihre Unabhängigkeit, sind sie in einem unwirtlichen Gebiet auf sich allein gestellt und sie stehen dem Problem gegenüber, Seehunde oder andere Beutetiere zu erlegen, die auf dem Eis nur schwer zu fassen sind (vgl. z.B. Ramsay & Stirling 1988). Auch wenn in der Populärliteratur oder Fernsehsendungen immer wieder davon berichtet wird, dass Bärenmütter ihren Jungen das Jagen beibringen würden (vgl. z.B. Dröscher 2002, S. 48)19, ist in der Fachliteratur kein Hinweis auf ein solches Verhalten zu finden – vermutlich auch, weil die Tiere nur mit einem recht großen Aufwand beobachtet werden können. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass soziales Lernen und auch Lehren stattfinden. Auch das Vorhandensein sozialen Lernens und Lehrens bei anderen Bären bleibt spekulativ. Gilbert (1999, S. 232) schreibt, dass die Braunbären (Ursus arctos), die Informationen über saisonal verfügbares Futter, das weit über die Landschaft verstreut ist, von anderen Bären erlangen, einen Fitnessvorteil haben. Aufgrund des Einzelgängerdaseins der Bären, ist der wahrscheinlichste Kontext, in dem eine solche Übertragung stattfinden kann, die Mutter-Jungtier-Einheit. Durch eine Weitergabe über Generationen könnten sich Wander- oder Jagdtraditionen entwickeln.
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„Nach über vier Monaten in ihrer Schneehöhle verlässt die Eisbärin mit ihren beiden Jungen die
Schneehöhle. Eine etwa achtmonatige Wanderung über Pack- und Treibeis beginnt, während der sie ihren Kindern eine Art Jagdunterricht auf Robben gibt und dabei auch nicht vergisst, sie nachdrücklich (z.B. mit unsanften Stößen und Schlägen) zu belehren, dass man keine Wahlrosse angreifen darf.“
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5 Lernen und Lehren Um dies zu verdeutlichen, bringt Gilbert (1999, S. 232) zwei Beispiele: das Schwimmen zu entfernten Inseln und das Fressen von Abfall. Es gibt eine Reihe von Inseln in den Shelikoff Straits von Alaska. Die dort lebenden Bären schwimmen von Insel zu Insel und halten sich bevorzugt in den Gebieten auf, die nicht vom Menschen besiedelt sind. Individuelles Lernen könnte natürlich auch eine Rolle spielen, aber es ist wahrscheinlicher, dass die Jungtiere die Futterplätze dadurch kennenlernen, indem sie ihre Mutter begleiten. Vor allem in den Nationalparks Nordamerikas nutzen Schwarzbären (Ursus americanus) den Abfall der Menschen als Nahrungsquelle. Gilbert (1999) schreibt (S. 233): „All offspring appeared to learn the same aggressive feeding style […].” Aus diesen Beobachtungen aber genauere Aussagen zu den beteiligten Lern- oder Lehrmechanismen abzuleiten, wäre zu spekulativ.
5.3.2.10 Pinnipedia, Robben Wie bei den Bären gibt es auch bei den Robben keine wirklichen wissenschaftlichen Untersuchungen, die das Lehrverhalten der Tiere untersuchen. Hinweise finden sich nur in nicht veröffentlichten Beobachtungen oder in der Populärliteratur.20 B. Le Boeuf (persönl. Mitteilung, zit. in Caro & Hauser 1992) berichtet, dass kalifornische Seelöwenmütter (Zalophus californianus), wenn sie sich von einem Menschen bedroht fühlen, ihr Jungtier ins Maul nehmen und ins Wasser flüchten. Im Wasser wird das Junge gezwungen, selbständig an den Strand zurück zu schwimmen. Caro & Hauser (1992, S. 159) meinen, dass das Verhalten eine normale Verteidigungsreaktion sein könnte, eine Konsequenz daraus sei aber sicherlich auch, dass das Junge zum Schwim20
Durrell (1961, S. 88) beschreibt in seinem Reisebericht, wie ein Seebärenmännchen (Arctocephalus sp.)
(im Original „fur seals“; vermutlich A. australis, da der Bericht aus Argentinien stammt und dort keine andere Art vorkommt) einem Jungtier „Schwimmunterricht“ erteilt. Ein Männchen, das sich in der Brandung ausgeruht hatte, fing an, Oswald, ein Seebärenjungtier, hin und her zu schütteln und ihn ca. 20 Meter in die Wellen zu werfen. Nach längerem Untertauchen erschien Oswald wieder an der Oberfläche. Er flatterte verzweifelt mit seinen Flossen, hustete und versuchte wieder an das Ufer zu kommen. Der Bulle wälzte sich in das Wasser, packte ihn beim Genick und hielt Oswald für fünf bis zehn Sekunden unter Wasser. Schließlich erschien Oswald, nach Atem ringend, an der Wasseroberfläche. Erneut nahm ihn der Bulle, schüttelte ihn und warf ihn wieder Richtung Meer, so dass sich die ganze Prozedur wiederholte. Als Oswald offensichtlich erschöpft war und kaum mehr schwimmen konnte, erlaubte ihm der Bulle eine kurze Ruhepause im flachen Wasser, bevor sich die Szene wiederholte. Durrell (1961; S. 89) schreibt, dass diese Schwimmstunden häufig beobachtet werden können.
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5 Lernen und Lehren menlernen angeregt wird. Um das aber mit Sicherheit sagen zu können, müsste man untersuchen, ob das Verhalten auch in einer Situation gezeigt wird, die für das Jungtier keine Gefahr darstellt.
5.3.2.11 Cetacea, Wale Die Mehrzahl der Wale lebt in Gruppen, wenige als Paar oder Einzelgänger. Wale bringen in der Regel ein Junges zur Welt, das recht lange gesäugt wird; bei großen Arten über ein Jahr. Damit verbunden ist eine enge Bindung zwischen Mutter und Jungtier. Für die Aufzucht der Jungen sind die Mütter verantwortlich, die aber auch durch andere erwachsene Weibchen – sogenannte „Tanten“ – unterstützt werden. Die weit verbreitete Faszination an diesen Tieren liegt sicherlich in ihren komplexen Verhaltensweisen, die weitreichende kognitive Fähigkeiten vermuten lassen. Viele Jagdstrategien gehören zu den kompliziertesten im ganzen Tierreich; im Umgang miteinander sind sie sehr friedlich und fallen vor allem durch ihr prosoziales Verhalten auf. Viele ihrer Verhaltensweisen sind noch nicht wirklich verstanden und noch weniger weiß man über die zugrundeliegenden Lern- bzw. Lehrmechanismen. Im Vergleich zu anderen Tiergruppen lassen sich aber doch recht viele Beispiele für soziales Lernen und auch Lehren finden. Fleckendelfine (Stenella frontalis) jagen am Meeresboden lebende, unter dem Sand versteckte Fische, die durch Echolokation erkannt werden (vgl. Herzing 1996). Die Jungen schwimmen hinter oder neben der Mutter, während diese die Beute ausfindig macht. Oft jagen die Mütter den Fisch nur aus seinem Versteck und erlauben den Jungen den Fisch zu verfolgen und selbst zu jagen (vgl. D. Herzing, persönl. Mitteilung, zit. in Boran & Heimlich 1999). Demnach handelt es sich, ähnlich wie bei den Raubtieren, um direktives Lehren. Die Mutter tötet den Fisch nicht selbst, sondern gibt den Jungen durch ihr Verhalten die Möglichkeit, Jagdtechniken zu üben. Soziales Lernen und Lehren hilft dem Jungen auch, seine Rolle in der Gesellschaft der anderen Tiere einzunehmen. Ein Beispiel hierfür sind Scheinkämpfe („mock battle“), zu denen die Jungtiere regelmäßig von den Erwachsenen aufgefordert werden. Diese Scheinkämpfe beinhalten Kopf-an-Kopf-Angriffe und es kommt zu verschiedenen Formen des Körperkontakts (vgl. D. Herzing, persönl. Mitteilung, zit. in Boran & Heimlich 1999, S. 299). Das interessante an diesen Interaktionen ist, dass die älteren Tiere anscheinend soziale Signale des Körperkontaktes und Kämpfens demonstrieren; die Jung89
5 Lernen und Lehren tiere werden sanft geschubst, was ihnen hilft, eine angemessene Körperhaltung zu entwickeln. Diese Interaktionen eskalieren niemals und es macht den Anschein, dass die älteren Tiere die Jungen mit Hilfe dieser Scheinkämpfe die Regeln aggressiver Interaktionen beibringen wollen (vgl. D. Herzing, persönl. Mitteilung, zit. in Boran & Heimlich 1999, S. 299). Da der Lehrer in diesem Fall dem Jungen nicht nur die Möglichkeit gibt, zu lernen, sondern direkt in dessen Verhalten eingreift, kann von positivem, interaktivem Lehren gesprochen werden. Eventuell ist dieses Verhalten auch mit der von Boesch (1991) als „active teaching“ bezeichneten Variante des Lehrens vergleichbar. Herzing (1996) berichtet im Kontext seiner Untersuchung zur Vokalisation und damit assoziiertem Verhalten bei Fleckendelfinen und Großen Tümmlern (Tursiops truncatus) auch von „Disziplinarmaßnahmen“ gegenüber den Jungen. Er schreibt, dass Mütter, die nicht erfolgreich darin sind, ihr Junges zurückzuholen, verkehrtherum schwimmen und die Genitalregion ihres Jungen stimulieren. Gelegentlich berührt die Mutter mit ihrer Schnauze auch die Flanke des Jungen. Es können auch schwerere Disziplinarmaßnahmen beobachtet werden, bei denen die Mutter das Junge mit ihrem Körper auf den sandigen Boden drückt. Er führt aber nicht weiter aus, welches Verhalten zu einer solchen Bestrafung führt. Es handelt sich bei Bestrafung um interaktives, negatives Lehren, da die Mutter direkt mit dem Jungen interagiert um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Das Verhalten ist für sie mit Kosten verbunden, weshalb hier auch von Lehren und nicht von aggressivem Verhalten gegenüber dem Jungen – bei dem die Mutter einen Nutzen aus dem Verhalten hätte – gesprochen werden kann. Große Tümmler sind in Bezug auf ihr Nahrungssuchverhalten recht vielfältig und anpassungsfähig. Viele Elemente neu erlernter Techniken werden an die nächste Generation weitergegeben. Ein Beispiel hierfür ist das Suchen von Nahrung in flachen Salzsümpfen. Die Tiere jagen den Fisch an den Strand, stranden selbst und stoßen sich dann wieder in das Wasser zurück (vgl. z.B. Silber & Fertl 1995). Es konnte beobachtet werden, wie ein erwachsenes Tier gemeinsam mit einem Jungen strandete und es ist naheliegend, dass das Junge das Verhalten durch die Assoziation mit dem Erwachsenen lernt (vgl. Hoese 1971). Welche genauen Lern- bzw. Lehrmechanismen involviert sind, ist nicht bekannt. Es ist aber naheliegend, dass die Mechanismen mit denen der Orkas, beim Erlernen des intentionalen Strandens, vergleichbar sind (siehe S. 92). Experimente zu Lernfähigkeit der Wale (Cetacea) sind bisher nur an Großen Tümmlern durchgeführt worden. Nicht zuletzt, weil die Haltebedingungen bei größeren Arten zu kompliziert wären. Viele dieser Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Tiere zu echtem Imitieren fähig sind (vgl. Bauer & Johnson 1994; Kuczaj et al. 1998; Ri90
5 Lernen und Lehren chards 1986; Richards et al. 1984), eine Fähigkeit, deren Vorhandensein im Tierreich umstritten ist. Eine Anekdote, die die herausragenden Fähigkeiten zum Imitieren belegt, stammt von Tayler & Saayman (1973). Ein Delfin teilte sich das Bassin mit einem südafrikanischen Seebären (Arctocephalus pusillus). Nach einer Weile übernahm er mit einer großen Genauigkeit die Schwimmbewegungen, die Position beim Schlafen und das Fellpflegeverhalten des Seebären.21 Hoyt 1990 (S. 180) spricht von „sex education“ und bezieht sich dabei auf die Untersuchungen von Caldwell & Caldwell (1972). Diese sei zunächst Aufgabe der Mutter. Das junge Männchen versucht ab einem Alter von wenigen Wochen, mit der Mutter zu kopulieren. Zweifelsohne wird die Mutter durch das Saugen und Anstupsen der Genitalregion durch das Junge erregt. Die Reaktion der Mutter reicht von passiver Akzeptanz bis hin zu aktivem Anstiften des Jungen, indem sie dessen Genitalregion anstupst, was eine Erektion hervorruft. Nach wenigen Monaten beherrscht das Männchen angemessenes Kopulationsverhalten. Nach der Einführung in das Sexualverhalten, an dem die Mutter mit großer Wahrscheinlichkeit maßgeblich beteiligt ist, nehmen auch andere Männchen, sogar Bullen, an diesem „Spiel“ teil (vgl. Caldwell & Caldwell 1972). Ein beeindruckendes Verhalten vieler Meeressäuger sind ihre Gesänge und es gibt einige Hinweise darauf, wie diese Gesänge erlernt werden. Bowles et al. (1988) untersuchten ein Orkajunges (Orcinus orca), das mit seiner Mutter und einem anderen Weibchen und einem Männchen in einem Becken zusammenlebte. Nach ca. einem Jahr verwendete das Jungtier zu 90% den einen Gesang („call type“), der die Mutter von den anderen Individuen im Becken unterschied – und das, obwohl 82% der Gesänge aus dem Becken nicht diesem Typ entsprachen. Bowles et al. (1988) schreiben, dass dieses Verhalten nur auf ein selektives Lernen bei dem Jungtier zurückgeführt werden kann. Ebenso ist es für sie 21
Tayler & Saayman (1973) beschreiben weitere Fälle bei denen Delfine (Tursiops aduncus), die in einer
künstlichen Umgebung gehalten werden, spontan die verschiedensten Verhaltensweisen imitieren. Ein ausgewachsenes Männchen, das einen Taucher dabei beobachtete, wie er Algen von einer Glasscheibe entfernte, fing auch selbst an, das Fenster mit einer Möwenfeder zu säubern und dabei Geräusche von sich zu geben, die sich genauso anhörten, wie die des Luftventils des Tauchers. Zusätzlich ließ er aus seinem Blasloch Luftblasen aufsteigen und ahmte damit die Luftblasen nach, die regelmäßig dem Atemgerät des Tauchers entwichen. In einem anderen Fall wurde am Ende einer Beobachtungsphase Zigarettenrauch gegen das Beobachtungsfenster geblasen. Ein junger Delfin, der diesen Vorfall beobachtete, schwamm ohne Verzögerung zu seiner Mutter, kam zurück und gab einen Mund voll Milch ins Wasser ab. Diese hüllte seinen Kopf genauso ein, wie der Zigarettenrauch, den Beobachter (vgl. Tayler & Saayman 1973).
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5 Lernen und Lehren denkbar, dass die Mutter bei der Aneignung des Verhaltens einen aktiven Part übernimmt. Sie schreiben (S. 18): „[The] data hint that the mother was actively encouraging or ‘training’ her calf to call by calling frequently in sequence with her. [The] calf needs such exposure and interaction with the mother to learn the repertoire.” Als wahrscheinlichster Lernmechanismus kommt Imitieren in Frage, evtl. findet auch Lehren statt. Orkas fallen vor allem durch ihre komplexen Jagdstrategien auf. Das intentionale Stranden ist eine Technik, die in der Literatur ausführlich diskutiert wird und für die Lehren sehr gut belegt ist (vgl. Baird 2000; Boran & Heimlich 1999; Guinet 1991; Guinet & Bouvier 1995; Hoelzel 1991; Lopez & Lopez 1985). Orkas (Orcinus orca) der Argentinischen Küste und bei den Crozet Islands im Südindischen Ozean jagen Seeelefanten (Mirounga leonina) und Seelöwen (Otaria flavescens). Die Tiere schwimmen dabei Richtung Strand, stranden selbst und packen die Beute, die sich am Strand ausruht an der Hinterflosse. Die Beute wird dann ins Meer gezogen und dort verzehrt. Gelegentlich wird sie wieder losgelassen und von den anderen Walen gejagt, wobei die Beute oft weit aus dem Wasser geworfen wird. Die Jagdtechnik wird durch direktives Lehren an die nächste Generation weitergegeben. Die erwachsenen Tiere ändern ihr Verhalten, wenn ein Jungtier anwesend ist. Sie können z.B. dabei beobachtet werden, wie sie ihre Jungen auf den Strand schubsen, sich dann zurückziehen und die Aufmerksamkeit der Jungen auf die Beute lenken; sie helfen ihnen, wenn sie auf dem Strand feststecken, indem sie eine Welle produzieren; nach einem erfolgreichen Fang helfen sie ihnen zurück ins Wasser (vgl. Guinet 1991; Guinet & Bouvier 1995). Ältere Tiere stranden in Anwesenheit von Jungtieren auch ohne Beute zu machen und sie werfen selbst gefangene Beute zu den Jungtieren (vgl. Lopez & Lopez 1985). Sie verändern also eindeutig ihr Verhalten in Gegenwart des Jungen. Neben dem direktiven Lehren ist in den Fällen, wo das erwachsenes Tier das Junge z.B. an den Strand schubst, auch interaktives Lehren zu finden. Das Verhalten ist für das erwachsene Tier mit Kosten verbunden. Bei den beschriebenen Aktionen besteht für das erwachsene Tier immer die Gefahr, auch selbst zu stranden. Auch jagen erwachsene Tiere erfolgreicher, wenn keine Jungen anwesend sind (vgl. Hoelzel 1991). Werfen sie schon gefangene Beute weg, kann diese unter Umständen entwischen (vgl. Lopez & Lopez 1985). Durch ihr Verhalten ermuntern die erwachsenen Individuen die Jungtiere dazu, das Jagen zu erlernen. Sie demonstrieren die Technik und schaffen Bedingungen, die beim Jungtier förderlich wirken.
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5 Lernen und Lehren Um wirklich von Lehren sprechen zu können, müsste man nachweisen, dass Jungtiere, die keine solche Instruktion erhalten, das Verhalten nicht oder zumindest später erlernen (vgl. Caro & Hauser 1992). Bisher wurde diese Frage nicht systematisch untersucht. Guinet (1991) und Guinet & Bouvier (1995) verglichen aber zumindest die Entwicklung des Jagdverhaltens bei zwei Jungtieren, A4 und A5. Beide Tiere bekamen Unterricht und erlernten das Stranden. Eine weitere beeindruckende Jagdtechnik zeigen die Orkas der antarktischen Halbinsel. Durch selbst erzeugte Wellen schwemmen die Tiere Robben und seltener auch Pinguine von Eisschollen, um sie zu fressen (vgl. Smith et al. 1981; Visser et al. 2008). Zum Teil wird die Robbe wieder freigelassen oder sogar auf einer anderen Eisscholle platziert. Visser et al. (2008, S. 233) schreiben, dass eine solche Manipulation der Beute dem Training der Jungen dient.22 Vor allem das Freilassen der Beute im Beisein der Jungen, oder das Platzieren auf einer anderen Eisscholle, damit sie erneut herunter gespült werden muss, sind Beispiele für direktives Lehren. Haenel (1986, S. 290 f.) beschreibt einen Fall von Bestrafung in einer Gruppe von Orkas. Die Tiere der Gruppe waren über mehrere Quadratkilometer verteilt, um nach Nahrung zu suchen. Zwei Jungtiere näherten sich den Beobachtern und sprangen um das Boot; sie schwammen Kreise, tauchten und planschten für ungefähr 45 Minuten, während der Rest der Gruppe langsam weiterzog. Schließlich näherte sich ein erwachsenes Weibchen den beiden Jungtieren und drückte sie mit ihrer Schnauze für 15-30 Sekunden unter Wasser; anschließend tauchten sie alle wieder auf und schwammen in Richtung der Gruppe. Es wird vermutet, dass es sich bei diesem Verhalten, ähnlich wie bei Delfinen, um eine Disziplinarmaßnahme erwachsener Tiere – vor allem der Mutter – gegenüber Jungtieren handelt. Gut dokumentiert ist das Erlernen bestimmter Jagdtechniken beim Buckelwal (Megaptera novaeangliae). Bei der sogenannten die „bubble cloud“ Methode (siehe z.B. Hain et al. 1982) tauchen die Wale in der Nähe von Fischschwärmen ab und produzieren Luftblasen, die einen Kreis bilden, der die Fische in der Mitte einschließt. Die Tiere schwimmen dann innerhalb dieser Luftblasensäule hinauf und können mit einem Mal eine sehr große Mengen an Fisch schlucken.23 Eine Population von Buckelwalen im südlichen Golf von Maine hat eine neue Variante dieser Technik entwickelt, die „lobtailing“ genannt wird (vgl. Weinrich et al. 1992). Vor dem Abtauchen schlagen die Tiere mit ihrem Schwanz mehrmals auf das Wasser. Der 22
siehe auch: http://www.youtube.com/watch?v=oxDZW4k8tCY
23
siehe auch: http://www.youtube.com/watch?v=vJvfjiCTvq4
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5 Lernen und Lehren Vorteil dieser zusätzlichen Verhaltenssequenz ist nicht völlig klar. Wahrscheinlich erschreckt das Aufschlagen des Schwanzes die Fische und sie sind dadurch noch enger beieinander. Dass das Verhalten zumindest teilweise durch Lehren weitergegeben wird, wird daran deutlich, dass das „lobtailing“ ansteigt, sobald ein Jungtier geboren wird. Offensichtlich lernt das Junge das Verhalten von anderen, älteren Gruppenmitgliedern. Auch zeigen Jungtiere unvollständige Verhaltenssequenzen, bei denen z.B. keine Blasen produziert werden, als ob sie üben würden. Weinrich et al. (1992) sprechen davon, dass das Verhalten wahrscheinlich durch „stimulus enhancement“ erlernt wird. Sicherlich spielt das Beobachten anderer Individuen eine große Rolle und durch Lernen durch Versuch und Irrtum werden die einzelnen Sequenzen kombiniert.
5.3.2.12 Artiodactyla, Paarhufer Im Vergleich zu Raubtieren und Walen findet man bei Huftieren wesentlich weniger Beispiele für Lernen bzw. Lehren. Lent (1971), der die Mutter-Jungtier-Beziehung bei Huftieren (Ungulates) untersuchte, kommt zu dem Schluss, dass die Hauptfunktion des mütterlichen Verhaltens darin besteht, Lernprozesse zu fördern („facilitation“), indem die Mutter eine relativ stabile soziale Umgebung bietet und damit Bedingungen schafft, die ein optimales Level an Stimulation darstellen. Ob sie dabei ihr Verhalten ändert – es sich also um wirkliches Lehren handelt – oder ob diese Bedingungen unabhängig vom Vorhandensein eines Jungtieres gegeben sind – es sich also nur um soziales Lernen handelt – ist nicht eindeutig klar. Klein (1999) beschreibt, wie die Jungtiere der Karibus und Rentiere (Rangifer tarandus) bestimmte Migrationsrouten durch die soziale Interaktion mit älteren, erfahrenen Tieren lernen. Bei ihren jährlichen Wanderungen kommen die Karibus auch an den Plätzen vorbei, an denen die Weibchen kalben. Schwangere Tiere suchen mit einer großen Wahrscheinlichkeit Jahr für Jahr den gleichen Platz auf, um dort ihr Junges zu gebären. Weibchen die ihr erstes Jungtier bekommen, werden, wenn sie zu diesen Plätzen wandern, von älteren, erfahrenen Weibchen begleitet. Die Wanderruten oder bestimmte Plätze für bestimmte Aktivitäten, werden von den Jungen dadurch erlernt, dass sie den Erwachsenen folgen. Diese zeigen jedoch keinerlei aktives Verhalten gegenüber dem Jungen. Es findet also kein Lehren statt, sondern Lernen allein reicht aus, dass derartige Traditionen entstehen können. In einer ähnlichen Art und Weise ist Lernen bei der Auswahl geeigneter Nahrung beteiligt. Im Winter teilt die Mutter den Futterkrater, den sie durch den Schnee gegraben hat, 94
5 Lernen und Lehren mit ihrem Jungen, nicht aber mit anderen Gruppenmitgliedern (vgl. Shea 1979, zit. nach Klein 1999). Die Jungen profitieren von der Erfahrung der Mutter, Futterstellen und schmackhafte Pflanzen zu finden. Die Mutter zeigt aber kein aktives Verhalten gegenüber dem Jungen, welches ein Lernen bei diesem beschleunigen könnte. Auch zeigen andere Untersuchungen, dass die Nahrungspräferenz beim Rentier weitgehend angeboren ist. Karibujungtiere, die in Gefangenschaft ohne ihre Mutter aufgezogen werden, zeigen eine hohe Präferenz für Flechten, wenn sie ihnen das erste Mal angeboten werden und vergleicht man Rentierjungtiere, die ohne Mutter aufgewachsen sind, mit denen in freier Wildbahn, kann man ab einem Alter von einem Jahr keinen Unterschied in Bezug auf die Futterpräferenz feststellen (vgl. Klein 1999). Eine Förderung des Lernens des Jungen ist nicht nötig und findet deshalb auch nicht statt. Soziales Lernen junger Rentiere und Karibus scheint dann von Bedeutung zu sein, wenn es um das Erinnern geeigneter Futterplätze (Mikrohabitate) geht und weniger, wenn es darum geht, welche Nahrung gefressen werden kann (vgl. Klein 1999). Edwards (1976) untersuchte die Entwicklung des Fressverhaltens bei Elchen (Alces alces andersoni). Welche Pflanzen als Nahrung dienen, wird auch bei diesen Tieren dadurch gelernt, dass das Junge immer nah bei der Mutter ist, ihr folgt und die gleichen Pflanzen frisst, die auch die Mutter frisst. Das heißt „local“- bzw. „stimulus enhancement“ sind die wesentlichen Lernmechanismen. Er schreibt aber auch, dass Weibchen, die gerade Jungtiere haben ein größeres Spektrum an Pflanzen konsumieren als Weibchen, die keine Jungen haben oder Bullen. Ebenso werden nur Weibchen, die Jungtiere haben, dabei beobachtet, wie sie eine typische Winternahrung (Balsam-Tanne, Abies balsamea) noch im Mai und Juni verzehren. Die Jungen sind dabei und fressen an der gleichen Pflanze. Sollte es wirklich der Fall sein, dass die Mutter im Beisein des Jungen eine größere Auswahl an Pflanzen frisst als ohne Jungtier, zeigt sie direktives Lehren, da sie ihr Verhalten in Gegenwart des Jungen ändert und dem Jungen dadurch die Möglichkeit gibt, ein breites Spektrum an Nahrungspflanzen kennenzulernen.
5.3.2.13 Proboscidea, Elefanten Das Matriarchat der Elefanten gilt als nahezu unerschöpfliche, fast mystische Quelle sozialen Wissens (vgl. McComb et al. 2001). Schaut man genauer, ist es verwunderlich, dass es kaum untersucht ist, wie dieses Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wird. 95
5 Lernen und Lehren Jungtiere der Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) lernen durch soziales Lernen, welche Nahrung gefressen werden kann (vgl. Lee & Moss 1999). Die Initiation geht dabei aber vom Jungtier aus. Es geht mit seinem Rüssel zum Mund der Erwachsenen (siehe auch Moss 1988, S. 164). Neben der Interaktion mit der Mutter, die recht einseitig vom Jungen ausgeht, besteht mit anderen Gruppenmitgliedern ein eher wechselseitiges Interesse an der Nahrung des anderen. Dieser weite soziale Kontext und die damit verbundene Möglichkeit, verschiedene Futterarten auszuprobieren, scheinen beim Lernen bzgl. des Umgangs mit Futter sehr wichtig zu sein. Die Jungen haben die Möglichkeit, die Nahrung von Individuen verschiedener Größe, sowie verschiedenen Alters und Geschlechts, kennenzulernen. Die Reaktion junger Weibchen im Östrus, auf Männchen, ändert sich mit zunehmender Erfahrung und sowohl das Erlernen des Brunstverhaltens als auch die Wahl des Paarungspartners scheint durch die Anwesenheit der Mutter in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden (vgl. Moss 1988; 1983, zit. nach Lee & Moss 1999). Die Mütter junger Weibchen, die in den Östrus gekommen sind, können dabei beobachtet werden, wie sie die „oestrus posture“ einnehmen, sich bestimmten Männchen annähern, andere meiden und auf langen Verfolgungsjagden gemeinsam mit ihren Töchtern rennen. Sie geben sogar Postkopulationsrufe von sich, nachdem sich die Tochter gepaart hat, auch wenn sie selbst nicht im Östrus sind (vgl. Moss 1983; 1988, zit. nach Lee & Moss 1999, S. 122). Es macht den Anschein, als wollten die Mütter ihren Töchtern durch ihr Verhalten dabei helfen, ein angemessenes Paarungsverhalten zu erlernen. Somit handelt es sich um direktives Lehren, da die Mütter angemessenes Verhalten vormachen, ohne in die Handlungen des Jungen einzugreifen. Die Geburt des ersten Jungtieres ist ein weiteres Ereignis, bei dem die Anwesenheit erfahrener Weibchen der unerfahrenen Mutter dabei hilft, die Geburt zu überstehen und auf die Bedürfnisse des Neugeborenen angemessen zu reagieren (vgl. Moss 1988, zit. nach Lee & Moss 1999, S. 122).
5.3.2.14 Primates, Affen Die Primaten haben eine verlängerte Phase der Kindheit und Jugend, während der sie sich verschiedene Fähigkeiten aneignen müssen, um zu überleben und sich erfolgreich zu reproduzieren. Junge, unerfahrene Individuen müssen sehr viele Dinge lernen: artund gruppenspezifische Verhaltensmuster und Kommunikationsstrukturen, die eigene Stellung in der Rangordnung im Vergleich zu den anderen Gruppenmitgliedern, welche 96
5 Lernen und Lehren Tiere potentielle Verbündete sind und welche Feinde, welches Futter man fressen kann und welches man meiden sollte, wie man Futter findet und damit umgeht und wie man eine Menge anderer beachtlicher Probleme löst, mit denen ein Tier in seinem Leben konfrontiert wird (vgl. King 1999, S. 17). Mason (1965) betont die Rolle der Mutter in diesem Aneignungsprozess. Je weiter sich das Junge entwickelt, desto subtiler und komplexer wird die Interaktion zwischen Mutter und Jungtier. Bevor das Jungtier unabhängig wird, erfährt es Unterstützung, Bestrafung, Zurückweisung und Einschränkung in verschiedenstem Ausmaß und verschiedenster Form. Der andauernde Prozess der sozialen Anpassung an die Gruppe beginnt bei der Mutter. Von ihr lernt das Junge, Gesten oder Blicke zu deuten und dass man älteren Individuen nicht das Futter klauen darf. Wie genau dieser Aneignungsprozess im Einzelnen aussieht, wird im Folgenden für die verschiedenen Primatentaxa beschrieben.
5.3.2.14.1 Platyrrhini, Neuweltaffen Die Neuweltaffen sind Waldbewohner und weisen insgesamt eine geringere ökologische Bandbreite auf als die Altweltaffen. Das Sozialverhalten hingegen ist sehr variabel. Einige Arten leben in monogamen Familiengruppen, andere in komplexen Verbänden mit vielen Männchen und Weibchen. Im Vergleich zu den Altweltaffen werden den Neuweltaffen häufig geringere kognitive Fähigkeiten zugeschrieben. Damit verbunden könnte soziales Lernen und Lehren weniger stark ausgeprägt sein. Auffällig unter den Neuweltaffen sind die Kapuzineraffen, bei denen auch der Gebrauch von Werkzeug beobachtet werden kann. Im Folgenden werden meist anekdotische Beispiele sozialen Lernens und Lehrens dargestellt. In einer Gruppe von Totenkopfäffchen (Saimiri sciureus), die in Gefangenschaft lebten, wurde ein Tier versehentlich von einer Kette erdrosselt. In der Nähe der Kette befand sich eine Stelle, an der zu Versuchszwecken eine Flasche mit einem begehrten Getränk angebracht war. Wenn ein naives Jungtier zu der Flasche und damit in die Nähe der Kette wollte, wurde es aktiv von den Weibchen zurückgehalten, so dass die Tiere die Kette schließlich mieden (vgl. Leger et al. 1981, S. 177). Es könnte sich bei diesem Verhalten um interaktives, negatives Lehren handeln. Das Verhalten dient aber unmittelbar dem Schutz des Jungen. Dass das Jungtier lernt, diese Stelle zu meiden, ist ein Nebeneffekt. Demnach findet zwar soziales Lernen, aber kein Lehren, statt (siehe S. 67). Boinski & Fragaszy (1989) beobachteten eine Gruppe von Rotrücken Totenkopfäffchen (Saimiri oerstedi), die alle denselben Ast nutzten, um eine Lücke im Kronendach zu 97
5 Lernen und Lehren überbrücken. Eine 8cm lange schwarze Raupe („syturnyid caterpillar“) lag deutlich sichtbar auf einem Blatt neben dem Weg. Ein Teil der erwachsenen Tiere hielt vor dem Blatt, auf dem die Raupe lag, an, bevor sie weitergingen. Als eine Gruppe von vier Jungtieren ebenfalls vor der Raupe anhielt, kehrte ein erwachsenes Männchen zurück, gab mehrere bellende Laute („bark“) von sich und platzierte sich zwischen die Jungen und die Raupe. Die Jungen schauten sich dann die Raupe genau an, bevor sie weitergingen. Boinski & Fragaszy (1989) konnten im Rahmen ihrer Untersuchung noch drei weitere, ähnliche Episoden beobachten. Erwachsene Tiere nutzten die gleichen Gesten und Laute um Jungtiere vor potentiell gefährlichen Tieren fernzuhalten. Das Männchen könnte also die Jungen durch sein Verhalten auf eine potentielle Gefahrenquelle aufmerksam gemacht haben. Natürlich könnte es sich in diesem Fall unmittelbar um ein Beschützen vor potentieller Gefahr handeln. Da die Jungtiere in diesem Moment aber keiner akuten Gefahr ausgesetzt waren, kann das Verhalten als Lehren bezeichnet werden. Erwachsene Lisztaffen (Saguinus oedipus) geben bestimmte, auf das Jungtier gerichtete Rufe von sich, wenn sie mit bekanntem, ungiftigem Futter konfrontiert sind. Dieses Verhalten wird hauptsächlich gezeigt, wenn das Jungtier in einem bestimmten Alter ist. Diese Phase ist auch von einem intensiven Teilen von Futter zwischen Erwachsenen und Jungtieren geprägt und die Wahrscheinlichkeit, Futter von den Erwachsenen zu bekommen ist wesentlich größer, wenn diese die entsprechenden Rufe von sich geben. Die Rufe der Erwachsenen geben dem Jungen sowohl die Möglichkeit etwas über die Nahrung zu lernen als auch über die Rufe, die mit dem Fressen assoziiert sind (vgl. Roush 1996, zit. nach King 1999, S. 23; Roush & Snowdon 2001). In einer experimentellen Studie wurde das Futterrepertoire der Lisztaffen erweitert, indem ihnen unter anderem auch Thunfisch angeboten wurde (vgl. King 1999). Aßen die erwachsenen Tiere den Fisch, zeigten sie unwillkürlich ein Kopfschütteln, welches beim Verzehr genießbarer Nahrung nicht beobachtet werden kann. Jungtiere und junge Erwachsene achten auf dieses Kopfschütteln und vermeiden den Thunfisch (vgl. King 1999, S. 23). Noch eindeutiger ist die Reaktion auf Rufe. Ein Jungtier, das ein Stück Futter aufgehoben hat, lässt es unmittelbar fallen, wenn es den entsprechenden Ruf eines erwachsenen Tieres hört und meidet diese Art von Futter für mindestens zwei Wochen (vgl. King 1999, S. 24; zur Bedeutung der Eltern bei der Aneignung von Nahrungssuchstrategien siehe auch Humle & Snowdon 2008). Neben sozialem Lernen spielt, bei der Auswahl des Futters, ebenso das Lehren eine wichtige Rolle. In den Fällen in denen ein erwachsenes Tier einen Ruf von sich gibt, der
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5 Lernen und Lehren das Junge dazu bringt, ein bestimmtes Futterstück zu meiden bzw. es zu fressen, handelt es sich um interaktives, negatives bzw. positives Lehren. Rapaport & Ruiz-Miranda (2002) konnten drei Fälle bei wild lebenden Löwenäffchen (Leontopithecus rosalia) beobachten, in denen erwachsene Tiere den Jungen zeigten, wo Futter versteckt ist. Diese Art sucht mit ihren dünnen, langgestreckten Fingern im Laub, in Spalten oder Löchern nach Wirbellosen und kleinen Wirbeltieren. Das Hervorbringen der versteckten, eingeschlossenen Beute ist eine komplexe Jagdtechnik, die nicht ohne Weiteres zu meistern ist. Alle drei beobachteten Fälle liefen in ähnlicher Weise ab: Das erwachsene Tier (in zwei Fällen die Mutter) suchte z.B. in einem Astloch nach Futter. Sie hörte damit auf und gab einen „food-transfer call“ von sich, obwohl keine Beute zu sehen war. Das Jungtier näherte sich als Antwort auf ihr Rufen. Die Mutter ging zur Seite und ihr Junges suchte selbst in dem Loch und fand ein Insekt, das es verspeiste, ohne dass es ihm durch die Mutter streitig gemacht wurde. Vergleichbares Verhalten kann auch bei in Gefangenschaft lebenden Löwenäffchen beobachtet werden. Die erwachsenen Tiere – meist die Eltern – geben bestimmte, einladende Signale von sich, die das Jungtier dazu animieren, zumeist lebende Beute von den Eltern zu nehmen (vgl. Brown & Mack 1978). Das erwachsene Tier verändert sein Verhalten in Anwesenheit des Jungen. Ebenso entstehen für das erwachsene Tier Kosten, da die gefundene Beute vom Jungen gefressen wird. Demnach handelt es sich bei den beschriebenen Fällen um direktives Lehren. Es ist in vielen Fällen schwer zu entscheiden, ob es sich um Füttern oder Lehren handelt. Rapaport (1999, S. 619) schreiben aber, dass erwachsene Tiere, Jungtiere häufiger an ihrem Fund teilhaben lassen, wenn es sich um Nahrung handelt, die die Jungen noch nicht kennen, als wenn sie mit der Nahrung vertraut sind. Alles spricht dafür, dass die Erwachsenen ihr Verhalten ändern, so dass das Lernen beim Jungtier gefördert wird. Damit handelt es sich um Lehren. Auch bei Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus) ist der Futtertransfer vom Erwachsenen zum Jungtier weit verbreitet. Die Jungtiere lernen dadurch die Bandbreite des Nahrungsspektrums kennen. Von Lehren kann in diesen Fällen aber nicht gesprochen werden, da das Verhalten unmittelbar der Ernährung des Jungen dient. Auch wenn die Erwachsen die Möglichkeit haben, dass Junge mit ihm unbekannter Nahrung zu versorgen, wird dies nicht mit einer erhöhten Frequenz gezeigt (vgl. Brown et al. 2005; siehe auch Voelkl et al. 2006). Bei frei lebenden Gelbkopf Büschelaffen (Callithrix flaviceps) initiieren Jungtiere manchmal den Transfer von Nahrung von anderen Gruppenmitgliedern. Das Futter wird 99
5 Lernen und Lehren freiwillig abgegeben und ältere Affen geben manchmal auch ohne Aufforderung Futter an die Jungen ab (vgl. Ferrari 1987). Mit dem Futter werden auch Informationen an die Jungen weitergegeben. Ob aber Lehren der primäre Mechanismus ist und nicht vielmehr eine Reaktion auf das Betteln der Jungen bzw. eine Eingewöhnung in feste Nahrung im Vordergrund stehen, ist schwer zu beantworten. Sussman (1977, S. 524 f.) berichtet, wie eine Gruppe von Kattas (Lemur catta), die in einem Tamarindenbaum gefressen hat und weiterziehen will, versucht, ein Jungtier dazu zu bringen, ihr zu folgen. Die Gruppe hatte den Baum bereits verlassen und saß in einigen niedrigeren Bäumen, die den Tamarindenbaum umgaben. Als das Jungtier den anderen nicht folgte und allein zurückblieb, ging eines der Männchen zu ihm zurück und lief ein Stück an ihm vorbei. Das Jungtier bewegte sich aber nicht von der Stelle. Zwei weitere Männchen gingen zu dem Jungtier und auch ein Weibchen folgte ihnen. Das Jungtier versuchte auf den Rücken des Weibchens zu klettern, was ihm aber verwehrt wurde. Das Weibchen lief langsam an das Ende eines Astes und sprang auf einen niedrigeren Baum. Eines der Männchen folgte ihr, blieb am Ende des Astes stehen, markierte die Stelle und sprang ebenfalls hinab. Die beiden Männchen, die sich noch in der Nähe des Jungen befanden, gingen ebenfalls an das Ende des Astes. Sie blieben stehen und markierten die Stelle. Das Junge kam nun an das Ende des Astes. Einer der Erwachsenen sprang hinab und das Jungtier folgte ihm schließlich. Das andere Männchen blieb zunächst im Baum, markierte und gesellte sich dann zu den anderen. Die Gruppe bewegte sich daraufhin in den niedrigeren Bäumen weiter vorwärts. Neben einer rein zufälligen Verkettung von Verhaltenssequenzen könnte es sich auch um einen Fall von „active teaching“ handeln. Die Erwachsen versuchen durch ihr Verhalten das Junge dazu zu bringen, ihnen zu folgen und zeigen ihm, was es machen soll. Milton (1988, S. 292) beschreibt, wie Klammeraffenweibchen (Ateles geoffroyi) ihre Jungen dazu auffordern, eigenständig Nahrungsrouten entlangzulaufen. Ein Weibchen beginnt damit, den Weg entlangzulaufen, setzt sich dann aber hin. Irgendwann wird dem Jungen das Warten zu langweilig und es läuft weiter den Weg entlang, ein Stück von ihr weg. Die Mutter steht dann auf, folgt dem Jungen und bekräftigt es zu einer eigenständigen Fortbewegung durch die Bäume als Führer und nicht als Folgender. Diese Prozedur kann ein Zeit zehrender Prozess sein, der von der Mutter einiges an Geduld erfordert, vor allem wenn man bedenkt, dass sie vermutlich hungrig ist und auch zügig zum nächsten Futterbaum laufen könnte. Stattdessen sitzt sie da und wartet, dass ihr Junges die Initiative ergreift. Es könnte sich nach diesen Beschreibungen um direktives Lehren
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5 Lernen und Lehren handeln, da die Mutter dem Jungen durch ihr Verhalten die Möglichkeit gibt, eigenständig aber doch unter Aufsicht, Nahrungsrouten zu erkunden. Insgesamt scheint es aber so zu sein, dass Klammeraffen alle wesentlichen sozialen Verhaltensweisen oder Futtersuchstrategien auch in Abwesenheit der Eltern oder anderer erwachsener Tiere erlernen. Eine Gruppe von Jungtieren, die auf einer Insel ausgesetzt wurden, zeigten alle typischen Verhaltensweisen (vgl. Milton 1993). Auch Fairbanks (1975) berichtet, dass Klammeraffen zwar durch eigene Erfahrung, nicht aber durch das Beobachten anderer Individuen lernen, ungenießbare Nahrung zu meiden. Kapuzineraffen (Cebus apella) sind wohl die geschicktesten unter den Neuweltaffen. Abgesehen von den Menschenaffen sind sie die einzigen nichtmenschlichen Primaten, bei denen der Gebrauch von Werkzeug beobachtet werden kann. Je komplizierter eine Technik zum Bearbeiten von Nahrung ist, desto wahrscheinlicher wird sie sozial erlernt und vielleicht sogar gelehrt, da individuelles Lernen in diesen Fällen erst später und seltener zum Ziel führen würde. Izawa & Mizuno (1977) beschreiben die verschiedenen Techniken des Cumare-FruchtKnackens (Astrocaryum chambria) der Kapuzineraffen am unteren Duda River, der die westliche Grenze des La Macarena Nationalparks in Kolumbien bildet. Die armdicken Stämme des Bambus (Bambusa guadua) werden zum Aufschlagen der Frucht genutzt. Die genaue Öffnungstechnik ist vom Reifegrad der Frucht abhängig. Junge Früchte, die Milch enthalten, werden zunächst an den Knoten des Bambus, die härteste Stelle, geschlagen. Mit dem Eckzahn wird das Keimloch zerbissen und die „Milch“ getrunken. Um an das Nährgewebe heranzukommen wird die Frucht oberhalb des Knotens an den Bambus geschlagen. Die Frucht bekommt Risse, durch die das Nährgewebe austritt, welches dann abgeschleckt werden kann. Reife Früchte werden hingegen mit voller Wucht gegen die Knoten geschlagen. Es gibt Hinweise darauf, wie das Veralten erlernt wird. Izawa & Mizuno (1977, S. 785) schreiben, dass das Beobachten der Erwachsenen während des Cumare-FruchtKnackens eine effektive Methode sei, um das Verhalten zu erlernen. Die nicht erfolgreichen Versuche, die sie beobachten konnten, werten sie als Herumexperimentieren. Vergleichbares schreiben auch Struhsaker & Leland (1977), die das Verhalten in Burret, ebenfalls im La Macarena Nationalpark, etwas östlicher, beobachteten. Ob aber echtes Imitieren, oder doch nur „emulation“ stattfindet, kann ohne weitere Untersuchungen nicht entschieden werden. Unterstützend für das Erlernen der Technik ist ein anscheinend angeborenes Verhalten von Kapuzineraffen, alle möglichen Gegenstände mit den Händen gegen Bäume zu werfen. 101
5 Lernen und Lehren Die Weißschulterkapuzineraffen (Cebus capucinus) von Costa Rica zeigen einige skurril anmutende Verhaltensweisen, die wahrscheinlich dem Spielverhalten zuzuordnen sind. Eine dieser Verhaltensweisen ist das Handriechen (vgl. Perry 2003; Perry et al. 2003; siehe S. 232 f.). Bei diesem Verhalten platziert ein Affe den Fuß oder die Hand eines anderen vor das eigene Gesicht und inhaliert dabei mehrmals tief mit geschlossenen Augen. Das Verhalten beruht auf Gegenseitigkeit, das heißt beide Beteiligten riechen an Händen oder Füßen des Anderen. Wahrscheinlich wird dieses Verhalten durch „ontogenetic ritualization“ erlernt (vgl. Boesch & Tomasello 1998, S. 600; Tomasello & Call 1997, S. 301; Tomasello et al. 1997b). Durch die Interaktion und die damit verbundene positive oder negative Reaktion des Partners entwickelt sich angemessenes Verhalten. Auch Brüllaffen (Allouata palliata) müssen lernen, welches Futter man fressen kann. Interessant sind hier Unterschiede bzgl. der Art des Futters. Handelt es sich um Blätter, können Prozesse sozialen Lernens beobachtet werden, wohingegen der Verzehr von Früchten unabhängig von sozialem Einfluss zu sein scheint. Whitehead (1986) berichtet, dass Jungtiere beim Verzehr von Blättern auf das Elterntier schauen, bevor sie fressen, nur fressen, wenn auch das Elterntier frisst und nur das fressen, was auch die Eltern fressen. Fressen sie hingegen Früchte, schauen sie nur gelegentlich zu den Eltern und probieren auch Früchte, die die Eltern nicht fressen. Das Fressen von Früchten ist daher weniger koordiniert mit den Eltern als das Fressen von Blättern. Ein aktives Verhalten von Seiten der Eltern, also irgendeine Art von Lehren, kann nicht beobachtet werden. Warum es diesen Unterschied im sozialen Lernen bzgl. der Art der Pflanze gibt, könnte an den verschiedenen Inhaltsstoffen liegen. Blätter enthalten häufiger giftige sekundäre Pflanzenstoffe, die vor Fraß schützen sollen. Früchte hingegen dienen der Ausbreitung des Samens der Pflanze und sind darauf angewiesen, dass sie z.B. gefressen werden und der Samen mit dem Kot der Tiere verbreitet wird. Um welche Form des sozialen Lernens es sich handelt, kann auch hier nicht mit Sicherheit gesagt werden. Zweifelsfrei aber dienen die Erwachsenen dem Jungen als Vorbild.
5.3.2.14.2 Catarrhini, Altweltaffen (ohne Hominidae) Altweltaffen leben vorwiegend in Wäldern, sind in Bezug auf ihren Lebensraum aber flexibler als die Neuweltaffen und auch als Bodenbewohner oder in der Savanne zu finden. Sie haben ein komplexes Sozialverhalten und leben in Paaren oder Gruppen. Ihnen wird eine größere Lern- bzw. Lehrfähigkeit zugeschrieben als den Neuweltaffen. 102
5 Lernen und Lehren Grüne Meerkatzenjungtiere (Cercopithecus aethiops) lernen durch die Interaktion mit den Erwachsenen, prädatorspezifische Warnrufe abzugeben. Wenn ein Jungtier aufgrund der Bedrohung durch einen Adler den Adlerwarnruf von sich gibt, wird dieser in 12 von 17 Fällen durch ein erwachsenes Tier wiederholt. Gibt das Junge den Ruf aber z.B. aufgrund eines fallenden Blattes von sich, wiederholen ihn erwachsene Tiere nur in 3 von 60 beobachteten Fällen (vgl. Seyfarth & Cheney 1986). Hauser (1987, zit. nach Caro & Hauser 1992) bringt einen anekdotischen Hinweis darauf, dass Erwachsene auch aggressiv gegenüber Jungen sind, sie also möglicherweise bestrafen, wenn sie falsche Alarmrufe von sich geben. Genauere Untersuchungen schwächen allerdings die Bedeutung des Verhaltens von Seiten der Eltern in Bezug auf das Lernen des Jungen ab. Cheney & Seyfarth (1990, S. 225) beschreiben, dass die Erwachsenen die Jungen nie korrigieren, wenn sie einen falschen Alarmruf von sich geben und sie wiederholen ebenso den richtigen Alarmruf, wenn ein erwachsenes Tier ruft (siehe auch Cheney & Seyfarth 1990, S. 133; Seyfarth & Cheney 1986). Auch wenn das Verhalten der Erwachsenen nicht auf das Jungtier gerichtet ist und es sich damit nicht um Lehren handelt, erleichtert es dennoch das Erlernen des korrekten Rufes beim Jungen. An diesem Beispiel wird der Unterschied zwischen Lernen und Lehren noch einmal sehr deutlich. Handelt es sich um Lehren, zeigt der Lehrer die Verhaltensänderung nur in Gegenwart des Schülers. Implizit wird damit gesagt, dass das Verhalten unmittelbar keinem anderen Zweck dient, als das Lernen bei einem anderen Individuum zu fördern. In dem beschriebenen Fall dient das Abgeben des Warnrufes dazu, die anderen Gruppenmitglieder vor einem bestimmten Räuber zu warnen. Durch das Wiederholen des Warnrufes wird die Information schneller in der Gruppe ausgebreitet. Auch wenn die Jungen dadurch lernen, welcher Warnruf mit welchen Prädator assoziiert ist, ist dieses Lernen nur ein Nebenprodukt. Das Verhalten hat unmittelbar eine andere Funktion. Bei vielen Primatenarten gibt es Hinweise darauf, dass die Mutter oder der Vater das Junge zum eigenständigen Laufen animiert. Cheney & Seyfarth (1990, S. 119 f.) beschreiben für Grüne Meerkatzen den entgegengesetzten Fall. Oft lassen Mütter ihre Jungen in einer anscheinend ungeschützten Position zurück und unternehmen keinen offensichtlichen Versuch, ihrem Jungen mitzuteilen, dass sie gehen oder wohin sie gehen. In einem beschriebenen Fall lief die Mutter weg und ließ ihr Junges in einem Baum zurück, gerade als eine Gruppe Paviane eintraf. Als das Junge merkte, dass die Mutter weg war, schrie es laut auf und zog dadurch sowohl die Aufmerksamkeit der Mutter als auch die der Paviane auf sich. Die Mutter schaute zu ihrem Jungen, gab aber kein Geräusch 103
5 Lernen und Lehren von sich. Sie hatte anscheinend keine Möglichkeit, dem Jungen mitzuteilen, dass es ihr folgen soll. Die Jungtiere der Hanuman-Languren (Presbytis entellus) lernen durch die Interaktion mit den Erwachsenen, insbesondere mit der Mutter, welche Nahrung gefressen wird (vgl. Jay 1963, S. 292 f.). Im Alter von drei Monaten wird das Jungtier entwöhnt und ernährt sich nun zunehmend von fester Nahrung. Es sammelt die Pflanzen, die die Mutter frisst und hebt Nahrungsstücke auf, die sie fallen lässt; gelegentlich ergattert es auch Stücke aus ihrem Mund oder ihrer Hand. Im Allgemeinen toleriert sie das, zeigt aber keine Ambitionen, Futter zu teilen. Es handelt sich hierbei also um soziales Lernen; Lehren findet aber nicht statt. Makaken (Macaca spp.) leben in Gruppen, die aus deutlich mehr Weibchen, als Männchen, bestehen. Junge Männchen verlassen mit einsetzender Geschlechtsreife ihre Geburtsgruppe und schließen sich zu reinen Männergruppen zusammen. Die Weibchen bleiben in ihrer Geburtsgruppe. Das Gruppenleben bietet optimale Voraussetzungen für Lernen und Lehren. Hinde & Simpson (1975) konnten einige Fälle beobachten, in denen eine Rhesusaffenmutter (Macaca mulatta) von ihrem Jungen wegging, kurz stehen blieb, ihren Schwanz hob oder „lipsmacking“ zeigte, während sie ihr Junges ansah, ihm ein Stück entgegenkam und dann wieder wegging. Während Hinde & Simpson (1975) dieses Verhalten als Spielen deuteten, ging man mit zunehmender Untersuchung dieses Verhaltens davon aus, dass es die Unabhängigkeit oder genauer die unabhängige Lokomotion des Jungen fördern soll. Maestripieri (1995a) untersuchte dieses Verhalten bei 28 Mutter-Jungtier-Paaren in Gefangenschaft. Die Paare konnten in Bezug auf den Kontaktabbruch in zwei Gruppen eingeteilt werden: Entweder war es die Mutter, die als erste den Kontakt zum Jungen unterbrach oder das Jungtier unterbrach zuerst den Kontakt zur Mutter. Ist die Mutter die erste, findet der Kontaktabbruch zu einem früheren Zeitpunkt statt, das heißt, die Jungtiere sind jünger. Die Mütter dieser Gruppe fördern durch ihr Verhalten die unabhängige Lokomotion der Jungen. Im Vergleich zu den Jungtieren, deren Mütter ein solches Verhalten nicht zeigen, können diese Jungen eher eigenständig laufen (siehe auch Hinde et al. 1964, S. 631; Maestripieri 1995b; Mason 1968, S. 87). Dieses Verhalten kann demnach als positives, interaktives Lehren bezeichnet werden, da die Mutter ihr Verhalten in Gegenwart des Jungen ändert. Das Verhalten scheint sensibel gegenüber der Entwicklung und Kompetenz des Jungen zu sein (vgl. Maestripieri 1995b). Es ist für die Mutter mit Kosten verbunden, denn es besteht ein erhöhtes Risiko 104
5 Lernen und Lehren für das Junge gekidnappt zu werden, wenn sie es allein lässt. Ebenso konnte gezeigt werden, dass Jungtiere, deren Eigenständigkeit nicht gefördert wird, später laufen lernen. Neben diesem Anregen oder Animieren können bestimmte Aktivitäten auch verboten werden. Die Jungen werden z.B. zurückgehalten, wenn sie sich zu weit von der Mutter entfernen. Sowohl frei lebende (vgl. Kaufmann 1966) als auch in Gefangenschaft lebende Tiere (vgl. Ransom & Rowell 1972, S. 114) schränken ihr Junges derart ein. Neben negativem, interaktivem Lehren könnte es sich hierbei allerdings auch einfach um Schutzmaßnahmen von Seiten der Mutter handeln. Da das Verhalten vor allem von niederrangigen Müttern gezeigt wird, kann vermutet werden, dass die Mütter mit ihrem Verhalten verhindern wollen, dass das Junge von einem hochrangigen Tier gestohlen wird und sie es unter Umständen nur sehr schwer wiederbekommen. C. M. Berman (persönl. Mitteilung, zit. in King 1994, S. 32) beschreibt, wie Mütter ihr Junges an sich reißen, wenn es Kontakt mit bestimmten anderen Individuen aufnehmen will. Auch dieses Verhalten dient unmittelbar dem Schutz des Jungen. Nebenbei wird aber ebenso selektiert, mit wem das Jungtier Umgang hat und mit wem nicht. Es findet kein Lehren im eigentlichen Sinne statt, aber Lernen. Indem die Mutter auf andere Gruppenmitglieder mit Angst, Intoleranz oder Zuneigung reagiert, bietet sie dem Jungen bestimmte Hinweisreize, die die Beziehung des Jungen zu dem entsprechenden Gruppenmitglied beeinflussen (vgl. King 1994, S. 31 f.). Nicht nur das elterliche Verhalten gegenüber anderen Gruppenmitgliedern, sondern auch gegenüber anderen Aspekten der Umwelt fördert bestimmte Lernprozesse beim Jungtier. In Gefangenschaft aufgewachsene Rhesusaffen, die bisher keinerlei Erfahrung mit Schlangen gesammelt hatten, reagierten z.B. mit Angst, wenn sie ihre in freier Wildbahn aufgewachsenen Eltern mit Angst reagieren sahen (vgl. Baldwin 1969; Mineka & Cook 1988; Mineka et al. 1984). Es handelt sich demnach um soziales Lernen. Die Eltern zeigen zwar kein aktives Verhalten gegenüber dem Jungen, sie sind mit ihrem Verhalten aber dennoch Vorbild für das Junge und beeinflussen dadurch dessen Verhalten. Es kann häufig beobachtet werden, dass eine Rhesusaffenmutter zusätzlich zu ihrem eigenen Jungtier ein weiteres Junges an den Bauch nimmt (vgl. z.B. de Waal 1990, auch „double hold“). Bemerkenswert ist, dass die Auswahl anscheinend selektiv ist. Es werden vorrangig Jungtiere höherrangiger Mütter geklaut. Die Mütter scheinen zu wissen, welches Jungtier zu wem gehört und unterstützen mit ihrer selektiven Auswahl die späteren Beziehungen ihres eigenen Jungen (vgl. de Waal 1990). Es könnte sich hierbei um direktives Lehren handeln, da die Mutter ihr Verhalten in Gegenwart des Jungen ändert. 105
5 Lernen und Lehren Sie hat keinen unmittelbaren Nutzen davon bzw. ist das Verhalten mit Kosten verbunden. Durch ihr Verhalten gibt die Mutter dem Jungen die Möglichkeit zu lernen, wer ein adäquate Sozialpartner ist (siehe auch King 1994, S. 32). Ist das Schweinsaffenjunge (Macaca nemestrina) zwischen fünf und sieben Tagen alt, setzt es die Mutter das erste Mal allein auf den Boden. Sie geht dann ein paar Schritte zurück und senkt ihren Vorderkörper ab. Sie schaut das Jungtier an, schiebt den Hinterkopf nach unten, zwischen ihre Schultern, spitzt die Lippen und hebt die Augenbrauen. Als Beobachter bekommt man den Eindruck, dass sie das Junge dazu bringen möchte, zu ihr zu laufen, was dieses schließlich auch tut (vgl. Bolwig 1980, S. 371; siehe auch Maestripieri 1996). In Bolwigs (1980) Studie war eines der Jungtiere, als es das erste Mal abgesetzt wurde, noch zu schwach um eigenständig zu stehen, woraufhin es die Mutter mit der Hand unterstützte. Der typische Gesichtsausdruck, den die Mutter bei diesem Verhalten zeigt, wird häufig als „pucker face“ bezeichnet (vgl. Bernstein 1967; Maestripieri 1996); aber auch als „LEN“ (vgl. Jensen & Gordon 1970), „flehmen face“ (vgl. van Hooff 1962), „prodrudedlips face“ (vgl. van Hooff 1967) oder „jaw thrust“ (vgl. Kaufman & Rosenblum 1966). Somit handelt es sich bei der Förderung der eigenständigen Lokomotion, wie bei vielen anderen Makakenarten auch, um positives, interaktives Lehren. Burton (1972) untersuchte eine Berberaffengruppe (Macaca sylvana) auf Gibraltar. Er beobachtete mehrere Fälle, in denen das Jungtier in der ersten Lebenswoche von seinem Vater, dem Alphamännchen, auf den Boden gesetzt wurde. Anschließend entfernte er sich ein Stück, senkte seinen Kopf, sah dabei zum Jungtier und plapperte („chattering“) in dessen Richtung. Das Junge wiederholte das plappern und krabbelte zu ihm. Als das Junge fast bei seinem Vater angekommen war, ging dieser erneut weg und wiederholte das Plappern (siehe Abb. 6). Burton (1972) konnten feststellen, dass es Jungtieren, deren lokomotorische Fähigkeiten auf diese Art und Weise gefördert wurden, später leichter fiel, zu springen und zu klettern. Demnach handelt es sich bei dem Verhalten des Vaters um positives, interaktives Lehren. Die Berberaffen von Gibraltar haben eine ungewöhnlich hoch entwickelte väterliche Fürsorge (vgl. Burton 1972). Schon kurz nach der Geburt erlaubt die Mutter dem Männchen, das Junge zu nehmen und zu halten. Durch den Umgang mit den Männchen erhält das Junge, im Zuge der motorischen Entwicklung, alle nötigen Informationen, um zu einem funktionierenden Gruppenmitglied heranzuwachsen. Diese Informationen beinhalten z.B. die Frage der Nahrungssuche und des -konsums, genauso wie Wanderruten von einem Gebiet in ein anderes. Weibchen sind bei der Sozialisation älterer Jungtiere („ju106
5 Lernen und Lehren venile and subadult“ ) bedeutender als bei der Fürsorge der ganz jungen („infants“). Ihre Aktivitäten in Bezug auf die Babys beschränken sich auf das Füttern und später auch Groomen (vgl. Burton 1972). Welche genauen Lernmechanismen bei diesen einzelnen Aktivitäten relevant sind oder ob auch Lehren beteiligt ist, kann aus diesen Beschreibungen aber nicht geschlussfolgert werden. Eine Javaneraffengruppe (Macaca fascicularis) in Thailand (Lopburi, 154 km nördlich von Bankog) benutzt Menschenhaare als Zahnseide (vgl. Masataka et al. 2009). Ist ein Jungtier anwesend, wird das Verhalten verändert. Es ist von mehr Pausen unterbrochen und es wird häufiger wiederholt. Die Autoren interpretieren dieses übertriebene Verhalten als Zeichen dafür, dass es das Lernen der Technik beim Jungen fördern soll (vgl. Masataka et al. 2009, S. e4768). Es handelt sich also um direktives Lehren.
Abbildung 6: Berberaffenmännchen, welches sich, nachdem es sich ein Stück vom Jungtier entfernt hat, zu diesem umdreht und es auffordert, zu ihm zu kommen (Zeichnung nach einem Foto aus Burton 1972, S. 34) Itani & Hazama (1953, zit. nach Kawamura 1959) beschreiben das Verhalten einer in Gefangenschaft lebenden Japanmakakengruppe (Macaca fuscata). Die Mutter ergreift das Junge gegebenenfalls, hält es an Schultern und Armen, schüttelt es oder sieht es grimmig an. Sie stößt Warnrufe aus und nimmt das Jungtier in die Arme, wenn sie eine Gefahr entdeckt. Sie entreißt ihm Futter oder sie hält es an den Beinen fest und beschränkt so seinen Bewegungsradius. 107
5 Lernen und Lehren Kawamura (1959) schreibt, dass ein ähnliches Verhalten von Seiten der Mutter auch bei Freilanduntersuchungen fast täglich zu sehen ist. Insbesondere berichtete er von seinen Beobachtungen auf Koshima. Als er das Süßkartoffelwaschen auf der Insel untersuchte, bot er den Tieren Holztröge und Eimer als Waschgelegenheiten an. Eine Mutter zog ihr Jungtier am Arm von diesen Wasserbehältern fort. In der Minoo-Schlucht versuchte er Affen der B-Gruppe in einer Falle zu fangen. Das dominante Männchen hielt die Tiere von der Falle zurück und griff diejenigen an, die sich ihr dennoch nähern wollten. Bei der Takago-S-Gruppe konnte beobachtet werden, wie zwei Jungtiere an das ausgelegte Futter zu gelangen versuchten und von den Anführern weggejagt wurden. Auch in weiteren Fällen konnte beobachtet werden, wie Mütter ihre Jungen von Gegenständen fernhielten, die sie selbst nicht kannten und vor denen sie offensichtlich Angst hatten (vgl. Menzel 1968). Auf diese Weise werden die Jungtiere durch Strafhandlungen der Erwachsenen zurückgehalten, wenn ihr Herumprobieren sie in Gefahr bringen könnte. Da das Verhalten unmittelbar einem anderen Zweck, nämlich dem Schutz vor Gefahr dient, kann hier nicht von Lehren gesprochen werden. Als Nebeneffekt lernt das Junge, was Gefahrensituationen sind und dass man diese meidet (siehe S. 67). Das Kartoffelwaschen oder auch das später aufgetretene Waschen von Getreide der Japanmakaken von Koshima sind Lehrbuchbeispiele für Kultur (siehe S. 234 f.). Wie aber genau diese Techniken der Nahrungsaufbereitung erlernt und von Generation zu Generation weitergegeben werden, ist nicht einfach zu beantworten. Lehren spielt wahrscheinlich eine nur sehr untergeordnete Rolle. „Local“- bzw. „stimulus enhancement“ scheinen bei diesen und auch anderen Gewohnheiten bzgl. der Ernährung die entscheidenden Mechanismen zu sein. Welche Nahrung gefressen wird, lernen die Jungen dadurch, dass sie dabei sind, wenn die Mutter frisst und heruntergefallene Stücke aufheben (vgl. z.B. Kawamura 1959). Welches Futter eine Kolonie zu sich nimmt, beruht aber nicht nur auf dem zur Verfügung stehenden Futter, da sich die Gewohnheiten verschiedener Gruppen unterscheiden. Soziales Lernen ist in diesem Kontext sehr wahrscheinlich (vgl. Kawamura 1959). Ob aber auch echtes Imitieren vorkommt, ist sehr umstritten (siehe S. 235). Ein weiteres, skurriles Verhalten der Japanmakaken ist das Spielen mit Steinen („stone handling“). Dieses Verhalten dient keinem unmittelbaren Zweck (für eine mögliche Erklärung, warum es gezeigt wird, siehe S. 236). Huffman & Quiatt (1986) schreiben, dass ein Jungtier das Verhalten von der Mutter, von Spielkameraden, deren Mütter mit Steinen spielen oder von älteren Geschwistern lernt, die das Steinspiel bereits beherrschen. Dieses Beobachtungslernen erfolge sehr früh in der Entwicklung. Jungtiere, die gerade 108
5 Lernen und Lehren einmal drei Wochen alt sind, beginnen schon Interesse am Hantieren mit den Steinen zu zeigen. Sie nähern sich der Mutter, die mit den Steinen hantiert, greifen danach, berühren die Steine mit dem Mund oder heben einzelne auf (vgl. M. A. Huffman, unveröffentlicht, zit. in Huffman & Quiatt 1986). Leca et al. (2010) untersuchten experimentell, wie das „stone handling“ erlernt wird. Speziell prüften sie die Rolle des „local“- bzw. „stimulus enhancement“. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass ein Haufen Steine an sich schon ein ausreichender Reiz ist, um das Auftreten des Spielens mit Steinen bei einem Individuum zu fördern; ein direkter sozialer Einfluss anderer Gruppenmitglieder ist dabei nicht nötig, darf aber ebenso nicht unterschätzt werden. Es konnte z.B. bei einer kontinuierlichen Untersuchung von Müttern und ihren Jungen gezeigt werden, dass die Mutter die primäre Quelle für die ersten Erfahrungen des Jungen mit dem Steinspiel ist und dass das Erlernen des Verhaltens durch die Jungen einem direkten sozialen Einfluss („social facilitation“), durch die Mutter als Demonstrator, unterliegt. Nahallage & Huffman (2007a; 2007b) kommen zu dem Ergebnis, dass das bloße Vorhandensein von Steinen keinen Einfluss auf die Entwicklung des Steinspiels hat, die Mutter als Modell allerdings schon. Jungtiere mit einer Mutter, die in deren Beisein mit den Steinen spielt, erlernen das Spiel deutlich früher als Jungtiere ohne Modell. Im Winter suchen die Tiere kühlerer Regionen heiße Quellen auf, um darin zu baden (siehe auch S. 236). Bei diesem sogenannten „hot-spring bathing“ ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jungtier badet höher, wenn auch die Mutter badet (vgl. Zhang et al. 2007). Dieses Verhalten wird also durch soziales Lernen („local“- bzw. „stimulus enhancement“) von einer Generation an die nächste weitergegeben. Paviane (Papio spp.) leben in Gruppen von bis zu 250 Tieren. Diese Gruppen bestehen entweder aus vielen Männchen und Weibchen oder aus einem Männchen und mehreren Weibchen, die dann einen Harem bilden. Bei den Gruppen, die aus vielen Männchen und Weibchen bestehen, verlassen die Männchen die Geburtsgruppe. Die Weibchen bleiben in der Gruppe. Bei einem Harem verlassen beide Geschlechter, meist noch vor Erreichen der Geschlechtsreife, die Gruppe. Mehrere Haremsgruppen können sich zu größeren Verbänden zusammenschließen, bei denen die Männchen sehr genau auf ihre Weibchen achtgeben. Alles in allem leben Paviane in einem sozialen System, das vielfältige Möglichkeiten für Lernen und Lehren bietet. Viele Anubispavianweibchen (Papio anubis) setzen ihre Jungtiere schon kurz nach der Geburt, vor oder neben sich auf den Boden und behalten dieses Verhalten mit zunehmender Entwicklung der Jungen bei bzw. erweitern es. Sie entfernen sich ein Stück vom 109
5 Lernen und Lehren Jungtier und warten, bis es zu ihnen gelaufen kommt (vgl. Ransom & Rowell 1972, S. 117 ff.; siehe Abb. 7). Die Mutter fördert mit ihrem Verhalten die eigenständige Fortbewegung des Jungen. Derartig behandelte Jungtiere folgen ihrer Mutter schon ab dem dritten Monat eigenständig und müssen nicht mehr getragen werden (vgl. Ransom & Rowell 1972, S. 117 ff.; siehe auch Nicolson 1982, zit. nach Nicolson 1987, S. 332).
Abbildung 7: Das Pavianweibchen Faith setzt ihr Junges Charity auf den Boden, entfernt sich einige Schritte von ihm und wartet, dass es zu ihr gelaufen kommt (Zeichnung nach einem Foto aus Ransom & Rowell 1972, S. 117) Demnach handelt es sich um positives, interaktives Lehren, da die Mutter ihr Verhalten in Gegenwart des Jungen ändert, das Verhalten ist für sie mit Kosten verbunden, es fördert das eigenständige Laufen beim Jungen und Jungtiere, die keine solche Instruktion erhalten, lernen später laufen. Neben den Bemühungen, die Unabhängigkeit des Jungen zu fördern, wird es aber vor allem in den ersten Monaten bei derartigen Bestrebungen eher gezügelt. Bei Versuchen, den Kontakt zur Mutter zu brechen, wird es zurückgehalten bzw. zurückgeholt. Nach einem Kontaktabbruch weicht ihm die Mutter nicht von der Seite. Im Kontext dieses einschränkenden Verhaltens meidet die Mutter andere erwachsene Individuen. Insgesamt scheint das Verhalten aber nicht besonders effektiv zu sein, um den Kontakt zu anderen 110
5 Lernen und Lehren Erwachsenen in der Gruppe einzuschränken (vgl. Ransom & Rowell 1972, S. 114). Da dieses Verhalten unmittelbar dem Schutz des Jungen dient, kann hier nicht von Lehren gesprochen werden. Das Jungtier lernt aber trotzdem, z.B. bestimmte Sozialpartner zu meiden. Neben diesem offensichtlicheren Verhalten, bei dem die Mutter direkt mit dem Jungen interagiert, lernt das Junge auch von der Mutter, ohne dass diese ihr Verhalten ändert. Ein typischer Fall ist das Lernen, welche Nahrung gefressen werden kann, und wo man diese findet. Das Junge im Alter von sechs bis zwölf Monaten folgt der Mutter, wenn sie auf Nahrungssuche geht. Es hält sich in ihrer Nähe auf, frisst wo und was sie frisst und benutzt die gleichen Handlungen (vgl. z.B. Ransom & Rowell 1972, S. 112). Maxim & Buettner-Janusch (1963) konnten bei ihrem Versuch Paviane (Papio doguera) zu fangen vor allem beschützendes Verhalten von Seiten der Erwachsenen gegenüber den Jungen feststellen. Verschiedene Männchen und auch die großen Weibchen hielten Jungtiere davon ab, Futter aus einer Falle zu fressen. Zum Teil wurden Jungtiere, die in einer Falle gefangen waren, auch wieder befreit. Ebenso schreiben sie, dass Babys manchmal auch bestraft werden, vor allem, wenn sie sich zu weit von der Gruppe entfernen. Im Allgemeinen rennt die Mutter zu dem Ausreißer, schnappt ihn sich und gibt ihm einen Klaps. Dieses Verhalten kann demnach nicht als Lehren bezeichnet werden, da es unmittelbar einem anderen Zweck, nämlich dem Schutz des Jungen, dient. Andererseits ist es dann schwer zu interpretieren, warum die Mutter dem Jungtier einen Klaps gibt. Würde es sich nur um Verhalten zum Schutz des Jungen handeln, würde es ausreichen, das Junge festzuhalten. Dem Jungen einen Klaps zu geben, ist mit einem zusätzlichen Aufwand, mit zusätzlichen Kosten, verbunden. Es könnte sich hierbei also auch um Lehren handeln. Auch Mantelpaviane (Papio hamadryas) können dabei beobachtet werden, wie sie ihren Jungen das Laufen beibringen. Mütter setzen ihr Junges auf den Boden, gehen ein Stück weg und schmatzen übertrieben mit ihren Lippen; die Augenbrauen werden gehoben, die Ohren zurückgelegt und der hintere Teil des Kopfes ist nach unten gerichtet (vgl. Bolwig 1980). Diese Gesten haben Aufforderungscharakter und spornen das Junge an, zur Mutter zu gehen. Es handelt sich also auch hier um positives, interaktives Lehren. Zurückweisung und aggressives Verhalten können im Kontext der Entwöhnung beobachtet werden (vgl. z.B. Bolwig 1980, S. 368). Die Mutter wird zunehmend abweisender gegenüber ihrem Jungen; sie verweigert ihm nicht nur den Zugang zur Brust, sondern zieht es gewaltsam weg. Protestiert das Junge, wird es zur Seite gedrückt oder gehauen. Da das Verhalten unmittelbar einem anderen Zweck dient, kann hier nicht von Lehren 111
5 Lernen und Lehren gesprochen werden. Dennoch fördert die Mutter mit ihrem Verhalten die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des Jungen. Auch Steppenpaviane (Papio cynocephalus) ermuntern ihr Junges zum eigenständigen Laufen. Die Mutter läuft einige Schritte von ihrem Jungen weg, bleibt stehen und wartet, bis es zu ihr gelaufen kommt. Sobald es zu laufen beginnt, läuft auch sie langsam weiter. Am Anfang wird diese Sequenz noch Stück für Stück gezeigt, aber bald schafft es die Mutter mit nur einer solchen Pause das Junge dazu zu bringen, ihr über eine lange Strecke zu folgen. Das Verhalten wird sowohl in Gefangenschaft als auch in freier Wildbahn gezeigt (vgl. Altmann 1980, S. 130). Selbst wenn die Erwachsenen die Jungtiere während der Nahrungssuche und -aufnahme sehr nah bei sich akzeptieren, gibt es keine Anleitung oder Intervention (also Lehren in irgendeiner Form); auch dann nicht wenn die Jungen Nahrung wählen, die nicht von den Erwachsenen der Gruppe konsumiert wird (vgl. King 1999, S. 21). Bolwig (1959, S. 154) schreibt, dass einige Beobachter ihm gegenüber betont hätten, dass Bärenpavianmütter (Papio ursinus) ihre Jungen manchmal bestrafen, indem sie sie hauen. Er selbst konnte das Verhalten einmal beobachten. In seinem Fall war es das Männchen, das ein ca. zwei Monate altes Baby adoptiert hatte. Das Junge näherte sich einem ungewöhnlich übelgelaunten, hochrangigen Männchen, woraufhin es der Adoptivvater mit der linken Hand schnappte und festhielt. Mit der rechten Hand gab er ihm einen leichten Schlag. Das Baby schien den Grund für diese Bestrafung allerdings nicht zu verstehen und bewegte sich erneut in Richtung des hochrangigen Männchens. Das brachte den Adoptivvater dazu, das Junge hochzuheben und es hinter einen Busch, der ca. 20m entfernt stand, zu tragen. Auch dieses Verhalten diente sicherlich unmittelbar dem Schutz des Jungen. Schwer zu deuten ist dann allerdings der Schlag, den das Männchen dem Jungen gab. Wäre es nur um den Schutz des Jungen gegangen, hätte er das Baby auch einfach an sich reißen können (für weitere Fälle von „Bestrafung“ zum Schutz des Jungen siehe auch Bolwig 1959, S. 160). Die Auswahl der Nahrung wird, zumindest unter Experimentalbedingungen, durch die Erwachsenen beeinflusst (vgl. Fletemeyer 1978). Ein hochrangiges Männchen wusste um die Giftigkeit bestimmter, im Experiment präsentierter, Früchte, da es vorher schon Erfahrungen damit gemacht hatte. Wenn naive Jungtiere Interesse an diesen Früchten zeigten, reagierte es mit aggressivem Drohen. Die Jungtiere lernten relativ schnell die giftigen Früchte zu meiden. Auch wenn das Männchen durch sein Verhalten das Lernen der Jungtiere beeinflusste, kann hier nicht von Lehren gesprochen werden, da das Verhalten unmittelbar dem Schutz der Jungen, diente. 112
5 Lernen und Lehren Carstensen (1975, zit. nach Bolwig 1980, S. 372) beschreibt wie ein Schopfpavianweibchen (Cynocephalus niger) im Kopenhagener Zoo sein Junges zum eigenständigen Laufen anregte. Die Mutter setzte es dabei auf den Boden und entfernte sich Stück für Stück, wobei sie häufig stehen blieb, „lip smacking“ zeigte und grinste. Zusätzlich gab die Mutter Laute von sich und schüttelte den Kopf. Junge Husarenaffen (Erythrocebus patas) reagieren in einigen Situationen mit Angst und in anderen nicht. Rowell (1999, S. 14) berichtet, dass jedes Jahr, wenn sie und ihre Mitarbeiter in ihr angestammtes Untersuchungsgebiet zurückkehrten, ein neuer Trupp Jungtiere geboren war, der auf ihr Erscheinen mit Alarmrufen antworteten. Die erwachsenen Tiere reagierten, indem sie nach dem Grund des Alarms schauten und als sie die Beobachter entdeckten, zu ihren vorherigen Aktivitäten, wie Fressen oder Grooming übergingen. Beeinflusst durch das Verhalten der Erwachsenen reagierten die Jungen schließlich nicht mehr mit Angst und kamen sogar näher an die Beobachter heran, als es sich die Erwachsenen je getraut hätten. Dieses Verhalten kann aber nicht als Lehren bezeichnet werden, da das Verhalten der Erwachsenen nicht auf die Jungen bezogen war. Sie wollten lediglich die Ursache des Alarms ausfindig machen und da die Situation für sie keine Bedrohung darstellte, kehrten sie zu ihren gewonnenen Aktivitäten zurück. Dennoch lernten die Jungen durch das Verhalten der Erwachsenen, dass Beobachter ungefährlich sind. Ein derartiges Lernen ist auch in die andere Richtung möglich. Die positive Reaktion zweier junger Husarenaffen auf eine Kiste, schlug in starke Abneigung um, nachdem sie gesehen hatten, wie sich ihre Mutter davor erschreckte (vgl. Hall 1968). In der Kiste befand sich eine lebende Schlange, die erst beim Öffnen des Deckels sichtbar wurde. Von dem Nachbarkäfig aus, in dem sich die Jungtiere befanden, konnte man diese aber nicht sehen. Ihr Verhalten ist also allein auf die Reaktion der Mutter zurückzuführen, nicht auf das Entdecken der Schlange. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um Lehren, da das Verhalten der Mutter nicht auf die Jungen gerichtet war. Welche Nahrung gefressen wird, lernen die Jungen dadurch, dass sie zuschauen, was die Mutter frisst und heruntergefallene Stücke aufheben (vgl. Hall 1965). Aber auch hier findet kein aktives Verhalten von Seiten der Erwachsenen – kein Lehren – statt. Ein Beispiel dafür, wie das Fressverhalten anderer Individuen das eigene Verhalten beeinflussen kann, geben Hall & Goswell (1964, S. 67). Ein in Gefangenschaft lebendes Weibchen reagierte auf eine Pastinake, als sie ihr das erste Mal gegeben wurde, indem sie daran roch, sie auf den Boden legte und später über den Fußboden des Käfigs rollte. Ihr Käfig war durch einen Sichtschutz vom Käfig eines erwachsenen Männchens getrennt. Als 113
5 Lernen und Lehren dem Männchen eine Pastinake gegeben wurde, fing er, nachdem er kurz daran gerochen hatte, an, sie zu fressen. Daraufhin wurde der Sichtschutz entfernt, so dass das Weibchen das Männchen beim Verzehr der Pastinake sehen konnte. Nach erneutem Riechen, einigem Zögern und wiederholtem Aufstehen um in den Käfig des Männchens zu schauen, begann auch sie die Pastinake zu fressen. Dieses Verhalten ist eigentlich nur durch echtes Imitieren zu erklären. Im Prinzip lernen die Jungtiere das Grooming auf zwei Weisen. Zum einen sind sie dabei, wenn die Mutter gegroomt wird, oder selbst groomt und können sich das Verhalten abschauen, zum anderen fangen sie neben dem passiven Beobachten selbst mit den ersten Groomingversuchen an. Havel (1994) schreibt (S. 40): „Sie beobachten gezielt eines der erwachsenen ♀ beim Lausen und langten dann selbst neben die Hände des erwachsenen Tieres.“ Mit undifferenzierten Bewegungen rissen und rubbelten sie an dem eben gelausten Fellareal. In der Untersuchung von Havel begannen diese frühen Versuche im Alter von fünf Wochen bis zwei Monaten. Das Lernen des adäquaten Fellpflegeverhaltens wird durch die Reaktion der anderen Gruppenmitglieder gefördert. Sie verstärken richtiges Verhalten vor allem durch positive soziale Bekräftigung oder durch soziale Ablehnung. „Ontogenetic ritualization“ ist also maßgeblich an der Entwicklung des Groomens beteiligt. Die Mutter bietet dabei vor allem in der Anfangsphase des Lernens Schutz vor Sanktionen gegen „falsches“ Groomen.
5.3.2.14.3 Hominidae, Menschenaffen Die Menschenaffen zeichnen sich durch vielfältige soziale Systeme aus. Zum Teil finden sich auch innerhalb einer Art verschiedene Formen des Zusammenlebens. Diese im Vergleich zu anderen Primatenarten hohe Flexibilität bzgl. der sozialen Interaktionen deutet auf weitreichende kognitive Fähigkeiten hin. Ein weiterer, wesentlicher Unterschied zu den restlichen Primaten ist der Gebrauch von Werkzeug. Zumindest in Gefangenschaft sind alle Menschenaffen in der Lage Werkzeug zu benutzen. All dies sind Bedingungen, die Lernen und Lehren sehr wahrscheinlich machen. Orang-Utans (Pongo pygmaeus, Pongo abelii) sind Einzelgänger. Lernen und Lehren findet hauptsächlich in der Mutter-Jungtier-Einheit statt. Wie bei vielen anderen Primatenarten fördert auch hier die Mutter die lokomotorische Entwicklung des Jungen. Maple (1980, S. 153) beschreibt einen solchen Fall für einen in Gefangenschaft lebenden Orang-Utan. Im Alter von drei Monaten ist das Junge noch nicht wirklich in der Lage, sich eigenständig fortzubewegen, obwohl die Mutter schon ab dem zehnten Tag versucht, 114
5 Lernen und Lehren dem Jungen das Klettern beizubringen. Sie macht das, indem sie das Junge mit einer Hand um den Bauch fasst und mit der anderen die Hände und Füße an den Stangen des Käfigs platziert. Noch ist das Junge sehr tollpatschig und kann sich, außer am Fell der Mutter, nicht sehr gut festhalten. Sie versucht auch auf einem anderen Wege das Junge zur selbständigen Fortbewegung anzuspornen. Sie legt es mit dem Bauch auf den Boden des Käfigs und begibt sich auf ein höheres Brett im Käfig. Mit großem Interesse verfolgt sie, wie das Junge versucht, zu ihr zu kommen – häufig begleitet von erbärmlichem Wimmern. Macht das Baby keinen Fortschritt, kommt sie herunter und reicht ihm einen Finger, an dem es sich festhalten kann. Sie führt es vorsichtig den Boden entlang. Bei solchen Hilfestellungen handelt es sich eindeutig um positives, interaktives Lehren. Die Mutter ändert ihr Verhalten gegenüber dem Jungen, um es zum eigenständigen Laufen und Klettern zu animieren. Neben der Anregung zum eigenständigen Laufen unterstützt die Mutter das Junge ebenso dabei, zu lernen, was man frisst und wo dieses Nahrung zu finden ist (vgl. Horr 1977, S. 307; Rijksen 1978, S. 243; Wich et al. 2009, S. 194). Während der ersten sechs Monate wird dem Jungen langsam feste Nahrung nahegebracht. Während die Mutter wandert und frisst, bewegt das Junge die Lippen und beginnt in den meisten Fällen an der Brust zu saugen. Es manipuliert aber auch schon einzelne Futterstücke und steckt sie sich z.T. auch in den Mund. Es frisst aber nicht davon. Jungtiere dieses Alters konnten dabei beobachtet werden, wie sie essbare Blätter auf der Brust der Mutter platzieren, sonst aber kein weiteres Interesse daran zeigten. Die Jungen manipulieren das Gesicht und den Mund der Mutter, während diese frisst. Neben diesen Aktivitäten, die vom Jungtier ausgehen, zeigt aber auch die Mutter aktives Verhalten gegenüber dem Jungen. Sie nimmt z.B. vorgekaute Nahrung, Saft oder Wasser in ihre Hand und hält diese unter den Mund des Jungen (vgl. Brandes 1939; Horr 1977, S. 307) oder sie hält den Mund des Jungen an ihren Mund und überführt so vorgekaute Nahrung (vgl. Rijksen 1978, S. 243). Das recht frühe Anbieten vorverdauter Nahrung deutet darauf hin, dass das Entwöhnen von der Brust eine recht langwierige Prozedur ist, die sehr früh beginnt. Denkt man an die vielen verschiedenen Futterpflanzen, von denen sich Orang-Utans ernähren, ist dieser lange Prozess des Überführens, als Anpassung zu verstehen (vgl. Horr 1977, S. 309). Die sowohl zeitliche als auch räumliche Verbreitung der Früchten im Tropenwald machen sie zu einer Ressource, die nur schwer auszuschöpfen ist und es ist klar, dass ein Orang-Utan eine Menge über die Verbreitung der Früchte und deren Reifemuster wissen muss, um seine Umwelt auf optimale Art und Weise ausnutzen zu können. Ein OrangUtan muss nicht nur lernen, welche Früchte er fressen kann, sondern auch, wo man die115
5 Lernen und Lehren se Früchte findet und wann sie den erwünschten Reifegrad haben (vgl. Horr 1977, S. 298). Stoinski & Whiten (2003) machten einen Versuch zum sozialen Lernen bei Orang-Utans. Nur der Experimentalgruppe wurde gezeigt, wie eine bestimmte Frucht geöffnet wird. Im Vergleich zur Kontrollgruppe waren diese Individuen eher in der Lage, die Frucht zu öffnen (S. 272). Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Wissen sozial gelernt wird. In der Studie von Jaeggi et al. (2010), die an freilebenden Orang-Utans in Borneo durchgeführt wurde, war das Nahrungsspektrum eines Jungen mit dem seiner Mutter im Wesentlichen identisch, obwohl sich die Mütter untereinander unterschieden. Auch diese Untersuchung weist darauf hin, dass soziale Lernprozesse bei der Aneignung des Nahrungsspektrums entscheidend sind. Welche genauen Lernprozesse beteiligt sind, ist schwer zu beurteilen. Dass Beobachtungslernen eine Rolle spielt, kann daraus geschlussfolgert werden, dass die Jungen die Mutter häufiger beobachten, wenn sie eingebettete, eingelagerte Futterarten (wie z.B. Termiten im Holz) konsumiert (vgl. Jaeggi et al. 2010; siehe auch Rijksen 1978, S. 243; Wich et al. 2009, S. 194). Demnach kann man schlussfolgern, dass soziales Lernen eine wesentliche Rolle bei der Frage spielt, was gefressen wird und wo dieses Futter zu finden ist. Lehren von Seiten der Mutter kann nicht beobachtet werden, auch wenn es sich beim Anbieten vorverdauter Nahrung um ein aktives Verhalten gegenüber dem Jungen handelt. Erst recht spät erkannte man, dass auch Orang-Utans Werkzeuge benutzen (vgl. Fox et al. 1999). Die Orang-Utans auf Sumatra benutzen verschiedene Stöcke, um Insekten oder Honig aus Baumlöchern herauszuholen oder um Samen aus harten Hülsenfrüchten herauszuhebeln. Die Orang-Utans von Suaq Balimbing, an denen diese Studie durchgeführt wurde, sind relativ sozial. Sie verbringen mehr Zeit in der Nähe anderer Individuen als alle anderen bekannten Orang-Utans. Im Kontext solcher Zusammenkünfte beobachtet ein Individuum ein anderes dabei, wie es ein Werkzeug herstellt und benutzt. Zum Teil ist das Gesicht des Beobachters weniger als 20cm vom Baumloch, in dem der andere herumstochert, entfernt. Verlässt das Individuum mit dem Werkzeug das Baumloch, tut es ihm das andere Individuum gleich oder es greift mit den Fingern in das Baumloch. Erwachsene Tiere konnten aber nie dabei beobachtet werden, wie sie das liegengelassene Werkzeug eines anderen Tieres benutzen (vgl. Fox et al. 1999). Jungtiere hingegen untersuchen eingehend den Werkzeuggebrauch der Mutter oder das Baumloch, nachdem es die Mutter verlassen hat. Ebenso spielen sie mit dem Werkzeug, das die Mutter ausrangiert hat (vgl. Fox et al. 1999). Ob die Jungtiere die Technik also durch soziale Lernprozesse wie z.B. „stimulus“- oder „local enhancement“ erlernen oder ob auch Leh116
5 Lernen und Lehren ren an diesem Prozess beteiligt ist, kann aufgrund dieser Untersuchungen aber nicht gesagt werden. Eine zentrale Frage, die sich in diesem Kontext stellt, ist warum gerade die Orang-Utans von Suaq Balimbing Werkzeug herstellen und gebrauchen, während vergleichbares Verhalten in keinem anderen Gebiet beobachtet werden kann (vgl. Fox et al. 1999). Möglicherweise spielt das – im Vergleich zu den anderen Orang-Utans – stärker ausgeprägte Sozialverhalten eine Rolle (siehe S. 261 f.). Bis das Jungtier entwöhnt wird, teilt es sich mit der Mutter sowohl nachts als auch in den Ruhephasen tagsüber, ein Nest. Die Jungen sind sehr aufmerksam, während die Mutter das Nest baut und helfen teilweise mit, indem sie Stöcke, Zweige und Blätter hinzufügen (vgl. Wich et al. 2009). Dass soziales Lernen bei der Aneignung dieser Fähigkeit eine wesentliche Rolle spielt, wird auch daran deutlich, dass Orang-Utans, die vom Menschen aufgezogen und dann wieder ausgewildert werden, in nur sehr begrenztem Maße fähig sind, ein Nest zu bauen (vgl. Horr 1977, S. 290). Russon & Galdikas (1993) sprechen sich dafür aus, dass Orang-Utans zu echtem Imitieren fähig sind. Sie beobachteten vor allem Tiere in Rehabilitationszentren. Viele der Tiere dort imitieren verschiedenste Verhaltensweisen des Menschen (siehe auch Russon & Galdikas 1995). Whiten (1975, zit. nach Whiten 1999) beschreibt sehr detailiert wie Deliah, ein in Gefangenschaft lebendes Gorillaweibchen (Gorilla gorilla), die motorische Entwicklung ihres Jungen, Daniel, auf vielfältige Art und Weise fördert. Durch ihr Verhalten unterstützte sie ihn beim Krabbeln und Klettern.24 24
Dass sie ihn beim Krabbeln unterstützt, konnte das erste Mal in der sechsten Woche nach der Geburt
beobachtet werden. Sie legte Daniel für eine zunehmend längere Zeit mit dem Bauch auf den Boden, bis er zu Schreien anfing und sie ihn hochhob. In der Bauchlage fing er irgendwann an, tollpatschige Bewegungen mit seinen Extremitäten zu vollführen, die dazu führten, dass einige Körperpartien vom Boden abgehoben wurden oder er sich zur Seite bewegte. Allem Anschein nach versuchte er zu krabbeln. Später in der sechsten Woche fing Deliah an, Daniels Kopf mit den Händen zu stützen, während er mit den Bewegungen fortfuhr. Während der siebten Woche war er in der Lage, seinen Körper vom Boden abzuheben, wenn er auf diese Art und Weise unterstützt wurde und wenig später fing er an, einige Zentimeter auf dem Bauch der Mutter zu krabbeln, während sie auf dem Rücken lag. Schließlich konnte er ohne Unterstützung auf dem Boden krabbeln (vgl. Whiten 1975, zit. nach Whiten 1999, S. 449). Sowohl in freier Wildbahn (vgl. Fletcher, persönl. Mitteilung, zit. in Whiten 1999), als auch bei in Gefangenschaft lebenden Tieren, wird ein solches Krabbeln nur sehr selten beobachtet – im Gegensatz zu Tieren, die vom Menschen großgezogen wurden (vgl. Meder 1989). Während der siebten Woche fing Deliah an, sich weiter als Armreichweite von ihrem Jungen zu entfernen. Sie bewegte sich ca. 2m weg und verharrte dort für ca. 20 Sekunden. Daniel protestierte nicht, drehte aber
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5 Lernen und Lehren Diese Beschreibungen der Förderung der lokomotorischen Entwicklung sind Fälle von positivem, interaktivem Lehren. Deliah änderte ihr Verhalten in Daniels Gegenwart. Sie hatte dabei keinen unmittelbaren Nutzen. Ob Daniel durch das Verhalten seiner Mutter schneller laufen oder klettern lernte, ist schwer einzuschätzen. Seine motorische Entwicklung lag aber innerhalb der bekannten – allerdings sehr weiten – Spannbreite (vgl. Whiten 1975, zit. nach Whiten 1999, S. 449; für weiteren Untersuchungen, wie Gorillamütter mit bestimmten Gesten und Körperhaltungen ihr Junges zum eigenständigen Laufen anregen, siehe auch Passingham 1982, S. 188; Maestripieri et al. 2002). Was die Auswahl des Futters angeht, scheint es von Seiten der Mutter nur sehr wenig bis kein aktives Verhalten in Bezug auf das Junge zu geben (vgl. z.B. Maestripieri et al. 2002). Es ist vielmehr das Junge, das die Mutter dazu animiert, Futter mit ihm zu teilen und es ahmt im Kontext der Nahrungssuche und Objektmanipulation das Verhalten der Mutter nach (vgl. Maestripieri et al. 2002; Watts 1985). Sehr wahrscheinlich wird das Verhalten bzgl. des Futters durch eine Kombination aus Nachahmung des Verhaltens der Mutter und Lernen durch Versuch und Irrtum erlernt. Byrne & Byrne (1993) sprechen auch von „programme level imitation“. Imitieren ist unwahrscheinlich, da die Futterpreparationstechniken, im Detail betrachtet, keine überdurchschnittlichen Gemeinsamkeiten zwischen Mutter und Jungtier aufweisen (vgl. Byrne 1996; für eine detaillierte Darstellung siehe auch Byrne 1995, S. 71). seinen Kopf so, dass er sie sehen konnte. Sie kehrte zu ihm zurück, nahm ihn hoch und hielt ihn für ein paar Sekunden am Bauch. Sie legte ihn erneut nieder und zog ihn langsam an einem Arm ein Stück über den Boden. Daniel bewegte sich nicht und rutschte über den glatten, gefliesten Fußboden. Im Laufe der nächsten Wochen konnte das Verhalten häufiger beobachtet werden und nahm ab, als Daniel eigenständig krabbeln konnte. Während der achten Woche, als Daniel, ohne Hilfe, ca. 30cm krabbeln konnte, fing Deliah an, auf allen Vieren stehend in die Knie zu gehen, ihren Kopf nach unten, Richtung Fußboden, zu richten und Daniel aus einer Entfernung von ca. 30cm anzuschauen. Als Daniel ca. 15cm in ihre Richtung krabbelte, bewegte sie sich wieder auf eine Entfernung von 30cm und als er sie erreichte, nahm sie ihn hoch. Auf eine ähnliche Art und Weise wird das Junge auch zum Klettern animiert. Ein qualitativ unterschiedliches Verhalten konnte während der zehnten Woche beobachtet werden. In einer der Ecken des Käfigs befand sich eine 80cm hohe Plattform, die wie der Fußboden mit glatten Fliesen belegt war. Deliah und Daniel saßen oft auf dieser Plattform. Als Daniel acht Wochen alt war, fiel er einmal von dieser Plattform und im Alter von zehn Wochen, als er zunehmend anfing selbst zu krabbeln, fiel er noch einige Male herunter. Am Ende der Woche nahm Deliah das Junge des Öfteren am Arm und half ihm über die Kante der Plattform, so dass er vorsichtig über der Stelle schaukelte, an der er vorher einige Male heruntergefallen war. Später hielt sie ihn in ähnlicher Weise von den Holzstämmen, in der Nähe der Decke des Käfigs. Vielen weiteren Abstürzen von der Plattform folgte einige Minuten später dieses mütterliche Verhalten. Im Verlauf der nächsten Wochen wurden die Abstürze weniger und hörten schließlich ganz auf (vgl. Whiten 1975, zit. nach Whiten 1999, S. 449).
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5 Lernen und Lehren In einigen Fällen konnte beobachtet werden, wie die Mutter giftige Pflanzen oder nicht essbare Stücke aus dem Mund oder der Hand des Jungen nahm (vgl. Byrne 1999, S. 343; Fossey 1979, S. 167; P. Sicotte, persönl. Mitteilung, zit. in Byrne 1999, S. 343; Watts 1985, S. 5). Byrne (1999) konnte ebenso zwei Fälle beobachten, in denen die Mutter Teile einer Pflanze entfernte. Es waren Stücke der mit Haken bewachsenen Frucht von Galium ruwenzoriense, die danach vom Jungen verzehrt wurde. Auch wenn es sich hierbei um ein aktives Verhalten in Bezug auf das Jungtier handelt, kann nicht von Lehren gesprochen werden, da das Verhalten unmittelbar dem Schutz bzw. der Ernährung des Jungen dient. Auch Bonobomütter (Pan paniscus) unterstützen ihre Jungen beim Erlernen des eigenständigen Laufens, wie ein Bericht einer in Gefangenschaft lebenden Mutter und ihrem Jungen zeigt (vgl. King 1999, S. 26).25 Demnach kann auch in diesem Fall von positivem, interaktivem Lehren gesprochen werden. Auch in Bezug auf die Auswahl der Nahrung gibt es Instruktionen. Kano (1992, S. 165) berichtet davon, dass Bonobomütter gelegentlich die Außenhaut von einem Stück Zuckerrohr entfernen und es dann in den Mund nehmen ohne daran zu kauen, bis es das Jungtier nimmt. Neben positivem, interaktivem Lehren könnte es sich in diesen Fällen aber auch einfach nur um Füttern handeln. Im Verhaltensrepertoire eines Bonobos nimmt Sex eine bedeutende Rolle ein. Er dient nicht nur dazu, Nachwuchs zu zeugen, sondern auch, Spannungen in der Gruppe abzubauen und Konflikte zu lösen. So ist es nicht verwunderlich, dass Bonobos in Bezug auf das Erlernen des Verhaltens von anderen Primaten abweichen. Im Allgemeinen erlernen ältere Jungtiere Sexualverhalten spielerisch im Umgang mit Gleichaltrigen. Junge Bonobos – und hier vor allem die Männchen – interagieren schon früh mit erwachsenen Weibchen und Männchen, wobei die Initiation z.T. von den Jungtieren aber auch von den Erwachsenen ausgeht. Kano (1992, S. 197) spricht in diesem Zusammenhang von „sex education“.
25
Die Mutter MA brach zunächst den Kontakt zu ihrem Jungen EL ab. Sie hielt zunächst noch ELs Arm fest,
entfernte sich einen Schritt, setzte sich und ließ den Arm los. EL lag nun mit dem Bauch auf einer Decke und hielt seinen Kopf, der ein wenig wackelte, nach oben. Nach einer kurzen Interaktion mit der älteren Schwester, drückte sich EL langsam mit den Armen vom Boden ab und drehte den Kopf etwas mehr zu MA. Augenblicklich berührte MA ELs vorderen Rücken. EL drehte sich daraufhin noch mehr zu MA, drückte sich hoch und versuchte vorwärts zu kommen. MA bewegte die Decke ein wenig (Sie war unter und vor EL etwas faltig und behinderte sie vermutlich). Erneut berührte sie EL. Ein anderer Bonobo näherte sich und EL nahm ihr Baby hoch an ihren Körper.
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5 Lernen und Lehren Schimpansen (Pan troglodytes) sind die Tiergruppe mit den weitaus meisten Untersuchungen und Beobachtungsstudien bzgl. des Lernens und Lehrens. Die nahe Verwandtschaft zum Menschen macht sie zu beliebten Untersuchungsobjekten kognitionspsychologischer Fragestellungen. Nicht zuletzt ist auch ihre gute Belehrbarkeit der Grund dafür, warum sie Subjekte zahlreicher experimenteller Studien sind (vgl. z.B. Yerkes 1943, S. 24). Schimpansen erlernen die Zeichensprache (vgl. z.B. Savage-Rumbaugh 1984a), werden als Astronauten in den Weltraum geschickt und können viele andere recht menschentypische Verhaltensweisen annehmen. Sie sind eine Art, bei der Lernen und Lehren in einer sehr ausgeprägten Weise vorhanden sein sollten. Im Gegensatz zu anderen Säugetieren, bei denen, so Schenkel (1968, S. 1053), die Initiative zum Erkunden und Spielen hauptsächlich von den Jungen ausgeht, sind bei den Menschenaffen auch „[die] älteren Individuen […] bestrebt, das Verhalten der jüngeren formend zu beeinflussen. Insbesondere die Mutter versucht durch geduldige Hilfe, das Junge zu sicherem Greifen, zum Kriechen, Klettern und Gehen zu bringen und später durch ihr Vorbild zur Nachahmung anzuregen. Es kommt schließlich zum Vorzeigen als Aufforderung zur Nachahmung.“ Auch Yerkes & Tomilin (1935, S. 335) schreiben, dass das Schimpansenjungtier durch die mütterliche Zuwendung auf verschiedene Art und Weise gehindert, gezügelt, gelenkt, getrieben oder ermutigt wird. Wie das im Einzelnen aussieht, wird im Folgenden dargestellt. Die Schimpansenmütter beschleunigen die motorische Entwicklung ihrer Jungen, indem sie ihnen z.B. beim Laufen, Krabbeln und Klettern Hilfestellungen geben (vgl. z.B. Yerkes & Tomilin 1935, S. 333 f.; siehe auch Yerkes 1943). Yerkes & Tomilin (1935) schreiben, dass früher oder später jede Mutter damit anfängt, ihr Junges auf verschiedenste Art und Weise, beim Krabbeln, aufrechten Stehen, Klettern und schließlich auch beim Laufen und Rennen zu unterstützen. Jede Mutter hat dabei ihre eigene Technik, eine ganz bestimmte „pedagogical method“ (Yerkes & Tomilin 1935, S. 334).26 Somit handelt es sich
26
Yerkes & Tomilin (1935) schreiben (S. 334): Die Mutter hockt sich z.B. in einiger Entfernung vor das
Jungtier und macht ihm durch Geräusche oder Gesten deutlich, dass es zu ihr kommen soll. Während das Junge am Anfang noch schreit und dabei kriecht oder krabbelt, fängt es schließlich zunehmend an, zu laufen. Benutzt das Junge Vorder- und Hinterextremitäten noch nicht in der angemessenen Art und Weise, hebt die Mutter den Körper des Jungen mit ihrer Hand leicht an, was dem Jungen hilft, auf allen Vieren zu laufen. Zum Teil läuft die Mutter auch auf zwei Beinen rückwärts und hält dabei die Hände des Jungen (für weitere Beschreibungen dieser Art siehe auch Bard 1994, S. 26; van Lawick-Goodall 1968, S. 234; Nicolson 1977, S. 542 f.; Plooij 1978, S. 126; van de Rijt-Plooij & Plooij 1987, S. 25).
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5 Lernen und Lehren hierbei um positives, interaktives Lehren, mit dem die Mutter die eigenständige Fortbewegung und Unabhängigkeit des Jungen fördert. Natürlich ist eine solche Interpretation, vor allem in Grenzfällen, immer schwierig. Die Mutter könnte auch vom Jungen weglaufen, weil sie sich von A nach B bewegen möchte. Irgendwann merkt sie, dass ihr Junges fehlt und schaut sich nach ihm um.27 Auch wenn das Junge älter ist und schon sehr gut eigenständig laufen kann, kann ihm die Mutter durch bestimmte Gesten mitteilen, was zu tun ist. Will sie z.B. durch dichtes Unterholz wandern oder einen Baum hinaufklettern, gibt sie ihrem Jungen einen leichten Stoß, der als Signal dient, sich in die ventrale Position, also an den Bauch der Mutter, zu begeben (vgl. Goodall 1965, S. 458). Ist das Junge in einem Alter, indem es sich schon weiter von der Mutter weg wagt, zeigt ihm die Mutter ihre Absicht zu gehen dadurch an, dass sie es kurz berührt oder einfach in seine Richtung gestikuliert. Das Jungtier geht daraufhin sofort zur Mutter. Ist das Junge in einem Baum über die Mutter geklettert, schaut sie zu ihm hoch und schlägt mit einer Hand leicht gegen den Stamm; in den vier Fällen, in denen dieses Verhalten beobachtet werden konnte, kletterte das Junge sofort nach unten zur Mutter (vgl. Goodall 1965, S. 458; hier auch noch weitere solcher Beispiele). Auch wenn es sich bei diesen Beschreibungen nicht um Lernen oder Lehren handelt, spiegeln sie das einmalige Zusammenspiel der Mutter-Jungtier-Einheit wider, dem mit Sicherheit bestimmte Lern- oder Lehrprozesse vorausgegangen sein müssen. Dass Schimpansen auch den Nestbau erlernen müssen, schildert van Lawick-Goodall (1968, S. 200). Ein in freier Wildbahn geborener Schimpanse wird, selbst wenn er im Alter von wenigen Jahren aus seinem natürlichen Habitat entfernt wird und dreißig Jahre unter Bedingungen gehalten wird, in denen er kein Nest bauen kann, bei einer erneuten Auswilderung in der Lage sein, ein Nest zu bauen. Laborschimpansen, die schon nach wenigen Tagen von ihrer Mutter separiert werden, sind hingegen nicht in der Lage, ein Nest zu bauen. Wobei als Ursache hierfür nicht nur eine fehlende Möglichkeit zum sozialen Lernen in Frage kommt, sondern auch, dass eine solche Separation von der 27
Eine Deutung in diese Richtung folgt aus einer Beschreibung von van Lawick-Goodall (1968, S. 234). Die
Mutter Passion ließ ihr Junges Pom des Öfteren allein zurück, was bei diesem beunruhigtes Wimmern auslöste. Ging sie am Anfang noch zurück, um ihr Junges zu trösten, tat sie das ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr. Sie ging, gefolgt von ihrem schreienden Jungen, weiter, bis sie entweder an einer Stelle lang genug wartete, dass Pom sie einholen konnte oder Pom schnell genug war, um sie zu erreichen. Es könnte sein, dass sich Pom aufgrund dessen kaum mehr von seiner Mutter entfernte. Sie hielt sich z.T. sogar während des Spielens im Alter von zehn Monaten konstant an Passions Fell fest. Es scheint so, dass die Mutter mit ihrem Verhalten in diesem Fall nicht die Unabhängigkeit des Jungen gefördert hat, sondern das Gegenteil der Fall war.
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5 Lernen und Lehren Mutter auch andere, weitreichendere Folgen auf die (psychische) Entwicklung des Jungen haben kann (vgl. z.B. Ferdowsian et al. 2011). Demnach spielt beim Erlernen des Nestbaus sicherlich soziales Lernen, wie „local“- oder „stimulus enhancement“, „emulation“ oder auch das Imitieren eine wichtige Rolle; dass auch Lehren beteiligt ist, ist unwahrscheinlich. In Bezug auf das Futtersuchverhalten müssen Schimpansen eine Menge lernen. Allein in Bossou gibt es ca. 600 verschiedene Pflanzenarten, von denen die Tiere ca. 200 konsumieren (vgl. Matsuzawa 2002, S. 189). Die Jungen müssen lernen, welche Pflanzen als Nahrung dienen, wann die Früchte eines bestimmten Baumes reif sind, wo dieser steht und welchen Teil der Frucht man fressen kann. Diesbezügliche Anleitungen von Seiten der Mutter sind in der Literatur aber kaum zu finden. Nur van de Rijt-Plooij & Plooij (1987, S. 26) beschreiben, dass die Mutter die Dinge, die ihr Junges zum Fressen gesammelt hatte, zumindest in Augenschein nahm. In den meisten Fällen kann aber kein positives Verhalten gegenüber dem Jungtier, wie z.B. das Geben üblicher Nahrungspflanzen, beobachtet werden (vgl. z.B. Nishida 1983a; Ueno & Matsuzawa 2004). Das was gelegentlich beobachtet werden kann, ist das Wegnehmen von Futter, welches nicht Teil des Nahrungsspektrums ist (vgl. Byrne 1999; HiraiwaHasegawa 1986, zit. nach King 1994, S. 70; van Lawick-Goodall 1973, S. 154; Nishida 1983a, S. 22; Nishida et al. 1983, S. 478). Natürlich lernen die Jungen dadurch auch, was typische Nahrungspflanzen der Gruppe sind; Lehren findet in diesen Fällen aber nicht statt, da das Verhalten unmittelbar einem anderen Zweck, nämlich dem Schutz des Jungen, dient. Corp & Byrne (2002) untersuchten sehr detailliert, wie Schimpansen in freier Wildbahn das Öffnen der Saba florida Frucht erlernen. Jungtiere, vor allem die unter einem Jahr, fressen synchron mit der Mutter. Sie betteln auch häufig nach Futter. Vor allem das Ergattern halbgeöffneter Früchte könnte für das Lernen des Öffnens wichtig sein. Ein Lehren von Seiten der Mutter konnte nicht beobachtet werden und generell ist aktives Verhalten gegenüber dem Jungtier selten. In 960min Filmmaterial konnte nur ein Fall beobachtet werden, in dem die Mutter dem Jungen unaufgefordert ein Stück der Frucht gab. Frisst die Mutter, ist das Jungtier nah bei ihr und beobachtet, was sie macht. Durch die Nähe zur Mutter ist das Jungtier der gleichen Umwelt ausgesetzt, wie sie. Zwangsläufig wird dabei die Nahrungsauswahl des Jungen beeinflusst. Der Einfluss der Mutter bleibt dabei aber indirekt. Als wahrscheinlichste Lernmechanismen kommen „local“- bzw. „stimulus enhancement“ oder auch „emulation“ in Frage (siehe auch Corp & Byrne 2002). Dass „emulation“ zumindest in einigen Fällen auftritt, wird daran deutlich, dass 122
5 Lernen und Lehren Jungtiere häufiger zur Mutter schauen, wenn sie mit unbekannter Nahrung konfrontiert sind, als wenn es sich um bekannte Nahrung handelt (vgl. Ueno & Matsuzawa 2005; für weitere Beschreibungen, wie die Jungtiere lernen, was, wo und wie gefressen wird, siehe auch van Lawick-Goodall 1973, S. 154 f.; Nishida 1983a, S. 23). Für keine andere Tiergruppe ist ein so regelmäßiger und ausgeprägter Gebrauch von Werkzeug beschrieben wie für die Schimpansen. Hirata & Celli (2003) untersuchten experimentell welche Rolle die Mutter, bei der Lösung einer Honig-Fisch-Aufgabe mit Hilfe eines Werkzeuges, spielte. Sie gaben den Jungtieren 20 verschiedene Objekte und stellten fest, dass die Jungtiere die zwei Objekte bevorzugten, die auch die erwachsenen Tiere verwendet hatten und dabei am häufigsten das Werkzeug, was die Mutter am häufigsten verwendet hatte.28 Die Jungtiere beobachteten die Mutter und auch die anderen Erwachsenen. Die erwachsenen Individuen geben dem Jungen ihr Werkzeug, was aber in den meisten Fällen auf die Bestrebungen des Jungen zurückgeführt werden kann. Dieses greift nach dem Werkzeug der Mutter, fasst es an oder leckt daran. In drei Fällen gab die Mutter dem Jungen das Werkzeug, ohne dass dieses irgendwelche diesbezüglichen Ambitionen gezeigt hätte. Das Jungtier näherte sich dem Erwachsenen und begann diesen zu beobachten, woraufhin dieser dem Jungen einen Teil des Werkzeuges hinhielt (vgl. Hirata & Celli 2003, S. 242). Es konnten aber keine weiteren Verhaltensweisen beobachtet werden, die in irgendeiner Form als Lehren hätten klassifiziert werden können. Die Verbindung zwischen Mutter und Jungtier ist sehr intensiv und schafft eine Nähe, die es dem Jungen ermöglicht, die Mutter wiederholt zu beobachten und an ihren Aktivitäten teilzunehmen. Diese Bedingungen schaffen optimale Voraussetzungen für „stimulus“- bzw. „local enhancement“, „emulation“ oder auch Imitieren (siehe auch Hirata & Celli 2003, S. 242). Dafür, dass die Tiere beim Werkzeuggebrauch auch Imitieren, sprechen Versuche von Boesch (1996a; 1996b). Er verglich das Nüsseknacken einer in Gefangenschaft lebenden Gruppe mit dem frei lebender Schimpansen. Von den 14 Strategien, die die gefangenen Affen benutzten, konnten nur sechs bei den frei lebenden Schimpansen beobachtet werden. Er argumentiert, dass das Verhalten der frei lebenden Gruppe auf sozialem Wege kanalisiert wurde, so dass nur einige der Strategien übrig blieben, da das erwünschte Resultat – das Öffnen der Nuss – in beiden Gruppen vergleichbar erzielt wurde. Diese 28
Zur Ausbreitung des Gebrauchs von Blättern als Schwamm bei einer in Gefangenschaft lebenden Gruppe
siehe auch Tonooka et al. (1997). Nachdem ein Weibchen mit dem Gebrauch von Schwämmen angefangen hatte, breitete sich die Gewohnheit immer weiter in der Gruppe aus.
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5 Lernen und Lehren Einschränkung der möglichen Varianten spricht dafür, dass echtes Imitieren stattfindet. Ebenso ist diese Kanalisation ein Beleg für das Vorhandensein einer sozialen Norm (vgl. Boesch 1996a, S. 256 f.; siehe aber auch Sumita et al. 1985). Tomasello et al. (1987) untersuchten ebenfalls, ob beim Erlernen des Werkzeuggebrauchs echtes Imitieren beteiligt ist. Er teilte die Tiere in zwei Gruppen ein. Die eine Gruppe bekam als Demonstrator ein erwachsenes Tier, das ihnen vormachte, wie ein Werkzeug zu benutzen ist, um damit an Futter heranzukommen, das in einem Apparat eingeschlossen war; in der anderen Gruppe war ebenso ein erwachsenes Tier, das Werkzeug und der Apparat mit dem Futter. Die Tiere, die einen Demonstrator beobachten konnten, benutzten das Werkzeug, um an Futter heranzukommen – die anderen Tiere nicht. Sie benutzten es aber nicht genauso, wie der Demonstrator; das heißt, sie imitierten ihn nicht wirklich. Der Lernprozess war aber auch kein „stimulus enhancement“, da die Aufmerksamkeit der Tiere nicht nur auf das Werkzeug an sich gelenkt wurde, sondern auf das Werkzeug in seiner Funktion als Werkzeug. Als wahrscheinlichster Lernprozess kommt demnach „emulation“ in Frage. Die Tiere der Kontrollgruppe spielten sehr viel mit dem Werkzeug, benutzten es aber nicht in seiner Funktion als Werkzeug, um an das Futter heranzukommen. Die in freier Wildbahn am besten untersuchten Techniken des Werkzeuggebrauchs sind das Termitenfischen und das Nüsseknacken. Das Nüsseknacken gilt zudem als die komplizierteste Technik des Werkzeuggebrauchs überhaupt. Falls Schimpansen Lehren, ist es am wahrscheinlichsten hier zu beobachten. Die Lern- bzw. Lehrmethoden des Werkzeuggebrauchs werden exemplarisch an diesen beiden Techniken beschrieben, da zu erwarten ist, dass sie mit denen in anderen Kontexten vergleichbar sind. Boesch (1991), der sich als einer der ersten sehr intensiv mit dem Nüsseknacken beschäftigte, schreibt, dass Schimpansenmütter im Taї-Regenwald das Erlernen des Gebrauchs von Werkzeugen, um damit Nüsse zu knacken, bei ihren Jungtieren auf drei verschiedene Art und Weise fördern können (vgl. dazu auch Boesch 1998, S. 174 ff.; Boesch & Boesch-Achermann 2000, S. 214; Boesch 1996b, S. 416 ff.): (1) Anregen („stimulation”): Die Mutter lässt in Beisein des Jungtieres Hammer, Nüsse oder beides, neben oder auf dem Amboss liegen. Normalerweise führen erwachsene Schimpansen ihren Hammer immer bei sich. Ab einem Alter von drei Jahren fangen die jungen Schimpansen vermehrt an, sich für das Nüsseknacken zu interessieren und die Müttern lassen nun zunehmend Werkzeug beim Amboss liegen, während sie weiter Nüsse sammeln gehen. Das Jungtier bleibt beim Amboss und kann so erste Erfahrungen
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5 Lernen und Lehren mit dem Werkzeug in dem entsprechenden Kontext machen. Mütter ohne Jungtiere lassen nie ihre ungeöffneten Nüsse oder Hämmer neben dem Amboss liegen. (2) Erleichtern („facilitation“): Mütter können die Effektivität des Nüsseknackens ihrer Jungen direkt beeinflussen, indem sie ihnen Hämmer und Nüsse guter Qualität überlassen. Jungtiere haben im Allgemeinen Schwierigkeiten im Zugang zu guten Hämmern. Eine Mutter erlaubte ihrem Jungtier nacheinander vier Hämmer von ihr zu nehmen. Jedesmal musste die Mutter nach einem neuen Hammer suchen. (3) Aktives Lehren („active teaching“): Boesch (1991) konnte zwei Fällen beobachten, in denen die Mutter, in Anbetracht der Schwierigkeiten des Jungtieres, demonstrierte, wie das Problem zu lösen ist. Im ersten Fall versuchte ein Jungtier eine Pandanuss zu öffnen. Diese Nuss ist sehr hart und schwierig zu öffnen, da sie 3 einzelne Kerne enthält, die jeweils von einer harten Schale umgeben sind. Die teilweise geöffnete Nuss muss auf eine ganz bestimmte Weise auf dem Amboss gelegt werden, um auch an die anderen Kerne heranzukommen. Nachdem das Jungtier erfolgreich an einen der drei Kerne herangekommen war, legte es die Nuss willkürlich auf den Amboss, um erneut auf die Nuss zu schlagen. Bevor es zuschlagen konnte, nahm die Mutter die Nuss in die Hand, säuberte den Amboss und legte die Nuss vorsichtig in der richtigen Position darauf. Danach öffnete das Jungtier unter der Beobachtung der Mutter erfolgreich die Nuss und aß den zweiten Kern. Im zweiten Fall konnte ein Jungtier beobachtet werden, das versuchte mit einem Hammer, der eine recht ungewöhnliche Form hatte, eine Nuss zu öffnen. Es wechselte die Körperhaltung, den Griff des Hammers und die Position der Nuss. Nach acht erfolglosen Minuten des Ausprobierens kam die Mutter dazu und das Junge gab ihr sofort den Hammer. Unter den Augen des Jungen drehte die Mutter den Hammer sehr bedacht in die beste Position und öffnete die Nuss. Anschließend öffnete sie mit dem Hammer noch zehn weitere Nüsse, von denen das Junge einige abbekam. Nachdem die Mutter gegangen war, übernahm das Jungtier die Hammerstellung der Mutter und öffnete weitere Nüsse. Auch wenn es immer noch Probleme hatte und einige Male seine Körperstellung änderte, hielt es den Hammer immer in der gleichen Position wie seine Mutter. Matsuzawa et al. (2001, S. 573; Matsuzawa 1999, S. 659) konnten in Bezug auf das Nüsseknacken kein aktives Verhalten von Seiten der Mutter beobachten. Allerdings ist die Toleranz gegenüber dem Jungen sehr hoch. Einen großen Teil ihrer Zeit verbringen die Jungtiere damit, die Erwachsenen aufmerksam zu beobachten. Die jungen Schimpansen hantieren mit den Gegenständen, die im Kontext des Werkzeuggebrauchs benötigt werden, herum. Ein vier Jahre altes Jungtier unterbrach das Hämmern der Mutter, stahl die 125
5 Lernen und Lehren Nuss, die auf dem Amboss lag und bearbeitete sie auf seinem eigenen Amboss. In einem andern Fall hob ein drei Jahre altes Jungtier eine Nuss vom Boden auf, nachdem es eine längere Zeit das Nüsseknacken der Mutter beobachtet hatte. Das Jungtier ging zur Mutter und legte die Nuss auf ihren Amboss. Die Mutter stoppte kurz in ihrer Bewegung und fuhr dann damit fort, die Nuss zu knacken. Das Jungtier nahm die Kerne von Amboss und fraß sie. Nach dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Klassifikationssystem können in Bezug auf das Nüsseknacken verschiedene Lern- und Lehrprozesse unterschieden werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass alle aufgeführten Varianten des sozialen Lernens an der Aneignung des Verhaltens beteiligt sind. Schimpansen, die Nüsse knacken, lassen z.T. den Hammer oder ungeöffnete Nüsse neben dem Amboss liegen. Die Aufmerksamkeit anderer Individuen wird dadurch auf diese Gegenstände gelenkt. Durch ein Hantieren mit den Gegenständen und ein eigenständiges Lernen durch Versuch und Irrtum erlangen diese Tiere die Fähigkeit zum Nüsseknacken. Bei diesem Szenario handelt es sich um „local“- oder „stimulus enhancement“ (vgl. z.B. Boesch 1995; Boesch & Tomasello 1998; Inoue-Nakamura & Matsuzawa 1997). Ähnlich kann auch „emulation“ beschrieben werden (vgl. Boesch 1995; Boesch & Tomasello 1998; Inoue-Nakamura & Matsuzawa 1997, S. 172; Tomasello 1990, S. 284). Durch das Beobachten der Erwachsenen lernen die Jungtiere, dass Nüsse mit Steinen geknackt werden können. Die eigentliche Technik wird dann aber unabhängig von sozialem Einfluss, durch Lernen durch Versuch und Irrtum, erlernt. Das heißt, es werden nicht – wie beim Imitieren – die einzelnen Bewegungsmuster kopiert, die beim Werkzeuggebrauch der Mutter und anderer Gruppenmitglieder gezeigt werden. Im Gegensatz zum „local“bzw. „stimulus enhancement“ wird beim „emulation“ aber nicht bloß die Aufmerksamkeit auf den Hammer und die Nuss gelenkt, sondern der Hammer wird als Werkzeug erkannt, um damit Nüsse zu knacken. Als letzte Möglichkeit des Lernens in einem sozialen Kontext kommt das Imitieren in Frage (vgl. Boesch 1995; Matsuzawa et al. 2001, S. 572). Bei dieser Form des sozialen Lernens wird nicht nur das Ergebnis kopiert (mit dem Stein eine Nuss zu knacken), sondern auch die genaue Handlungsabfolge (z.B. den Stein in einer ganz bestimmten Position zu halten). In dem zweiten von Boesch beschriebenen Fall behält das Junge beispielsweise genau die Stellung des Steins bei, den die Mutter vorgemacht hat. Neben dem Lernen sind für das Nüsseknacken auch die verschiedenen Formen des Lehrens beschrieben. Das von Boesch beschriebene „stimulation“ oder „facilitation“ ist dem direktiven Lehren zuzurechnen, da die Mutter den Jungtieren durch ihre Verhaltensän126
5 Lernen und Lehren derung die Möglichkeit gibt, das Nüsseknacken zu erlernen, ohne direkt in die Handlungen des Jungen einzugreifen. Es findet aber auch interaktives Lehren statt, das Boesch als „active teaching“ bezeichnet. Im Gegensatz zum „coaching“, als weitere Form des interaktiven Lehrens, fordert der Lehrer den Schüler beim „active teaching“ auf, sein Verhalten nachzuahmen; er zeigt dem Schüler, wie er ein bestimmtes Problem zu lösen hat. Lehren mit einem solchen Aufforderungscharakter ist im Tierreich nicht sehr weit verbreitet. Eine weitere, gut untersuchte Form des Werkzeuggebrauchs, ist der Gebrauch von Stöcken um damit Termiten zu angeln. Lonsdorf (2006b) untersuchte genauer die Bedeutung der Mutter in diesem Aneignungsprozess. Die Zeit, die die Mutter mit dem Termitenfischen verbringt, korreliert positiv mit dem Erlernen entscheidender Elemente der Technik beim Jungtier. Die Mütter sind extrem tolerant gegenüber ihren Jungen, selbst wenn deren Verhalten, den Versuch Termiten zu angeln, stört. Trotz allem konnte Lonsdorf (2006b) keinen Hinweis auf Lehren finden. Mütter beschleunigten auf keine Art und Weise aktiv die Lernprozesse des Jungen. Sie konzentrierten sich voll auf die Aufgabe des Termitenfischens und suchten sogar eher selten Augenkontakt mit dem Jungen. Die Lernmechanismen, die diesem Verhalten zugrunde liegen, sind mit denen des Nüsseknackens vergleichbar (zum Beobachtungslernen beim Termitenfischen siehe auch van Lawick-Goodall 1967). Im Gegensatz zum Nüsseknacken konnte beim Termitenfischen aber kein Lehren nachgewiesen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Jungtiere das Nüsseknacken, das Termitenfischen und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch die anderen Techniken des Werkzeuggebrauchs durch verschiedene Formen des sozialen Lernens aneignen und dass zumindest beim Nüsseknacken auch Lehren beobachtet werden kann. Goodall (1986) schreibt zum Erlernen des Werkzeuggebrauchs (S. 561): „Young chimpanzees learn the tool-using patterns of the community during infancy, through a mixture of social facilitation, observation, imitation, and practice – with a good deal of trial and error learning thrown in” (siehe auch Lethmate 1991, S. 138; Bonner 1983, S. 131). Schimpansenmütter verbieten ihren Jungen nicht nur, bestimmte Nahrung zu konsumieren, sondern Verbote und Bestrafungen werden auch in anderen Kontexten gezeigt. Mit zunehmender motorischer Entwicklung beginnt das Junge nicht nur auf der Mutter herumzukrabbeln, sondern es versucht auch zunehmend, sich von ihr zu entfernen. Alle Mütter unterbinden solche Unabhängigkeitsbestrebungen zunächst für einige Wochen (vgl. Goodall 1965, S. 458; 1968, S. 232).
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5 Lernen und Lehren Auch in bestimmten sozialen Situationen verbietet die Mutter dem Jungen den Umgang mit anderen Tieren. Schwankt ein Jungtier z.B. auf ein ausgewachsenes Männchen zu, kann die Mutter den Kontakt zulassen oder sie holt ihr Junges eilig zurück (vgl. King 1994, S. 34). Die Reaktion der Mutter ist davon abhängig, ob das Männchen Anzeichen einer aggressiven Verstimmung zeigt. Ein weiterer Kontext, in dem die Jungen zurechtgewiesen werden, sind Patrouillen, die von Schimpansen in regelmäßigen Abständen an den Grenzen zu den Nachbarrevieren durchgeführt werden. Diese Ausflüge sind gefährlich. Wird die Gruppe von den Männchen des Nachbarreviers entdeckt, kann ein Konflikt ausbrechen, der aggressive Auseinandersetzungen und auch den Tod einiger Gruppenmitglieder zur Folge hat. Beeindruckend ist die Stille, die bei solchen Streifzügen herrscht. Goodall (1986, S. 490 f.) schreibt, dass selbst das Treten auf trockene Blätter oder das Rascheln an der Vegetation peinlichst genau vermieden wird. Bei einer von ihr beobachteten Patrouille gab die Gruppe für mehr als drei Stunden kein Geräusch von sich. Für den Kontext dieser Arbeit ist es interessant, dass Jungtiere, die versehentlich ein Geräusch machen, von den anderen gemaßregelt werden. Sie werden gehauen oder umklammert, bis sie still sind. Ähnlich verhält es sich mit aggressiven Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe. Mitunter bringen Mütter ihre Jungen dadurch zum Schweigen, dass sie ihnen die Hand auf den Mund legen (de Waal 1986, zit. nach Cheney & Seyfarth 1990, S. 148 f.). Natürlich ist es bei dieser Art von mütterlichem Verhalten schwierig zu unterscheiden, ob die Mutter dem Jungen etwas über das Verhalten in bestimmten Situationen beibringen will oder ob sie es einfach nur beschützen will bzw. bei den Patrouillen unterbinden will, dass das Jungtier mit seinem Verhalten die ganze Gruppe in Gefahr bringt. Sehr wahrscheinlich stehen diese Gründe im Vordergrund und es kann deshalb nicht von Lehren gesprochen werden. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass Schimpansen sehr tolerant gegenüber ihren Jungen sind und Verbote oder Bestrafung eher die Ausnahme sind, auch wenn sich die Mütter hierin individuell unterscheiden (vgl. van Lawick-Goodall 1968, S. 237). Zeigt das Jungtier unangemessenes Verhalten, übernimmt die Mutter normalerweise die Rolle der Verweigererin und weniger eine aggressive. Sie enthält dem Jungen ein begehrtes Objekt oder einen gewünschten Kontakt vor, ohne dem Jungen zu drohen oder es anzugreifen. Kommt es doch zu physischer Bestrafung, ist diese leicht. Die Mutter ergreift z.B. die Hand des Jungen und beißt leicht hinein. Seltener haut sie das Junge mit der flachen Hand oder tritt es mit dem Fuß. Darüber hinaus beruhigt die Mutter das Junge unmittel-
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5 Lernen und Lehren bar nach einer Auseinandersetzung dadurch, dass sie es mit der Hand berührt oder umarmt (vgl. van Lawick-Goodall 1968, S. 237).29 Auch wenn es aus freier Wildbahn recht wenige Beispiele dafür gibt, dass Schimpansen die Fähigkeit zum Imitieren und Lehren besitzen, gibt es beeindruckende Berichte von Tieren, die in der Obhut des Menschen aufgewachsen sind bzw. sehr viel Kontakt zum Menschen hatten. Köhler (1917, S. 120 ff.; 1925, S. 170) berichtet davon, dass der Schimpanse Sultan gezwungen war, anderen Schimpansen dabei zuzusehen, wie sie versuchten, verschiedene Probleme zu lösen, die er schon kannte. Sultan beobachtete mit zunehmender Erregung, wie die anderen, anscheinend weniger fähigen Tiere, dieses Problem nicht lösen konnten. Letztendlich konnte er sich nicht mehr zurückhalten und zeigte ihnen wiederholt, wie ein Problem zu lösen ist, ohne sich selbst die Belohnung dafür zu holen. Köhler interpretiert dieses Verhalten nicht als altruistisch, da die Schimpansen der Kolonie im Allgemeinen eher auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren, als einander zu unterstützen. Es scheint so zu sein, dass Sultan durch den Drang geleitet wurde, etwas zu tun, um das Problem zu lösen, mit dem die anderen offenbar nicht zurechtkamen. Köhler geht davon aus, dass Sultan das Problem von dem Standpunkt der anderen aus betrachten konnte. Das wäre dann ein Fall, bei dem es sich um wirkliches, intentionales Lehren gehandelt haben könnte. Sultan schlussfolgerte aus dem Verhalten der anderen, dass sie nicht wussten, wie z.B. zwei Stöcke ineinandergesteckt werden müssen und zeigte es ihnen. Auch Washoe, ein Weibchen, dem im Rahmen verschiedener Studien, die Zeichensprache (ASL) beigebracht wurde, zeigte drei Mal den Versuch, ihrem Adoptivsohn Loulis ein Zeichen beizubringen (vgl. Fouts et al. 1982, S. 183; 1989, S. 18). In einem Fall näherte sich ein Mensch mit einem Schokoriegel. Washoe begann auf zwei Beinen, mit gesträubtem Fell, herumzustolzieren und in großer Aufregung das „food“-Zeichen zu machen. Loulis, im Alter von 18 Monaten, sah untätig zu. Umgehend ging Washoe zu ihm, nahm seine Hände und modellierte das Zeichen für „food“ (die Finger zeigen zum Mund). Ein anderes Mal, in einem ähnlichen Kontext, machte sie das Zeichen für „gum“, aber mit ihren Händen vor seinem Körper. Im dritten beschriebenen Fall nahm sie, aus keinem 29
Diese Methode des Vorenthaltens oder Ablenkens wird sehr gut am Verhalten der Schimpansenmutter
Flo gegenüber ihrem Jungen Flint deutlich (vgl. van Lawick-Goodall 1968, S. 238). Flint spielte mit einigen Objekten, die Flo aus irgendeinem Grund ablehnte. In einem Fall war das ein Stück Colobusaffenhaut mit Haaren. Wiederholt nahm sie es ihm weg. Nachdem er es sich aber ein drittes Mal zurückgeholt hatte, warf sie es mit Nachdruck weg und begann mit dem Jungen zu spielen. Ein ähnliches Verhalten zeigte sie, als Flint in ihrer Nähe mit einem großen Stock, einem großen Stück Kunststoff oder einem Blechkanister spielte. Ebenso fing Flo an, mit ihm zu spielen, wenn er sich ausgewachsenen Männchen nähern wollte.
129
5 Lernen und Lehren erkennbaren Grund, einen kleinen Stuhl, trug ihn zu Loulis und stellte ihn vor ihm ab; sehr deutlich machte sie fünfmal das Zeichen für Stuhl („chair“) und beobachtete ihn dabei. Die zwei nahrungsbezogenen Zeichen gingen in Loulis’ Repertoire über, das Zeichen für Stuhl nicht.30 Den größten Teil der Zeichen lernte Loulis aber durch soziales Lernen, ohne dass seine Adoptivmutter, ihm gegenüber, irgendeine Form von aktivem Verhalten gezeigt hätte. Welche genauen Lernprozesse involviert sind, ist schwer zu sagen. Fouts et al. (1982) sprechen davon, dass Loulis schon nach zehn Tagen anfing, die Zeichen seiner Adoptivmutter zu imitieren. Es ist wahrscheinlich, dass es sich nicht um Imitieren im Sinne dieser Arbeit handelt. Loulis fing nicht unbedingt an, zu Washoe zu schauen, sie zu beobachten, wie sie ein Zeichen machte und es dann genauso nachzumachen, sondern er „plapperte“ auch viel und benutzte z.B. zunächst unvollständige Zeichen, die erst im Laufe der Zeit immer präziser wurden. Andere Jungtiere, die gemeinsam mit ihrer Mutter in der Obhut des Menschen aufwuchsen, imitierten die Mutter, die in Tests verschiedene Aufgaben zu lösen hatte. Matsuzawa (2002) beschreibt einen solchen Fall: Ai war ein Schimpansenweibchen, das seit seiner frühen Kindheit in der Obhut des Menschen lebte und an verschiedensten Trainings teilgenommen hatte. Eine Aufgabe bestand z.B. darin, auf einem Computerbildschirm einen von zwei Gegenständen, der eine bestimmte Farbe hatte, zu wählen, wenn dieser vorher als Wort geschrieben stand. Als Belohnung gab es eine Münze, die an einem anderen Automaten gegen Futter eingetauscht werden konnte. Beeindruckend war das Verhalten Ayumus, Ais Sohn. Seit seiner Geburt war er ständig in der Nähe seiner Mutter. Er konnte ihr jeden Tag dabei zusehen, wie sie die Aufgaben am Computerbildschirm bearbeitete. Eines Tages fing er spontan, ohne Aufforderung, selbst an, auf den Computerbildschirm zu drücken und bearbeitete eine komplette Aufgabe sofort richtig.
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Washoe konnte auch dabei beobachtet werden, wie sie Loulis Verhaltensweisen lehrte, die mit der Zei-
chensprache nichts zu tun hatten. Diese beinhalteten auch Disziplinarmaßnahmen. Loulis hatte es sich angewöhnt, Menschen mit Wasser anzuspucken um deren Aufmerksamkeit zu erregen. Im Allgemeinen war das auf die Person gerichtet, die den Käfig säuberte. Da es die meisten Menschen nicht mögen, von einem Schimpansen angespuckt zu werden, sagten sie Washoe, dass Loulis damit aufhören solle. Washoe maßregelte ihren Adoptivsohn, indem sie ihm einen leichten Klaps auf den Kopf gab, so tat, als ob sie in sein Ohr biss oder am Oberschenkel packte und daran zog und ihn so von seinem potentiellen Opfer ablenkte. Nach einer solchen Behandlung spuckte Loulis nicht weiter (vgl. Fouts et al. 1982, S. 188).
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5 Lernen und Lehren
5.4 Diskussion 5.4.1 Soziales Lernen Ein generelles Problem ist, dass viele Gruppen kaum in ihrer Fähigkeit zum sozialen Lernen untersucht sind. Meist werden weitreichende Fähigkeiten zum sozialen Lernen Tieren mit einem großen Gehirn, einem langen Leben und einer damit verbundenen langen Kindheit und Jugendphase, einem komplexen sozialen System oder mit komplexen Fähigkeiten, um an ihre Nahrung zu gelangen, unterstellt. Im Prinzip sind aber alle Wirbeltiere – vor allem die Säugetiere – mehr oder weniger gut in der Lage, von anderen Tieren zu lernen (vgl. Boyd & Richerson 1996; Galef & Laland 2005; Heyes & Galef 1996). Auch wenn für die dargestellten Tiergruppen nicht explizit erwähnt, sind sie alle zum „local“- bzw. „stimulus enhancement“ befähigt. Dieser Lernmechanismus ist eine wichtige Voraussetzung für Lehren und damit auch für Erziehung. Ein Tier kann durch sein Verhalten die Aufmerksamkeit eines anderen Tieres auf einen bestimmten Aspekt der Umgebung lenken. Die Einzelheiten werden dann unabhängig vom sozialen Einfluss durch Versuch und Irrtum erlernt. Es ist möglich, dass beim Erlernen kommunikativer Verhaltensweisen andere Mechanismen zum Tragen kommen als bei instrumentellen Verhaltensweisen (wie z.B. dem Werkzeuggebrauch). Wird der Gebrauch eines Werkzeuges zum größten Teil durch „local enhancement“ und „trial and error“ gelernt, ist der maßgebliche Lernprozess bei kommunikativem Verhalten „ontigenetic ritualization“.
5.4.2 Vergleich des Lernens beim Menschen und anderen Tieren Der zweifelsohne am häufigsten diskutierte Lernprozess in Bezug auf den Vergleich des Mensch mit den anderen Tieren ist das Imitieren. Immer wieder wird in Frage gestellt, dass auch andere Tiere – insbesondere die Schimpansen – dazu fähig seien (vgl. z.B. Inoue-Nakamura & Matsuzawa 1997; Tomasello 1996b; Tomasello et al. 1993b)31 und postuliert, dass das Imitieren im Kontext des Erziehens für den Menschen besonders wichtig sei (vgl. z.B. Galef 1988b; 1992; Gergely & Csibra 2006; Tomasello 1990). 31
Auch Aristoteles schrieb schon, dass dem Menschen die Fähigkeit zum Nachahmen angeboren sei und
dass er seine ersten Kenntnisse durch Nachahmung erwirbt. Es sei ein Distinktivum des Menschen als Gattungswesen, dass er diese Fähigkeiten in höherem Maße besitze als andere Lebewesen (vgl. z.B. Küpper 2009).
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5 Lernen und Lehren Nagell et al. (1993) untersuchten die Fähigkeit zum Imitieren direkt im Vergleich bei Schimpansen und zwei Jahre alten Kindern. Ein Demonstrator zeigte jeweils zwei Gruppen von Schimpansen bzw. Kindern zwei Varianten, wie man mit einer Harke an Futter herankommt. Die Kinder ahmten die jeweilige Methode, die ihnen gezeigt wurde, genau nach. Bei den Schimpansen gab es bei den beiden Gruppen keinen Unterschied in Bezug auf die Variante, wie das Werkzeug zu gebrauchen ist. Schimpansen richten ihre Aufmerksamkeit auf die generellen Zusammenhänge der Aufgabe und auf das Ergebnis, welches der Demonstrator erzielt – mit der Harke an das Futter zu kommen – weniger auf die genaue Methode, mit der der Demonstrator das Werkzeug benutzt. Kinder beobachten genau die Art und Weise, wie der Demonstrator das Werkzeug benutzt und ahmen diese nach. Sie imitierten ihn. In Bezug auf die Schimpansen ist „stimulus enhancement“ unwahrscheinlich, da Demonstrator und Schimpansen unterschiedliche Harken zur Verfügung standen. Ebenso zeigte die Kontrollgruppe ohne Demonstrator genauso großes Interesse am Werkzeug, wie die Gruppen mit Demonstrator. Der Demonstrator an sich hat also keinen Einfluss darauf, ob die Aufmerksamkeit auf das Werkzeug gelenkt wird oder nicht. Die Autoren schlussfolgern, dass „emulation“ der zugrunde liegende Lernmechanismus sei (zum Vergleich des Imitierens bei Menschen und Schimpansen siehe auch Gergely & Csibra 2006; Horner & Whiten 2005; Horner et al. 2006). Im Prinzip erkannte auch schon Köhler (1925, S. 61) bei seinen Untersuchungen an Schimpansen diesen Unterschied zum Menschen. Zum einen erkennen Schimpansen nicht die entscheidenden Beziehungen, die zur Lösung des Problems führen und zum anderen sind unwissende Individuen nicht in der Lage, die Bewegungen eines erfahrenen Individuums einfach zu kopieren. In einer Problemlösesituation imitieren Schimpansen nur, was Köhler die Substanz („substance“) einer Handlung nennt, nicht aber ihre Form („form“). Bei den in dieser Arbeit aufgelisteten Beispielen kann sowohl bei den Primaten als auch bei den übrigen Säugetieren in nur wenigen Fällen mit Sicherheit von Imitieren gesprochen werden (siehe auch Tab. A1 in Anhang). Im Falle der Primaten können die meisten Fälle bei den in Gefangenschaft aufgewachsenen Tieren gefunden werden und bei den restlichen Säugetieren sind die Raubtiere und Wale die am meisten Erfolg versprechenden Kandidaten für das Imitieren. Wie schon beschrieben sind z.B. Delfine in der Lage, auch artfremde Verhaltensweisen oder Geräusche nahezu perfekt nachzuahmen, sogar so skurrile Verhaltensweisen wie das Reinigen einer Glasscheibe (vgl. Tayler & Saayman 1973).
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5 Lernen und Lehren
5.4.3 Lehren An der Fülle der angeführten Beispiele wurde deutlich, dass Lehren im Tierreich stattfindet. Auch wenn in vielen Fällen nicht alle Kriterien erfüllt sind, ist dies mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf fehlende Untersuchungen und nicht auf ein Fehlen des Verhaltens an sich zurückzuführen (siehe auch Tab A1 im Anhang). Dennoch findet bei der Aneignung der verschiedenen Fähigkeiten und Fertigkeiten häufiger kein Lehren statt (vgl. Caro & Hauser 1992; King 1991, S. 103; 1994, S. 6; für Schimpansen vgl. Goodall 1986, S. 25; Matsuzawa et al. 2001; für das Nüsseknacken vgl. Hatano & Takahashi 2005; Matsuzawa 1999, S. 659; für das Termitenfischen vgl. Lonsdorf 2006b, S. 44; für Werkzeuggebrauch bei in Gefangenschaft lebenden Schimpansen vgl. Hirata & Celli 2003, S. 243). Es ist aus einer evolutionstheoretischen Perspektive schwierig zu verstehen, warum Lehren im Tierreich nicht häufiger anzutreffen ist (siehe auch Altmann 1980; King 1991, S. 103). Im Prinzip ist es die effektivste Methode, um Fertigkeiten und Fähigkeiten an die nächste Generation weiterzugeben (vgl. z.B. Boesch 1996b; Caro & Hauser 1992). Vor allem die Primaten und insbesondere die großen Menschenaffen haben optimale Voraussetzungen für Lehren. Die Jungtiere sind eine lange Zeit von der Mutter abhängig, es wird meist nur ein Junges geboren und die Mutter bietet dem Jungen Schutz und investiert generell sehr viel. Auch zeigen Untersuchungen aus freier Wildbahn, dass sie es können (vgl. z.B. Boesch 1991). B. King (1994) fragt zu Recht (S. 6): „If a mother could help her offspring by donating information to it at relatively little cost to herself, why doesn’t she?” Dieses Problem scheint noch nicht wirklich verstanden zu sein. Es ist naheliegend, dass Lehren nicht uneingeschränkt von Vorteil ist, sondern nur unter bestimmten Bedingungen bzw. Voraussetzungen – unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten – die optimale Variante ist, Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Aus einem Vergleich der verschiedenen Tiergruppen und der Umstände, unter denen Lehren stattfindet, ist es möglich, Bedingungen auszumachen, unter denen Lehren die optimale Strategie ist.
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5 Lernen und Lehren
5.4.4 Bedingungen des Lehrens 5.4.4.1 Bestimmte kognitive Fähigkeiten als Voraussetzung für Lehren Oft werden bestimmte kognitive Fähigkeiten als Voraussetzung für Lehren angesehen. Wenn die Fähigkeit zum Lehren mit komplexen kognitiven bzw. mentalen Prozessen zusammenhängt, sollte man erwarten, sie bei Taxa mit einem, im Vergleich zur Körpergröße, großem Gehirn zu finden – auch wenn Gehirngröße kein wirklich guter Indikator für kognitive Fähigkeiten ist (vgl. z.B. Caro & Hauser 1992; siehe aber auch Reader & Laland 2002). Die Tatsache, dass die meisten Fälle von Lehren bei den Raubtieren, Walen und Primaten zu finden sind, deutet das an, passt aber nicht gänzlich mit dem Gehirn-Körpergrößen-Verhältnis der Säugetiere zusammen (vgl. z.B. Jerison 1983). Hinzu kommt, dass sich alle Säugetiere auf die veränderten Bedürfnisse ihre Jungen einstellen können – z.B. beim Übergang vom Säugen zu fester Nahrung. Das heißt, sie reagieren in irgendeiner Form auf einen bestimmen Entwicklungs- bzw. Wissensstand des Jungen. Es ergibt also keinen Sinn, Lehren von vornherein auf Tiere mit einem relativ großen Gehirn zu beschränken. Gegen das Vorhandensein bestimmter kognitiver Fähigkeiten als Voraussetzung für Lehren spricht auch, dass Lehren (nach der Definition von Caro & Hauser 1992), streng genommen, bei einer Ameisenart32 (Temnothorax albipennis, vgl. Franks & Richardson 2006), bei Erdmännchen (Suricata suricatta, vgl. Thornton & McAuliffe 2006) und beim Elsterdrossling (Turdoides bicolor, vgl. Rapaport 2006) gefunden werden kann (siehe auch Csibra 2007; Thornton & Raihani 2008). Dies sind die einzigen Studien, die zeigen, dass die entsprechende Verhaltensweise der Definition des Lehrens entspricht (siehe aber auch Leadbeater et al. 2006). Es ist demnach naheliegend, dass Lehren mehrfach 32
Diese sogenannten „tandem-running ants“ benutzen das „tandem-running“, um eine andere Ameise vom
Nest zum Futter zu führen. Die Signale, die die beiden Ameisen dabei von sich geben, kontrollieren sowohl die Geschwindigkeit als auch die Richtung. Das „tandem-running“ kann als Lehren bezeichnet werden, da das leitende Individuum sein Verhalten nur in Gegenwart eines unwissenden Individuums ändert. Das Verhalten ist mit Kosten verbunden: Ohne ein folgendes Individuum währe der Lehrer vier mal schneller beim Futter. Ameisen, die einer anderen Ameise folgen, lernen schneller, wo Futter zu finden ist, als Ameisen ohne Führer. Außerdem kann bei diesem Verhalten ein bidirektionales Feedback zwischen Lehrer und Schüler nachgewiesen werden. Wird die Lücke zwischen Lehrer und Folgendem zu groß, beschleunigt der eine, wohingegen der andere langsamer wird (Es gibt eine Rückmeldung des Schülers). Nachdem der Schüler gelernt hat, kann er die Funktion des Lehrers übernehmen und anderen Ameisen zeigen, wo Futter zu finden ist.
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5 Lernen und Lehren unabhängig, bei verschiedenen Taxa evolvierte und nicht zwingend mit bestimmten kognitiven Fähigkeiten zusammenhängt. Für das Auftreten von Lehren scheinen ökologische Bedingungen wichtiger zu sein als die kognitiven Voraussetzungen. Auf einer kleineren Skala (z.B. bei einem Vergleich der Primaten mit den restlichen Säugetieren oder den Menschenaffen mit den übrigen Primaten) sind die kognitiven Fähigkeiten aber durchaus mit der Fähigkeit zum Lehren korreliert.
5.4.4.1.1 Primaten vs. die anderen Säugetiere Nishida (1987, S. 472) vertritt die These, dass Lehren bei den Primaten weiter verbreitet sei als bei anderen Tieren. „Teaching by discouragement“ – also interaktives, negatives Lehren – sei nur bei den Primaten zu finden und auch „encouragement“ – also interaktives, positives Lehren – sei zumindest bei Altweltaffen und Menschenaffen recht weit verbreitet (z.B. „encouragement“ zum Laufen). Auch Higley & Suomi (1986, S. 153) schreiben, dass das Fürsorgeverhalten der Primaten über die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse hinausginge und dass darin ein Unterschied zu den restlichen Säugetieren bestünde. Die Jungtiere der Primaten hätten auch emotionale Bedürfnisse, die erfüllt werden wöllten. Auch die im Rahmen dieser Arbeit aufgelisteten Beispiele weisen in diese Richtung. Dass bei den Primaten die Mehrzahl der Beispiele gefunden werden kann, muss aber nicht unbedingt mit weiterreichenden kognitiven Fähigkeiten zusammenhängen. Die Primaten sind besser untersucht als die anderen Tiergruppen und der Mensch, als Beobachter, kann deren Verhalten besser deuten als z.B. das der Meeressäuger, da es dem seinen ähnlicher ist.
5.4.4.1.2 Menschenaffen vs. die anderen Primaten In Bezug auf die kognitiven Fähigkeiten und eine damit verbundene Fähigkeit zum Lehren ist auch innerhalb der Primaten eine Abstufung möglich – die zwischen Menschenaffen und den anderen Primaten. Krebs (2004, S. 54) schreibt, dass die höheren Primaten vielleicht die einzige Tiergruppe seien, bei denen so etwas wie Unterweisungsphänomene beobachtet werden könnten und auch King (1999, S. 27) schreibt, dass es durchaus begründet sei, zu behaupten, dass Menschenaffen über den Kontext hinweg mehr lehren würden (sie spricht von „social information donation“). Es sei begründet, weil es mit den Daten, die derzeit zur Verfügung stünden sehr gut überein stimme und es passe zu der 135
5 Lernen und Lehren wachsenden Zustimmung, dass Menschenaffen in Bezug auf ihre kognitiven Fähigkeiten den anderen Primaten auf verschiedensten Gebieten überlegen seien (vgl. z.B. Byrne 1999; Povinelli et al. 1992a; 1992b; Russon et al. 1996; Whiten & Ham 1992). Parker (1996) schlägt einen adaptiven Komplex vor, der den Menschenaffen aber nicht den restlichen Primaten eigen sein soll. Er beinhalte intelligenten Werkzeuggebrauch, echtes Imitieren, Lehren durch Vormachen und Selbstbewusstsein. Nach Parker entwickelte sich dieser Komplex bei einem gemeinsamen Vorfahren der großen Menschenaffen, in Anpassung an das Lernen („apprenticeship“) spezifischer Formen der extrahierenden Nahrungssuche („extractive foraging“), insbesondere der extrahierenden Nahrungssuche mit Werkzeug. Im Gegensatz zu den restlichen Primaten müssen die Menschenaffen auf vielen Gebieten ihres Lebens komplexere Fertigkeiten lernen und es kam im Laufe der Selektion dazu, dass die Fähigkeit des Lernens durch ein weiteres Verhaltenspacket ergänzt wurde, zu dem auch die Fähigkeit zum Lehren gehörte (siehe aber auch Tomasello & Call 1994, S. 298 f.). Zusammenfassend kann man sagen, dass gewisse kognitive Fähigkeiten eine Voraussetzung für Lehren bzw. Erziehen sind. Es muss aber noch weitere Ursachen dafür geben, dass einige Tiere lehren und andere nicht.
5.4.4.2 Evolutionstheoretische bzw. ökologische Bedingungen des Lehrens Wie schon zu Beginn dargestellt, tritt Lehren nur dann auf, wenn es unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten nötig ist bzw. wenn der Nutzen größer ist als die Kosten. Andernfalls wäre es eine Verschwendung von Ressourcen. Thornton & Raihani (2008) haben diesen Sachverhalt sehr deutlich dargestellt und mit einigen Theorien und Beispielen untermauert. Im Wesentlichen geht es darum, dass einfachere soziale Lernprozesse, wie „local“- oder „stimulus enhancement“, im Tierreich weit verbreitet sind und in den meisten Fällen ausreichen, um den Aneignungsprozess bestimmter Fertigkeiten und Fähigkeiten, z.B. in Bezug auf den Nahrungserwerb, zu erklären (für Primaten vgl. z.B. Jaeggi et al. 2010).33 33
Matsuzawa (2002, S. 194) bezeichnet diesen, im Tierreich sehr weit verbreiteten Aneignungsprozess
verschiedenster Verhaltensweisen als „master-apprentice“-Beziehung und vergleicht ihn mit dem Erlernen der Sushizubereitung (siehe S. 140 f.). Das Jungtier richtet seine Aufmerksamkeit auf die Mutter und beobachtet sie tagtäglich, ohne dass es ein auf das Jungtier bezogenes Verhalten von Seiten der Mutter gäbe; vergleichbar mit dem Lehrling und seinem Sushimeister.
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5 Lernen und Lehren Deutlich wird dies, wenn man das Lehren innerhalb der Carnivora vergleicht. Lehren ist hier vermehrt bei Arten zu finden, die allein jagen (hauptsächlich Felidae). Bei in der Gruppe jagenden Arten (hauptsächlich Canidae) tritt es deutlich seltener auf. Bei diesen Arten können Jungtiere ausreichend Erfahrungen sammeln und die entsprechenden Jagdtechniken erlernen, indem sie bei einer Jagd dabei sind. Lehren ist in diesem Fall nicht nötig; die Kosten wären also deutlich größer als der Nutzen. Im Gegensatz dazu hätten die Jungtiere von Raubtieren, die als Einzelgänger jagen, nur eingeschränkt Möglichkeiten, den Umgang mit der Beute zu lernen, wenn ihnen die Eltern nicht lebende Beute, zum „Üben“, zur Verfügung stellen würden. Lehren ist in diesem Fall zwingend notwendig, damit die Jungen die entsprechende Jagdstrategie erlernen (vgl. z.B. Thornton & Raihani 2008, S. 1826). Im Folgenden werden die Bedingungen, unter denen Lehren von Vorteil ist, noch etwas genauer dargestellt.
5.4.4.2.1 Lehren tritt auf, wenn das Verhalten, welches gelernt werden muss, gefährlich ist Vergleicht man carnivore und herbivore Tiere fällt auf, dass Lehren sehr viel häufiger bei carnivoren Tieren zu finden ist. Dies könnte daran liegen, dass fleischfressende Tiere eine ganz andere Art und Weise haben, mit ihrer Nahrung umzugehen, als Tiere die sich von Pflanzen ernähren. Die Beute ist gefährlich, wehrt sich und es besteht das Risiko, verletzt zu werden (vgl. z.B. Kitchener 1999). Obwohl auch Pflanzen mit Dornen oder Stacheln versehen sein können oder giftige Inhaltsstoffe haben können, sind sie an sich weniger gefährlich, da man als Tier die Frucht mit Dornen oder das bitter schmeckende Blatt wahrscheinlich sehr schnell von sich aus meidet, ohne größeren Schaden davon zu tragen. Mit Hilfe dieser Theorie lässt sich auch erklären, warum z.B. Ratten das Mäusefangen nicht gelehrt bekommen (siehe S. 73). Mäuse stellen für Ratten anscheinend keine große Gefahr dar und es gibt auch keine bestimmte Art und Weise, wie Mäuse zu töten wären. Unter diesen Bedingungen reicht ein eigenständiges Lernen des Mäusetötens aus; Lehren ist nicht nötig. Das intentionale Stranden der Orkas, um Seeelefanten und Seelöwen zu erlegen, ist wohl eine der gefährlichsten Jagdstrategien im ganzen Tierreich. Es besteht immer die Gefahr, selbst zu stranden und aus eigener Kraft nicht mehr ins Wasser zurückzukommen. Für die Jungen ist es überlebenswichtig, dass sie die entsprechende Technik gelehrt bekommen. 137
5 Lernen und Lehren Bei gefährlichen Techniken kann sich ein Jungtier das Verhalten nicht allein durch Lernen aneignen bzw. wäre Lernen allein mit einem beachtlichen Risiko verbunden. Lehren ist hier von so großem Nutzen, dass es die Kosten übersteigt. Es ergibt – evolutionstheoretisch gesehen – einen Sinn und kann sich durchsetzen (vgl. z.B. Thornton & Raihani 2008).
5.4.4.2.2 Lehren tritt auf, wenn das Verhalten, welches gelernt werden muss, sehr komplex bzw. kompliziert ist Im Vergleich zu den anderen Menschenaffen fällt auf, dass sich nur die Schimpansen omnivor ernähren, die anderen herbivor bzw. frugivor. Diese Erweiterung der Nahrungsnische und die damit verbundenen neuen Methoden des Nahrungserwerbs, wie z.B. der Gebrauch von Werkzeug, könnten zu einem ökologischen Druck geführt haben, der Lehren notwendig machte. Je komplexer die Technik des Werkzeuggebrauchs ist, desto wahrscheinlicher reicht Lernen allein nicht aus, um sie sich anzueignen. Die meisten Hinweise auf Lehren finden sich beim Nüsseknacken, einer Technik, die als die komplizierteste im ganzen Tierreich gilt. Um es zu erlernen, brauchen die Tiere länger als für alle anderen Techniken (vgl. Boesch & Boesch 1990; siehe auch Boesch 1998, S. 174; Matsuzawa 1996, S. 201). Es ist naheliegend, dass Lehren dann nötig ist, wenn die Technik so kompliziert ist, dass sie nicht durch eine Kombination aus Beobachtungslernen mit Lernen durch Versuch und Irrtum erlernt werden kann (vgl. z.B. Boesch 1991; Jaeggi et al. 2010; King 1994, S. 117 f.; Shennan & Steele 1999; Thornton & Raihani 2008).
5.4.4.2.3 Lehren tritt auf, wenn das Verhalten, welches gelernt werden muss, spezialisiert ist Die Felidae sind in Bezug auf ihre Jagdstrategien spezialisierter als die Canidae. Katzenartige benutzten zum Töten der Beute einen Nackenbiss, Hundeartige nicht (vgl. z.B. Ewer 1968). Afrikanische Wildhunde (Lycaon pictus) überrennen ihre Beute beispielsweise einfach und beißen so lange in die Flanke, bis sie kollabiert (vgl. z.B. Ewer 1973). Die Jungen können diese Technik direkt bei der gemeinsamen Jagd üben. Lehren ist nicht nötig. Hingegen muss der präzise Nackenbiss sehr genau gesetzt werden, damit er
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5 Lernen und Lehren effektiv ist. In diesem Fall ist Lehren sinnvoll (zum Vergleich der Canidae und Felidae siehe auch Henry 1996, S. 59). Zusammenfassen kann man sagen, dass Lehren im Tierreich stattfindet. Insgesamt aber doch seltener, als man vermuten könnte. Das liegt daran, dass Lehren nur unter bestimmten Bedingungen von Vorteil ist. Diese Bedingungen sind eher ökologischer als kognitiver Art („evolutionary ecology“). Reicht Lernen für die Aneignung eines bestimmten Verhaltens aus, ist Lehren zu kostspielig und tritt nicht auf. Man muss zusätzlich aber bedenken, dass das Lehren in seiner Häufigkeit vermutlich unterschätzt wird, da es nicht wahrgenommen wird. Nahegelegt wird dies z.B. durch den Vergleich carnivorer und herbivorer Tiere. Die Jagdstrategien der Carnivoren fallen mehr auf und werden häufiger dokumentiert. Selbst wenn auch Herbivore ihre Jungen instruieren würden, wäre das Verhalten wahrscheinlich wesentlich weniger offensichtlich und würde seltener beschrieben werden (vgl. z.B. Caro & Hauser 1992). Es kommt hinzu, dass es so wenige Berichte von Lehren im Tierreich geben könnte, weil Wissenschaftler es nicht wahrnehmen, da es nicht ihrem Konzept des Lehrens – des Menschen – entspricht (vgl. Caro & Hauser 1992).
5.4.5 Bestrafung Es wird immer wieder postuliert, dass Bestrafung oder Verbote eine Variante des Lehrens sei, die im Gegensatz zu den anderen Formen, bei Tieren, häufig beobachtet werden könne (vgl. z.B. Barnett 1973, S. 399; Cheney & Seyfarth 1990, S. 224; King 1991, S. 103; Nishida 1987, S. 472); andere Autoren sprechen hingegen davon, dass Bestrafung im Tierreich äußerst selten sei (vgl. z.B. Caro & Hauser 1992). Diese unterschiedlichen Aussagen könnten daher rühren, dass die verschiedenen Autoren ein unterschiedliches Verständnis von Bestrafung oder Verboten haben. Nishida (1987, S. 472; er spricht von „discouragement“) führt als Beispiele an, dass Makaken oder Schimpansenmütter ihre Jungen von neuen Objekten wegziehen (z.B. Kawamura 1959; Menzel 1965) oder dass Schimpansenweibchen ihren Jungen Teile von Pflanzen wegnehmen, die nicht Teil des Nahrungsrepertoires sind und dadurch das Erkundungsverhalten ihres Jungen unterbinden (z.B. bei Nishida 1983b; van LawickGoodall 1973). Auch die angeführten Beispiele von Cheney & Seyfarth (1990, S. 224; sie sprechen von „punishment“) gehen in eine ähnliche Richtung, wenn sie sich auch mehr auf das Verhalten in sozialen Situationen beziehen. 139
5 Lernen und Lehren Diese Beispiele stellen zwar aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen dar, sind aber keine Bestrafung im Sinne von Lehren, da das Verhalten unmittelbar einem anderen Zweck dient, wie z.B. dem Schutz des Jungen (siehe auch S. 67 f.). Cheney & Seyfarth (1990, S. 224 f.) schreiben selbst, dass sich z.B. das Verhalten einer Mutter, die ihrem Jungen verbietet, zu Saugen, weniger aus einer pädagogischen Intention herleiten ließe, als vielmehr von der Absicht, etwas zu beseitigen, was sie selbst stört. Das Verhalten ist eher ein Versuch, ein anderes Individuum dazu zu bringen, sich so zu verhalten, dass es einem selbst von Vorteil ist. Das Verhalten ist also nach der Definition von Caro und Hauser kein Lehren, da der potentielle Lehrer einen unmittelbaren Nutzen davon hat. Bestrafung oder aggressives Verhalten im Sinne von Lehren ist im Gegensatz dazu im Tierreich eher selten.
5.4.6 Vergleich des Lehrens beim Menschen und anderen Tieren 5.4.6.1 Quantitative Unterschiede Es wird immer wieder postuliert, Lehren spiele beim Menschen eine größere Rolle als bei den anderen Tieren bzw. sei hier deutlich häufiger anzutreffen. In vielen Fällen mag das der Fall sein, aber man muss sich dennoch fragen, ob die Bedeutung des Lehrens für die menschliche Gesellschaft insgesamt nicht überschätzt wird. Whiten & Milner (1984, zit. nach Boesch 1996b, S. 418; auch bei Boesch 1998, S. 178 f.) untersuchten die Häufigkeit von Lehren in England und Nigeria. Untersucht wurden alltägliche, mehr oder weniger spontane Interaktionen 6 bis 14 Jahre alter Kinder mit ihrer Mutter. Lehren konnte dabei im Durchschnitt nur einmal in 364 Stunden beobachtet werden. Unabhängig davon, wie genau die Autoren Lehren definieren, ist dieser Schnitt doch sehr gering. Diese Diskrepanz wird im Kulturvergleich noch deutlicher. Matsuzawa et al. (2001, S. 572) schreibt, die meisten Gesellschaften würden „aktives Lehren“ („active teaching“) als die wichtigste Methode des Erziehens („education“) ansehen. Lehren muss aber weder der beste, noch der einzige Weg des Erziehens sein. Er, als Japaner, bringt als Beispiel die Beziehung des Schülers zu seinem Sushimeister. Bei dieser „masterapprentice“-Beziehung (siehe auch Matsuzawa 2002; Hatano & Takahashi 2005) beobachtet der Lehrling seinen Meister für eine sehr lange Zeit. Er eignet sich während dieser Zeit das Wissen und die Fertigkeiten, die er braucht, an. Während dieser Phase ist es dem Lehrling verboten, die verschiedenen Utensilien, die für das Sushi benötigt werden, 140
5 Lernen und Lehren wie Reis oder Fisch, auch nur anzufassen. Es ist ihm lediglich gestattet, den Sushimeister aufmerksam zu beobachten und das Geschirr zu spülen – bis zu dem Tag, an dem ihm der Meister die Erlaubnis erteilt, sein erstes Sushi zuzubereiten. Im Allgemeinen bereitet es dem Lehrling, von diesem Moment an, keine Probleme Sushi zu machen. Ganz in diesem Sinne lautet ein japanisches Sprichwort: „Children do not do as parents tell them to do, but do as parents do” (z.B. Nishida 1987, S. 473). Nicht nur der Kulturvergleich, sondern auch der Vergleich mit sogenannten traditionellen Gesellschaften, wie den in Afrika lebenden Jägern und Sammlern, stellt die Bedeutung des Lehrens in Frage. Fortes (1938) untersuchte die Tallensi, im Norden Ghanas. Er fand nur sehr wenige Hinweise auf ein Lehren, wie es in den westlichen Gesellschaften stattfindet. Er schreibt, dass keiner da glaubt, Kinder bräuchten eine bestimmte Art von Training von einer bestimmten Person. Man geht vielmehr davon aus, dass sich die Kinder das, was sie brauchen, genauso aneignen, wie sie von alleine groß werden. Die Ausbildung der Kinder erfolgt nebenbei, im Kontext der alltäglichen Routine. McGrew (1998, S. 322) schreibt, dass von den 50 Fertigkeiten, die die Aka Pygmäen für ihr tägliches Überleben brauchen, die meisten durch zuschauen oder tun erlernt werden und nicht dadurch, dass sie gelehrt werden. Auch wenn bei Hewlett & Cavalli-Sforza (1986), auf die er sich bei seinen Aussagen bezieht, nicht explizit auf die Methode eingegangen wird, ist es doch wahrscheinlich, dass Lehren eine nur sehr untergeordnete Rolle spielt. Krige et al. (1943, S. 105) beschreiben, wie bei den Lovedu, die im nördlichen Transvaal (heute Teil der Republik Südafrika) leben, die Kinder die Fähigkeit des Tierehütens, der Nahrungsgewinnung oder anderer essentieller Aktivitäten erlangen. Einige dieser Aktivitäten setzen ein detailliertes Wissen der Naturgeschichte der Gegend voraus. Sie schreiben, dass die Kinder die Fähigkeiten, die im Erwachsenenalter nötig sind, einfach dadurch erlernen, dass sie sie tun. Sie seien begierig darauf, die Älteren zu imitieren und die Älteren hätten keinerlei Verpflichtung zum Lehren (für die !Kung siehe auch Bakeman et al. 1990; Bruner 1972, S. 698; Draper 1976; Olson & Astington 1993). Aber auch in den sogenannten „primitiven“ Gesellschaften kann Lehren eine größere Bedeutung einnehmen. Hogbin (1946) beschreibt, dass in einer melanesischen Gesellschaft Neuguineas die Erziehung oder Ausbildung („education“) als eine heilige Aufgabe angesehen wird. Jede Generation hat die Pflicht, die übliche Lebensart der Gruppe, deren Ursprung mythischen Helden der Vergangenheit zugeschrieben wird, an die nächste Generation weiterzugeben. Verhalten sich die Kinder nicht entsprechend der Bräuche, gilt das als Beleidigung der Helden. Schande gilt dann aber den Eltern und nicht den 141
5 Lernen und Lehren Kindern. Die Fertigkeiten werden durch Üben erlangt, der Impuls geht dabei meist vom Spielen aus. Imitieren wird durch Vormachen und detaillierte Erklärungen unterstützt. Es ist naheliegend, dass Lehren, je nach Gesellschaftsform eine andere Bedeutung hat und in unseren westlichen Gesellschaften eine wesentlich größere Rolle spielt als in anderen. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist ohne Lehren vielleicht nicht aufrecht zu erhalten; das gilt aber nicht für den Menschen an sich. Viele traditionelle Gesellschaften oder weniger westlich geprägte Kulturen bestehen fort, ohne dass Lehren eine so immense Bedeutung einnimmt. Boesch (1996b, S. 418) schreibt, dass Lehren dann an Bedeutung zunimmt, wenn eine Aufgabe mehr als eine Lösung hat aber nur eine dieser Lösungen sozial akzeptiert ist. Man kann also sagen, dass durch die Starrheit einiger Kulturen ein Zwang besteht, der Lehren wichtiger macht, um die Vereinheitlichung einer Technik zu gewährleisten. Häufig werden bei der Frage nach der Fähigkeit des Lehrens der Tiere striktere Kriterien angewandt als bei der Frage des Lehrens beim Menschen (vgl. z.B. Caro & Hauser 1992). Lehren beim Menschen ist – vor allem, wenn ein pädagogischer Grundgedanke vorherrschend ist aber auch im allgemeinen Sprachgebrauch – häufig ein sehr viel weiteres Konzept (siehe auch Laland & Hoppitt 2003). Würde man das Lehren des Menschen mit den gleichen Maßstäben messen, wie das Lehren der Tiere, wäre es wohl nur sehr viel seltener zu finden. Zudem kommt auch die Pädagogik immer mehr davon ab, striktes Lehren (z.B. im Sinne von Frontalunterricht) als eine sinnvolle Methode des Unterrichtens oder der Erziehung anzusehen. Viele Lehrer sehen ein großes Potential darin, Bedingungen zu schaffen, die den Schülern Möglichkeiten geben, zu lernen. Selbstentdeckendes, eigenständiges Lernen scheint in vielen Fällen die produktivere Methode zu sein, als sogenannte klassische Formen pädagogischer Instruktion (siehe auch Laland & Hoppitt 2003).
5.4.6.2 Qualitative Unterschiede Spannend ist nicht nur die Frage nach einem quantitativen Unterschied bzgl. des Lehrens bei Mensch und Tier, sondern auch die nach einem qualitativen. Gibt es einen wirklichen Unterschied zwischen dem Menschen und den anderen Tieren? Im Folgenden werden einzelne Punkte diskutiert, die für einen qualitativen Unterschied in Frage kommen.
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5 Lernen und Lehren
5.4.6.2.1 Lehren mit Perspektivenübernahme oder „mental state attribution“ Da im Rahmen dieser Arbeit diese Ebene des Lehrens von Vornherein ausgeklammert wurde – weil die Frage, ob Tiere eine derartige Fähigkeit besitzen ein eigenständiges, sehr weitreichendes Thema ist – können hierzu nur schwer eindeutige Aussagen gemacht werden. Es ist aber naheliegend, dass Menschen in einem wesentlich größeren Maß zu derartigen kognitiven Leistungen fähig sind (vgl. z.B. Cheney & Seyfarth 1990). Betrachtet man aber die großen Menschenaffen und hier besonders die Schimpansen, ist es fragwürdig, ob es sich wirklich um einen qualitativen und nicht doch nur um einen quantitativen Unterschied handelt. Wrangham & Peterson (2001) schreiben dazu (S. 316): „Und selbst wenn wir Behauptungen über Wissen, Denken und Fühlen der Menschenaffen nicht beweisen können, werden wir mehr Fehler machen, wenn wir solche Anzeichen kognitiver Fähigkeiten ignorieren, als wenn wir sie ernst nehmen. Zu viele aufregende Geschichten über Menschenaffen drängen uns den Gedanken auf, dass der Dschungel von denkenden Wesen bewohnt ist.“
5.4.6.2.2 Lehren über Sprache Sprache (und damit verbunden auch Schrift) erlaubt eine Übertragung unbegrenzter Informationen, abstrakter Konzepte und Wissen, das vergangene und zukünftige Ereignisse betrifft (vgl. Hauser et al. 2002; siehe auch Shennan & Steele 1999, S. 367; Thornton et al. 2007). Auch wenn Tiere über Laute oder taktil kommunizieren unterscheiden sich diese Fähigkeiten deutlich von denen des Menschen (vgl. Hauser et al. 2002). So ist Lehren über Sprache der meistgenannte Punkt, wenn es um einen qualitativen Unterschied zwischen dem Menschen und den anderen Tieren geht (vgl. z.B. Mainardi 1980, S. 244).
5.4.6.2.3 Der Grad an Stereotypie Einige Verhaltenssequenzen der Tiere, die als Lehren klassifiziert wurden, sind recht starre Verhaltensweisen. Das Lehren bei Katzenartigen, das bei der gesamten Tiergruppe einem ähnlichen Muster folgt, ist dieser Verhaltenskategorie zuzuordnen. Etwas Derartiges ist beim Menschen nicht zu finden (vgl. Cheney & Seyfarth 1990, S. 224). 143
5 Lernen und Lehren Wobei hier einschränkend gesagt werden muss, dass nicht alle anderen Tiere an sich dem Menschen gegenüber gestellt werden können. Sowohl innerhalb der Tiere als auch in Bezug auf das zu lernende Verhalten gibt es Unterschiede. Betrachtet man z.B. die Fälle des Lehrens beim Nüsseknacken, sind diese in Bezug auf ihre Flexibilität durchaus mit dem Lehren des Menschen vergleichbar.
5.4.6.2.4 Lehren als Vormachen (Vorzeigen, Aufforderung zum Imitieren) Caro & Hauser (1992) führen neben dem „opportunity teaching“ (direktives Lehren) und dem „coaching“ (interaktives Lehren) noch eine weitere Variante des Lehrens auf, die beim Menschen häufig zu beobachten, ihr Pendant im Tierreich aber fragwürdig sei. Bei dieser Variante imitiert der Schüler das Verhalten des Lehrers, was auf eine Aufforderung von Seiten des Lehrers zurückgeführt werden kann (vgl. Caro & Hauser 1992, S. 167; siehe dazu auch Gergely & Csibra 2006, S. 243 ff.). Der Lehrer kann z.B. zum Schüler sagen: „Schau, wie ich den Ball werfe!“. Anschließend wirft er den Ball zum Schüler und dessen Wurf sieht im Idealfall so ähnlich aus wie der, des Lehrers. Im Prinzip ist das, was Caro & Hauser (1992) hier beschreiben das, was Boesch (1991) unter dem Begriff des „active teaching“ fasst. Er beobachtete es bei Schimpansen im Kontext des Nüsseknackens (siehe S. 125). Ein Experiment, das ein solches Verhalten untersucht, wurde von Bard & Vauclair (1984) durchgeführt. Sie verglichen Schimpansen, Bonobos und Menschen in Bezug auf die Objektmanipulation. Im Einzelnen wurde untersucht, ob die Erwachsenen ein Objekt so behandeln, dass die Aufmerksamkeit der Jungen auf das Objekt gezogen wird. Im Gegensatz zu den Menschen, die ein solches Verhalten häufig zeigten, konnte es bei den Schimpansen und Bonobos nur selten beobachtet werden. Es kann also auch bei dieser Variante des Lehrens kein qualitativer, aber ein quantitativer Unterschied gefunden werden.
5.4.6.2.5 Bestrafung zur Förderung eines Verhaltens Barnett (1968, S. 747) schreibt, dass nur der Mensch auch Bestrafung benutzt, um seinen Kindern irgendetwas anderes als Vermeidung beizubringen. Und weiter heißt es, dass nur Erfahrung und Intelligenz ihn bei dem effektiven Gebrauch (und der effektiven Antwort) der Bestrafung anleiten würden (vgl. Barnett 1968, S. 748). 144
5 Lernen und Lehren Aufgrund all dieser Unterschiede ergeben sich für den Menschen ganz andere Möglichkeiten. Sie erlauben ihm vor allem eine größere Flexibilität bei der Übertragung von Informationen (vgl. Cheney & Seyfarth 1990, S. 233; Thornton et al. 2007; Thornton & Raihani 2008, S. 1828). Im Einzelnen erlauben sie Individuen andere Individuen unabhängig von Zeit und Raum, in verschiedenen Kontexten über Objekte, Ereignisse, Fähigkeiten und Ideen zu informieren (vgl. Cheney & Seyfarth 1990, S. 233). Zudem ist das, was beim Lehren des Menschen übermittelt wird, in einem viel stärkeren Maße von den spezifischen Defiziten des Schülers abhängig (vgl. Cheney & Seyfarth 1990, S. 224). Es ist aber wahrscheinlicher, dass es sich bei diesen Unterschieden um quantitative und nicht um qualitative handelt (siehe auch King 1991, S. 97; 1994, S. 6; Rendell & Whitehead 2001, S. 318).
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6 Das Zeigen
6 Das Zeigen Prange (1996) vertritt die These, dass jedes Erziehen letztlich auf das Zeigen, als Operation, reduziert werden kann. Er schreibt (S. 140): „Die Vermittlung von Fertigkeiten, Kenntnissen und Haltungen ist darauf angewiesen, daß den Kindern und Heranwachsenden etwas dargestellt und vor Augen geführt, vorgemacht und vorgetan, erzählt und vergegenwärtigt, erläutert und erklärt – kurz: gezeigt wird.“ An anderer Stelle heißt es (Prange 1995, S. 151): „Das Erziehen besteht der Form nach darin, den Kindern und Heranwachsenden die Welt und das Leben zu zeigen.“ oder (S. 156): „Wo erzogen wird, muss auch etwas gezeigt werden“ (siehe auch Kraft 2007; Prange 2000; 2005; Treml 2004b). Damit versteht Prange unter dem Zeigen das, was in dieser Arbeit weitestgehend als Lehren bezeichnet wird (siehe S. 20 f.). Dennoch soll – vor allem aufgrund der aktuellen Diskussion in der Pädagogik – noch etwas detaillierter auf das Zeigen und sein Vorkommen im Tierreich eingegangen werden. Im erziehungswissenschaftlichen Kontext spricht man von zwei Formen des Zeigens, dem Hinzeigen (demonstrare) und Vormachen (ostendere) (vgl. z.B. Treml 2004b, S. 283). Das Vormachen einer Handlung, mit dem Ziel, dass der andere diesen Handlungsablauf verinnerlicht, also lernt, wurde ausführlich im Kapitel 5 behandelt. In den folgenden Abschnitten soll es um das Zeigen im Sinne von Hinzeigen gehen. Welche Möglichkeiten gibt es, auf etwas hinzuzeigen? Die eindeutigste Form besteht darin, mit dem Finger auf einen Gegenstand oder eine Situation zu zeigen. Ebenso besteht aber auch die Möglichkeit, mit dem Blick zu zeigen. Durch das Schauen in eine bestimmte Richtung kann ein Individuum einem anderen zeigen, auf was die eigene Aufmerksamkeit gerichtet ist. Findet dieses Zeigen in einem Generationenverhältnis statt und dient es dazu, beim Jungtier bestimmte Fähigkeiten oder Fertigkeiten zu fördern oder es mit den Regeln der Gruppe, in der es lebt, vertraut zu machen, handelt es sich um Erziehung (siehe auch Povinelli & O'Neill 2000, S. 461). Die Erforschung der Zeigefähigkeit begann zunächst mit den nichtmenschlichen Primaten; Aufgrund der Erkenntnisse, die aus diesen Untersuchungen gewonnen werden konnten, fing man an, auch andere Taxa bzgl. dieser Fähigkeit zu untersuchen.
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6 Das Zeigen
6.1 Primates, Affen Um prüfen zu können, ob bei den Primaten Wissen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten von einer Generation an die nächste durch Zeigen übermittelt werden, muss zunächst geklärt werden, ob die Tiere überhaupt in der Lage sind zu zeigen bzw. das Zeigen zu verstehen. Menzel & Halperin (1975; Menzel 1974) konnten nachweisen, dass Schimpansen (Pan troglodytes), denen Futter an einer bestimmten Stelle, im Freigehege, gezeigt wurde, erfolgreich in der Lage waren, ihre unwissenden Artgenossen dazu zu bringen, ihnen bis zum Versteck des Futters zu folgen. Der Wissende „zeigt“ das Futter im einfachsten Fall durch seine Körperorientierung in Richtung des Futters. Menzel (1974) schreibt (S. 128): „[The] followers too might have known almost from the starting point the approximate location of the food.” Wenn sich der Anführer auf einen interessant aussehenden Platz zubewegt, folgen ihm die anderen. Wenn er langsamer wird und auf einen Grasklumpen schaut, während sich sein Fell aufrichtet, schauen die anderen ebenfalls mit großer Aufmerksamkeit auf die angezeigte Stelle (vgl. Menzel 1973, S. 208). Coussi-Korbel (1994) wiederholte den Versuch von Menzel (1974), in abgewandelter Form, mit Halsbandmangaben (Cercocebus torquatus torquatus). Ausgangspunkt war aber eine Wettbewerbssituation. Konkurrenten waren ein junges und ein dominantes, älteres Männchen. Wenn das jüngere Tier wusste, wo das Futter versteckt war und sich dieses holen wollte, musste es die Nahrung regelmäßig an das dominante Tier abgeben. Daraufhin entwickelte es eine besondere Strategie. Es fing an, auf indirektem Weg zum Futter zu laufen, was das dominante Tier in die Irre führte. Das Jungtier zeigte dem dominanten den falschen Weg. Hirata & Matsuzawa (2001) machten einen ähnlichen Versuch mit Schimpansen. Im Gehege befanden sich mehrere Behälter. Unter einem versteckte der Experimentator Futter. Ein Schimpanse konnte den Versteckprozess beobachten, ein anderes Tier beobachtete den Schimpansen. Daraufhin wurden beide in das Gehege gelassen. Nach einigen Durchgängen ging der Schimpanse, der den Versteckprozess gesehen hatte, nicht mehr zum richtigen Behälter, sondern zu einem anderen. Er zeigte dem anderen Tier den falschen Behälter. Legt man diese, etwas weitere Definition des Zeigens zugrunde, lassen sich bei den Primaten noch viele weitere Beispiele finden. Zum Teil wurden diese schon unter der Rubrik des Lehrens abgehandelt. Wenn eine Mutter ihr Junges beispielsweise zum Laufen auffordert, zeigt sie ihm, was es machen soll. Ein ähnliches Verhalten beschreibt Plooij 148
6 Das Zeigen (1978, S. 126): “The Flo family has been resting for some time. Flo, who is either mother or grandmother to all of them, rises and walks two meters in their direction while looking at them. Then she makes a tonal grunt, turns around and leaves the spot. The others follow her.” Es gibt noch weitere Möglichkeiten, wie ein Affe einem anderen zeigen kann, was er machen soll. Beispielsweise zeigen Schimpansen einem Sozialpartner, an welcher Stelle sie gegroomt werden möchten. Diese „direct scratches“ bezeichnen eine relativ laute (teilweise mit einem „tonal grunt“) und übertriebene Kratzbewegung an einer bestimmten Stelle des Körpers, die vom Groomingpartner gesehen werden kann (vgl. Plooij 1978, S. 125). Pika & Mitani (2006) bezeichnen dieses Verhalten als Kommunikation mit Hilfe einer referentiellen Geste. Des Weiteren zeigen Primaten, um ein anderes Individuum aufzufordern, sie im Kampf zu unterstützen. Der Kopf bewegt sich dabei schnell zwischen potentiellem Verbündetem und Gegner hin und her. De Waal et al. (1976, S. 262) bezeichnen dieses Verhalten bei Javaneraffen (Macaca fascicularis) als „showlooking“34. Packer (1977, S. 441) und Hall & DeVore (1965, S. 65) bezeichnen das Verhalten bei Pavianen als „head turning“. Für Cercopithecus wird das Verhalten als „head flagging” (vgl. Kingdon 1980, S. S. 427) beschrieben. Hauser et al. (2007, S. 1914) sprechen bei Rhesusaffen (Macaca mulatta) von einer „recruitment gesture“ (siehe Abb. 8). De Waal (1998, S. 27) beschreibt im Zusammenhang des Bittens um Unterstützung bei Schimpansen auch Fälle des Zeigens mit der Hand. Dabei wird ebenfalls in zwei Richtungen kommuniziert. In den meisten Fällen versucht ein Weibchen ein Männchen zu rekrutieren, ein anderes Weibchen anzugreifen. Das Weibchen fordert ihre Kontrahentin durch ein schrilles, empörtes Bellen auf; zur gleichen Zeit küsst das Weibchen das Männchen und macht viel Aufhebens darum. Manchmal zeigt sie auf ihre Gegnerin, was im Allgemeinen eine unübliche Geste ist. Schimpansen zeigen nicht mit dem Finger, sondern mit der ganzen Hand. Das Zeigen kann vor allem dann beobachtet werden, wenn die Situation konfus ist; wenn z.B. die dritte Partei geschlafen hat oder nicht von Anfang 34
Das Individuum wechselt zwischen Drohen in Richtung des Gegners und Schauen in Richtung eines
dominanten Tieres, von dem Unterstützung eingefordert wird. Beim Drohen sind die Augenlieder deutlich weiter geöffnet. Es wird von de Waal auch als „pointing“ bezeichnet. Er schreibt (S. 264): „It seems a big living arrow, indicating precisely in whose direction the aggression is meant.” Bei dem Verhalten, welches in Richtung des dominanten Tieres gezeigt wird, handelt es sich häufig um „lip-smacking“. Dabei werden Mund und Lippen schnell geöffnet und geschlossen, was in einem hörbaren Schmatzen resultiert. Beim „showlooking“ werden nun diese beiden Verhaltensweisen abwechselnd jeweils in Richtung des Gegners und des dominanten Tieres gezeigt (vgl. de Waal et al. 1976).
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6 Das Zeigen an in den Konflikt involviert war. In solchen Fällen zeigt das Tier seinen Kontrahenten mit Hilfe einer Geste an. Ein gut beschriebener Fall, bei dem ein Affe in freier Wildbahn eine Zeigegeste benutzt, stammt von einem Bonobo aus Zaire (Vea & Sabater-Pi 1998). Zunächst konnten die Beobachter nur ein Männchen sehen. Es saß ca. 30m entfernt von ihnen in einer Astgabel. Es gab Rufe von sich, die von den anderen Gruppenmitgliedern, die nicht zu sehen waren, beantwortet wurden. Plötzlich zeigte es mit ausgestrecktem Arm, mit Zeige- und Ringfinger, auf die im Unterholz versteckten Beobachter. Gleichzeitig schrie das Männchen und schaute in Richtung seiner Artgenossen. Kurze Zeit später wiederholte es das Zeigen samt Rufen zweimal. Als die anderen Gruppenmitglieder eintrafen, schauten sie in Richtung der Wissenschaftler.
Abbildung 8: Schematische Darstellung der „recruitment gesture“ bei Rhesusaffen. Auf dieser Abbildung versucht Tier A die Aufmerksamkeit von Tier B zu erlangen, indem es seinen Kopf schnell, in Richtung Tier B vorstreckt (Pfeil 1). Hat Tier A die Aufmerksamkeit vom Tier B, bewegt es seinen Kopf schnell in Richtung Tier C (Pfeil 2) (Zeichnung nach einer Abbildung aus Hauser et al. 2007, S. 1914) Dies scheint aber der einzige Bericht eines Affen aus freier Wildbahn zu sein, der ein anderes Individuum, mit Hilfe einer Geste, auf etwas aufmerksam macht – also zeigt (sieh auch Pack & Herman 2006, S. 453; Plooij 1978, S. 126; Povinelli & Davis 1994). 150
6 Das Zeigen Schimpansen und auch andere Primatenarten, die in Gefangenschaft leben, fangen hingegen recht häufig an, mit ihrer Hand zu zeigen (vgl. z.B. Leavens & Hopkins 1999, S. 417; Tomasello & Call 1994, S. 287). Besonders deutlich ist dieser Effekt, wenn die Tiere sehr engen Kontakt zum Menschen haben, oder an speziellen Trainings teilnehmen. In Bezug auf das Zeigen ebenso interessant, sind Untersuchungen zu verschiedenen kognitiven Fähigkeiten der Tiere. Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Wissenschaftler, sich vor allem für die Sprachfähigkeit der Menschenaffen zu interessieren. Es kam in Mode, die Tiere wie Menschenkinder zu behandeln, um herauszufinden, ob sie dann menschenähnlichere Verhaltensweisen zeigen würden. Diese Menschenaffen fingen in aller Regel auch an zu zeigen (vgl. z.B. Krause & Fouts 1997). Frühe Bemühungen bestanden vor allem darin, den Tieren die menschliche Sprache (Lautsprache) beizubringen. Furness (1916) versuchte einem Orang-Utanweibchen und einem Schimpansenweibchen das Sprechen beizubringen. Nach sechs Monaten war der Orang-Utan in der Lage „Papa“ zu sagen. Wenn sie gefragt wurde: „Wo ist Papa?“, zeigte sie auf den Autor oder klopfte ihm auf die Schulter. Ein weiteres Wort, das sie sprechen konnte war „cup“. Das Schimpansenweibchen (Mimi) lernte das Alphabet bis zu dem Buchstaben „M“, aus Holzbuchstaben zu legen. Es kam vor, dass sie, gefragt nach dem Buchstaben „I“, auf ihre Augen („eye“) zeigte. Die Schimpansin Gua wurde von dem Ehepaar Kellogg in ihrem Haus aufgezogen, um ihre Entwicklung mit der ihres Sohnes zu vergleichen (vgl. Kellogg & Kellogg 1933). Kurze Zeit nachdem die Kelloggs mit ihrem Projekt begonnen hatten, fing Gua – ohne besonderes Zutun ihrer menschlichen Gefährten – spontan an, mit ausgestrecktem Finger zu zeigen. Die Schimpansin Viki wurde von dem Ehepaar Hayes (Hayes & Hayes 1954) sechs Jahre lang wie ein Menschenkind großgezogen. Sie lernte die Wörter „mama“, „papa“, „cup“ und „up“. Dennoch machte sie recht wenig Gebrauch von Gesten, an denen nur die Hände beteiligt sind. Sie zeigte auf Dinge in ihrer Nähe, die sie aber nicht anfassen durfte. Sie zeigte aber nur sehr selten auf entfernte Dinge, wie z.B. die Tür, obwohl sie auf das Zeigen ihrer Betreuer in angemessener Art und Weise reagierte (vgl. Hayes & Hayes 1954, S. 299). Da die Versuche, den Menschenaffen die Lautsprache beizubringen, wenig erfolgreich waren, versuchte man ihnen die Kommunikation mit Hilfe einer Symbolsprache, sogenannter Lexigramme, zu lehren. Ein Schimpanse, dem diese Art der Kommunikation beigebracht wurde, ist Sarah (vgl. Premack & Premack 1972). Die Premacks entwickelten ein System, bei dem mit Hilfe 151
6 Das Zeigen von Plastikstücken unterschiedlicher Größe, Form und Farbe kommuniziert werden konnte. Diese Stücke waren mit Metall versehen und konnten an einer magnetischen Tafel befestigt werden. Sarah hatte ein Vokabular von 130 Begriffen. Rumbaugh (1977; siehe auch Rumbaugh et al. 1973) benutzte ein computergestütztes Verfahren, um dem Schimpansenweibchen Lana die Kommunikation mit Hilfe von Lexigrammen beizubringen. Auf zwei Konsolen, mit je 25 Tasten, waren Symbole in „Yerkish“ angebracht; eine künstliche Sprache, die von Rumbaugh und ihren Kollegen entwickelt wurde und im Wesentlichen aus weißen, geometrischen Figuren bestand. Lana war in der Lage Wörter in Yerkish zu verstehen, ihre serielle Anordnung zu lesen und zu unterscheiden, ob oder ob sie nicht vervollständigt werden können (vgl. Rumbaugh et al. 1973, S. 733). Lana folgten unter Anderem die Schimpansen Sherman und Austin. Auch sie erlernten erfolgreich die Kommunikation mit Hilfe von Lexigrammen und fingen im Verlauf des Experiments spontan an, die Zeigegeste zu benutzen (vgl. Savage-Rumbaugh 1986, S. 135 f., 175 u. 315). Besonders beeindruckend sind die Fähigkeiten von Kanzi. Obwohl der Bonobo niemals an einem formalen Sprachtraining teilgenommen hatte, war er im Umgang mit den Lexigrammen deutlich besser als seine Kollegen. Er lernte eine Fülle von Symbolen, allein durch die Anwesenheit der anderen Tiere, die mit Hilfe der Lexigramme kommunizierten (vgl. z.B. Savage-Rumbaugh et al. 1986; 1998). Während des Projekts fing er ebenso spontan an zu zeigen. Beispielsweise zeigte er auf Spaziergängen, besonders wenn er getragen wurde, die gewünschte Richtung, mit Hilfe einer Zeigegeste an (vgl. Savage-Rumbaugh et al. 1998, S. 14). Neben den Bestrebungen, den Tieren die Kommunikation über Lexigramme beizubringen, versuchte man, ihnen die Gebärdensprache (ASL: American Sign Language) zu lehren. Eines der berühmtesten Tiere ist Washoe. Sie lebte zunächst im Haushalt der Gardeners und wurde später von Roger Fouts, der in der Arbeitsgruppe des Ehepaares Gardener beschäftigt war, trainiert. Washoe lernte mehr als 130 ASL-Zeichen und zusätzlich verschiedene Kombinationen der Zeichen, die sie auch spontan selbst bildete (vgl. Fouts & Budd 1979). 1978 bekam sie einen „Adoptivsohn“ Loulis, dem sie einige ASL-Zeichen beibrachte (vgl. z.B. Fouts & Fouts 1993; Fouts et al. 1989; 1982; 2002). Sie unterhielt sich mit ihm und auch anderen Schimpansen mit Hilfe der ASL-Zeichen (vgl. Fouts & Fouts 1993). Das Zeigen ist eine wichtige Komponente verschiedener ASL-Zeichen (siehe z.B. Abb. 9).
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6 Das Zeigen Koko war der erste Gorilla, dem die Gebärdensprache beigebracht wurde. Während des Sprachtrainings fing sie an zu zeigen (vgl. Patterson 1978a; 1978b). Später lehrte auch sie einem Jungtier (Michael) verschiedene Zeichen (vgl. Patterson & Linden 1982, S. 176). Terrace (1979) versuchte die Ergebnisse des Washoe-Projektes mit Nim Chimpsky zu replizieren. Der Schimpanse lebte von seiner Geburt an, rund um die Uhr, zusammen mit seinen Adoptiveltern. Terrace verwendete deutlich strengere experimentelle Bedingungen, um – wie er meinte – die linguistischen Fähigkeiten der Tiere sicherer nachweisen zu können. Obwohl auch Nim 125 Zeichen lernte, entsprach das, was der Schimpanse leistete – laut Terrace – nicht einer Sprache, sondern eher einem Kode (z.B. wegen des Fehlens einer Syntax). Einfluss auf dieses Ergebnis hat sicherlich auch, dass Terrace dem Washoe-Projekt von Anfang an eher skeptisch gegenüberstand.
Abbildung 9: Ein Schimpanse macht das Zeichen für „you“ (Zeichnung nach einem Foto aus Fouts & Budd 1979, S. 350) Ein Orang-Utan, der die Gebärdensprache erlernt hat, ist Chantek (vgl. Miles 1980; 1990). Auch er wuchs in einer menschentypischen Umgebung auf. Während des Projekts lernte er 140 Zeichen der ASL. Im Alter von 13 Monaten fing er an, auf sich selbst zu zeigen. Mit 29 Monaten zeigte er auch auf bestimmte Orte in die Ferne. Während des Zeigens wechselte sein Blick häufig zwischen dem angezeigte Ort und seinem Ansprechpartner. 153
6 Das Zeigen Neben diesen speziellen Fällen des Zeigens sprachtrainierter Menschenaffen, kann das Zeigen auch in anderen Kontexten spontan beobachtet werden. Boysen (1995) brachte einem Schimpansen das Zählen und das Verstehen numerischer Symbole bei. Während des Versuchs fing er spontan an, die Zeigegeste zu benutzen. Auch Leavens et al. (1996) beschreiben das spontane Zeigen bei Schimpansen, die nicht an speziellen Sprachtrainings teilgenommen hatten.35 Hess et al. (1993) schreiben von einem Rhesusaffenweibchen Scarlet, welches in einem Labor aufwuchs, dass es mit dem Beginn ihrer Adoleszenz spontan anfing zu zeigen, vor allem in Interaktionen mit ihren menschlichen Pflegern. Experimente, die sich gezielter mit der Zeigefähigkeit von Tieren beschäftigen, sind vor allem an den ablaufenden kognitiven Prozessen interessiert. Da es hierbei meist um den Vergleich mit dem Menschen oder die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten beim Kleinkind geht, sind Primaten – und hier besonders die großen Menschenaffen – die häufigsten Studienobjekte. Zeigen ist ein wichtiges Element der präverbalen Entwicklung von Kleinkindern. Eine wichtige Frage, die dieser Art von Experimenten zugrunde liegt, ist inwieweit der funktionelle oder kommunikative Hintergrund der Geste mit dem der Primaten (oder anderer Tiere) vergleichbar ist. Ein häufig verwendeter Versuchsaufbau ist die sogenannte „object-choice task“. In diesem, im Deutschen als Hütchenspiel bekannten Spiel, wird unter einem von zwei oder drei Behältern etwas versteckt. Errät der andere die richtige Stelle, bekommt er die Belohnung. Um zu testen, ob die Tiere zeigen können, versteckt man die Belohnung so, dass es die Tiere sehen. Nun bekommen sie die Möglichkeit einen der Behälter zu wählen. Zeigen sie auf den richtigen, erhalten sie eine Belohnung. In vielen Untersuchungen konnten die Tiere lernen, dem Experimentator, mit Hilfe einer Zeigegeste, erfolgreich mitzuteilen, wo die Belohnung versteckt ist (siehe Tab. A2 im Anhang: „pointing“ (aktiv), positiv). Eng mit der Fähigkeit zum Zeigen ist das Verstehen des Zeigens verbunden. Auch hier verwendet man in experimentellen Studien das „object-choice“-Paradigma. Auch hier deuten Experimente darauf hin, dass Menschenaffen die Zeigegeste eines anderen verstehen (siehe Tab. A2 im Anhang: „pointing“ (passiv), positiv). Vor allem untrainierte, unerfahrene Tiere sind aber nicht in der Lage, die Geste als Hinweisreiz zu deuten (vgl. z.B. Itakura et al. 1999; siehe Tab. A2 im Anhang: „pointing“ (passiv), negativ). 35
Mittlerweile findet man sogar auf „youtube“ Videos, die eindeutig belegen, dass Menschenaffen zeigen
und sie dieses Zeigen auch benutzen, um andere Individuen auf etwas hinzuweisen (z.B.: http://www.youtube.com/watch?v=CdgSegEVqA0&feature=player_embedded; abgerufen am 03.08.12).
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6 Das Zeigen Für die kleineren Primatenarten lassen sich ebenso keine eindeutigen Schlüsse ziehen. Viele Arten sind nicht untersucht, bei den anderen gibt es sowohl positive als auch negative Ergebnisse (siehe Tab. A2 im Anhang). Eine besondere Form des Zeigens, ist das Zeigen mit dem Blick. Ein Individuum kann ein anderes Individuum auf ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Situation aufmerksam machen, indem es darauf schaut. Da diese Form des Zeigens weniger an den Gebrauch von Extremitäten gebunden ist, sollte sie im Tierreich häufiger zu finden sein als das Zeigen mit dem Finger oder mit der Hand. Es gibt einige Berichte, die darauf hindeuten, dass Affen ein anderes Individuum mit ihrem Blick auf etwas aufmerksam machen können. Einen solchen Fall beschreibt de Waal 2001 (S. B7). Der Schimpanse Nikkie hatte sich daran gewöhnt, dass er vom Autor ein paar Beeren über den Graben des Geheges geworfen bekam. Eines Tages, als der Autor die Tiere wie gewöhnlich beobachtete und Daten aufnahm, vergaß er völlig die Beeren, die hinter ihm hingen. Nikkie hatte sie nicht vergessen. Er setzte sich vor den Autor nieder, schaute ihm direkt in die Augen und – sobald der Autor den Blick erwiderte – mit gleicher Intensität auf einen Punkt hinter dessen linker Schulter. Dann sah er zurück zum Autor und wiederholte das Verhalten. Beim zweiten Mal schaute auch der Autor nach hinten und sah die Beeren. Ohne eine bestimmte Geste und ohne einen Laut von sich zu geben, hatte Nikkie dem Autor gezeigt, was er haben wollte (siehe auch Gómez 1991). Gut dokumentiert sind auch Fälle, bei denen ein Individuum dem Blick eines anderen Individuums folgt. Beispiele finden sich in freier Wildbahn (vgl. Plooij 1978, S. 126), bei Tieren die sehr viel Kontakt zum Menschen hatten (vgl. Savage-Rumbaugh in Byrne & Whiten 1990, S. 77) und auch im Experiment konnte diese Fähigkeit nachgewiesen werden (siehe Tab. A2 im Anhang: „gaze following“ (passiv), positiv). Experimentell wird diese Fähigkeit durch verschiedene Designs getestet. Entweder man nutzt das „object-choice“-Paradigma, bei dem auf einen der Behälter geschaut wird oder man konfrontiert das Tier mit Barrieren und es wird hinter eine der Barrieren geschaut oder es wird getestet, wie gut die Tiere dem Blick eines anderen Individuums in die Ferne folgen. Je nach Versuchsaufbau unterscheiden sich die Ergebnisse. Schaut ein Individuum hinter eine Barriere oder in die Ferne, sind andere Individuen meist recht gut in der Lage, dem Blick des anderen zu folgen (siehe Tab. A2 im Anhang: „gaze following“ (passiv), positiv). Vor allem wenn Ergebnisse aus diesen Varianten des Versuchsaufbaus mit den Ergebnissen aus einem Versuch nach dem „object-choice”-Paradigma verglichen
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6 Das Zeigen werden, sind die Ergebnisse für das „object-choice”-Paradigma schlechter (siehe Tab. A2 im Anhang: „gaze following“ (passiv), negativ). Trotz der zahlreichen Nachweise, dass die Affen das Zeigen verstehen oder selbst zeigen, bezweifeln einige Autoren, dass dieses Zeigen mit dem des Menschen vergleichbar sei und betonen, dass das Zeigen mit dem Finger oder der Hand oder das Verstehen dieser Geste etwas einzigartig Menschliches sei (vgl. Butterworth & Franco 1992, S. 154; Butterworth & Grover 1988, S. 16; Corballis 1991, S. 157; Misch 1994, S. 231; Povinelli & Davis 1994, S. 134).36 Dass Tiere zeigen können, wurde eben dargestellt. Es könnte allerdings sein, dass es sich beim Zeigen von Mensch und Tier um unterschiedliche Formen handelt. Bates et al. (1975) unterscheiden imperatives und deklaratives Zeigen37 (siehe auch Brinck 2003; Gómez et al. 1997). Ein Individuum zeigt imperativ, wenn es etwas haben will, aber selbst nicht in der Lage ist, den begehrten Gegenstand in seinen Besitz zu bringen. Deklaratives Zeigen hat einen stärkeren kommunikativen Hintergrund. Es dient in erster 36
Etwas weniger starr ist die Meinung, dass die Tiere in Gefangenschaft zwar lernen können zu zeigen,
dass das Verhalten aber nicht zum natürlichen Verhaltensrepertoire der Tiere gehört (vgl. Povinelli & O'Neill 2000, S. 462; Tomasello & Call 1994, S. 287). Povinelli et al. (2000) fassen zusammen (S. 51): "We believe that the best available evidence supports the conclusion that chimpanzees do not interpret pointing-like gesturers of themselves or others in the manner that we do." Andererseits soll das Zeigen mit dem Finger ein universell menschliches Phänomen sein, dass in allen Kulturen beobachtet werden kann (vgl. Butterworth & Franco 1992, S. 153; Eibl-Eibesfeldt 1970, S. 243; 1997, S. 665; Povinelli & Davis 1994, S. 134). Kulturvergleiche zeigen aber, dass das Zeigen in verschiedenen Kulturen eine jeweils andere Bedeutung haben kann. In einigen Stämmen in Südafrika wird mit dem Zeigen ein Fluch ausgesprochen (vgl. Jakobsen 1990, S. 411). Auch werden je nach Kultur verschiedene Formen des Zeigens benutzt. Wilkins (2003) beschreibt das „lip-pointing“, als bevorzugte Form des Zeigens, bei verschiedenen Stämmen aus Ghana, Australien, Panama und Papua Neu Guinea. Interessant ist hierbei vor allem, dass die verschiedenen Stämme räumlich getrennt sind. Das Zeigen mit dem Zeigefinger ist also anscheinen nicht so universell, wie bisher angenommen. Er schreibt (S. 212): „To conclude, pointing (i.e., in the use of some part of the body to make deictic gestural reference) appears to be universal. However, the use of the index finger for pointing does not appear to be universal.” Wenn man diese Definition des Zeigens zugrunde legt, ist aber auch das, was die nichtmenschlichen Primaten machen, zeigen. Als Ursache für die Einzigartigkeit des menschlichen Zeigens werden der aufrechte Gang und die Sprachentwicklung genannt (vgl. Corballis 1991; Hewes 1981; 1996). Die Idee ist, dass die erste Sprache des Menschen aus Gesten bestand. Aufgrund des aufrechten Gangs waren die Hände frei und konnten, zumindest am Anfang, flexibler eingesetzt werden, als gesprochene Sprache. Um Dinge zu identifizieren, wurde auf sie gezeigt. Gegen diese Theorie spricht das bereits beschriebene „lip-poinitng“. Diese Form des Zeigens ist nicht zwingend mit dem aufrechten Gang und der Benutzung der Hände verbunden. 37
Weitgehend synonym zum deklarativen Zeigen werden auch die Begriffe hinweisendes („indexical“)
oder referentielles („referential“) Zeigen benutzt (vgl. Leavens et al. 1996, S. 346).
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6 Das Zeigen Linie dazu, den Anderen auf etwas hinzuweisen. So soll es sich beim Zeigen der nichtmenschlichen Primaten zwar um imperatives, nicht aber um deklaratives zeigen handeln (vgl. Gómez 2007; Krause 1997; Liebal & Pika 2007; Tomasello 2006). Gegen diese Annahme sprechen zahlreiche Berichte deklarativen Zeigens, das vor allem bei Individuen beobachtet werden kann, die viel Kontakt zum Menschen hatten (für Schimpansen vgl. Carpenter & Tomasello 1995; für Orang-Utans vgl. Miles 1990; für Gorillas vgl. Patterson 1978b). Eine eindeutig deklarative Zeigegeste ist z.B. das Zeigen auf sich selbst („private signing“), wenn kein Mensch oder ein anderes Individuum dabei ist. Gezeigt wurde dieses Verhalten von einigen sprachtrainierten Tieren (vgl. z.B. Bodamer et al. 1994). Kumashiro et al. (2002) bringen ein Beispiel für deklaratives Zeigen bei Japanmakaken (Macaca fuscata). Zwei Tiere wurden nach dem „object-choice“-Paradigma trainiert, zu zeigen. Im eigentlichen Experiment ging es dann darum, verschiedene „Hinweise“ des Experimentators zu verstehen und auf das richtige Hütchen zu zeigen. Eines der Tiere, Pin, zeigte aber auch auf den Fernsehbildschirm, wenn sie und ihr Trainer sich einen Film ansahen. Die Autoren interpretieren dieses Zeigen als deklaratives Zeigen. Sehr ausführlich argumentiert Michael Tomasello immer wieder, dass das Zeigen nicht mit dem des Menschen vergleichbar sei (vgl. Call et al. 2000; Tomasello 1999a, S. 72; 2006; Tomasello et al. 1997a; siehe auch Donald 1993, S. 127 f. u. S. 171). Die Ursache dafür liege in unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen und Fähigkeiten. Zeigen sei ein kommunikativer Akt, dem eine Intention zugrunde liege. Nur Menschen hätten so etwas wie eine „shared intentionality“ (Tomasello 2006, S. 518; Tomasello et al. 2005, S. 675) oder auch „‘we‘ intentionality“ (Tomasello 2006, S. 518; Tomasello et al. 2005, S. 680). Demzufolge seien auch nur sie fähig, an gemeinschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen, dabei ein gemeinsames Ziel zu haben und verschiedene Rollen einzunehmen (vgl. Tomasello 2006, S. 518; Tomasello et al. 2005, S. 675). Die großen Menschenaffen würden zwar die Grundlage intentionaler Handlungen verstehen, aber nicht an Aktivitäten teilnehmen, die „joint intentions and attention (shared intentionality)” beinhalten (vgl. Tomasello et al. 2005, S. 675). Sie hätten keinen „common communicative ground“ (vgl. Tomasello 2006, S. 509). Schaut man sich aber einige der Verhaltensweisen an, die bei den Primaten beobachtet werden können, erscheint seine Argumentation nicht ganz so schlüssig. Die Beobachtung des zeigenden Bonobos (vgl. Vea & Sabater-Pi 1998) belegt eindeutig, dass das Zeigen ein kommunikativer Akt ist, dem eine Intention zugrunde liegt. Das Zeigen fand eindeutig in einem sozialen Kontext statt. Während des Zeigens wechselte der Blick des 157
6 Das Zeigen Bonobos zwischen Wissenschaftlern und Artgenossen. Mit seinen Rufen in Richtung seiner Gruppe, versuchte er die anderen darauf aufmerksam zu machen, dass er ihnen etwas Sehenswertes zeigen möchte (siehe auch Leavens et al. 1996, S. 346). Dass die Tiere eine „shared intentionality“ haben, lässt sich auch aus Beschreibungen des kooperativen Jagens ableiten. Gerade Schimpansen nehmen bei der Jagd verschiedene Rollen ein, die auch getauscht werden. Jedes der jagenden Tiere passt seine Bewegungen denen der anderen an. Boesch (2005, S. 692) kommt zu dem Schluss, dass das Jagdverhalten der Taї-Schimpansen alle Kriterien erfüllt, die Tomasello für „shared goals and intentions” nennt (siehe auch Goodall 1986, S. 271 u. 285 ff.). Häufig wird argumentiert, es würde sich bei dem Zeigen der Tiere um ein Betteln nach Futter (vgl. Krause 1997 S. 145) oder um einen Versuch, an etwas heranzukommen („reaching“), handeln (vgl. Kumashiro et al. 2002; Leung & Rheingold 1981). „Reaching“ ist im Gegensatz zum Zeigen eindeutig nicht kommunikativ (oder intentional). Ein wichtiger Hinweis, der darauf hindeutet, dass es sich um „pointing“ und nicht um „reaching“ handelt, sei „gaze alternation“ oder „gaze monitoring“. In einigen Experimenten wird klar belegt, dass während des Zeigens der Blick zwischen Objekt und Bezeigtem wechselt (vgl. Krause & Fouts 1997; Leavens & Hopkins 1998). Es handelt sich dann also um Zeigen. Offen ist die Frage, ob das Zeigen mit Extremitäten zum natürlichen Verhaltensrepertoire der Affen gehört. Nach dem bisherigen Kenntnisstand scheint das nicht der Fall zu sein, da bisher, aus freier Wildbahn, nur der Fall des zeigenden Bonobos bekannt ist und auch Povinelli & O'Neill (2000) schreiben (S. 462): „[Non] of the long-term field studies of chimpanzees social behavior have reported evidence that this species exhibits pointing as a part of their natural gestural repertoire […].” Wie dargestellt wurde, sind die Tiere prinzipiell in der Lage zu zeigen. Warum nutzen sie diese Geste dann nicht im natürlichen Umgang miteinander? Eine naheliegende Erklärung ist, dass es für freilebende Affen nicht notwendig oder sinnvoll ist, mit der Hand zu zeigen. Primaten zeigen nicht mit der Hand, da sie auf vier Beinen laufen und keine Hand frei haben. Sie zeigen aber mit ihrem ganzen Körper (vgl. Menzel & Halperin 1975; Menzel 1973). Sie teilen sich durch ihre gesamte Körperhaltung, ihre Mimik und Gestik, mit. Menzel (1973) schreibt (S. 218): „In my opinion, visual orientation and the locomotor postures and movements of the ‘animal as a whole’ contain sufficient information to account for the bulk of the observed communication about hidden objects. […] A quadrupedal chimpanzee orienting in a given direction is, if anything, a more accurate ‘pointer’, especially for an observer in a tree or on a laboratory tower, than a bipedal human being 158
6 Das Zeigen pointing in the same direction manually. One good reason that chimpanzees very seldom point manually is that they do not have to: rising to a quadrupedal position, glancing at a follower, and orienting ‘out there’ conveys all the directional information one could ask for.” Warum fangen dann gerade Affen, die in Gefangenschaft aufgewachsen sind – oft sogar spontan – an zu zeigen? Leavens et al. (1996, S. 352; 2005, S. 188) sind dieser Frage nachgegangen und haben eine interessante Theorie aufgestellt, die sich vor allem auf die äußeren Umstände bezieht. Ein freilebender Affe (auch ein Jungtier) kann einfach zu der Stelle hinlaufen für die er sich interessiert, ein 12 Monate altes Kind kann das nicht. Sein Interesse an einem entfernten Objekt ist durch begrenzte lokomotorische Fähigkeiten eingeschränkt. Will es sich mitteilen, muss es zeigen lernen. Diese beschränkten lokomotorischen Fähigkeiten entsprechen den Gefangenschaftsbedingungen von Schimpansen und anderen Affenarten, nur das die Einschränkung nicht endogener (noch nicht laufen können), sondern exogener (Käfig) Natur ist. Als Resultat müssen sie, wenn sie sich mitteilen wollen, zeigen. Diese Theorie kann aber nicht das Zeigen der meisten sprachtrainierten Affen erklären, da diese selten in Käfigen gehalten werden, sondern zusammen mit ihren „Adoptiveltern“ leben. Eine andere Idee, die als „enculturation hypothesis“ bezeichnet wird, geht davon aus, dass Menschenaffen, die mit sehr engem Kontakt zum Menschen aufwachsen, im Vergleich zu den in freier Wildbahn lebenden Artgenossen, weiterreichende kognitive Fähigkeiten entwickeln bzw. die vorhandenen Fähigkeiten verstärkt werden (vgl. Call et al. 2004; Call & Tomasello 1994; 1996, S. 389; 1998; Gómez 1996, S. 336; Itakura et al. 1999, S. 455; Krause 1997, S. 142; Tomasello et al. 1993a; Tomasello & Call 2004). Dies sei der Grund, warum sie die Zeigegeste oder auch den Blick eines Menschen besser deuten können, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, selbst zu zeigen. Der Einfluss des Menschen führe dazu, dass die Menschenaffen die Verhaltensintention verstünden (vgl. Call & Tomasello 1996). Tomasello (1996a) schreibt (S. 290): „[Human-reared great apes] are coming to view others as intentional agents, and this allows them to comprehend and then to produce appropriately the symbols humans use in their interactions with them, as well as to engage in a number of other human-like cultural skills.“ Es erscheint allerdings fragwürdig, ob es wirklich nötig ist, eine Weiterentwicklung der kognitiven Fähigkeiten der Tiere anzunehmen. Könnte es nicht auch sein, dass sich die Tiere einfach an die Kommunikation des Menschen anpassen – lernen, dass Menschen mit Zeigegeseten kommunizieren und diese Variante der Kommunikation übernehmen? 159
6 Das Zeigen Die Fähigkeit zum Zeigen ist nicht nur auf die Menschenaffen beschränkt. In einer Untersuchung von Mitchell & Anderson (1997), an Kapuzineraffen (Cebus apella), fing ein Tier, das sehr viel Kontakt zum Menschen hatte, ohne spezielles Training, an, zu zeigen und sah den Experimentator dabei häufig an (S. 351). Bemerkenswert ist, dass die Ergebnisse vieler Versuche dadurch beeinflusst werden, ob es sich um eine Kooperations- oder Wettbewerbssituation handelt („cooperation“ vs. „competition“). Unter der Wettbewerbsbedingung wird z.B. nicht mit dem Zeigefinger auf ein entsprechendes Objekt gezeigt, sondern ein Experimentator versucht das Objekt mit der ganzen Hand zu erreichen. Aufgrund der zu großen Entfernung erreicht er es aber nicht. Wird in einem Versuch, der auf Wettbewerb beruht, direkt mit einem Versuch verglichen, bei dem die Tiere kooperieren müssen, wählen sie unter der Wettbewerbsbedingung wesentlich häufiger den richtigen Behälter (vgl. Hare & Tomasello 2004). Dieses Paradigma wurde bisher – im Zusammenhang mit dem Zeigen mit dem Finger – nur an den großen Menschenaffen getestet (für Schimpansen vgl. Hare & Tomasello 2004; Herrmann & Tomasello 2006; für Bonobos vgl. Herrmann & Tomasello 2006). Auch folgen die Tiere dem Blick eines Anderen auffallend häufiger, wenn es sich um eine Wettbewerbssituation handelt (für Anubispaviane, Papio anubis vgl. Vick & Anderson 2003; für Weißbüschelaffen, Callithrix jacchus vgl. Burkart & Heschl 2007; für Kapuzineraffen, Cebus apella vgl. Hare et al. 2003; für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. Bräuer et al. 2007; Hare et al. 2000;. 2001; siehe aber auch Karin-D'Arcy & Povinelli 2002). Man interpretiert diese Ergebnisse dahingehend, dass das Leben der Primaten generell eher auf Wettbewerb beruhen soll (vgl. Hare & Tomasello 2004, S. 572; Call & Tomasello 2005, S. 56; Tomasello 2010). Zurückgehend auf Lev Vygotsky (1978) entwickelten Moll & Tomasello (2007) die „Vygotskian intelligence hypothesis“. Dabei sei der generelle Motor der Primatenevolution der soziale Wettbewerb gewesen. Das einzigartige an der Evolution des Menschen sei, dass zusätzlich auch soziale Kooperation eine entscheidende Rolle gespielt habe. Vor diesem Hintergrund sei es plausibel, dass Affen in einer kooperativen Aufgabe, kommunikative Hinweisreize, schlechter deuten können als Menschen. In einer Wettbewerbssituation beweisen sie aber weitreichende kognitive Fähigkeiten (siehe auch Herrmann et al. 2007 mit der „cultural intelligence hypothesis”; Hare 2001 mit der „competitive cognition hypothesis“; aber auch Byrne 1997; Byrne & Whiten 1988; Whiten & Byrne 1988a mit der „Machiavellian intelligence hypothesis“).
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6 Das Zeigen
6.2 Carnivora, Raubtiere Wie können Tiere, die keine Hand haben, zeigen? Eine schon bei den Primaten diskutierte Form ist das Zeigen mit dem Blick. Vor allem von Haustierbesitzern gibt es zahlreiche Beschreibungen, wie Hunde und Katzen auf das Futter oder die Haustür und dann zurück zum Herrchen und wieder zum Futter oder zur Tür schauen. Im Allgemeinen ist dieses Verhalten von Lautäußerungen begleitet (vgl. Emery 2000, S. 593; 2005, S. 12). Die meisten Hunde- oder Katzenbesitzer sind in der Lage, aus diesem Verhalten abzulesen, was das Tier ihnen zeigen bzw. „sagen“ will. Diese anekdotischen Beschreibungen können durch experimentelle Studien belegt werden. In Versuchen nach dem „object-choice“-Paradigma sind sowohl Hunde (Canis familiaris) als auch Katzen (Felis cattus) in der Lage, einem Menschen die Stelle, an der das Futter liegt, anzuzeigen (vgl. Gaunet 2008; Hare et al. 1998; Miklósi et al. 2000; 2005; siehe Tab. A2 im Anhang). Bei Hunden geschieht das im einfachsten Fall durch hörbares Lecken der Schnauze (vgl. Gaunet 2008), sehr häufig können Bellen und ein Blickwechsel zwischen Futter und Mensch sowie ein Kontaktsucheverhalten gegenüber dem Herrchen beobachtet werden. Katzen zeigen mit ihrem Blick zwar die richtige Stelle des Futters an, zeigen aber im Vergleich zu Hunden weniger Blickwechsel zwischen Futter und Herrchen (vgl. Miklósi et al. 2005). Bradshaw & Cook (1996) beobachteten das Verhalten von Katzen gegenüber dem Herrchen im Kontext des Fütterns. Zentral ist, dass es sehr große individuelle Unterschiede im Verhalten der Tiere gibt. Häufige kommunikative Verhaltensweisen gegenüber den Herrchen sind schnelle, ruckartige Schwanzbewegungen und das Anschauen des Herrchens. Beides wird für gewöhnlich von Miauen begleitet. Auch das Reiben an Objekten oder am Herrchen kann beobachtet werden. Diese Verhaltensweisen, auch wenn sie in diesem Fall auf den Menschen gerichtet sind, können ebenso bei Interaktionen unter erwachsenen Katzen beobachtet werden. Es kann also geschlussfolgert werden, dass sie Teil der natürlichen Kommunikation mit einem Artgenossen sind (vgl. Bradshaw & Cook 1996, S. 72). Bei Hunden und Katzen hat die Domestikation einen entscheidenden Einfluss auf den Umgang und die Kommunikation mit dem Menschen gehabt. Interessant sind Beschreibungen von Wölfen (Canis lupus), die darauf hindeuten, dass sie durch ihre Körperhaltung oder -orientierung einem anderen Artgenossen etwas zeigen können. Besondere Bedeutung kommt dem Verhalten des Leittieres zu. Die anderen Gruppenmitglieder achten sehr genau auf dessen Verhalten. Es ergreift die Initiative und die anderen folgen ihm. Ohne das Leittier wäre eine koordinierte Wanderschaft nicht 161
6 Das Zeigen möglich (vgl. Mech 1970, S. 73). Bei der Jagd bleiben die Tiere dicht hinter dem Leittier. Fängt es an zu rennen, rennen auch die anderen los. Ruht sich das Leittier aus, tun das auch die anderen; fängt es wieder an zu laufen, folgt die Gruppe (vgl. Mech 1970, S. 73 f.). Der größte Teil der Kommunikation unter den Gruppenmitgliedern erfolgt über visuelle Reize. Viele äußerliche Verhaltensmuster, wie die Körperhaltung oder bestimmte Gesten, spiegeln den inneren Zustandes des Wolfes wider. Andere Wölfe nehmen das war und reagieren auf eine charakteristische Art und Weise, je nach eigenem inneren Zustand (vgl. Mech 1970, S. 80). Diese Tiere können anderen Individuen durch ihre Körperhaltung oder bestimmte Gesten etwas zeigen. Mit dem Aufkommen der Versuche nach dem „object choice“Paradigma bei Affen und den z.T. widersprüchlichen Ergebnissen fing man an, diese Fähigkeit bei anderen Taxa zu überprüfen. Welche Tiere sind in der Lage, das Zeigen eines anderen Individuums als kommunikativen Hinweisreiz zu verstehen? Die ersten, die diese Fähigkeiten an Hunden testeten, waren Miklósi et al. (1998). Sie wollten herausfinden ob Hunde, in den gleichen Experimenten, wie sie an Affen durchgeführt wurden, in der Lage sind, menschliche Gesten, als Hinweisreize, zu verstehen. Sie stellten fest, dass Hunde die Zeigegeste oder den Blick eines Menschen sehr gut deuten können. In vielen Folgeuntersuchungen konnte diese Fähigkeit bestätigt werden (vgl. Agnetta et al. 2000; Hare et al. 1998; 2002; 2005; Hare & Tomasello 1999; McKinley & Sambrook 2000; Miklósi et al. 2000; 2003; 2005; Soproni et al. 2001; 2002; Virányi et al. 2008). Gerade der direkte Vergleich mit Affen führt zu recht interessanten Ergebnissen. In dem Versuch von Hare et al. (2002) wählten neun von elf Hunden den richtigen Behälter, aber nur zwei von elf Schimpansen. Gerade Menschenaffen, denen weitreichende kognitive Fähigkeit zugeschrieben werden, werden von Hunden übertroffen. Auf die Frage, warum das so ist, gibt es verschiedene mögliche Antworten. Die „canid generalization hypothesis“ geht davon aus, dass Caniden (besonders Wölfe) generell sehr gut im Deuten sozialer Gesten sind. Sie leben in einem sozialen Gruppenverband und jagen kooperativ. Die Auswertung der Signale der Artgenossen (Körperhaltung, Blickrichtung) ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Diese Fähigkeit habe der Haushund von seinen Vorfahren geerbt und auf den Menschen generalisiert. Primaten hingegen evolvierten als Herbivore oder Frugivore. Das gemeinsame Jagen in der Gruppe habe daher nicht den gleichen Stellenwert, es beinhalte nicht die gleiche Art koordi-
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6 Das Zeigen nierter Bewegungen, wie das Jagen der Wölfe (vgl. Hare & Tomasello 1999, S. 176; Itakura et al. 1999, S. 455).38 Agnetta et al. (2000) testeten diese Hypothese, indem sie die Fähigkeiten von Hunden und Wölfen in einer „object-choice task“ miteinander verglichen. Gilt die „canid generalization hypothesis“ sollten Hunde und Wölfe die gleichen Fähigkeiten zeigen. In dem Versuch waren die zwei im Zoo aufgewachsene Wölfe, im Gegensatz zu den Hunden, nicht in der Lage, das Zeigen mit der Hand oder dem Blick als Hinweisreiz zu deuten. Die unterschiedlichen Ergebnisse von Hunden und Wölfen lassen vermuten, dass Hunde während des Domestikationsprozesses einem bestimmten Selektionsdruck ausgesetzt waren, der zur Entwicklung spezifischer Fertigkeiten der sozialen Kognition und Kommunikation mit dem Menschen führte (vgl. Agnetta et al. 2000; Cooper et al. 2003; Frank 1980; Gaunet 2008, S. 476; Hare et al. 2002; 2005; Miklósi et al. 1998; 2000; 2004, S. 995; Virányi et al. 2008). Diese „domestication hypothesis“ könnte erklären, warum Hunde die Hinweisreize eines Menschen besser deuten können als Wölfe und auch nichtmenschliche Primaten. Hunde leben seit über 100.000 Jahre gemeinsam mit dem Menschen (vgl. Vilà et al. 1997) und zum besten Freund des Menschen gehört die Fähigkeit, sich an dessen Verhalten und soziale Organisation anzupassen (vgl. z.B. Kretchmer & Fox 1975; Serpell 1995; Tópal et al. 1998). Sehr wahrscheinlich wurden die Hunde nach ihrer Fähigkeit menschliche Hinweisreize zu verstehen, selektiert bzw. gezüchtet (vgl. Agnetta et al. 2000, S. 110). Neben dem Vergleich von Hunden mit Wölfen könnte der Vergleich mit anderen nichtdomestizierten oder anders domestizierten Tieren Indizien für oder gegen diese Hypothese liefern. Hare et al. (2005) verglichen domestizierte, nicht-domestizierte Füchse (Vulpes vulpes) und Hunde in Bezug auf das Verstehen menschlicher Gesten (manuelles Zeigen in einer „object-choice task“). Die domestizierten Füchse waren genauso gut wie Hunde und besser als ihre nicht-domestizierten Artgenossen.39 38
Eine ähnliche Hypothese ist die „cooperation-competition hypothesis“. Sie geht davon aus, dass das
Jagdverhalten von Wölfen mehr kooperative Fähigkeiten erfordert, als das Jagen der Affen (vgl. Hare & Tomasello 1999). Als Konsequenz verstünden Wölfe und Hunde kooperative oder kommunikative Gesten, wie das Zeigen, besser als Primaten. Eine andere Hypothese, die die unterschiedlichen Leistungen von Hunden und Affen zu erklären versucht ist die „social dog, causal ape“ Hypothese (vgl. Bräuer et al. 2006). Auf Hunde wirke ein enormer Selektionsdruck in Richtung kooperativen Verhaltens; bei Primaten wirke der Selektionsdruck eher in Richtung wettbewerbsorientiertem Verhalten. 39 Hare
et al. (2005) unterscheiden weiterhin verschiedene Domestikationshypothesen. Bisher („selection
for communication hypothesis“) sei man davon ausgegangen, dass das Verstehen menschlicher kommuni-
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6 Das Zeigen Ziegen (Capra hircus) und Pferde (Equus caballus) können ebenso als domestizierte Tiere bezeichnet werden. Die Auswahl der Zuchttiere dieser Taxa wurde aber vermutlich weniger nach der Fähigkeit zur Kommunikation mit dem Menschen getroffen. Entsprechend zeigen sie ein Verständnis menschlicher Zeigegesten, welches aber geringer ist als das von Hunden (siehe S. 167; vgl. Kaminski et al. 2005; Maros et al. 2008; McKinley & Sambrook 2000). Gegen die Domestikationshypothese sprechen Experimente, in denen die Fähigkeit des Verstehens menschlicher Hinweisreize bei Delfinen (Tursiops truncatus) und Robben (Halichoerus grypus; Arctocephalus pusillus) getestet wurde. Diese Tiere waren nie einem Domestikationsprozess ausgesetzt, vor allem Delfine sind aber erstaunlich gut in der Lage das Zeigen mit der Hand zu verstehen (siehe S. 166 f.; vgl. Herman et al. 1999; Pack & Herman 2004; 2007; Scheumann & Call 2004; Shapiro et al. 2003; Tschudin et al. 2001). Eine Möglichkeit diese Ergebnisse in Einklang zu bringen bietet die „exposure hypothesis“ (vgl. Hare et al. 1998) oder „enculturation hypothesis“ (vgl. Hare et al. 2002; Virányi et al. 2008). Das Verstehen menschlicher Hinweisreize sei kein Ergebnis des Domestikationsprozesses, sondern würde während der Ontogenese gelernt werden. Hunde sind demnach sehr gut im Deuten menschlicher Hinweisreize, da sie im Vorfeld der verschiedenen Experimente einem enormen menschlichen Einfluss ausgesetzt waren (vgl. Hare et al. 1998, S. 156). Sie sollten demnach besser sein als Primaten oder Wölfe; aber auch andere Tiere, wie Delfine und Robben können, je nach Erfahrung mit dem Menschen, gut im Deuten menschlicher Hinweisreize sein. Die Bedeutung des Lernens oder der Enkulturation wird auch dadurch bestätigt, dass Affen mit mehr Erfahrung im Umgang mit Menschen, deren Zeigen besser verstehen. Gegen diese Idee sprechen Ergebnisse aus einer Untersuchung von Miklósi et al. (2003). Sie verglichen Hunde und Wölfe, die unter gleichen Bedingungen aufwuchsen. In einer „object-choice task“ waren die Leistungen in etwa vergleichbar. Anschließend wurden die Tiere mit einer nicht lösbaren Aufgabe konfrontiert. Die Hunde schauten dabei in das Gesicht des Menschen, die Wölfe nicht. Im Gegensatz zu Wölfen verstehen Hunde scheinbar die kommunikative Funktion des Zeigens. Diese Ergebnisse sprechen – zukativer Signale ein direktes Selektionsziel der Domestikation war. Da die untersuchten Füchse aber nicht auf diese Fähigkeit selektiert wurden, sondern angstfreies, nicht-aggressives Verhalten gegenüber dem Menschen im Vordergrund stand, zweifeln die Autoren die „selection for communication“ Hypothese an. Sie gehen vielmehr davon aus, dass das Verstehen menschlicher Gesten und Hinweisreize ein Nebenprodukt bei der Selektion anderer Fähigkeiten war („correlated by-product hypothesis“).
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6 Das Zeigen mindest zum Teil – gegen die „exposure- oder enculturation hypothesis“ (siehe auch Hare et al. 2002; Virányi et al. 2008). Eine andere Möglichkeit, diese Hypothese zu testen, besteht darin, Hunde unterschiedlichen Alters zu vergleichen. Agnetta et al. (2000) stellten in einer „object-choice task” junge Hunde (4 Monate bis 1 Jahr) älteren Hunden (2,5 bis 4 Jahre) gegenüber. Sie stellten fest, dass beide Altersgruppen vom Menschen gegebene Hinweisreize deuten konnten, was gegen die „exposure“- und eher für die „domestication hypothesis“ spricht. Hare et al. (2002) kommen in einem ähnlichen Versuch zu vergleichbaren Ergebnissen (siehe aber auch Hare & Tomasello 1999). Zusammenfassend kann man sagen, dass die Ergebnisse mit keiner der Hypothesen befriedigend erklärt werden können. Es ist naheliegend, dass sich generelle kognitive Fähigkeiten eines Tieres, der Domestikationsprozess und auch Einflüsse während der Ontogenese, auf die Fähigkeit des Verstehens menschlicher Hinweisreize auswirkten (siehe auch Kaminski et al. 2005, S. 12; McKinley & Sambrook 2000, S. 13). Wie genau diese Faktoren zusammenwirken, ist unklar.
6.3 Pinnipedia, Robben Shapiro et al. (2003, S. 361) schreibt, dass es bisher keine Berichte davon gibt, dass Robben mit ihren Flossen oder anderen Teilen ihres Körpers zeigen würden. In welchem Ausmaß die Tiere in Gruppen jagen oder wandern ist nicht ganz klar. Da aber viele zu den Pinnipedia gehörende Arten in einem Sozialverband leben und koordinierte Verhaltensweisen zeigen, ist es naheliegend, dass sie das Verhalten ihrer Artgenossen beobachten und imitieren. In diesem Kontext ist es z.B. möglich, dass Robben durch ihre Körperorientierung und Position ihren Artgenossen die Schwimmrichtung anzeigen können. Auch an diesen Tieren wurde getestet, ob sie menschliche Gesten als Hinweisreize nutzen können. Shapiro et al. (2003) testeten eine Kegelrobbe (Halichoerus grypus) in einer „object-choice task”. Sie brachten dem Tier das Reagieren auf die Zeigegeste eines Experimentators bei. Getestet wurde dann, ob das Tier in der Lage ist, zu generalisieren, also auch andere Hinweisreize zu verstehen. Da das Tier hier große Probleme zeigte, schlussfolgern die Autoren, dass die Reaktion auf die vom Trainer gegebenen Hinweisreize auf einfache diskriminative Lernprozesse zurückzuführen sei, aber kein wirkliches Verstehen der referentiellen Geste stattfindet. 165
6 Das Zeigen Im Gegensatz dazu waren vier Südafrikanische Seebären (Arctocephalus pusillus) in der Untersuchung von Scheumann & Call (2004), auch ohne formales Training, in der Lage, sowohl die Zeigegeste als auch die Blickrichtung eines Experimentators als Hinweisreiz in einer „object-choice task“ zu nutzen.
6.4 Cetacea, Wale Xitco et al. (2001) lieferten den ersten experimentellen Beleg referentiellen Zeigens bei Delfinen (Tursiops truncatus). Zwei Delfine, die an einem Projekt zur Kommunikation mit Symbolen teilnahmen, fingen spontan an, zu zeigen.40 Dieses Zeigen war von „gaze alternation“ begleitet und erfüllte viele Kriterien referentieller Kommunikation. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in der Literatur keinen Beleg dafür, dass Delfine in der freien Natur oder in Gefangenschaft referentielle Gesten, wie das Zeigen, benutzen (vgl. Xitco et al. 2001, S. 116). Ein Delfin zeigt, indem er in seiner Vorwärtsbewegung stoppt, oft weniger als zwei Meter von dem entsprechenden Objekt entfernt. Er richtet dann die anterior-posterior Achse seines Körpers mit dem Objekt aus und verharrt für einige Sekunden in dieser Stellung. Anschließend bewegt der Delfin seinen Kopf wiederholt zischen Objekt und Trainer hin und her, als ob er dessen Reaktion beobachten will, während er die Ausrichtung zwischen seinem Körper und dem Objekt beibehält. Herman et al. (1999, S. 363) schreiben, dass die Körperorientierung eines Delfins, genauso wie das abgegebene Sonarfeld, in gewisser Weise, zeigen auf ein Objekt ist. Es soll zum natürlichen Verhalten der Tier gehören, die Aufmerksamkeit auf ein anderes Tier zu richten, welches mit Hilfe von Echolokation Objekte in der Umgebung identifiziert. Delfine geben die Sonarwellen in einem recht engen Strahl ab, wobei die Richtung des Strahls dem der Körperorientierung entspricht (vgl. Au 1993), was eine Identifizierung der Strahlen eines anderen Tieres relativ einfach macht. Ein Delfin kann so erkennen, auf welches Objekt die Aufmerksamkeit eines anderen Delfins gerichtet ist, auf was dieser „schaut“ (siehe auch Herman et al. 1993; 1998; Pack & Herman 1995). Xitco & Roitblat (1996) konnten in einem Versuch nachweisen, dass ein beobachtender Delfin, der selbst keine Echos von sich gab, durch passives Zuhören, Ziele identifizieren
40
Xitco et al. (2001) schreiben (S. 117): “It is important to note that dolphin pointing emerged sponta-
neously (i.e., was not explicitly trained). In addition, dolphin pointing behavior was never solicited by humans.”
166
6 Das Zeigen konnte, die von einem zweiten Tier, das sich in der Nähe befand, mit Hilfe von Echolokation abgefragt wurden (siehe auch Harley et al. 1995). Aufgrund dessen ist es auch nicht verwunderlich, dass Delfine in der Lage sind, den referentiellen Charakter einer menschlichen Zeigegeste zu verstehen. Herman et al. (1999) testeten zwei Tiere in einer „object-choice task“. Im Experiment wurden einfache und komplexe Formen des Zeigens getestet (direktes Zeigen, „cross-body“ Zeigen, Symbole und verschiedene Kombinationen daraus). Obwohl die Tiere schon eine gewisse Erfahrung mit dem Zeigen hatten, spricht gerade eine korrekte Antwort auf verschiedene, auch neue Formen und Kombinationen des Zeigens dafür, dass Delphine die Zeigegeste wirklich verstehen (sieh auch Pack & Herman 2004; 2006; 2007). Tiere, die nicht an die Zeigegeste eines Menschen gewöhnt waren, wurden von Tschudin et al. (2001) getestet. Die Leistung der Tiere in einer „object-choice task“ war der von Hunden recht ähnlich. Ohne vorheriges formales Training konnten die Tiere den kommunikativen Sinn des Signals spontan verstehen.
6.5 Perissodactyla, Unpaarhufer und Artiodactyla, Paarhufer McKinley & Sambrook (2000) verglichen in einer „object-choice task“ das Verständnis menschlicher Hinweisreize bei Pferden (Equus caballus) und Hunden. Wie schon beschrieben, können Hunde der Zeigegeste und dem Blick eines Menschen sehr gut folgen. Von den vier getesteten Pferden war nur eines in der Lage, die Zeigegeste des Menschen als Hinweisreiz zu nutzen. Maros et al. (2008) untersuchten das Verstehen verschiedener Formen manuellen Zeigens. Das Zeigen auf eine Stelle in der Nähe der Tiere konnte am besten gedeutet werden. Schwierig war es, wenn die Entfernung zwischen dem Finger bzw. der Hand und bezeigtem Objekt relativ groß war. Diese Ergebnisse führen zu der Vermutung, dass Pferde das Zeigen nicht wirklich verstehen. McKinley & Sambrook (2000) schreiben (S. 463 f.): „This effect of proximity can be viewed as a form of local or stimulus enhancement […], which enhances the salience of the signal. […] Other horses went directly to the experimenter’s pointing finger, sometimes smelled and licked it and only after this they turned their head toward the bucket.” Interessant sind auch Ergebnisse zum Verstehen des Zeigens bei Ziegen (Capra hircus). In einer „object-choice task“ konnten die Tiere das Zeigen mit dem Finger deuten. Die Blickrichtung des Experimentators hatte hingegen keinen Einfluss auf das Verhalten der Tiere (vgl. Kaminski et al. 2005). Ebenso wurde untersucht, ob die Tiere dem Blick eines 167
6 Das Zeigen Artgenossen in die Ferne folgen. Im Gegensatz zum Folgen des Blicks eines Menschen, waren die Tiere in der Lage, dem Hinweisreiz zu folgen, wenn er von einem Artgenossen gegeben wurde (vgl. Kaminski et al. 2005). Dieses Ergebnis spricht eher gegen die „exposure-hypotheses“ und für Domestikationshypothese. Das Verstehen der Hinweisreize des Menschen ist dabei ein Nebeneffekt, da Ziegen vermutlich auf andere Merkmale hin selektiert wurden (vgl. Kaminski et al. 2005). Zusammenfassend kann man sagen, dass die nichtmenschlichen Primaten – und hier vor allem die Menschenaffen – in der Lage sind, das Zeigen mit dem Finger zu lernen und relativ flexibel einzusetzen. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass sie diese Form des Zeigens als Methode im Rahmen einer Erziehung einsetzen. Häufiger – und auch spontan – kann das Zeigen mit dem Blick beobachtet werden. Es ist durchaus denkbar, dass eine Kombination aus Körperorientierung, Rufen und Blickkontakt von Seiten der Eltern benutzt wird, um das Verhalten des Jungtieres in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die genannten Beispiele, in denen die Mutter die Jungtiere auffordert, zu ihr zu kommen oder ihr zu folgen, beschreiben ein Verhalten, bei dem Zeigen im Sinne eines Appells oder eines Hinweises zu verstehen ist, genauso, wie es auch im Erziehungskontext benutzt wird. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit teilen auch sehr viele andere sozial lebende Tiere die Fähigkeit, dem Blick oder der Blickrichtung eines Artgenossen zu folgen (siehe auch Bräuer et al. 2005, S. 148). Des Weiteren können die Körperorientierung, die Ausrichtung des Kopfes oder die Richtung, in die das Tier läuft, als Hinweisreiz dienen (siehe auch Itakura et al. 1999, S. 455). Zum Teil konnte auch dargestellt werden, dass die Tiere ein solches Verhalten nutzen, um ihre Artgenossen auf einen bestimmten Aspekt der Umwelt aufmerksam zu machen – zu zeigen. Allerdings gibt es außerhalb der Primaten keine Beobachtung, die dieses Verhalten im Rahmen des Umgangs der erwachsenen Tiere mit den Jungen beschreibt.
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7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Um das Verhalten einer Mutter als Stil bezeichnen zu können, sollte es gegenüber einem Jungen in verschiedenen Altersphasen und gegenüber verschiedenen, aufeinanderfolgenden Jungtieren relativ stabil sein. Natürlich passt eine Mutter ihr Verhalten auch immer den gegebenen Umständen an; trotzdem ist das mütterliche Verhalten – vor allem bei den Primaten – außergewöhnlich konstant und bewegt sich selten außerhalb eines bestimmten Handlungsrahmens (für Überblick vgl. Fairbanks 1996; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Fairbanks 1989; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1990a; 1990b; Hinde & Spencer-Booth 1967a; 1971; für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980, S. 130 ff.; für Hanuman-Languren, Presbytis entellus vgl. Dolhinow & DeMay 1982). Bei einem bestimmten Verhaltens- oder Fürsorgestil handelt es sich allerdings noch nicht um Erziehung. Wie in Kapitel 2 dargestellt wurde, beinhaltet Erziehung immer eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen, eine Methode mit der erzogen wird (Lernen und vor allem Lehren) und einen Inhalt oder Gegenstand der vermittelt wird (Kultur, individuelle Fähigkeiten). Natürlich findet bei einem bestimmten Verhalten gegenüber dem Jungen eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen statt. Auch mag dieses Verhalten einen Inhalt haben; die Mutter kann z.B. mit abweisendem oder aggressivem Verhalten gegenüber dem Jungen dessen Unabhängigkeitsentwicklung fördern (siehe S. 180). Das was nicht dem Erziehungskonzept dieser Arbeit entspricht, sind die Methoden oder Operationen. Beschützendes, abweisendes oder aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen kann nicht als Lehren bezeichnet werden, da es entweder einem anderen unmittelbaren Zweck dient, nämlich das Junge zu beschützen und nicht ihm etwas Bestimmtes beizubringen oder die Mutter „erhofft“ sich daraus einen unmittelbaren Nutzen. Sie behandelt das Junge z.B. aggressiv, weil es stört. Dennoch wird hier ein Verhalten beschrieben, das beim Menschen bei oberflächlicher Betrachtung wahrscheinlich häufig als Erziehung bezeichnet wird. Ebenso sind die verschiedenen Verhaltensstile notwendige aber eben nicht hinreichende Bedingungen für Erziehung.
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7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
7.1 Verhaltensstile der Primatenweibchen Indische Hutaffen (Macaca radiata) haben ein relativ offenes soziales System. Mütter schränken ihr Junges wenig ein und so interagieren die Jungtiere z.B. im Kontext „allomaternalen“ Verhaltens oder beim Spiel mit einer Vielzahl von Mitgliedern der Gruppe. Diese Jungen haben mehr soziale Bindungen als z.B. Schweinsaffenjungtiere (Macaca nemestrina), deren Mütter insgesamt restriktiver sind (vgl. Rosenblum 1971a) und das Junge auch mehr beschützen und mehr bestrafen (vgl. Rosenblum & Kaufman 1967). Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen bei verschiedenen Arten 41 sind nicht verwunderlich, da sich auch ihr Verhaltensrepertoire insgesamt unterscheidet. Interessant ist, dass sich auch Mütter innerhalb einer Art im Verhalten gegenüber ihren Jungtieren unterscheiden (für Überblick vgl. Nicolson 1987, S. 335; Higley & Suomi 1986; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1984; Maestripieri 1993; Simpson & Simpson 1986; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops sabaeus vgl. Fairbanks 1989; Fairbanks & McGuire 1987; 1988; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri 1998b; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Schino et al. 1995; Tanaka 1989; für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980; für Anubispaviane, Papio anubis vgl. Nash 1978; für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. Hemelrijk & de Kogel 1989). Die größten Differenzen sind auf zwei Dimensionen zu finden: Schutz („protection“) und Ablehnung bzw. Zurückweisung („rejection”) (vgl. Bardi & Huffman 2002; Bardi et al. 2001; Fairbanks 1996; Fairbanks & McGuire 1987; 1988; Maestripieri 1998b; Maestripieri et al. 1999; Schino et al. 1995; Simpson & Howe 1980; Tanaka 1989). Diese beiden Variablen variieren unabhängig voneinander, so dass Unterschiede innerhalb dieser beiden Dimensionen in vier verschiedenen Verhaltens- oder Fürsorgestilen („parenting style“ oder „mothering style“) resultieren (siehe Tab. 4; vgl. Bardi & Huffman 2002; Bardi et al. 2001; Fairbanks 1996; Fairbanks & McGuire 1987; 1988; Maestripieri et al. 1999).
41
Für einen Überblick vgl. z.B. McKenna 1982; für die Prosimier vgl. Klopfer & Boskoff 1979; für einen
Vergleich innerhalb der Altweltaffen, insb. der Menschenaffen vgl. Higley & Suomi 1986, S. 164 u. 170; für einen Vergleich von Bonobos (Pan paniscus) und Schimpansen (Pan troglodytes) vgl. De Lathouwers & Van Elsacker 2004; für einen Vergleich von Altweltaffen und Neuweltaffen vgl. Higley & Suomi 1986, S. 168; für einen Vergleich von drei Makakenarten (Macaca mulatta, M. nemestrina, M. arctoides) vgl. Maestripieri 1994b.
170
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Tabelle 4: Verschiedene Dimensionen von Schutz und Ablehnung bzw. Zurückweisung und die daraus resultierenden Verhaltens- bzw. Fürsorgestile der Mutter wenig Schutz wenig Ablehnung bzw. Zurückweisung „Laissez-Faire” viel Ablehnung bzw Zurückweisung
„Rejecting”
viel Schutz „Protective” „Controlling”
7.1.1 Einflussfaktoren auf den Verhaltensstil der Mutter Individuelle Unterschiede im Verhalten der Mutter gegenüber ihrem Jungen können durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden (vgl. z.B. Berman 1984; Fairbanks 1996; Maestripieri 1993; Maestripieri et al. 1999; Nash & Wheeler 1982). Prinzipiell können Unterschiede des Verhaltensstils der Mutter durch die Mutter, das Jungtier oder die Umstände bedingt sein. Im Folgenden werden die wesentlichen, häufig diskutierten Einflussfaktoren dargestellt.
7.1.1.1 Dispositionen der Mutter 7.1.1.1.1 Das Temperament Das Temperament der Mutter hat einen Einfluss auf den Umgang mit ihrem Jungen. Fairbanks (1989) geht z.B. davon aus, dass gefundene individuelle Unterscheide bzgl. des Kontaktes zwischen Mutter und Jungtier und vor allem dessen Beständigkeit auf eine Grundsätzlichkeit im Temperament der Mutter zurückzuführen seien. Vor allem Selbstvertrauen und Ängstlichkeit seien Dispositionen, die den Stil einer Mutter beeinflussen (siehe auch Stevenson-Hinde 1983). Ängstliche Mütter beschützen ihr Junges mehr und schränken es mehr ein, weniger ängstliche Mütter zeigen hingegen freizügigeres Verhalten ( für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980, S. 130 ff.; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri 1993; Stevenson-Hinde 1983; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Fairbanks 1989). Ängstlichkeit ist aber nicht nur eine Charaktereigenschaft, sondern kann auch durch andere Variablen vermittelt, vermindert oder verstärkt werden. So sind z.B. Mütter, die noch keine Jungtiere hatten, im Umgang mit ihren Erstgeborenen ängstlicher als erfahrene Mütter. Ebenso sind Individuen, die in der Ranghierarchie weiter unten stehen im Allgemeinen ängstlicher und gegenüber ihrem Jungen restriktiver. 171
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Andere Autoren sprechen in diesem Zusammenhang auch von Emotionalität („emotionality“, Maestripieri 1993, S. 39) oder emotionaler Ansprechbarkeit („emotional reaktivity“, Schino et al. 1995, S. 151 u. 157). Unterschiede in der Emotionalität der Tiere sollen die Unterschiede im Verhaltensstil gegenüber dem Jungen bedingen. Schino et al. (1995) schreiben, dass eine Vielzahl untersuchter Variablen (Geschlecht, Rang, Erfahrung, Alter, soziale Unterstützung, Anzahl anderer Jungtiere in der Gruppe) die Unterschiede im mütterlichen Verhalten nicht erklären konnten. Sie vermuten, dass die emotionale Ansprechbarkeit der Mütter für die gefundenen Unterschiede verantwortlich sei.
7.1.1.1.2 Alter und Erfahrung der Mutter Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Alter oder die Erfahrung der Mutter einen Einfluss darauf hat, wie sie mit ihrem Jungen umgeht. Nach der „investment”-Theorie sollten jüngere Mütter ablehnender bzw. zurückweisender sein, ältere größeren Wert auf den Schutz ihres Jungen legen, später entwöhnen und generell mehr investieren, da jüngere Mütter größere Chancen haben, sich erneut zu reproduzieren (vgl. z.B. Fairbanks 1996). Berberaffen und Anubispaviane verhalten sich auch entsprechend dieser Theorie (für Berberaffen, Macaca sylvanus vgl. Paul et al. 1993; für Anubispaviane, Papio anubis vgl. Ransom & Rowell 1972). Andererseits ist es aber auch denkbar, dass eine junge Mutter, die im Umgang mit Jungtieren unerfahren ist oder Angst hat, ihr Junges mehr beschützt, mehr Körperkontakt sucht und ihm insgesamt weniger Freiräume lässt – es mehr zurückhält, wenn es weg will. Eine ältere, erfahrene Mutter ist routinierter, sucht weniger Kontakt und Nähe und kann ihr Junges durch abweisendes oder z.T. auch bestrafendes bzw. aggressives Verhalten dazu bringen, eher unabhängig zu werden. Viele untersuchte Primatengruppen verhalten sich entsprechend dieser Theorie (für Grüne Meerkatzen, Chlorocebus pygerythrus vgl. Fairbanks 1988a; 1988b; Hooley 1983; Hooley & Simpson 1981; für Anubispaviane, Papio anubis vgl. Ransom & Rowell 1972; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1982; 1984; Hinde & Spencer-Booth 1971; Hooley & Simpson 1981; Maestripieri 1995b; Mitchell & Brandt 1970; Mitchell & Schroers 1973; Mitchell & Stevens 1968; Seay 1966; Tinklepaugh & Hartman 1930; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Hiraiwa 1981; Schino et al. 1995; Tanaka 1989; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Kuyk et al. 1976; Maestripieri 1995b; 1998b; für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. Hemelrijk & de Kogel 1989). 172
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Anders formuliert kann auch gesagt werden, dass erfahrene Mütter kompetenter sind und angemessen auf ihr Junges reagieren (für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. Maple & Warren-Leubecker 1983; für Gorillas, Gorilla gorilla vgl. Nadler 1983). Erschwert wird die Interpretation der Ergebnisse dadurch, dass in vielen Untersuchungen die Variablen Alter und Erfahrung nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Ist wirklich die Erfahrung entscheidend oder hat nicht auch das Alter an sich einen Einfluss auf das mütterliche Verhalten? So betrachteten Schino et al. (1995) bei ihren Untersuchungen an Japanmakaken (Macaca fuscata) Alter und Erfahrung getrennt voneinander und kommen zu dem Ergebnis, dass ältere Mütter – unabhängig von der Erfahrung – ihren Jungen gegenüber weniger beschützend („protective“) sind (siehe auch Ruppenthal et al. 1976). Alter und Erfahrung haben als Einflussvariablen auf mütterliches Verhalten aber keinesfalls universellen Charakter. In einigen Untersuchungen kann kein Unterschied bzgl. des mütterlichen Verhaltens bei erfahrenen und unerfahrenen Müttern festgestellt werden (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. White & Hinde 1975; für Indische Hutaffen, Macaca radiata vgl. Silk 1991; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Hauser & Fairbanks 1988). Es müssen also noch weitere Variablen den Stil der Mutter beeinflussen.
7.1.1.1.3 Die Stellung der Mutter in der Rangordnung Die Stellung in der Rangordnung hat einen Einfluss auf das Gefährdungspotential des Jungen. Eine niedrige Stellung in der Rangordnung ist mit sozialen Nachteilen verbunden. Hat z.B. ein höherrangiges Individuum das Jungtier eines niederrangigen Individuums geklaut, hat die Mutter niederen Rangs eher Probleme, ihr Junges wiederzubekommen als im umgekehrten Fall. Mütter niederen Rangs sollten ihr Junges also eher beschützen bzw. restriktiver sein, wenn es sich von ihr entfernen will; höherrangige Mütter sollten toleranter sein und weniger Kontakt zum Jungtier suchen (vgl. z.B. Fairbanks 1996, S. 586). In der Tat bestätigen Untersuchungen diesen theoretischen Ansatz (für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980, S. 130 ff.; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Hinde & Spencer-Booth 1971; Tartabini et al. 1980; White & Hinde 1975; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. French 1981; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Fairbanks & McGuire 1988; für Javaneraffen, Macaca fascicularis vgl. Willard & Shively 2007). 173
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Der Einfluss des Rangs ist aber keinesfalls allgemeingültig. Auch Mütter hohen Rangs können ihren Jungen gegenüber restriktiver sein als ihre niederrangigen Artgenossen (für Indische Hutaffen, Macaca radiata vgl. Nathan et al. 1972). In den meisten Untersuchungen scheint der Rang aber ohne Bedeutung zu sein (für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Schino et al. 1995; Tanaka 1989; für Indische Hutaffen, Macaca radiata vgl. Silk 1991; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Simpson & Howe 1986; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri 1998b; für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. Hemelrijk & de Kogel 1989).
7.1.1.2 Eigenschaften des Jungtieres 7.1.1.2.1 Das Geschlecht des Jungtieres Neben bestimmten Dispositionen der Mutter können auch Eigenarten des Jungen den Stil der Mutter beeinflussen. Viel diskutiert ist in diesem Zusammenhang das Geschlecht des Jungen, aber auch hier sind die Ergebnisse widersprüchlich (Zsf. z.B. bei Fairbanks 1996). Einige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass männliche Jungtiere weniger Zeit in Kontakt mit der Mutter verbringen und mehr zurückgewiesen werden als weibliche Jungtiere – zumindest ab einem Alter von 90 Tagen (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1984; Mitchell & Brandt 1970; Mitchell 1968b; Simpson 1983; White & Hinde 1975; siehe aber auch Hinde & Spencer-Booth 1971; für Javaneraffen, Macaca fascicularis vgl. Thommen 1982, zit. nach Berman 1984; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Jensen et al. 1967b; Maestripieri 1998b). Dieser Trend spiegelt sich auch wider, wenn es um eine recht extreme Form eines Stils geht – die Misshandlung von Jungtieren. Männliche Jungtiere scheinen einem höheren Risiko ausgesetzt zu sein, kein adäquates mütterliches Verhalten zu empfangen und misshandelt zu werden (vgl. z.B. Ruppenthal et al. 1976). Dass diese Ergebnisse aber keineswegs eindeutig oder zumindest nicht unabhängig von anderen Faktoren sind, belegen die zahlreichen Studien, in denen das Geschlecht keinen Einfluss auf das mütterliche Verhalten hat (für Überblick vgl. Maestripieri & Caroll 2000; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1990a; Seay 1966; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Schino et al. 1995; Tanaka 1989; für Indische Hutaffen, Macaca radiata vgl. Silk 1991; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Cheney et al. 1986; 174
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Fairbanks & McGuire 1987; 1988; Hauser & Fairbanks 1988; für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980, S. 130 ff.). Die Dispositionen der Mutter sind entscheidender als die Eigenschaften des Jungtieres (vgl. Berman 1990a).
7.1.1.3 Eigenschaften der Umwelt 7.1.1.3.1 Zugänglichkeit sozialer Unterstützung durch Verwandte Neben bestimmten Dispositionen der Mutter und des Jungtieres können auch bestimmte Gegebenheiten der Umwelt das mütterliche Verhalten beeinflussen. Ein wichtiger Punkt ist die Zugänglichkeit sozialer Unterstützung durch Verwandte. Obwohl einige Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass eine größere Anzahl an verwandten Weibchen in der Gruppe keinen Einfluss auf mütterliches Verhalten hat (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1990b), ist es in der Mehrzahl der Untersuchungen so, dass ein gut ausgebautes Verwandtennetzwerk oder das Vorhandensein der Großmutter, die Mutter dazu bringt, ihr Junges weniger zu beschützen („low protective“) und mehr zurückzuweisen („more rejective“) (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1980; 1984; Hinde & Spencer-Booth 1967b; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Schino et al. 1995; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Fairbanks 1988b; Fairbanks & McGuire 1987; für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980; für Schimpansen, Pan troglodytes vgl. Hemelrijk & de Kogel 1989). Das Verhalten der Mutter kann auch einfach als relaxter bezeichnet werden (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1988). Für adäquates mütterliches Verhalten ist das Vorhandensein einer stabilen sozialen Gruppe von entscheidender Bedeutung. Yerkes (1943) schreibt zu seinen Untersuchungen an Schimpansen (S. 244): „Although in those instances in which the male, or other mature females, have been present during parturition no harm has come to mother or infant, it has been our practice to isolate the pregnant female to assure that she shall not be disturbed. Possibly this precaution is needless or even disadvantageous since a companion on occasion may be actively helpful or by her presence stimulate the mother to accept her infant. The father, although interested in the process of birth and in the infant, has never been observed to interfere with his mate or offspring.” Ähnliches scheint für das mütterliche Verhalten bei Gorillas zu gelten. Vor allem Probleme Gorillas in Gefangenschaft zu halten und zu züchten, führten schon recht bald zu 175
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Vermutungen, dass eine stabile soziale Gruppe entscheidend ist, damit adäquates mütterliches Verhalten gezeigt wird (vgl. z.B. Kirchshofer 1970; Lang 1960).
7.1.1.3.2 Die Anwesenheit von Geschwistern Die Anwesenheit weiterer Jungtiere bzw. Geschwister hat einen Einfluss auf das mütterliche Verhalten. Sind Geschwister – vor allem Schwestern – vorhanden, wird das Junge mehr und früher zurückgewiesen bzw. verbringt mehr Zeit entfernt von der Mutter (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1984; 1988; Hinde & Spencer-Booth 1967a; für Indische Hutaffen, Macaca radiata vgl. Silk 1991). Das könnte daran liegen, dass Geschwister von der Mutter auch einen Teil der Fürsorge einfordern aber auch daran, dass sie die Mutter bei der Fürsorge des neuen Jungtieres unterstützen.
7.1.1.3.3 Die Anwesenheit fremder Männchen Auch die Anwesenheit fremder Männchen hat einen Einfluss auf das Verhalten der Mutter. Fairbanks & McGuire (1987) untersuchten zwei in Gefangenschaft lebende Gruppen Grüner Meerkatzen (Cercopithecus aethiops). Verglichen wurden das Verhalten von Weibchen mit bekannten Männchen in der Gruppe und das von Weibchen mit fremden, unbekannten Männchen in der Gruppe. Die Mütter in der Gruppe mit dem unbekannten Männchen waren, im Vergleich zu Müttern mit bekannten Männchen in der Gruppe, in den ersten drei Lebensmonaten ihrer Jungen beschützender („protective“), ab dem sechsten Monat (wenn sie wieder in den Östrus kommen) eher zurückweisend („rejective“).
7.1.1.3.4 Die Eigenschaften des Habitats und der Einfluss unterschiedlicher Haltebedingungen In verschiedenen Habitaten herrschen unterschiedliche Bedingungen. Auch diese haben einen Einfluss auf das Verhalten der Mutter. Hauser & Fairbanks (1988) verglichen Grüne Meerkatzen (Cercopithecus aethiops) eines sumpfigen Gebietes mit denen eines trockenen Waldes. Die Mütter, die in dem sumpfigen Gebiet lebten, waren ihren Jungen gegenüber eher zurückweisend als die im trockenen Wald. Das sumpfige Habitat hatte besseres Futter als das trockene Waldgebiet. Es ist also naheliegend, dass ein reichhalti176
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter geres Nahrungsangebot die Mütter dazu veranlasste, die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit ihre Jungen, relativ gefahrlos, zu fördern. Sehr deutlich wird der Einfluss des Habitats bzw. der Lebensbedingungen, wenn man Gruppen in freier Wildbahn und in Gefangenschaft vergleicht. Frei lebende Jungtiere verbringen weniger Zeit bei ihrer Mutter, sie werden von ihren Müttern häufiger zurückgewiesen; in Gefangenschaft lebende Mütter sind hingegen restriktiver (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1980; 1988; für Anubispaviane, Papio anubis vgl. Nash 1978; Ransom & Rowell 1972; Rowell et al. 1968; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops vgl. Hauser & Fairbanks 1988; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Itoigawa 1990). Für die gefundenen Unterschiede sind in der Literatur verschiedene Erklärungen zu finden, die sich aber nicht unbedingt ausschließen. Berman (1980) meint, dass Mütter in freier Wildbahn „relaxter“ sind, weil sie die Möglichkeit haben, ihre Jungen unter Verwandten großzuziehen. In Gefangenschaft ist es häufig so, dass nicht verwandte Weibchen gemeinsam in einer Gruppe leben. Unterstützt wird die Hypothese dadurch, dass die von ihm untersuchten, in Gefangenschaft lebenden Weibchen, mit zunehmendem Bestehen der Gruppe zurückweisender gegenüber ihren Jungen wurden. Mit zunehmendem Bestehen der Gruppe nimmt auch die Anwesenheit verwandter Weibchen zu. Ransom & Rowell (1972) vermuten, dass Müttern in Gefangenschaft die Möglichkeit fehlt, ihre soziale Umgebung zu kontrollieren. In freier Wildbahn zeigen andere Gruppenmitglieder zwar auch ein großes Interesse am Jungtier, aber die Mutter hat eine Vielzahl an Möglichkeiten, diesen Annäherungen aus dem Weg zu gehen. Im einfachsten Fall, geht sie einfach weg, während das andere Individuum von anderen Interaktionen oder Aktivitäten abgelenkt wird. Neben der Möglichkeit, Mütter in Gefangenschaft und im Freiland zu vergleichen, besteht auch die Möglichkeit des Vergleichs unter verschiedenen Haltebedingungen. Je kleiner der Käfig oder je weniger soziale Kontakte möglich sind, umso mehr verhalten sich die Mütter aggressiv gegenüber ihrem Jungen. Sie suchen weniger Kontakt und sind weniger beschützend als Mütter, die in einer stabilen sozialen Gruppe leben (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Hinde & Spencer-Booth 1967b; für Totenkopfäffchen, Saimiri sciureus vgl. Kaplan 1972; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Castell & Wilson 1971; Wolfheim et al. 1970). Zusammenfassend kann man sagen, dass der Einfluss der verschiedenen Faktoren auf den Verhaltensstil einer Mutter keinesfalls eindeutig ist, z.T. sind die Ergebnisse für die 177
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter einzelnen Variablen sehr widersprüchlich. Es ist naheliegend, dass sich die verschiedenen Faktoren wechselseitig beeinflussen und es ist schwierig Vorhersagen und Erklärungen des mütterlichen Verhaltens zu machen, wenn man nur einzelne dieser Variablen betrachtet (vgl. z.B. White & Hinde 1975). So kommen z.B. einige Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass das Geschlecht je nach Erfahrung der Mutter oder auch dem Vorhandensein von Geschwistern, einen unterschiedlichen, z.T. entgegengesetzten Einfluss hat (vgl. z.B. Hinde & Spencer-Booth 1967a; Hooley & Simpson 1981; Mitchell & Brandt 1970). Man kann dieses Problem umgehen, indem man vermittelnde Variablen ausmacht. Ein in diesem Zusammenhang häufig vorgeschlagener Faktor ist Ängstlichkeit. Mütter beschützen ihr Junges mehr, wenn sie Angst haben. Diese Angst wird ausgelöst, wenn dem Jungen Gefahr droht. Gefahr droht z.B. bei erhöhter intergruppaler Aggression, der Präsenz hartnäckiger Individuen, die Zugang zum Jungtier suchen, bei dem Vorhandensein unbekannter Männchen in der Gruppe oder wenn die Mutter wenig Erfahrung im Umgang mit Jungtieren hat. Gefährdungs- und damit auch angstmindernd wirkt sich z.B. die Unterstützung durch Großmütter oder andere nahe verwandte Weibchen und auch die eigene Erfahrung im Umgang mit Jungtieren aus. Die Mütter verhalten sich dann weniger beschützend.
7.1.2 Auswirkungen auf das Jungtier In vielen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass eine Unterbrechung der normalen Mutter-Jungtier-Beziehung durch Separation bzw. Isolation schwerwiegende und lang andauernde Auswirkungen auf das Jungtier haben kann (siehe S. 202 f.). Abgesehen von diesen Extremen ist es durchaus denkbar, dass eine Mutter durch ihr Verhalten das Verhalten des Jungtieres auf unterschiedliche Art und Weise beeinflussen kann. Im schlimmsten Fall führt eine unzureichende Behandlung durch die Mutter zum Tod des Jungen. Altmann (1980, S. 134) beschreibt, dass eine allzu freizügige Erziehung bei frei lebenden Steppenpaviane (Papio cynocephalus) mit einer hohen Jungtiersterblichkeit assoziiert ist. Häufig führt auch die Inkompetenz junger Mütter, die ihr erstes Jungtier bekommen, zum Tod desselben (vgl. Nicolson 1982, zit. nach Nicolson 1987, S. 336). In der Untersuchung von Fairbanks (1996, S. 594) war die Jungtiersterblichkeit vor allem mit einem abweisenden („rejection“) und vernachlässigenden („neglect“) Verhalten von Seiten der Mutter assoziiert. 178
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Zurückweisendes Verhalten an sich muss aber nicht nur negative Folgen haben. Zurückweisungen durch die Mutter führen auch dazu, dass die Jungen schneller unabhängig werden, einfallsreicher und unternehmungslustiger sind (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Hinde & Spencer-Booth 1971, S. 171; Simpson & Simpson 1986; Simpson & Datta 1991; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Schino et al. 2001; für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980, S. 130 ff.) oder besser mit stressigen Situationen umgehen können (für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Schino et al. 2001). Im Gegensatz zu ihren beschützten Altersgenossen suchen sie eher Kontakt zu anderen Individuen der Gruppe (für einen Überblick vgl. Nash & Wheeler 1982, S. 40 ff.; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. z.B. Bardi & Huffman 2002). Neben zurückweisendem Verhalten ist extrem beschützendes, einschränkendes („restrictive“, „protective“) Verhalten von Seiten der Mutter ein weiterer Verhaltenskomplex, der massive Auswirkungen auf das Verhalten des Jungen haben kann. Restriktivere Mütter haben ängstlichere Jungtiere. Diese Jungtiere sind gegenüber allem was neu ist, vorsichtiger; z.T. interagieren sie weniger mit anderen Individuen und spielen weniger. Die Unabhängigkeitsentwicklung des Jungen ist stark eingeschränkt (für Überblick vgl. Fairbanks 1996, S. 595 f.; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Hinde & Spencer-Booth 1971; Simpson & Simpson 1986; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Bardi & Huffman 2002; für Grüne Meerkatzen, Cercopithecus aethiops sabaeus vgl. Fairbanks & McGuire 1988; für Steppenpaviane, Papio cynocephalus vgl. Altmann 1980). Häufig zusammen betrachtet, aber in Bezug auf deren Auswirkungen doch klar von zurückweisendem Verhalten zu trennen, ist aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen. Als Jungtier erfahrene Aggression kann einen Einfluss auf das Verhalten als erwachsenes Tier haben. So kann z.B. bei Tieren, die als Jungtiere aggressivem Verhalten ausgesetzt waren, im Erwachsenenalter vermehrt aggressives Verhalten beobachtet werden (vgl. z.B. Arling & Harlow 1967; Chamove 1980; Mitchell et al. 1967). Im Gegensatz zu zurückgewiesenen Individuen zeigen Tiere, die von ihrer Mutter aggressiv behandelt wurden, weniger Erkundungs- und Neugierverhalten (vgl. Mitchell et al. 1967). Welches Ausmaß diese Aggression annehmen kann, belegen zwei männliche Rhesusaffen (Macaca mulatta) aus der Untersuchung von Mitchell et al. (1967). Die beiden Tiere wurden als Jungtiere von ihrer Mutter stark aggressiv behandelt. Nachdem das Experiment geendet hatte, griffen die beiden ein Weibchen, das mit ihnen im Käfig war, schwer an und bissen ihm einige Finger ab. Nach diesem Vorfall wurden die beiden Männchen von der Gruppe separiert, irrtümlicherweise für ein Wochenende aber wieder der Gruppe zugeführt. Während dieser Zeit töteten sie ein anderes Weibchen. 179
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Eine Debatte, die vor allem ab den 60er Jahren geführt wurde, ging der Frage nach, welchen Einfluss das aggressive Verhalten oder auch eine Zurückweisung des Jungen auf dessen Unabhängigkeitsentwicklung hat. Viele Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass aggressives Verhalten oder eine Zurückweisung durch die Mutter dazu führt, dass das Jungtier früher unabhängig von der Mutter wird, was sich in einem verringerten Kontakt zur Mutter äußert (für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Negayama 1981; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Jensen et al. 1967a; 1968; 1973; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Hansen 1966; Hinde 1969; 1974; Hinde & Spencer-Booth 1968; 1971). Andere Untersuchungen kamen zu dem entgegengesetzten Ergebnis. Aggressives oder zurückweisendes Verhalten mache das Junge eher abhängiger. Jungtiere, die weniger zurückgehalten oder beschützt werden, seien unabhängiger (für Paviane, Papio anubis vgl. Bolwig 1980; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Bolwig 1980; Kaufman & Rosenblum 1969; Rosenblum 1971a; Rosenblum & Kaufman 1967; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Arling & Harlow 1967; Rosenblum & Harlow 1963). Warum es in diesen Studien zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommt, kann nicht klar gesagt werden. Sicherlich können Unterschiede zwischen den Arten und unterschiedliche Umwelt- bzw. Haltebedingungen einen Teil der widersprüchlichen Ergebnisse erklären. Ebenso könnte das Alter des Jungen die Ergebnisse beeinflussen. Auch erschweren unterschiedliche methodische Vorgehensweisen, ein unterschiedliches Verständnis der Variablen bzw. Begriffe, einen Vergleich. Der zunehmende Kontakt zur Mutter könnte z.B. ein Kurzzeiteffekt des aggressiven Verhaltens oder der Zurückweisung sein; auf lange Sicht könnte eine Abnahme des Kontaktes die Folge sein. Ebenso werden in den Analysen häufig das Verhalten einer Mutter und ihres Jungen getrennt betrachtet, was zu einer Verschleierung des Zusammenhangs von mütterlichem Verhalten und der Antwort ihres Jungen führen könnte.
180
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
Exkurs II: Aggression und Unabhängigkeitsentwicklung bei Husarenaffen (Erythrocebus patas) II.1 Einleitung Aggressivität im Kontext der Mutter-Jungtier-Beziehung ist ein Verhalten, das in der Literatur kontrovers diskutiert wird. Vor allem in den 60er Jahren begannen zahlreiche Projekte, die sich mit den Auswirkungen und der Funktion dieses Verhaltens beschäftigten. Die zentrale Idee war, dass das aggressives Verhalten für die Unabhängigkeitsentwicklung des Jungtieres von zentraler Bedeutung sei. Die unmittelbare Ursache der mütterlichen Aggression soll das Verhalten des Jungtieres sein, welches die Mutter reizt. Die Jungtiere reagieren entsprechend auf den aggressiven Akt der Mutter und hören mit dem Verhalten auf bzw. entfernen sie sich von der Mutter. Letztendlich führe die mütterliche Aggression dazu, dass das Jungtier zunehmend unabhängiger wird (vgl. z.B. Negayama 1981). Diese Reduzierung des Kontakts und die damit verbundene zunehmende Unabhängigkeit des Jungen konnte in einigen Untersuchungen an verschiedenen Primatenarten nachgewiesen werden (für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Negayama 1981; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Jensen et al. 1967a; 1968; 1973; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Hansen 1966; Hinde 1969; 1974; Hinde & SpencerBooth 1968; 1971). Andere Untersuchungen kamen aber zu einem entgegengesetzten Ergebnis: Jungtiere die aggressiv behandelt wurden, waren eher abhängiger (für Paviane, Papio anubis vgl. Bolwig 1980; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Bolwig 1980; Kaufman & Rosenblum 1969; Rosenblum 1971a; Rosenblum & Kaufman 1967; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Arling & Harlow 1967; Rosenblum & Harlow 1963). Neben der Idee, dass die stärkere Abhängigkeit eine direkte Folge der Aggression sei (vgl. Rosenblum 1971b), wird auch vermutet, dass dieser Effekt nur ein scheinbarer sei und das aggressive Verhalten der Mutter auf das Verhalten des Jungtieres zurückzuführen sei. Jungtiere, die mehr Kontakt suchen, werden auch mehr aggressiv behandelt, da mehr Gelegenheit dazu besteht, da die Jungen die Mütter häufiger reizen können (vgl. Hinde & Spencer-Booth 1968). In diesem Fall würde es keinen direkten Einfluss des aggressiven Verhaltens auf das Kontaktverhalten des Jungen geben.
181
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Aufgrund der widersprüchlichen Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen in Bezug auf die Auswirkung aggressiven Verhaltens wurde dieses im Kontext der MutterJungtier-Beziehung der Husarenaffen (Erythrocebus patas) im Rostocker Zoo untersucht. Welchen Einfluss hat das aggressive Verhalten der Mutter auf den Kontakt zwischen Mutter und Jungtier und die damit verbundene Unabhängigkeitsentwicklung des Jungen?
II.2 Material und Methoden Untersucht wurden zwei Jungtiere und deren Mütter (Jungtier Zena mit Mutter Uzima; Jungtier Fahra mit Mutter Ife). Die untersuchten Tiere waren Teil einer Gruppe von insgesamt 15 Tieren im Rostocker Zoo. Beide Jungtiere waren weiblich. Die Gruppenzusammensetzung war mit der in freier Wildbahn vergleichbar (Ein-Mann-Gruppe mit mehreren Weibchen und deren Jungtieren, vgl. Hall 1965; Hall et al. 1965). Auch die Anzahl von 15 Tieren lag im Rahmen der aus freier Wildbahn bekannten Gruppengröße. Das Gehege der Gruppe bestand aus einem Innenbereich (47m2, 4m hoch), der mit Rindenmulcheinstreu und einigen Kletterästen versehen war und einer großzügigen Freianlage (1.250m2) die mit Gras, Sträuchern und einigen Bäumen bewachsen war. Beide Gehegeteile waren durch einen Schieber verbunden, der nur kurz vor jeder Fütterung, zum Austeilen der Nahrung im Innenbereich, geschlossen wurde. In der restlichen Zeit des Tages konnten die Tiere ihren Aufenthaltsort frei wählen. Nahrung und Wasser standen ausreichend zur Verfügung. Als Vorbereitung auf die eigentliche Untersuchung wurde nach der Methode des „ad libidum samplings“ (vgl. Altmann 1974) ein Ethogramm erstellt. Zu diesem Zweck wurde die Gruppe von April bis September 2009 für insgesamt ca. 72 Stunden beobachtet. Beobachtet wurde im Innen- und Außengehege. Die Beobachtungszeit lag meist am Nachmittag zwischen 14:00 und 18:00 Uhr. Die Notizen wurden durch Video- und Fotoaufzeichnungen ergänzt. In der eigentlichen Untersuchung wurde nach der „Fokus-Tier-Methode“ („focussampling animal“) vorgegangen (vgl. Altmann 1974). Die zwei Jungtiere und deren Mütter wurden von März bis September 2010 für insgesamt ca. 95 Stunden beobachtet. Auch in dieser Phase lag die Beobachtungszeit meist am Nachmittag zw. 14:00 und 18:00 Uhr. Einige Beobachtungssitzungen fanden auch am Vormittag statt, um durch einen Vergleich Unterschiede im Verhalten am Vormittag und am Nachmittag ausschlie182
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter ßen zu können. Pro Woche fand eine Beobachtungssitzung statt, die 4 Stunden dauerte. Jedes Jungtier wurde 2 Stunden beobachtet. Auf Grundlage des Ethogramms wurden 5 Verhaltensweisen identifiziert, bei denen es sich um aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen handelt: (A1) Festhalten, Zurückhalten: Festhalten des Jungen an einem Körperteil (Rumpf, Rücken, Bein, Arm, Schwanz etc.) (A2) Hauen, Schubsen: Kurzer Schlag in Richtung des Jungen (A3) Drohen: Drohen in Richtung des Jungen (A4) Beißen: Kurzes Beißen bzw. Scheinbeißen in Extremitäten, Kopf oder Rumpf des Jungen (A5) Auf den Boden drücken: Auf den Boden drücken des Jungen mit Vorder- oder Hinterextremitäten; z.T. mit anschließendem Draufsetzen Bei diesen Verhaltensweisen wurde die Anzahl gemessen. Für weitere Betrachtungen wird die Summe angegeben. Um später beantworten zu können, ob aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen einen Einfluss auf den Kontakt zwischen Mutter und Jungtier und damit auf dessen Unabhängigkeitsentwicklung hat, wurden das Kontaktverhalten und andere Verhaltensweisen des Jungen alle 30 Sekunden erfasst. Hieraus lässt sich der prozentuale Anteil des jeweiligen Verhaltens ermitteln. Im Einzelnen sind das: (B1) Junges bei Mutter mit Körperkontakt (B2) Junges in Reichweite der Mutter (3m) (B3) Junges in Körperkontakt mit Individuum außer der Mutter (B4) Spiel allein, Zeit allein, exploratives Spiel, Fressen (B5) Spiel mit anderen Um die gestellte Frage beantworten zu können, muss zusätzlich ermittelt werden, ob eine Abnahme des Kontaktes auf das Verhalten der Mutter oder auf das Verhalten des Jungen zurückzuführen ist. Zu diesem Zweck wurde die Anzahl des Annäherns und des Weggehens, sowohl der Mutter als auch des Jungen gemessen. Dies geschah allerdings nicht über den gesamten Beobachtungszeitraum sondern erst ab Woche 13 bzw. 14. Die Darstellung und Auswertung der Daten erfolgte mit „Microsoft Office Excel 2007“ und „IBM SPSS Statistics 20“. Auf eine differenzierte statistische Auswertung wurde jedoch verzichtet, da die Daten dafür nicht geeignet sind. Die Auswertung der Daten erfolgte im Wesentlichen auf einem beschreibenden Niveau.
183
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
II.3 Ergebnisse II.3.1 Kontaktverhalten II.3.1.1 Kontakt zur Mutter 100 90
Häufigkeit in %
80 70 60 50 40 30 20 10 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Alter des Jungtieres in Wochen
Körperkontakt (B1)
in Reichweite (B2)
Körperkontakt & Reichweite
Abbildung II.1: Verschiedene Formen des Kontakts zwischen den Müttern und Jungtieren Mit zunehmendem Alter der Jungtiere nahm der Kontakt zur Mutter ab (siehe Abb. II.1). Schon in der ersten Woche begannen die Jungen ihre Umgebung visuell und taktil zu erfassen. Auch die ersten Versuche, den Kontakt zur Mutter zu brechen, begannen in der ersten Woche. Das sogenannte „aunting“ (vgl. z.B. Quiatt 1979) – mütterliches Verhalten durch andere Individuen, meist ohne Einverständnis der Mutter – fand ab der ersten Woche statt. Die dominierende Aktivität in der ersten Woche war (B1): „Junges bei Mutter mit Körperkontakt“. Bis Woche 4 sank (B1) auf die Hälfte ab. Der Körperkontakt nahm dann bis zum Alter von 12 bzw. 16 Wochen weiter deutlich ab und blieb dann relativ stabil bzw. sank langsam bis zum Beobachtungsende (Woche 23) weiter ab. Dennoch verbrachten die Jungtiere weiterhin einen großen Teil ihrer Zeit in der Reichweite der Mutter. Warum es in Woche 17 und 18 zu einem kurzzeitigen Anstieg kam, ist unklar.
184
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
II.3.1.2 Unterschiede im Kontakt der beiden Mutter-Jungtier-Paare 100
y = -29,3ln(x) + 100,5 R² = 0,873
90
Häufigkeit in %
80 70 60
y = -21,9ln(x) + 83,53 R² = 0,711
50 40 30 20 10 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Alter des Jungtieres in Wochen Körperkontakt Fahra mit Ife Log. (Körperkontakt Fahra mit Ife)
Körperkontakt Zena mit Uzima Log. (Körperkontakt Zena mit Uzima)
Abbildung II.2: Körperkontakt der beiden Mutter-Jungtier-Paare im Untersuchungszeitraum Bei einem Vergleich des Kontakts der beiden untersuchten Mutter-Jungtier-Paare sind zunächst keine größeren Unterschiede auszumachen (siehe Abb. II.2). Bei beiden Jungtieren sankt der Kontakt zur Mutter mit zunehmendem Alter ab. Anhand der logarithmischen Darstellung ist zu erkennen, dass der Körperkontakt von Fahra und ihrer Mutter steiler absank und auch eine Korrelationsanalyse von Körperkontakt und dem Alter der Jungtiere bestätigt einen geringfügig stärkeren Zusammenhang bei Fahra (-0,898; für Zena: -0,846). Insgesamt verbrachte Fahra ca. 951min in Körperkontakt mit ihrer Mutter und Zena 920min.
II.3.1.3 Kontakt zu anderen Gruppenmitgliedern In der 2. Woche fand ein deutlicher Anstieg des Kontakts zu anderen Gruppenmitgliedern statt (auf ca. 30%, siehe Abb. II.3). Dieser blieb dann für ca. 6 Wochen auf diesem Niveau und sank anschließend deutlich ab. Der überwiegende Teil dieses Kontaktes ist auf das „aunting“ zurückzuführen. Die rapide Abnahme ab der 7. Woche beruhte vermutlich auf der zunehmend eigenständigen lokomotorischen Aktivität des Jungen. Es ist ab 185
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter diesem Alter in der Lage, sich selbständig zu befreien und kann damit den Kontakt zu den anderen Gruppenmitgliedern eigenständig regulieren. 60
Häufigkeit in %
50 40 30 20 10 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Alter des Jungtieres in Wochen
Zeit bei anderen; Mittel (B3) Zeit bei anderen; Fahra (B3) Zeit bei anderen; Zena (B3)
Abbildung II.3: Vergleich des Kontakts der beiden Jungtiere zu anderen Gruppenmitgliedern im Untersuchungszeitraum
Ein Vergleich der beiden Jungtiere zeigte ein ähnliches Muster in Bezug auf die Veränderung des Kontakts zu anderen Gruppenmitgliedern über die Zeit (siehe Abb. II.3). Unterschiede fanden sich in den ersten 6 Wochen. Bei Zena war bereits in der 2. Woche ein deutlicher Anstieg des Kontakts zu anderen Gruppenmitgliedern zu erkennen. In der 3. Woche sankt der Kontakt deutlich ab, blieb dann bis zur 6. Woche auf einem Niveau und sank dann recht schnell weiter ab. Bei Fahra war ein gleichmäßigerer Anstieg bis zur Woche 6 zu erkennen. Der Höhepunkt hatte ein ähnliches Niveau wie der von Zena in Woche 2. Anschließend sank die Zeit, die Fahra in Kontakt mit anderen Individuen verbringt deutlich ab und blieb im Verlauf der nächsten Wochen auf sehr niedrigem Niveau. Insgesamt verbrachte Fahra 211min in Kontakt mit anderen Gruppenmitgliedern und Zena 255min. Auffällig war, dass Zena fast ausschließlich Kontakt zu Paula (ihrer Großmutter) hatte. Die Kontaktpersonen von Fahra waren vielfältiger. Obwohl auch Fahras Großmutter mit in der Gruppe lebte, suchte diese im Gegensatz zu Paula nicht auffällig häufiger Kontakt zu Fahra als die anderen Gruppenmitglieder. 186
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
II.3.1.4 Kontaktverhalten – Spiel 80
Häufigkeit in %
70 60 50 40 30 20 10 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Alter des Jungtieres in Wochen Spiel allein (B4)
Spiel mit anderen (B5)
Spielen gesamt
Abbildung II.4: Veränderung des Spielverhaltens der beiden Jungtiere über den Beobachtungszeitraum Neben der Zeit, die die Jungen in Kontakt mit der Mutter oder anderen Gruppenmitgliedern verbrachten, nahm die Zeit, in der sie spielten, eine wichtige Rolle ein. Ab einem Alter von ca. 3 Wochen begannen die Jungtiere allein, außerhalb der Reichweite der Mutter zu spielen; ab der 5. Woche folgte das Spiel mit anderen (siehe Abb. II.4). Die Zeit, die sich die Jungtiere unabhängig vom Einfluss der Mutter bewegten, nahm damit stetig zu. Im Alter von 5 Monaten verbrachte das Jungtier ca. 70% seiner Zeit mit Spielen oder anderen Aktivitäten allein.
II.3.2 Regulation der Nähe zwischen Mutter und Jungtier Sowohl die Mutter als auch das Jungtier können dafür verantwortlich sein, ob Nähe hergestellt oder vermindert wird. Zur Beantwortung der Frage, ob aggressives Verhalten von Seiten der Mutter einen Einfluss auf das Kontaktverhalten des Jungen hat, ist es wichtig zu wissen, wer für ein Zustandekommen oder Abbrechen des Kontaktes verantwortlich ist. Die reine gemessene Kontaktzeit kann diese Frage nicht eindeutig beantworten und damit auch einen möglichen Einfluss aggressiven Verhaltens verschleiern. Es könnte z.B. sein, dass ein Jungtier häufig von der Mutter weggeht, die Mutter sich aber ebenso häufig annähert. Andererseits kann die Mutter häufig weggehen und sich das Jungtier häufig annähern. Im gemessenen Kontakt würde sich dieser Unterschied wahrscheinlich kaum bemerkbar machen, obwohl sich das Verhalten der beiden Jungtiere unterscheidet. 187
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Das Annähern und das Weggehen wurden erfasst, sobald ein Individuum in den Radius, den die Mutter erfassen kann (die Reichweite der Mutter, ca. 3m) eintrat oder diesen verließ.
Anzahl pro 2 Stunden
45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Alter des Jungtieres in Wochen Annähern Jungtier
Annähern Mutter
Abbildung II.5: Annäherung der Mütter und Jungtiere im zeitlichen Verlauf
Anzahl pro 2 Stunden
35 30 25 20 15 10 5 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Alter des Jungtieres in Wochen Weggehen Jungtier
Weggehen Mutter
Abbildung II.6: Weggehen der Mütter und Jungtiere im zeitlichen Verlauf Aufgrund der geringen lokomotorischen Fähigkeiten des Jungen im ersten Monat ist es im Wesentlichen die Mutter die sich annähert oder weggeht. Erst wenn das Junge selbständig laufen kann, ist die Frage nach der Regulierung der Nähe zu beantworten. In der vorliegenden Untersuchung wurden diese Werte ab Woche 13 bzw. 14 erfasst (siehe Abb. II.5 und II.6). 188
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Es ist deutlich zu erkennen, dass es in erster Linie die Jungtiere waren, die immer wieder den Kontakt zur Mutter suchten; sie hatten deutlich höhere Annäherungswerte (siehe Abb. II.5). Bezüglich des Weggehens waren keine deutlichen Unterschiede zw. den Jungtieren und den Müttern zu erkennen (siehe Abb. II.6). Um die beiden Mutter-Jungtier-Paare bzgl. des „Annäherns“ und „Weggehens“ vergleichen zu können, wurde die absolute Anzahl des Annäherns und des Weggehens im Untersuchungszeitraum ermittelt (siehe Tab. II.1). Tabelle II.1: Anzahl des Annäherns und Weggehens im Untersuchungszeitraum (Woche 14-22)
Fahra zeigte dabei im Vergleich zu Zena sowohl höhere Werte beim „Annähern“ als auch beim „Weggehen“. Fahras Mutter hatte niedrigere Werte bei „Annähern“ als Zenas Mutter. Im Bezug auf das „Weggehen“ zeigte Fahras Mutter einen geringfügig höheren Wert.
II.3.3 Aggressives Verhalten II.3.3.1 Aggressives Verhalten durch die Mutter Insgesamt konnte aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen durch die Mutter (im gesamten Beobachtungszeitraum, alle Formen kombiniert) 197 mal beobachtet werden. Meist war die Aggression mild. Am weitaus häufigsten war Beißen, gefolgt von Festhalten und Hauen (siehe Abb. II.7). „Drohen“ und „auf den Boden drücken“ konnten nicht beobachtet werden und werden demzufolge nicht weiter betrachtet. Festhalten trat am häufigsten auf, wenn sich das Junge von der Mutter entfernen wollte, z.T. auch im Kontext riskanter Spielmanöver. Beißen trat in Situationen auf, in denen die Mutter offensichtlich vom Jungtier gereizt wurde (z.B. wenn das Jungtier auf der Mutter herum hüpfte oder wenn die Mutter ein anderes Tier groomte und das Jungtier einen reibungslosen Ablauf dieses Vorgangs behinderte) oder im Kontext der Entwöhnung (wenn das Jungtier an die Brust wollte). Hauen trat in ähnlichen Kontexten auf wie das Beißen. 189
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter In Abb. II.8 ist zu erkennen, dass sich die beiden Mütter deutlich in ihrem aggressiven Verhalten gegenüber ihren Jungen unterschieden. Dieser Unterschied der beiden Mutter-Jungtier-Paare soll die Grundlage zur Beantwortung der Fragestellung sein. Hat aggressives Verhalten einen Einfluss auf den Kontakt zwischen Mutter und Jungtier, bzw. wird damit die Unabhängigkeitsentwicklung des Jungen gefördert, sollte es auch entsprechende Unterschiede im Kontaktverhalten der beiden Mutter-Jungtier-Paare geben. 200
197
180 160
148
Anzahl
140 120
Aggression gesamt
100
Festhalten (A1)
80
Hauen (A2)
60
Beißen (A3)
40 20
36 13
0 Formen der Aggression
Abbildung II.7: Anzahl des aggressiven Verhaltens durch die Mütter im gesamten Untersuchungszeitraum 180
Anzahl
160 140
Aggression gesamt Fahra
120
Festhalten (A1) Fahra Hauen (A2) Fahra
100
Beißen (A4) Fahra
80
Aggression gesamt Zena
60
Festhalten (A1) Zena Hauen (A2) Zena
40
Beißen (A4) Zena
20 0 Formen der Aggression
Abbildung II.8: Anzahl des aggressiven Verhaltens durch die Mütter im gesamten Untersuchungszeitraum; aufgeschlüsselt nach den einzelnen Individuen 190
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Zenas Mutter war gegenüber ihrem Jungen deutlich aggressiver als Fahras Mutter. Das Muster der Bestrafungen war aber ähnlich, was dafür spricht, dass der Unterschied nicht auf Messfehlern beruht. Die häufigste Form der Bestrafung war bei beiden Jungtieren Beißen, gefolgt von Festhalten und am seltensten war Hauen.
II.3.3.2 Aggressives Verhalten durch andere Gruppenmitglieder Insgesamt fand aggressives Verhalten gegenüber den Jungtieren (alle Formen kombiniert) durch andere Gruppenmitglieder im gesamten Untersuchungszeitraum 65 mal statt und war damit deutlich seltener als aggressives Verhalten durch die Mutter. Die häufigste Form war Beißen, gefolgt von Hauen und Festhalten. Bei dem aggressiven Verhalten durch die Mutter war Festhalten häufiger als Hauen. Des Weiteren konnte – im Gegensatz zum aggressiven Verhalten durch die Mutter – beim aggressiven Verhalten durch andere Individuen auch „auf den Boden drücken“ beobachtet werden. „Drohen“ wurde nicht beobachtet und wird in den folgenden Ausführungen nicht weiter betrachtet. Auch das aggressive Verhalten durch Gruppenmitglieder außer der Mutter war meist mild; insgesamt ist das Verhalten von Individuen, die nicht die Mutter sind, aber etwas rauer. In Bezug auf die einzelnen Jungtiere unterschied sich das aggressive Verhalten durch andere Individuen vom aggressiven Verhalten durch die Mutter. Zena wurde durch ihre Mutter deutlich häufiger aggressiv behandelt als Fahra. Fahra wurde aber durch andere Gruppenmitglieder häufiger aggressiv behandelt als Zena (siehe Abb. II.9). Allerdings ist das aggressive Verhalten durch die anderen Gruppenmitglieder insgesamt wesentlich geringer, so dass dieser Unterschied geringer ins Gewicht fällt als der Unterschied beim aggressiven Verhalten durch die Mutter. Auch die Form des aggressiven Verhaltens, die den einzelnen Jungtieren durch andere Gruppenmitglieder zu Teil wurde, unterschied sich von der Form des aggressiven Verhaltens durch die Mutter. Bei beiden Müttern war das Muster in Bezug auf die verschiedenen Formen der Aggression gleich. Fahra wurde von den anderen Gruppenmitgliedern am häufigsten gehauen, dicht gefolgt von Beißen; seltener waren auf den Boden drücken und Festhalten. Zena wurde am häufigsten festgehalten, gefolgt von Beißen; Hauen und auf den Boden drücken hatten in etwa gleiche Werte (siehe Abb. II.9). Betrachtet man das gesamte aggressive Verhalten (durch die Mutter und die anderen Gruppenmitglieder) wird deutlich, dass Zena mehr als doppelt so häufig aggressiv be191
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter handelt wurde als Fahra (siehe Abb. II.10). Bei beiden war Beißen die häufigste Form – bei Fahra gefolgt von Hauen, Festhalten und auf den Boden drücken, bei Zena gefolgt von Festhalten, Hauen und auf den Boden drücken. 45 40
Aggression gesamt Fahra Festhalten (A1) Fahra
35
Hauen (A2) Fahra
Anzahl
30
Beißen (A4) Fahra auf Boden (A5) drücken Fahra
25
Aggression gesamt Zena Festhalten (A1) Zena
20
Hauen (A2) Zena
15
Beißen (A4) Zena auf Boden drücken (A5) Zena
10 5 0 Formen der Aggression
Abbildung II.9: Anzahl der aggressiven Verhaltensweisen durch andere Gruppenmitglieder gegenüber den beiden Jungtieren 200 180
Aggression gesamt Fahra
160
Festhalten (A1) Fahra
Anzahl
140
Hauen (A2) Fahra
120
Beißen (A4) Fahra
100
auf Boden drücken (A5)
80
Aggression gesamt Zena
60
Festhalten (A1) Zena Hauen (A2) Zena
40
Beißen (A4) Zena
20
auf Boden drücken (A5) Zena
0 Formen der Aggression
Abbildung II.10: Anzahl der aggressiven Verhaltensweisen durch die Mütter und die anderen Gruppenmitglieder gegenüber den beiden Jungtieren 192
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
II.3.4 Zusammenhang von aggressivem Verhalten und Unabhängigkeitsentwicklung Da das Kontaktverhalten und das aggressive Verhalten gegenüber den Jungen ausreichend beschrieben wurden, kann nun geklärt werden, ob es einen Zusammenhang dieser beiden Verhaltensweisen gibt und damit die Frage beantwortet werden, welchen Einfluss aggressives Verhalten auf den Kontakt zwischen Mutter und Jungtier und damit auf die Unabhängigkeitsentwicklung des Jungen hat. Als Grundlage dafür dient der Vergleich der beiden Jungtiere. Zena wurde von ihrer Mutter deutlich häufiger aggressiv behandelt als Fahra. Insgesamt verbrachte Zena weniger Zeit in Körperkontakt als Fahra, was dafür sprechen könnte, dass das durch die Mutter erfahrene aggressive Verhalten den Mutter-Jungtier-Kontakt reduziert. Andererseits nahm der Kontakt von Fahra zu ihrer Mutter über die Zeit stärker ab, als der Kontakt von Zena zu ihrer Mutter – was gegen diese Hypothese spricht. Betrachtet man nicht die Anzahl des Körperkontaktes, sondern das Annähern und Weggehen, näherte sich Zena im Vergleich zu Fahra seltener an, was dafür sprechen könnte, dass aggressives Verhalten den Kontakt zwischen Mutter und Jungtier minimiert. Gleichzeitig ging Zena im Vergleich zu Fahra aber seltener von ihrer Mutter weg, was gegen diese Hypothese spricht. Wenn Zenas Mutter mit ihrem aggressiven Verhalten den Kontakt zu ihrem Jungen reduzieren wöllte, sollte sie auch öfter weggehen, als Fahras Mutter; tat sie aber nicht; sie ging seltener weg. Ebenso sollte sie sich weniger häufig annähern; aber auch hier sind die Werte höher als die von Fahras Mutter. Die Ergebnisse sprechen daher dafür, dass aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen nicht dazu führt, dass der Kontakt reduziert wird und die Unabhängigkeitsentwicklung damit beschleunigt wird. Jungtiere, die häufiger aggressiv behandelt werden, sind aber auch nicht abhängiger; sie suchen nicht häufiger den Kontakt zur Mutter als Jungtiere, die weniger aggressives Verhalten erfahren.
II.4 Diskussion Generell ist zu sagen, dass aus den vorliegenden Daten nur mit Vorsicht allgemeingültige Aussagen abgeleitet werden sollten. Der Stichprobenumfang und die Beobachtungszeit waren relativ gering. 193
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
II.4.1 Kontaktverhalten Kontakt zur Mutter Das Verhalten der Jungtiere und die Entwicklung des Kontakts ähneln den Ergebnissen andere Untersuchungen an Husarenaffen. Es wird beschrieben, dass das Jungtier nach einer Woche unabhängig, ohne Einschränkung um die Mutter herumläuft (vgl. Goswell & Gartlan 1965; Hall et al. 1965). Es beginnt in dieser Zeit Objekte in Reichweite anzufassen und hineinzubeißen (vgl. Hall et al. 1965). Nach Chism (1986) ereignen sich die größten Veränderungen in Bezug auf den MutterJungtier-Kontakt in den ersten drei Monaten. Auch in der vorliegenden Untersuchung verringerte sich der Körperkontakt bis zum 3. bzw. 4. Monat am deutlichsten und nahm dann in den folgenden 7 Wochen weiter ab. Im Alter von 3 Monaten verlieren die Jungtiere ihr einheitlich dunkelbraun gefärbtes Fell. Zwischen der 7. und 12. Woche wird dieses Fell durch ein flauschigeres, rotbraunes Jugendkleid ersetzt. Ebenso wird das Gesicht dunkler und die typische Husarenaffengesichtszeichnung (weiße Koteletten und dunkle Streifen über den Augenbrauen) entsteht. In der Untersuchung von Chism (1986) sank der Kontakt bis zum achten Monat auf 5% und blieb dann bis zum Ende des ersten Jahres auf diesem Niveau. In der vorliegenden Untersuchung lag der durchschnittliche Kontakt zw. Mutter und Jungtier in der letzten Woche der Messung (im Alter von knapp 6 Monaten) bei ca. 6%. Insgesamt spiegeln diese Daten den recht schnellen Entwicklungszyklus der Husarenaffen wider. Dieser ist deutlich schneller als z.B. der von Rhesusaffen (Macaca mulatta, vgl. Hinde & Spencer-Booth 1967a), aber vergleichbar dem Grüner Meerkatzen (Cercopithecus aethiops, vgl. Struhsaker 1971). Kontakt mit anderen Gruppenmitgliedern In der zweiten Woche ist das Junge wesentlich seltener am Bauch der Mutter zu finden als in der ersten Woche. Diese Veränderung geht damit einher, dass das Jungtier jetzt häufiger von anderen Gruppenmitgliedern genommen wird. In der Untersuchung von Chism (1986) wurde das Jungtier im Mittel 25% der Zeit, die es wach war, von anderen Gruppenmitgliedern getragen. In der vorliegenden Untersuchung verbrachten die Jungen von der 2. bis zur 7. Woche durchschnittlich ca. 30% in Kontakt mit anderen Gruppenmitgliedern.
194
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Spielen Auch in der Untersuchung von Chism (1986) verbrachten die Jungen einen sehr großen Teil ihrer Zeit mit Spielen. Eine Phase des Spiels alleine geht dem gemeinsamen Spiel voraus, welches im ersten Jahr die häufigste Variante des Spielens darstellt. Insgesamt spielten die Jungen in der Untersuchung von Chism (1986) aber weniger. In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres waren das zwischen 12 und 15%.
II.4.2 Regulation der Nähe zwischen Mutter und Jungtier Wie in der Untersuchung von Chism (1986) haben auch in der vorliegenden Untersuchung die Jungtiere (vor allem ab dem dritten Monat), im Vergleich zu den Müttern, deutlich höhere Werte beim Annähern. Sie waren dafür verantwortlich, dass ein neuer Kontakt etabliert wurde. Die beiden Untersuchungen unterscheiden sich bzgl. der Werte des Weggehens. Chism (1986) konnte ab dem dritten Monat eine Veränderung bzgl. des Weggehens der Jungtiere feststellen. Ab diesem Zeitraum waren sie häufiger als die Mütter sowohl für das Annähern als auch für das Weggehen verantwortlich. Sie regulierten damit selbst die Nähe zur Mutter. Für den in dieser Untersuchung nicht betrachteten Zeitraum bis zum dritten Monat schreibt Chism (1986), dass eine Veränderung der Nähe zum Jungtier durch das Verhalten der Mutter beeinflusst wird. Nach dem vierten Monat verändert sich dieser Umstand. Ausschlaggebend für die Entfernung zwischen Mutter und Jungtier ist jetzt das Verhalten des Jungtieres. Wenn die Mutter z.B. weiterzieht, läuft ihr das Jungtier nach. Husarenaffen unterscheiden sich dadurch, dass die Regulation der Nähe vom Jungtier ausgeht, deutlich von anderen Primatenarten, wie z.B. Rhesusaffen (Macaca mulatta, vgl. z.B. Hinde & Spencer-Booth 1967a). Aggressives Verhalten durch die Mutter Insgesamt wurden die Jungtiere der vorliegenden Untersuchung deutlich häufiger aggressiv behandelt (197 mal; das entspricht 2,1 mal pro Stunde) als die Jungtiere in der Untersuchung von Chism (1986) (0,4 mal pro Stunde). In der Untersuchung von Chism (1986) konnte vor allem vom vierten bis zum achten Monat ein Anstieg des aggressiven Verhaltens festgestellt werden. Zu einem geringen Teil kann die unterschiedliche Häufigkeit der Bestrafung der beiden Untersuchungen dadurch erklärt werden, dass „restrain“ bei Chism (1986) als separate 195
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Variable angeführt wird, zu der aber keine Ergebnisse präsentiert werden. Zieht man in der vorliegenden Untersuchung die Werte für „Zurückhalten“ ab, wird der Wert für Bestrafung zwar geringer, er ist aber immer noch deutlich höher als in der Untersuchung von Chism (1986). Grundsätzlich fand in der Untersuchung von Chism (1986) aggressives Verhalten immer im Kontext irgendeiner Art von Kontakt statt – neben „non-nipple contact“ relativ häufig im Kontext der Entwöhnung. Aggressives Verhalten fand nicht häufiger statt, wenn die Mutter z.B. fressen wollte oder an sozialen Aktivitäten mit anderen Individuen teilnahm. Häufig fand aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen nach einer agonistischen Auseinandersetzung statt, was darauf hindeutet, dass es sich um eine umgeleitete („redirected“) Aggression handelte. Zusammenhang von aggressivem Verhalten und Mutter-Jungtier-Kontakt und der damit assoziierten Unabhängigkeitsentwicklung Im Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung konnte in der Untersuchung von Chism (1986) ein Zusammenhang von aggressivem Verhalten („maternal rejection“) und der Annäherung durch das Jungtier gefunden werden. Um herauszufinden, ob wirklich das aggressive Verhalten für ein verändertes Annäherungsverhalten verantwortlich ist, wurden noch weitere Verhaltensänderungen untersucht. Sollte das aggressive Verhalten dazu dienen, den Kontakt zw. Mutter und Jungtier zu verringern, sollte das Jungtier die Mutter direkt nach einem aggressiven Akt verlassen. Das Junge blieb aber bei der Mutter; häufiger verließ die Mutter das Jungtier. Dieses und weitere Ergebnisse führten Chism (1986) zu der Aussage (S. 67): „Thus, approaches themselves do not increase the likelihood of rejection, nor do rejections reduce the infant’s tendency to approach. The relationship between rejections and approaches remains unclear and the correlation may be fortuitous.” Weiter heißt es (S. 67): „Overall, maternal rejection seemed an ineffective way of preventing or terminating nursing or contact by infants, if that was its object.” Letztendlich kommt sie damit zum gleichen Ergebnis wie die vorliegende Untersuchung: Aggressives Verhalten durch die Mutter hat keinen Einfluss auf den Kontakt zwischen Mutter und Jungtier und damit keinen Einfluss auf die Unabhängigkeitsentwicklung des Jungen. Die Untersuchungen, die einen Einfluss des aggressiven Verhaltens auf den Kontakt zw. Mutter und Jungtier nachweisen, wurden alle nicht an Husarenaffen durchgeführt. Die ganz spezielle Lebensweise der Husarenaffen könnte eine Ursache dafür sein, dass agg196
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter ressives Verhalten zur Regulation des Kontaktes zwischen Mutter und Jungtier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Tiere gehören zu den sich am schnellsten entwickelnden Primatenarten. Es ist naheliegend, dass sie – damit verbunden – von sich aus schon recht früh unabhängig von der Mutter sind und eine Förderung dieses Verhaltens von Seiten der Mutter nicht nötig ist. Unterstützt wird diese ungewöhnlich frühe Eigenständigkeit der Jungen durch die Beobachtungen von Chism (1986). Bei zwei in Freiheit lebenden Gruppen starben in einem Jahr die Mütter von 6 der 25 (24%) Jungtieren, die im Alter von 7 bis 14 Monaten waren. Alle Jungtiere überlebten. Es scheint eine Strategie der Jungtiere zu sein, so früh wie möglich unabhängig zu werden. Die Mutter scheint dabei keine besondere Bedeutung zu haben. Damit stellt sich natürlich die Frage, welchen Zweck das aggressive Verhalten gegenüber dem Jungen hat; sowohl auf einer ultimaten als auch auf einer proximaten Ebene. Es ist naheliegend, dass ein für das Jungtier unangenehmes Verhalten dazu dienen soll, das Jungtier fernzuhalten. Dies konnte aber nicht nachgewiesen werden. Einen Ansatz zur Erklärung liefert Chism (1986). Das Verhalten hat keinen Effekt auf das Jungtier, weil damit – zumindest in Bezug auf das Jungtier – kein Zweck verfolgt wird. In vielen Fällen, in denen die Jungen aggressiv behandelt werden, soll es sich um „umgeleitete Aggression“ handeln, da das Verhalten kurz nach einer agonistischen Auseinandersetzung der Mutter mit einem anderen Individuum stattfindet. In der vorliegenden Untersuchung wurde diese Variable nicht explizit erfasst. Falls so ein Einfluss besteht, muss dieser bei den Husarenaffen im Rostocker Zoo aber weniger offensichtlich gewesen sein, da nichts darauf hinweist, dass aggressives Verhalten gegenüber dem Jungen nach einer agonistischen Interaktion der Mutter mit einem anderen Gruppenmitglied auftrat.
7.1.3 „Vererbung“ des Verhaltensstils der Mutter Interessant ist, dass Jungtiere, wenn sie selbst Mutter sind, im Umgang mit ihren Jungen einen Stil zeigen, der dem ihrer eigenen Mutter entspricht (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Berman 1990b). Prinzipiell kann ein bestimmter Stil von der Mutter an die Tochter auf genetischem Wege oder durch Lernen weitergegeben werden. Bestimmte Prädispositionen oder Charaktereigenschaften könnten genetisch bedingt sein, Lernen spielt bei der Ausprägung eines bestimmten Stils aber sicherlich eine größere Rolle. Aber auch hier sind zwei Mechanismen denkbar. Der Stil einer Mutter kann aus der eigenen, erfahrenen Behandlung durch die Mutter resultieren oder aber aus der 197
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Beobachtung der Mutter im Umgang mit jüngeren Geschwistern (vgl. z.B. Fairbanks 1996). Für den ersten Fall – die selbst erfahrene Behandlung als stärkster Einflussfaktor auf den eigenen Stil im Umgang mit den Jungtieren – spricht die Untersuchung von Fairbanks (1989) an Grünen Meerkatzen (Cercopithecus aethiops). Der Umfang an Kontakt, den eine Mutter mit ihrem Jungen in den ersten sechs Lebensmonaten hat, kann am besten durch den Umfang des Mutter-Jungtier-Kontaktes, den die Mutter als Jungtier selbst erfahren hat, vorhergesagt werden. Die eigene Erfahrung als Jungtier war ein besserer Prädiktor, als der Umgang der Mutter mit den Geschwistern. Bei diesem Lernprozess als Jungtier scheint Ängstlichkeit eine wichtige, vermittelnde Variable zu sein. Individuen, die als Jungtier mehr beschützt oder zurückgehalten wurden, sind in ihrer Jugend und als Erwachsene weniger experimentierfreudig und ängstlicher. Diese Grundhaltung sei dafür verantwortlich, dass auch sie ihre Jungen eher beschützen (vgl. Fairbanks 1989; Stevenson-Hinde 1983). Bei den von Berman (1990b) untersuchten Rhesusaffen (Macaca mulatta) gleicht die Rate an Zurückweisungen („rejection”) einer Mutter der, der eigenen Mutter. Entscheidend scheint hier aber nicht die eigene Erfahrung, die als Jungtier gemacht wurde, zu sein, sondern das Beobachten der Mutter bei deren Umgang mit den jüngeren Geschwistern später im Leben. Das heißt die Rate an „rejection“ gegenüber den eigenen Jungtieren entspricht weniger der selbst erfahrenen, sondern mehr der, der Mutter im Umgang mit jüngeren Geschwistern. Generell kann man sagen, dass das Verhalten der eigenen Mutter einen größeren Einfluss auf das eigene Verhalten gegenüber den Jungen hat als andere Faktoren, wie das Geschlecht des Jungen, der Erfahrung als Mutter oder andere in der Gruppe vorhandene Jungtiere (vgl. Berman 1990b).
7.1.4 Extremform eines Stils: Misshandlung und Vernachlässigung Als extreme Form eines bestimmten Verhaltensstils der Mutter kann die Misshandlung des Jungtieres verstanden werden. Studien über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren, in denen drei großen Populationen von Altweltaffen untersucht wurden, ergaben, dass 210% aller Jungtiere einem erhöhten Risiko von Misshandlungen ausgesetzt waren (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri & Carroll 1998c42; für Schweinsaffen, Ma-
42
1,5% „abuse“, 0,4% „neglect“
198
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter caca nemestrina vgl. Maestripieri et al. 1997b43; für Rußmangaben, Cercocebus atys vgl. Maestripieri et al. 1997a44). Caine & Reite (1983) schreiben, dass ca. ein Drittel der 242 von ihnen untersuchten Schweinsaffen (Macaca nemestrina) misshandelt wurden und diese Misshandlungen meist schwer waren und nicht selten zum Tod des Jungen führten. Im Gegensatz dazu berichten Schapiro & Mitchell (1983) von niedrigeren Misshandlungsraten bei Rhesusaffen (Macaca mulatta) und Indischen Hutaffen (Macaca radiata). Sechs der sechzig erwachsenen Indischen Hutaffen misshandelten ihre Jungen; außerdem waren die Misshandlungen hier nie sehr schwer. Unter dem Begriff Misshandlung werden verschiedene Verhaltensweisen zusammengefasst. Misshandelnde Mütter schlagen und beißen ihr Junges oder sie schleifen es über den Boden, sie werfen es oder stellen bzw. setzen sich auf es. Klettern Mütter auf einen Baum, halten sie das Junge nur am Schwanz oder an einem Bein fest oder sie lassen es gar fallen. Groomen sie ihr Junges, gehen sie z.T. so rau vor, dass das Jungtier Hilferufe von sich gibt. Die Mutter hält das Junge an Armen oder Beinen fest und zieht es auseinander oder sie zeigt eine generelle Tendenz, das Junge am ausgestreckten Arm zu tragen, was verhindert, dass sich das Junge am Bauch der Mutter festhalten kann (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Arling & Harlow 1967; Harlow & Seay 1966; Maestripieri 1998a; Maestripieri et al. 1999; McCormack et al. 2006; Troisi & D'Amato 1983; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri 1994a; Maestripieri et al. 1997b; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Troisi & D'Amato 1983; Troisi et al. 1982). Im Unterschied zu anderen aggressiven Verhaltensweisen, die z.B. im Zusammenhang mit der Entwöhnung gezeigt werden, behandeln misshandelnde Mütter ihre Jungtiere eher wie leblose Objekte (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri 1998a; Troisi & D'Amato 1983; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Troisi & D'Amato 1983). Keineswegs sind misshandelnde Mütter generell abweisend ihren Jungen gegenüber. Typischerweise wechseln bei misshandelnden Müttern kurze aber intensive Anfälle der Misshandlung mit längeren Phasen angemessenen Pflegeverhaltens (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri 1998a; Maestripieri et al. 1999; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Troisi et al. 1982; 1989; Troisi & D'Amato 1984; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri 1994a). In der Studie von Seay et al. (1964) war es so-
43
von ca 394 Jungtieren (eigentlich waren es mehr; Totgeburten etc.) wurden 11 „neglected“ und 37 „abu-
sed“, daraus folgt: 2,8% neglect und 9,4% „abuse“ 44
Studie über 27 Jahre, 1,3% „neglected“ und 5,8% „abused“
199
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter gar so, dass die am stärksten misshandelnde Mutter ihr Junges auch am meisten säugte und wiegte (vgl. dazu auch Troisi & D'Amato 1984; Troisi et al. 1982). Wie die verschiedenen Verhaltensstile einer Mutter, so ist auch die Misshandlung ein relativ stabiles Verhalten. Eine Mutter, die eines ihrer Jungen misshandelt, tut dies mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch bei ihren anderen Jungtieren (für Rußmangaben, Cercocebus atys vgl. Maestripieri et al. 1997a; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri & Carroll 1998c; Maestripieri et al. 1999; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri et al. 1997b).
7.1.4.1 Ursachen der Misshandlung bzw. Vernachlässigung 7.1.4.1.1 Zusammenhang mit einem bestimmten Verhaltensstil der Mutter Die Ursachen der Misshandlung sind vielfältig. Ein bestimmter Verhaltensstil und damit evtl. zusammenhängende Persönlichkeitsmerkmale begünstigen das Verhalten (für Überblick vgl. Maestripieri & Carroll 1998b; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri 1998a; Maestripieri et al. 1999; für Japanmakaken, Macaca fuscata vgl. Troisi & D'Amato 1984; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri & Carroll 1998a). Misshandelnde Mütter haben im Allgemeinen höhere Werte bei „rejection“ und „protectiveness“ (für Überblick vgl. Maestripieri & Carroll 1998b; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri 1998a; Maestripieri et al. 1999; McCormack et al. 2006; für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri & Carroll 1998a). Sie zeigen also kontrollierendes Verhalten gegenüber ihren Jungen („controlling“; vgl. z.B. Fairbanks 1996). Die Misshandlung stellt damit einen unangemessenen Versuch dar, das Verhalten des Jungen zu kontrollieren. Troisi & D'Amato (1984) kommen hingegen bei ihren Untersuchungen an Japanmakaken (Macaca fuscata) zu dem Ergebnis, dass misshandelnde Mütter zwar in hohem Maße beschützend sind (hohe Werte bei „protectiveness“), dass sie gleichzeitig aber sehr niedrige Werte bei „rejection“ haben. Um diese Ergebnisse zu erklären, entwickelten sie die „maternal anxiety hypothesis“ (vgl. Troisi et al. 1982; 1989; Troisi & D'Amato 1984; 1991; 1994). Eine emotionale Beeinträchtigung bzw. Störung im Umgang mit Angst soll die entscheidende Ursache für das Auftreten von Misshandlungen sein. Ein Individuum, das als Jungtier z.B. die unangenehme Erfahrung der Separation von einem wichtigen Bindungsobjekt gemacht hat, vergisst dies nie und entwickelt eine Angst, eine Separati200
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter onsangst, dass es irgendwann in der Zukunft erneut zu einer Trennung kommen wird. Diese Angst führt zu einem stark beschützenden Verhalten gegenüber dem Jungen, welches das Auftreten von Misshandlungen begünstigt. Letztendlich kann auch nach dieser Theorie Misshandlung als ein unangemessener Versuch, das Verhalten des Jungen zu kontrollieren, verstanden werden.
7.1.4.1.2 Sozialer Stress Des Weiteren haben auch andere soziale Faktoren einen Einfluss auf das Auftreten von Misshandlungen. Sozialer Stress scheint in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung zu sein (für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri 1994a; Maestripieri & Carroll 1998a). In der Untersuchung von Maestripieri (1994a) war es das immer wiederkehrende vermehrte Kidnappen des Jungen, mit dem die Mutter nicht umgehen konnte. Der dadurch verursachte Stress führte dazu, dass die Mutter ihr Junges misshandelte.
7.1.4.1.3 Das Vorhandensein von Misshandlungen innerhalb der Familie Einen großen Einfluss auf das Misshandlungsverhalten einer Mutter hat das Vorhandensein von Misshandlungen innerhalb der Familie. Viele Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Misshandlungen auf bestimmte Mutterlinien bzw. nahe verwandte Weibchen konzentriert sind (z.B. für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri et al. 1997b; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri & Carroll 1998c). Wie bei den verschiedenen Verhaltensstilen einer Mutter können die Ursachen hierfür genetisch determiniert sein, in der eigenen Erfahrung als Jungtier liegen oder auf ein Beobachten des Verhaltens der Mutter im Umgang mit Geschwistern zurückgehen. Mit Hilfe von Adoptionsstudien kann man klären, ob das Verhalten genetisch bedingt ist. Nach der Geburt werden Jungtiere misshandelnder und nicht-misshandelnder Mütter ausgetauscht. Sind diese Jungtiere dann erwachsen und selbst Mutter, wird ihr mütterliches Verhalten mit dem der biologischen und dem der Adoptivmutter verglichen. Da das Verhalten in Bezug auf Misshandlung eher dem der Adoptivmutter gleicht, ist eine genetische Veranlagung sehr unwahrscheinlich (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri 2005). Ganz unabhängig von genetischen Einflussfaktoren ist ein Verhalten aber auch nicht. Sicherlich wird kein misshandelnder Erziehungsstil an sich vererbt, aber 201
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter vielleicht doch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale oder Charaktereigenschaften, die das Auftreten eines bestimmten Verhaltens begünstigen oder auch nicht. Betrachtet man die Weitergabe eines bestimmten Erziehungsstils differenzierter, kommt man z.B. zu dem Ergebnis, dass in Bezug auf Zurückweisung und Grooming das Verhalten eines Weibchens eher dem der Adoptivmutter entspricht, das Kontaktsuche-Verhalten eher dem der biologischen Mutter (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri et al. 2007; siehe auch Maestripieri & Carroll 1998b). In Bezug auf die involvierten Lernprozesse ist zu klären, ob die eigene erfahrene Erziehung oder das Beobachten der Mutter im Umgang mit den Geschwistern entscheidender ist bzw. ob es noch andere vermittelnde Variablen gibt. Zumindest ein Weibchen aus der Studie von Maestripieri et al. (1999) lässt Rückschlüsse darauf zu, dass das Beobachten des Misshandlungsverhaltens der eigenen Mutter eine Rolle beim Auftreten des eigenen Misshandlungsverhaltens spielen kann. In dieser Studie hatten sowohl Mutter als auch Tochter Junge. Die Mutter hatte die Tochter als Jungtier misshandelt und misshandelte auch ihr aktuelles Junges. Die Tochter zeigte gegenüber ihrem Jungen adäquates mütterliches Verhalten. Im darauffolgenden Jahr bekam die Mutter vor der Tochter ein Junges, welches sie misshandelte. In diesem zweiten Jahr misshandelte dann auch die Tochter ihr Junges. In diesem Fall scheinen also nicht nur die eigenen Erfahrungen, sondern ebenso das Abschauen bei der Mutter eine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Verallgemeinerungen hierzu sind aber trotz allem schwierig, da bisher nur sehr wenige Arten untersucht wurden und sich z.B. Rußmangaben (Cercocebus atys) nicht diesem Schema entsprechend verhalten. Die Misshandlung von Jungtieren scheint hier kein Problem zu sein, dass in bestimmten Familienverbänden konzentriert auftritt (vgl. Maestripieri et al. 1997a; siehe auch Maestripieri & Caroll 2000, S. 248; Maestripieri et al. 1997b, S. 469).
7.1.4.1.4 Das Aufwachsen in Isolation Einen extremen Einfluss auf das Misshandlungsverhalten als Mutter hat das Aufwachsen in Isolation. Anfang der 60er Jahre wurden vermehrt diesbezügliche Studien an Rhesusaffen durchgeführt. Diese Versuche zeigten, dass Jungtiere, die ohne Mutter aufwuchsen, sehr oft nicht in der Lage waren, ihre eigenen Jungtiere angemessen zu behandeln. Vernachlässigung und Misshandlung waren häufig gezeigte Verhaltensweisen (vgl. Arling & 202
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter Harlow 1967; Bolhuis & Hogan 1999; Harlow & Harlow 1962; Harlow & Seay 1966; Ruppenthal et al. 1976; Seay et al. 1964; Suomi 1978). Die zunächst einfachste Erklärung ist, dass die Individuen, die isoliert aufwuchsen, keine adäquaten Mütter waren, weil sie selbst nie mütterliches Verhalten erfahren haben und ihnen somit auch keine Möglichkeit gegeben wurde, mütterliches Verhalten zu lernen (vgl. z.B. Seay et al. 1964). Aussagen, die aufgrund dieser Experimente getroffen werden, sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Das Aufwachsen in Isolation hat Folgen in Bezug auf sehr viele Bereiche des Sozialverhaltens. Es gelingt diesen Tieren nur bedingt, kommunikative Signale richtig anzuwenden und zu deuten (vgl. z.B. Mason 1963; Miller et al. 1967), das Kontaktverhalten, der richtige Umgang mit Nähe, Grooming und Spielverhalten sind gestört (vgl. z.B. Sackett 1965), Aggression und Vermeidungsverhalten werden nicht adäquat eingesetzt (vgl. Mitchell et al. 1966) und sie zeigen kein angemessenes Paarungsverhalten (vgl. Mason 1963; Mitchell et al. 1966; Sackett 1965; siehe auch Maestripieri & Carroll 1998b; Mitchell 1968a; Ruppenthal et al. 1976; Sackett 1967; Suomi et al. 1983). Es kann daraus also nicht geschlussfolgert werden, dass das fehlende Vorbild der Mutter die Ursache für eine unzureichende Behandlung der eigenen Jungen sei. Vielmehr hat das Aufwachsen in Isolation an sich weitreichende Folgen auf viele Verhaltensweisen.
7.1.4.2 Misshandlung vs. Vernachlässigung In Untersuchungen oft zusammen betrachtet, aber vor allem in Bezug auf die Ursachen klar abzugrenzen von Misshandlungen („abuse“), ist die Vernachlässigung („neglect“) des Jungtieres. Wie schon beschrieben, scheinen Misshandlungen auf bestimmte Mutterlinien konzentriert zu sein. Für die Vernachlässigung von Jungtieren ist das nicht der Fall. Ebenso werden häufig die Erstgeborenen vernachlässigt; den in den späteren Jahren geborenen Jungtieren wird dann ein adäquates mütterliches Verhalten zu Teil. Im Gegensatz dazu steigt die Wahrscheinlichkeit misshandelt zu werden für ein Jungtier an, wenn auch dessen Geschwister misshandelt wurden (für Schweinsaffen, Macaca nemestrina vgl. Maestripieri et al. 1997b; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Maestripieri & Carroll 1998c; für Rußmangaben, Cercocebus atys vgl. Maestripieri et al. 1997a; siehe auch Maestripieri & Caroll 2000; Ruppenthal et al. 1976). Vernachlässigung, nicht aber die Misshandlung, scheint ein Verhalten zu sein, das auf mangelnde Erfahrung im Umgang mit Jungtieren zurückzuführen ist. Dass es sich bei Misshandlung und Vernachlässigung um zwei unter203
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter schiedliche Phänomene handelt, wird auch dadurch nahegelegt, dass sie nicht zusammen auftreten (vgl. Maestripieri & Carroll 1998c; Maestripieri et al. 1997a; 1997b).
7.1.4.3 Auswirkungen auf das Jungtier Extreme Folgen der Misshandlung sind Selbstverstümmelung oder der Tod des Jungen (vgl. Seay et al. 1964, S. 347; Swartz & Rosenblum 1981, S. 431; Troisi & D'Amato 1984). Überleben die Jungen, verhalten sie sich anders als ihre nicht misshandelten Artgenossen (für Überblick vgl. Mitchell 1970 S. 243; für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. McCormack et al. 2006). Misshandelte Jungtiere zeigen eine höhere Rate an Hilferufen und eine geringere Rate an Kontaktabbrüchen (vgl. McCormack et al. 2006). Sogar schwer misshandelte Jungtiere neigen dazu, immer wieder physischen Kontakt zur Mutter zu suchen (vgl. Seay et al. 1964). Auch im Spielverhalten sind Unterschiede festzustellen. Die Jungen beginnen später zu spielen; sie spielen weniger häufig und zumindest in den ersten vier Monaten mehr allein (vgl. Arling & Harlow 1967; Maestripieri & Carroll 1998a; McCormack et al. 2006). Zum Teil können auch Defizite im Sexualverhalten und Hyperaggressivität beobachtet werden (vgl. Arling & Harlow 1967). Interessanterweise entspricht das Verhaltensprofil misshandelter Affen dem misshandelter Menschenkinder (vgl. z.B. McCormack et al. 2006). Bei den nichtmenschlichen Primaten gleicht sich das Verhalten der Jungtiere, die misshandelt wurden und der Jungtiere, denen eine angemessene Behandlung zu Teil wurde auf lange Sicht an; vor allem, wenn den Jungen die Möglichkeit gegeben wird, mit Gleichaltrigen zu interagieren. In der Untersuchung von Seay et al. (1964) konnte in Bezug auf „infant-infant interactions“ nach einigen Monaten kein Unterschied mehr festgestellt werden.
7.1.4.4 Misshandlung als adaptive Strategie oder Verhaltenspathologie Eine von biologischer Seite interessante Frage ist die, nach dem möglichen adaptiven Wert der Misshandlung oder Vernachlässigung eines Jungtieres. Es ist durchaus denkbar, dass eine Mutter durch die Misshandlung ihres Jungen, in Bezug auf ihren reproduktiven Wert, gewisse Vorteile hat. Kann die Mutter durch ihr Verhalten ihre Jungen z.B. früher entwöhnen und hat das Verhalten in Bezug auf das Überleben des Jungen keine 204
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter allzu rapiden Auswirkungen, kann das Weibchen im Laufe seines Lebens mehr Jungtiere großziehen und dadurch ihre Gesamtfitness mehr steigern, als ein Weibchen das das nicht tut. Selbst wenn die Mutter durch ihr Verhalten den sicheren Tod des Jungen herbeiführt, kann sich das unter bestimmten Umständen (z.B. eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit des Jungen) positiv auf die Fitnessbilanz auswirken. Auch wenn im Moment der Misshandlung oder Vernachlässigung die Fitness minimiert wird, kann der „future reproductive success“ insgesamt gesteigert werden (vgl. z.B. Maestripieri & Caroll 2000). Das Verhalten wäre dann in einem evolutionsbiologischen Sinn adaptiv, das heißt es sollte sich gegenüber einer nicht-misshandelnden Strategie im Laufe der Evolution durchsetzen. Die Frage ist nun, wie man eine adaptive Strategie von ihrem nicht-adaptiven Konterpart unterscheiden kann. Im einfachsten Fall vergleicht man die Anzahl der Jungtiere und Enkel misshandelnder und nicht-misshandelnder Individuen miteinander. Das ist aber nicht immer möglich und außerdem sehr langwierig. Einer anderen Herangehensweise liegen eher theoretische Überlegungen zugrunde. Wenn eine Misshandlung adaptiv sein soll, sollte sie insgesamt mit einem niedrigeren oder zumindest gleichen Aufwand verbunden sein, wie adäquates mütterliches Verhalten (vgl. z.B. Maestripieri 1998a). Untersuchungen weisen aber darauf hin, dass es nicht zu einer Reduktion mütterlicher Aktivitäten kommt, sondern das Gegenteil anzutreffen ist. Misshandelnde Mütter betreiben im Allgemeinen mehr Aufwand (vgl. z.B. Maestripieri 1998a; Maestripieri & Caroll 2000). Es ist also naheliegender, die Misshandlung von Jungtieren als Verhaltenspathologie und nicht als adaptive Strategie zu verstehen (vgl. Maestripieri 1998a; Maestripieri & Carroll 1998b). An dieser Stelle ist es noch einmal wichtig, zwischen Vernachlässigung und Misshandlung zu unterscheiden (vgl. Maestripieri & Carroll 1998c, S. 145). Die Vernachlässigung eines Jungtieres kann unter bestimmten Umständen der Fitnessmaximierung dienlich sein. Im Gegensatz zu misshandelndem Verhalten ist der Aufwand von Seiten der Mutter reduziert. Die Vernachlässigung eines Jungen wird häufig von sehr jungen, sehr alten oder kranken Müttern gezeigt. Bei diesen Individuen ist die Überlebenswahrscheinlichkeit des Jungen aufgrund geringer Erfahrung, reproduktiver Fehlfunktionen oder des erhöhten Risikos für Krankheit oder Tod, reduziert. Es kann also insgesamt für eine junge Mutter von Vorteil sein, ihr aktuelles Junges zu opfern, um zunächst in ihr eigenes Wachstum und die zukünftigen Jungen zu investieren. Ebenso kann es für eine sehr alte Mutter von Vorteil sein, ihre gesamten Ressourcen dazu zu verwenden, die bereits vorhandenen Jungen zu unterstützen (vgl. z.B. Maestripieri & Caroll 2000). 205
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
7.1.5 Bedeutung für den Menschen Untersuchungen zur Misshandlung bei nichtmenschlichen Primaten haben von Anfang an auch das Interesse von Wissenschaftlern aus dem Humanbereich geweckt (vgl. z.B. Reite & Caine 1983). Man erhoffte den Ursachen von Kindesmisshandlung näher zu kommen und dadurch auch präventiv wirksam werden zu können. Eine entscheidende Erkenntnis aus den Beobachtungen oder Versuchen an nichtmenschlichen Primaten ist, dass es keinen allumfassenden „mütterlichen Instinkt“ gibt. Viele Primatenarten zeigen bei ihrem ersten Jungen kein arttypisches mütterliches Verhalten; zumindest einige Mütter brauchen Erfahrung und müssen einen adäquaten Umgang mit den Jungtieren erst lernen (vgl. z.B. Suomi & Ripp 1983, S. 70). Untersuchungen an nichtmenschlichen Primaten können dabei helfen, Risikofaktoren, die das Auftreten von Misshandlung oder Vernachlässigung wahrscheinlicher machen, zu identifizieren. Auch beim Menschen können die Ursachen verschiedener Stile im Umgang mit dem Kind und damit auch die Misshandlung, als Extremform eines Stils, in bestimmten Dispositionen des Erwachsenen, den Eigenschaften des Kindes und bestimmten sozioökologischen Rahmenbedingungen gefunden werden (für Überblick vgl. Green 1980). In den meisten Fällen ist das misshandelnde Individuum, beim Menschen, die Mutter. Häufig wurde auch sie als Kind misshandelt. Selbsterfahrene Misshandlung in der Kindheit erhöht die Wahrscheinlichkeit auch seine eigenen Kinder zu misshandeln (vgl. z.B. Belsky 1978; Egeland et al. 1987; Green 1980; Kaufman & Zigler 1989; Parke & Collmer 1975). Ebenso sind misshandelnde Mütter häufig auf irgendeine Art und Weise isoliert. Sie sind z.B. unverheiratet oder bekommen wenig Unterstützung durch Verwandte. Sie sind sozial, psychisch oder ökonomisch verzweifelt bzw. unglücklich (vgl. z.B. Belsky 1978; Green 1980). Sozioökologische Faktoren, die das Auftreten von Kindesmisshandlung wahrscheinlicher machen, sind unter anderem zerrüttete Familienverhältnisse, der Verlust einer zentralen Bindungsperson, verminderte Ressourcen, schlechte Wohnverhältnisse oder viele Kinder (vgl. z.B. Erwin 1983). Insgesamt ist sowohl beim Menschen als auch bei den nichtmenschlichen Primaten Stress ein wesentlicher Risikofaktor für das Auftreten von Kindesmisshandlungen (für den Menschen vgl. z.B. Rogers 1983). Stress verwandelt eine unangenehme Situation in eine, in der man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren, was dann zu einer inadäquaten Reaktion, der Misshandlung, führen kann. 206
7 Individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen – Der Stil einer Mutter
7.2 Individuelle Unterschiede im mütterlichen Verhalten bei NichtPrimaten Außerhalb der Primaten gibt es nur sehr wenige Studien, die sich mit individuellen Unterschieden im Verhalten verschiedener Mütter gegenüber ihren Jungen auseinandersetzen. Das liegt zumindest ein Stück weit auch daran, dass dieses Verhalten bei Primaten ausgeprägter ist als bei anderen Tiergruppen. Beispielsweise schreiben Higley & Suomi (1986, S. 153): „Primate parental involvement goes beyond provision of basic biological requirements, and it is these ‘extra‘ provisions that the differences between primate and nonprimate species are especially evident.” Individuelle Unterschiede im mütterlichen Verhalten finden sich aber z.B. auch beim Rotnackenwallaby (vgl. Higginbottom 1991, zit. nach Higginbottom & Croft 1999) und beim Grauen Riesenkänguru (vgl. Stuard-Dick 1987, zit. nach Higginbottom & Croft 1999). In beiden Fällen liegen die Unterschiede vor allem im Ausmaß des mütterlichen Verhaltens (siehe auch Higginbottom & Croft 1999, S. 92). Beim Grauen Riesenkänguru ähnelt zudem das mütterliche Verhalten, das ein Weibchen gegenüber ihrem Jungen zeigt, dem ihrer eigenen Mutter (vgl. R. Stuart-Dick, persönl. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999, S. 92). Auch beeinflusst die Erfahrung als Mutter sicherlich auch bei den Nicht-Primaten das mütterliche Verhalten. Katzen, die schon Junge bekommen haben, sind während der Geburt etwas ruhiger und reagieren weniger auf äußere Einflüsse, als Katzenweibchen bei ihrer ersten Geburt (vgl. z.B. Schneirla et al. 1963). Auch bei Schafen und Ziegen unterscheiden sich die Weibchen in ihrem mütterlichen Verhalten. O'Brien (1984) beschreibt, wie eine Ziegenmutter nach der Niederkunft entweder bei ihren Jungen bleibt oder sie allein lässt, um mit der Herde auf Nahrungssuche zu gehen. Bei Meerschweinchen (Cavia aperea f. porcellus) betreffen die Unterschiede der Mütter im Umgang mit den Jungen z.B. das Grooming, den Körperkontakt, aggressives Verhalten gegenüber den Jungen und die Häufigkeit und Dauer, des Alleinlassens der Jungen (vgl. Albers et al. 1999). Diese Unterschiede sind konstant über verschiedene Würfe hinweg, können also als Stil bezeichnet werden.
207
208
8 Inhalte der Erziehung
8 Inhalte der Erziehung Neben der Frage wie erzogen wird, ist der zweite wesentliche Punkt des materialen Teils des Erziehungsbegriffs die Frage, wozu oder „wohin“ erzogen wird; das heißt, die Ziele oder Inhalte der Erziehung stehen im Mittelpunkt (siehe S. 17 ff.). Mittelbar – in einem evolutionsbiologischen Sinn – kann Erziehung nur dazu dienen, die Überlebensfähigkeit des Jungen zu erhöhen. Das Verhalten ist, wie andere Verhaltensweisen auch, als Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen zu verstehen. Die eigentlich spannendere Frage ist die, nach den unmittelbaren Inhalten oder Zielen der Erziehung. Wie in Kapitel 2 dargestellt, können Inhalte oder Ziele auf einer individuellen Ebene und einer gesellschaftlichen Ebene unterschieden werden. Auf der individuellen Ebene dient die Erziehung – zumindest die des Menschen – dazu, die Individualität des Kindes zu fördern (siehe S. 18). Natürlich gibt es auch bei anderen Tieren individuelle Unterschiede; es weist hier aber nichts darauf hin, dass die Eltern diese Individualität fördern oder beeinflussen würden. Aus diesem Grund wird dieser Aspekt nicht weiter behandelt. Zudem ist das Ziel, ein Kind zu Individualität zu erziehen, sehr wahrscheinlich eine recht junge Errungenschaft unserer westlichen Gesellschaft; es ist also nicht verwunderlich, dass dieser Aspekt bei den anderen Tieren eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dennoch fördern und beeinflussen Tiereltern bestimmte individuelle Fähigkeiten bei ihren Jungen – auch wenn hier nicht unbedingt von Individualität gesprochen werden sollte. Im Wesentlichen wurden diese Inhalte bei den Ausführungen zum Lehren beschrieben. Zusammenfassend kann man sagen, dass grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie z.B. bestimmte Techniken an Nahrung heran zu kommen (wie fängt man eine Maus) oder eine Förderung der lokomotorischen Fähigkeiten, eine zentrale Rolle spielen. Im Mittelpunkt stehen Fähigkeiten oder Fertigkeiten, die für das Leben nötig sind oder dieses erleichtern. Neben den Fähigkeiten auf einer individuellen Ebene wurde in Kapitel 2 erarbeitet, dass die maßgeblichen Inhalte oder Ziele der Erziehung auf einer gesellschaftlichen Ebene liegen. Erziehung dient dazu, Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten der älteren Generation an die jüngere weiterzugeben. Diese Inhalte können als die Kultur einer Gruppe bezeichnet werden. Kultur kann sowohl durch Lehren, als auch durch verschiedene Formen des sozialen Lernens weitergegeben werden (siehe S. 217). Von Erziehung kann man aber erst dann
209
8 Inhalte der Erziehung sprechen, wenn die kulturellen Inhalte durch Lehren übermittelt werden, da Erziehung immer ein aktives Verhalten von Seiten des Erwachsenen erfordert. Ein interessanter Inhalt, der sich auch auf die Rolle des Individuums in der Gesellschaft bezieht, aber nicht unbedingt als Kultur bezeichnet werden kann, betrifft verschiedene Geschlechterrollen. Vieles weist darauf hin, dass nicht nur der Mensch, sondern auch andere Tiere, männliche und weibliche Kinder bzw. Jungtiere unterschiedlich behandeln und sie damit auf ihre spezifische Rolle im späteren Leben vorbereiten (siehe S. 270 ff.).
8.1 Die Kultur Lange Zeit gingen Anthropologen davon aus, dass nur der Mensch Kultur hätte, dass gelernte Traditionen45 nur bei ihm und sonst bei keinem anderen Tier vorkommen würden (vgl. z.B. White 1959). Dieser Ansicht liegt ein bestimmtes Verständnis von Kultur zugrunde. Kultur sei das, was den Menschen vom Tier unterscheide. Sie sei die „vom Menschen handelnd veränderte Natur“, das „vom Menschen in die Welt hineingebaute Nest“ (Gehlen 1961, S. 21, u. S. 47 f.), die vom Menschen „ins Lebensdienliche umgestaltete Natur“ (Gehlen 1950, S. 39). Der Mensch „sei Schöpfer und Geschöpf“ von Kultur (Landmann 1961). „Je mehr die Fähigkeiten des Menschen durch die Kultur bearbeitet werden, desto mehr entfernt er sich von der Sinnesart der Thiere. Sie ist das Mittel, dem Menschen aus seinem ersten rohen Zustande herauszuhelfen, und erhebt ihn immer mehr über die Thiere“ (von Irwing 1779, S. 124). Kultur beinhaltet demnach, bis zu einem gewissen Grade, auch immer die menschliche Vollkommenheit oder Perfektion, die das Ziel der Erziehung ist. Nur dem Menschen könne eine Erziehung zu Teil werden, durch die er der Kultur der eigenen Nation immer näher gebracht wird (vgl. z.B. Kroeber & Kluckhohn 1952, S. 35). In diesem Sinne schreibt auch Loch (1968, S. 166): „[All] diese vom Menschen für den Menschen überlieferten oder geschaffenen Gebilde stellen in ihrer Gesamtheit die Kultur dar als das umfassende Medium, in dem der Mensch sein Leben verwirklicht und das von jedem zur Welt gekommenen Lebewesen menschlicher Anlage – unter Mithilfe der Erziehung – in einem Mindestmaß gelernt werden muß, wenn es Mensch werden soll.“ Wenn – wie in diesen Fällen – Kultur als menschliche Kultur definiert wird, ist sie natürlich auch nur beim Menschen anzutreffen (vgl. z.B. Kuczaj & Highfill 2005). 45
Einige Autoren unterscheiden Tradition und Kultur. In dieser Arbeit werden die beiden Begriffe syno-
nym verwendet.
210
8 Inhalte der Erziehung Japanische Wissenschaftler sprachen hingegen schon ab den 50er Jahren von Kultur, ohne ihre Ausführungen dabei allein auf den Menschen zu beschränken (vgl. Imanishi 1952). Mögliche Ursache hierfür sind unterschiedliche Denktraditionen und damit verbundene Forschungsansätze. Japanische Wissenschaftler fragten vor allem danach, wie kleine Gruppen funktionieren. Die Studien begannen mit parallelen Untersuchungen verschiedener Japanmakakengruppen. Schon früh fand man dabei Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen einer Population und zog Parallelen zur Kultur des Menschen (vgl. z.B. Kawamura 1959). Eine westlich geprägte Sichtweise stellt eher das Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtungen und untersucht wie dieses (oder vielmehr seine Fitness) von anderen Individuen beeinflusst wird (vgl. z.B. Rowell 1999, S. 9). Es ist klar, dass mit diesem Ansatz weniger kulturelle Phänomene beschrieben werden können. Wenn es nun im Folgenden um Kultur bei Tieren gehen soll, ist es sinnvoll noch mehr darauf einzugehen, was diesen Begriff eigentlich ausmacht.
8.2 Was ist Kultur? (Kultur des Menschen) Versucht man sich zu vergegenwärtigen, was Kultur eigentlich ist, stößt man auf einige Probleme – weil der Kulturbegriff „allgegenwärtig und grenzenlos kombinierbar erscheint. Es gibt beinahe nichts, was nicht auch unter dem Aspekt der Kultur betrachtet werden kann. Wir kennen politische Kultur ebenso wie die Kultur des Weinbaus, des Wohnens, Tisch- und Esskultur, eine Kultur des Zuhörens, von Hoch- und Massenkultur, von vielen anderen denkbaren ‚Kulturen‘ ganz zu schweigen“ (Lüddemann 2010, S. 7). Kultur beschreibt eine Tätigkeit genauso wie ein Resultat: Die Tätigkeit als Kultivierung sowohl des Ackerbodens als auch des einzelnen Menschen und seiner Anlagen; das Resultat als ein Bestand an Werten, Konventionen und Gütern (Lüddemann 2010, S. 7). In jüngster Zeit, im Zuge einer immer stärker zunehmenden Vielfalt an Lebensentwürfen und Lebensstilen, verliert Kultur außerdem zunehmend ihre Gemeinsamkeit stiftende Bedeutung. Sie stellt vielmehr ein „Set an Optionen“, einen „Themenpark“ dar, der immer neue Varianten eines „auf Konsum ausgerichteten Lifestyles“ bedient (Lüddemann 2010, S. 8). Die Entstehung des Begriffs ist nicht weniger interessant als seine Vielfalt heutiger Bedeutungen. Der Begriff der Kultur („culture“) wurde im englischen Sprachraum durch den Ethnologen Tylor (1871, S. 43) eingeführt. Es dauerte allerdings über 50 Jahre, bis der Begriff in ein britisches oder amerikanisches Wörterbuch aufgenommen wurde (vgl. 211
8 Inhalte der Erziehung Kroeber & Kluckhohn 1952). Im englischen Sprachraum gebräuchlicher und mit einer ähnlichen Bedeutung belegt, wie Kultur, war der Begriff der Zivilisation („civilization“). Ausgebreitet hat sich der Begriff der „Kultur“ aber aus dem deutschen Sprachraum (vgl. Kroeber & Kluckhohn 1952, S. 12). Auch wenn das Wort in noch keinem Wörterbuch erscheint, wird es im 18.Jh. von zahlreichen klassischen Autoren benutzt. Kant (z.B. 1990a, S. 610 f.; 1990b, S. 516 f. u. 682) nutzt es, wie seine Zeitgenossen, vor allem im Sinne der Kultivierung des Menschen (siehe auch Kroeber & Kluckhohn 1952). Zu der Betonung auf Verbesserung, Vollkommenheit, höheren Werten und Erleuchtung kam in den 50er Jahren des 20. Jh. eine weitere Bedeutung hinzu. Als Kultur werden nun auch Eigenschaften oder Produkte menschlicher Gesellschaften (und damit der Menschheit) bezeichnet, die außerhalb des Körpers existieren und nicht durch biologische Vererbung, sondern durch andere Mechanismen übertragen werden (vgl. Kroeber & Kluckhohn 1952, S. 283 f.). Wie schon erwähnt, haben sich diese beiden Bedeutungsschwerpunkte bis heute erhalten. Kroeber & Kluckhohn (1952) beschäftigen sich in ihrem 1952 erschienen Buch sehr intensiv mit dem Kulturbegriff. Allein die Anzahl von 164 Definitionen verdeutlicht, in welcher Vielfalt und wie komplex dieser Begriff gebraucht wurde. Seitdem sind 60 Jahre vergangen und der Kulturbegriff hat sich eher erweitert als konkretisiert. Viele Sozialwissenschaftler und Anthropologen gaben es daraufhin – nach sorgfältiger Selbstanalyse und Gewissenskämpfen – auf, sich mit dem Kulturbegriff auseinanderzusetzen (vgl. z.B. Alvard 2003; Kuper 2003). Ironischerweise und vielleicht auch von einer völligen Ahnungslosigkeit der Probleme profitierend, begannen Biologen und Verhaltenswissenschaftler, mit einer beispiellosen Aufmerksamkeit, Kultur bei anderen Tieren – vor allem den nichtmenschlichen Primaten – zu untersuchen (vgl. z.B. de Waal 2005; Heyes & Galef 1996; Shettleworth 2001). Im Mittelpunkt standen und stehen evolutionsbiologische Fragestellungen. Kultur bei Tieren sei weniger von Werten, Einstellungen und Glaubensrichtungen abhängig und somit auch die Untersuchung der Kultur bei Tieren weniger von diesen ideologischen Ansichten geprägt, die bei vielen sozialwissenschaftlichen Debatten den zentralen Punkt der Auseinandersetzungen bilden (vgl. z.B. Boesch & Tomasello 1998, S. 591). Man hatte die Hoffnung, durch eine Ergründung der evolutionären Wurzeln menschlicher Kultur, besser verstehen zu können, was Kultur an sich ausmacht.
212
8 Inhalte der Erziehung
8.3 Kultur der anderen Tiere Es mutet seltsam an, Kultur beim Menschen und anderen Tieren zu vergleichen; haben wir, als Menschen, doch in Bezug auf unsere Kultur, wie schon erwähnt, ein ganz eigenes, differenziertes Verständnis. Einige Ideen einer Definition von Kultur, die nicht nur für den Menschen, sondern für alle Tiere gelten sollen bzw. Kriterien, die erfüllt sein müssen, um ein Verhalten als Kultur bezeichnen zu können, sind in Tab. 5 wiedergegeben. Tabelle 5: Einige Definitionen von Kultur bzw. Auflistungen von Kriterien um Kultur zu erkennen (aus Rendell & Whitehead 2001; verändert, ergänzt) Aoki 1991, S. 439
„Cultural transmission […] is the transfer of information between individuals by imitative or social learning.”
Boesch et al. 1994, S. 326 u. S. „[A] behaviour is considered cultural only if differ335
ences in its distribution between populations are independent of any environmental or genetic factors.”
Boesch & Tomasello 1998, S. „For current purposes we may posit that the natural592 f.
ly occuring behaviors of a primate group may be assumed to be cultural (i.e., due primarily to social learning) when (1) two groups of the same species differ in a behavior (with a countable number in each group conforming), (2) there are no obvious differences in the environments of the two groups, making an explanation in terms of individual learning (environmental shaping) unlikely, and (3) there are no genetic differences between individuals that acquire the behavior and those that do not.”
Bonner 1980, S. 9
„[Culture] as the transfer of information by behavioural means, most particularly by the process of teaching and learning.”
Boyd & Richerson 1985, S. 33
„Culture is information capable of affecting individuals’ phenotypes, which they acquire from other conspecifics by teaching or imitation.” 213
8 Inhalte der Erziehung Boyd & Richerson 1996, S. 79
„Here we define cultural variation as differences among individuals that exist because they have acquired different behaviour as a result of some form of social learning.”
Feldman & Laland 1996, S. 3
„[Culture] is treated as shared ideational phenomena (ideas, beliefs, values, knowledge) that are learned and socially transmitted between individuals.”
Fragaszy & Perry 2003, S. 3
„We define traditions as enduring behavior patterns shared among members of a group that depend to a measurable degree on social contributions to individual learning, resulting in shared practices among members of a group.”
Galef 1992, S. 161
„[Animal] culture be defined as animal tradition that rests either on tuition of one animal by another or on imitation by one animal of acts performed by another.”
Galef 1996, S. 91
„Thus, calling a behavior traditional implies (or, at least, may lead a listener to infer) that the user of the term believes that social learning of some sort played a role in acquisition of the ‘traditional’ behavior.”
Kummer 1971, S. 13
„Cultures are behavioural variants induced by social modification, creating individuals who will in turn modify the behaviour of others.”
Laland & Hoppitt 2003, S. 151
„Cultures are those group-typical behavior patterns shared by members of a community that rely on socially learned and transmitted information.”
Lumsden & Wilson 1981, S. 3
„We define culture in the broad sense, to include the sum total of mental constructs and behaviors, including the construction and employment of artifacts, transmitted from one generation to the next by social learning.”
Matsuzawa 1999, S. 645
„Culture may be defined as a set of behaviors that are shared by members of a community and are transmitted from one generation to the next through nongenetic channels.” 214
8 Inhalte der Erziehung Matsuzawa et al. 2001, S. 557
„Hence, the key points we wish to advocate are that culture
is
(1)
community
based,
(2)
cross-
generational, and (3) reliant on postnatal learning.” McGrew 1992, S. 77; McGrew & Conditions of criteria for recognizing cultural acts in Tutin 1978, S. 245 u. 247
other species: (1) Innovation New pattern is invented or modified (2) Dissemination Pattern acquired by another from innovator (3) Standardization Form of pattern is consistent and stylized (4) Durability Pattern performed outwith presence of demonstrator (5) Diffusion Pattern spreads from one group to another (6) Tradition Pattern persists from innovator's generation to next one (7) Non-subsistence Pattern transcends subsistence (8) Naturalness (natural adaptiveness) Pattern shown in absence of direct human influence
Mundinger 1980, S. 190
„[Culture] is a set of populations46 that are replicated generation after generation by learning […].”
Nishida 1987, S. 462
„Cultural behaviour is thus defined here as behaviour that is (a) transmitted socially rather than genetically, (b) shared by many members within a group, (c) persistent over generations, and (d) not simply the result of adaptation to different local conditions.”
Parker & Russon 1996, S. 432 f.
„Cultures are representations of knowledge socially transmitted within and between generations in groups and populations within a species that may aid them in adapting to local conditions (ecological, de-
gemeint ist (S. 191): “a population of ideas (neural codes), and an associated population of motor patterns (behavioral models)” 46
215
8 Inhalte der Erziehung mographic, or social). [We] follow the lead of earlier investigators in focusing on the mechanisms of social transmission of information, particularly on imitation and teaching.” Russell & Russell 1989, S. 746
„The culture of a society may be defined as behaviour common to a substantial proportion of its members, socially transmitted within and between generations.”
Schöning et al. 2008, S. 48 f.
„[Culture is] here operationally defined as a behavioral trait repeatedly transmitted through social learning among conspecifics (as opposed to environmental determined, individual trial-and-error learning or genetic transmission).”
Slater 1986, S. 94
„Cultural transmission is the phenomenon whereby features of behaviour pass by learning from one individual to another.”
8.3.1 Definition der Kultur bei Tieren und das Erkennen über Kriterien Am Beispiel der Definition von Nishida (1987) sollen einige Probleme, die mit dem Begriff der Kultur zusammenhängen, noch etwas genauer diskutiert werden. Er schreibt (S. 462): „Cultural behaviour is thus defined here as behaviour that is (a) transmitted socially rather than genetically, (b) shared by many members within a group, (c) persistent over generations, and (d) not simply the result of adaptation to different local conditions.” Der Kern dieser und vieler anderer Definitionen von Kultur ist, dass Kultur ein Verhalten ist, das sozial gelernt wird. Im Extremfall werden die Formen des sozialen Lernens noch präzisiert und es heißt Kultur könne nur durch Lehren und/oder Imitieren entstehen (vgl. Boyd & Richerson 1985; Mead 1970; Premack 1991; Tomasello 1990). Tiere seien aber nicht bzw. in nur sehr begrenztem Maße zu diesen Varianten der Informationsweitergabe fähig (siehe auch Kapitel 5) und hätten deshalb auch keine Kultur (vgl. Galef 216
8 Inhalte der Erziehung 1988b; 1992, S. 157 u. 160; 1996; Heyes 1993; Tomasello 1990; Tomasello 1996c; Tomasello et al. 1993a). Die Frage des Lehrens und Imitierens bei Tieren wurde ausführlich in Kapitel 5 dargestellt. Das Ergebnis war, dass Tiere vielleicht nicht in dem Maße wie der Mensch Lehren und Imitieren, dass sie – vor allem die Menschenaffen – aber durchaus dazu in der Lage sind. Es ist voreilig Tieren diese Fähigkeit – und damit auch Kultur – abzuschreiben. Bleibt noch zu klären, ob Kultur wirklich nur durch Imitieren und Lehren entstehen kann. Viele Autoren sehen keinen Grund, ein Verhalten nicht als Kultur zu bezeichnen, auch wenn es durch einfachere oder andere Lernmechanismen hervorgerufen wird (vgl. Bonner 1983, S. 176; Hall & Goswell 1964, S. 69; Rendell & Whitehead 2001, S. 317). Rendell & Whitehead 2001 (S. 319) verdeutlichen ihren Standpunkt, indem sie die Verwendung des Begriffs Kultur mit dem des Laufens vergleichen. Sagt man, Kultur könne nur durch Imitieren und Lehren entstehen, sei das, als würde man Fortbewegung, als Laufen auf zwei Beinen definieren. Das ist die menschliche Art zu laufen, aber andere Tiere erzielen denselben Effekt (sich von A nach B zu bewegen) mit einer großen Vielfalt an Fortbewegungsprozessen – einige davon sind effektiver oder schneller, andere weniger. Es ist eindeutig falsch zu sagen, Tiere würden sich nicht fortbewegen, nur weil sie nicht auf zwei Beinen laufen; ebenso falsch ist es, ein Verhalten, dass von vielen Mitgliedern einer Gruppe gezeigt wird, über Generationen besteht, nicht einfach eine direkte Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen ist und sozial gelernt wurde, nicht als Kultur zu bezeichnen, nur weil es nicht durch Lehren und Imitieren weitergegeben wurde. Auch Boesch (1996a, S. 258) sagt, es sei willkürlich, einen bestimmten Prozess der Informationsübertragung beliebig herauszugreifen, der alleinig dafür verantwortlich sein soll, Kultur zu produzieren. Demgegenüber steht die Aussage, dass eine Bezeichnung als Kultur, trotz unterschiedlicher zugrunde liegender Mechanismen, Homologie suggeriere, wo vielmehr Analogie zu finden sei (vgl. Galef 1992, S. 157 u. S. 172; Tomasello et al. 1993a, S. 508) und dadurch möglicherweise falsche Schlüsse – z.B. zur Evolution der Kultur des Menschen – gezogen werden könnten. Sicher haben Traditionen oder Kultur bei Walen einen andern evolutiven Ursprung als die Kultur des Menschen. Sie unterscheidet sich aber ebenso von der Kultur der Schimpansen. Würde man Galef und Tomasello konsequent folgen, müsste man für jedes Taxa einen neuen Begriff für sozial gelernte Verhaltensweisen, die von Generation zu Generation weitergegebene werden, finden; außer man könnte einen gemeinsamen evolutiven Ursprung des Verhaltens genau nachweisen – was man in den wenigsten Fällen kann. Eine solche Vorgehensweise wäre nicht nur unpraktisch, son217
8 Inhalte der Erziehung dern auch unsinnig. Ebenso werden andere Analogien gleich betitelt (wie Flügel bei Vögeln oder Schmetterlingen, Schnäbel bei Enten und Schnabeltieren, aggressives Verhalten bei Hamstern und Fischen); warum also sollte man bei dem Begriff der Kultur eine Ausnahme machen? Außerdem ist es durchaus wahrscheinlich, dass es sich beim Verhalten von Mensch und Schimpanse um Homologien handelt. Es ist nicht einleuchtend, warum man gerade hier unterschiedliche Prozesse annehmen sollte. Die Sicherheit in der Argumentation der „Kulturgegner“ ist ebenso ein wenig verwunderlich, da es keinesfalls sicher ist, dass Lehren und Imitieren beim Menschen wirklich die wichtigsten und einzigen Mechanismen kultureller Übertragung sind. Auch beim Menschen werden neue Verhaltensweisen durch „social facilitation“, „stimulus enhancement“ oder „emulation“ erlernt (vgl. Boesch 1995) und sowohl die menschliche als auch die nichtmenschliche Kultur basieren wohl auf mehr, als nur einem Übertragungsmechanismus (vgl. z.B. Boesch 1993; Hewlett & Cavalli-Sforza 1986; McGrew 1992 und auch Kapitel 5.4.6) Lehren und Imitieren mögen für die menschliche Kultur von größere Bedeutung sein als für die tierische, aber man sollte das Verhalten so beurteilen, dass Menschen und Tiere nach den gleichen Standards bewertet werden (vgl. auch Laland & Hoppitt 2003). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle sozialen Lernprozesse an der Entstehung von Kultur beteiligt sein können. Da man soziales Lernen (in all seinen Varianten) an sich nicht direkt beobachten kann47, bedient man sich Hilfskriterien, die beobachtbar bzw. messbar sind und bei deren Vorhandensein man davon ausgehen kann, dass das Verhalten sozial gelernt wurde – man also von Kultur sprechen kann (siehe auch Tab. 5). Als Beispiel schreiben Boesch & Tomasello (1998, S. 592 f.): „For current purposes we may posit that the naturally occurring behaviors of a primate group may be assumed to be cultural (i.e., due primarily to social learning) when (1) two groups of the same species differ in a behavior (with a countable number in each group conforming), (2) there are no obvious differences in the environments of the two groups, making an explanation in terms of individual learning (environmental shaping) unlikely,
47
In zwei Fällen kann man direkt schlussfolgern, dass ein Verhalten sozial gelernt wurde: wenn (a) eine
nicht oder schlecht passende Lösung beibehalten wird (z.B. „ant dipping“ bei Schimpansen; siehe S. 251) oder (b) wenn eine willkürliche Lösung angewandt wird (z.B. „leaf clipping“ bei Schimpansen; siehe S. 258).
218
8 Inhalte der Erziehung and (3) there are no genetic differences between individuals that acquire the behavior and those that do not.” Im Folgenden werden einzelne Kriterien dieser Auflistung noch genauer erklärt, da sie in ähnlicher Form auch von anderen Autoren genannt werden und immer wieder auf unterschiedlichste Weise kritisiert und diskutiert werden. (1) „naturally occuring behaviors“ Was bei Boesch und Tomasello der Ausgangspunkt der Betrachtung ist, wird bei McGrew und Tutin (vgl. McGrew 1992; McGrew & Tutin 1978) als eigenständiges Kriterium („naturalness” bzw. „natural adaptiveness”) behandelt (siehe S. 215). Ein bestimmtes Verhalten soll sich ohne Einfluss des Menschen entwickelt haben, um es als Kultur bezeichnen zu können. Nun besteht hier das Problem, dass allein ein Beobachter an sich schon einen Einfluss auf das Tier haben kann. Man wird einen solchen Einfluss nie ausschließen können. Sicherlich gibt es Fälle, bei denen dieser Einfluss offensichtlich ist und der Mensch das Auftreten und auch die Ausbreitung eines Verhaltens beeinflusst hat (wie z.B. beim Kartoffelwaschen der Japanmakaken; siehe S. 235). Diese Fälle sollte man sicherlich genau prüfen; bei den meisten anderen ist aber davon auszugehen, dass dieser Einfluss vernachlässigbar ist. (2) „two groups of the same species differ in a behavior” Kultur ist immer etwas, dass eine bestimmte Gruppe und nicht ein einzelnes Individuum auszeichnet. Dass sich zwei Gruppen in einem bestimmten Verhalten unterscheiden, ist eine Voraussetzung dafür, Kultur zu erkennen. (3) „with a countable number in each group conforming” Dieser Punkt ist mit dem Kriterium „Dissemination“ von McGrew und Tutin (vgl. McGrew 1992; McGrew & Tutin 1978) vergleichbar (siehe S. 215). Nachdem ein bestimmtes Verhalten in eine Gruppe eingeführt wurde, breitet es sich zunächst innerhalb einer Generation – also in einem zeitlichen Horizont – aus. Das Verhalten wird schließlich von einer bestimmten Anzahl an Gruppenmitgliedern gezeigt. Bei der Frage, ob es sich bei dieser bestimmten Anzahl um alle Individuen oder nur eine bestimmte Teilgruppe handelt, gehen die Meinungen auseinander. Oft wird es so interpretiert, dass alle Mitglieder einer Gruppe das Verhalten zeigen müssen, damit es als Kultur bezeichnet werden kann (vgl. z.B. Tomasello et al. 1993a). Tomasello (1996c, S. 311) sieht „univer219
8 Inhalte der Erziehung sality” als wesentliches Kriterium menschlicher Kultur an. Man könne beobachten, „that some behavior patterns are exhibited by virtually everyone in the society” (S. 311). Jedes Kind, das sie nicht verinnerlicht hat, würde nicht als normales Mitglied der Gruppe angesehen. Beispiele seien Sprache, bestimmte religiöse Rituale, wie auch banale Verhaltensweisen, die mit der Ernährung oder Kleidung assoziiert seien. Bei den kulturellen Verhaltensweisen der Tiere würde es kein Verhalten geben, das von allen Gruppenmitgliedern gezeigt wird (vgl. Tomasello et al. 1993a, S. 507). Zu kritisieren ist hier, dass kulturelle Phänomene in jeder menschlichen Gesellschaft, je nach Alter, Geschlecht oder Status in sehr unterschiedlichen Varianten oder Ausprägungen vorkommen können und auch beim Menschen keineswegs immer von allen Mitgliedern einer Gruppe gezeigt werden. Sprache variiert in verschiedenen Dialekten und auch religiöse Rituale sind in den verschiedensten Ausprägungen zu finden. (4) „there are no obvious differences in the environments of the two groups” Der primäre Sinn dieses Kriteriums ist es, individuelles Lernen auszuschließen bzw. unwahrscheinlicher zu machen. Gibt es z.B. bei einem Vergleich zweier Schimpansengruppen nur im Gebiet der einen, eine bestimmte Art von Nüssen und nur diese eine Gruppe knackt Nüsse, kann das Nüsseknacken nicht eindeutig als Kultur bezeichnet werden, da das Knacken bzw. das Fehlen des Knackens durch das Vorhandensein bzw. Fehlen von Nüssen bedingt sein kann. Individuelles Lernen kann dann nicht ausgeschlossen werden. Sind jedoch in beiden Gebieten die gleichen Nüsse und natürlich auch die entsprechenden Utensilien zum Knacken vorhanden und dennoch knackt nur eine der beiden Gruppen Nüsse, ist das Nüsseknacken sehr wahrscheinlich auf soziales Lernen zurückzuführen. Würde individuelles Lernen der Mechanismus sein, würden sehr wahrscheinlich beide Gruppen Nüsse knacken. Das Verhalten kann dann als Kultur bezeichnet werden. Es sei noch einmal betont, dass es im Prinzip darum geht, dass Verhaltensunterschiede zweier Gruppen nicht durch Unterschiede der jeweiligen Umwelten bedingt sein dürfen; also nicht individuell, sondern sozial gelernt werden. Das Kriterium, das sich die beiden Umwelten nicht unterschieden dürfen, ist ein vereinfachtes Hilfskriterium. Insofern die Unterschiede in der Umwelt keinen Einfluss auf ein bestimmtes Verhalten haben, könnte es sich auch bei unterschiedlichen Umwelten, bei einem bestimmten Verhalten, um Kultur handeln – insofern es sozial gelernt wird. Vor allem bei Verhaltensweisen, die die Ernährung betreffen ist es – im Gegensatz zu z.B. kommunikativen Verhaltensweisen – schwieriger, auch die subtilen ökologischen oder 220
8 Inhalte der Erziehung umweltbedingten Faktoren auszuschließen (vgl. z.B. Galef 1992; Laland & Hoppitt 2003; und „ant dipping” bei Schimpansen S. 251 f.). In diesem Sinne ist auch McGrew (1992) zu verstehen, der davon ausgeht, dass ein kulturelles Verhalten nicht der Existenz dienen darf („non-subsistence“, siehe S. 215; vgl. auch McGrew & Tutin 1978), da die Gefahr besteht, dass das Verhalten durch eine Verteilung der Ressourcen bedingt ist und individuell gelernt wurde. Boesch (1996b) schreibt zum Ausschluss nahrungsrelevanter Verhaltensweisen (S. 405): „difficult for a French person to understand!” (5) „there are no genetic differences between individuals that acquire the behavior and those that do not” Vereinfacht ausgedrückt kann ein Verhalten prinzipiell drei Ursachen haben. Es kann genetisch bedingt sein, individuell oder sozial gelernt werden. Bei einem Verhalten, das als Kultur bezeichnet wird, soll es sich um sozial gelerntes Verhalten handeln. Man kann auf zwei Wegen zu diesem Schluss kommen. Entweder man weist soziales Lernen nach oder man schließt individuelles Lernen und eine genetische Verursachung aus. Wie man individuelles Verhalten ausschließen kann, wurde eben dargestellt. Eine genetische Verursachung des Verhaltens versucht man dadurch auszuschließen, indem man prüft, ob sich die Individuen, die ein potentiell als kulturell zu bezeichnendes Verhalten zeigen, genetisch von Individuen unterscheiden, die das nicht tun. Auch dieses Kriterium hat, da es sich ebenso um ein Ausschlusskriterium handelt, seine Schwächen. Zum einen gibt es zwischen verschiedenen Individuen, insofern es sich nicht um Klone handelt, immer genetische Unterschiede. Ab welcher Größenordnung diese Unterschiede relevant sein sollen, wird nicht erwähnt. Zum anderen soll doch eigentlich nachgewiesen werden, dass das Verhalten nicht genetisch bedingt ist. Wenn sich zwei Individuen genetisch unterscheiden, heißt das noch lange nicht, dass potentielle Verhaltensunterschiede auf genau diese genetischen Unterschiede zurückzuführen sind. Außerdem ist es in den meisten Fällen, bei denen es sich um potentiell kulturelles Verhalten handelt extrem unwahrscheinlich, dass eine bestimmte Verhaltenssequenz, so wie sie gezeigt wird, genetisch bedingt ist. Es ist kaum vorstellbar, dass z.B. das Entfernen der Rinde von Stöcken, die zum Termitenfischen benutzt werden, so wie das die AssirikSchimpansen tun, im Gegensatz zu den Gombe-Schimpansen, die zum gleichen Zweck einen Stock mit Rinde benutzen, genetisch bedingt sein soll (siehe S. 249).
221
8 Inhalte der Erziehung (6) „standardization“ oder „uniformity“ Ein weiteres Kriterium, dass in der Auflistung von Boesch und Tomasello nicht explizit erwähnt wird, aber dennoch wichtig erscheint, ist das der „standardization“ (vgl. McGrew 1992; McGrew & Tutin 1978) oder „uniformity“ (vgl. Tomasello 1996c). Das Verhalten muss demnach einem gewissen Standard entsprechen, das heißt von den Gruppenmitgliedern in einer einheitlichen Art und Weise gezeigt werden (vgl. McGrew 1992; McGrew & Tutin 1978). Tomasello (1996c) schreibt, dass „uniformity“ – oder eine umfassende Übereinstimmung der Sitten oder Konventionen – eine wichtige Eigenschaft menschlicher Kultur sei, die bei Tieren nicht in diesem Maße zu finden sei. Hier muss kritisiert werden, dass der Maßstab bzgl. der Einheitlichkeit immer eine subjektive Festlegung ist. Wann ein Verhalten als Standard oder uniform bezeichnet wird, ist willkürlich. Boesch (1996a) bringt in diesem Zusammenhang den Begriff der „social norm“ ins Spiel (vgl. auch Heyes 1993). Soziale Normen oder Konventionen sorgen dafür, dass Informationen während und nach der Übertragung stabil bleiben. Boesch (1996a, S. 258) spricht auch von einem „permanence-guaranteeing mechanism”. Prinzipiell hindern soziale Normen ein Individuum daran, durch individuelles Lernen, alle möglichen Varianten, die in einem bestimmten ökologischen oder sozialen Kontext möglich sind, auszuprobieren (vgl. Boesch 1996a, S. 264 f.). Eine soziale Norm bezeichnet eine bestimmte Anzahl von Varianten eines Verhaltens, die in einer Gruppe vorhanden sind und aus denen das Individuum auswählen kann. Es herrscht ein gewisser Zwang, ein Verhalten auf eine ganz bestimmte Art und Weise auszuführen (vgl. Boesch & Tomasello 1998, S. 595).48 Ob oder in welchem Maße Tieren Kultur zugesprochen wird, ist letztlich davon abhängig, wie Kultur definiert wird. Laland & Hoppitt (2003) kommen aufgrund ihrer Definition zu dem Schluss, dass Kultur bei einer Handvoll Vogelarten, ein bis zwei Walarten und zwei Arten von Fischen49 zu finden sei. McGrew (1992) schreibt, dass Schimpansen kei48
Ein sehr elegantes Experiment zum Nachweis sozialer Normen bei Schimpansen führten Whiten et al.
(2005) durch. Sie trainierten zwei hochrangige Weibchen zweier verschiedener Gruppen eine jeweils andere Methode um mit einem Werkzeug ein begehrtes Stück Futter aus einem Futterapparat herauszuholen. Im Anschluss daran bekamen die Gruppenmitglieder Gelegenheit, das Weibchen zu beobachten. Die meisten Schimpansen benutzten die Methode, die in ihrer Gruppe eingesetzt wurde. Auch Schimpansen, die eigenständig beide Methoden erlernt hatten, zeigten später eine Vorliebe für die gruppeneigene. Dieses Experiment belegt klar, dass es bestimmte soziale Zwänge gibt, die ein Individuum dazu bringen, das typische Verhalten der eigenen Gruppe zu zeigen. 49
Um von Kultur sprechen zu können, muss man nachweisen, dass sich zwei Gruppen von Tieren in ihrem
Verhalten unterscheiden und dass dieses unterschiedliche Verhalten auf soziale Lernmechanismen zu-
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8 Inhalte der Erziehung ne einzige Verhaltensweise zeigen, die all seine Kriterien erfüllt und somit als Kultur bezeichnet werden kann. Lumsden & Wilson (1981, S. 4) schreiben, dass ca. 10.000 Arten, inklusive einiger Bakterien, irgendeine Form nicht-genetischer Vererbung zeigen, die man als Kultur bezeichnen könne (vgl. auch Laland & Hoppitt 2003). De Waal (2005) schreibt dazu (S. 202): „Die Frage, ob Tiere eine Kultur haben, ist etwa so, als frage man, ob Hühner fliegen können. Verglichen mit einem Albatros oder einem Falken können sie es vielleicht nicht, aber Hühner haben Flügel, sie schlagen mit ihnen, und sie gelangen damit auf Bäume.“ Für das Konzept von Kultur, das dieser Arbeit zugrunde liegen soll, scheint am sinnvollsten, einen Mittelweg zwischen den verschiedenen Extremen zu wählen. Die Kriterien, die Boesch & Tomasello (1998, S. 592 f.) auflisten, sind passend, da sie eng genug sind, damit Kultur nicht beliebig wird und weit genug, um das Verhalten auch bei einer gewissen Anzahl an Tiergruppen zu finden, um z.B. Vergleiche anstellen zu können. Sie wurden aber aufgrund der Schwächen, die in der Diskussion aufgedeckt wurden, abgewandelt, so dass ein Verhalten als kulturell bedingt bezeichnet werden kann, wenn: (1) sich zwei Gruppen einer Art in einem bestimmten Verhalten unterscheiden, (2) die Unterschiede im Verhalten nicht auf Unterschiede der beiden Umwelten zurückgeführt werden können und (3) wenn die Unterschiede im Verhalten nicht genetisch bedingt sind.
8.4 Kultur bei verschiedenen Säugetiergruppen In der Primatenforschung hat der Begriff der Kultur mittlerweile Einzug gehalten. Populationen unterscheiden sich im Werkzeuggebrauch, dem Jagdverhalten oder anderen rückzuführen ist (und nicht genetisch determiniert oder durch Umweltunterschiede bedingt). An Fischen konnte man diesen Sachverhalt, experimentell, sehr gut nachweisen. Zwei Gruppen von Fischen unterschieden sich in ihrem Jagdverhalten. Im ersten Experiment wurden einige Individuen aus Gruppe A in die Gruppe B eingeführt und andersherum. Das Ergebnis war, das die eingeführten Individuen das Jagdverhalten der angestammten Gruppe übernahmen. Es kann also ausgeschlossen werden, dass das Verhalten nicht genetisch determiniert ist; Lernmechanismen müssen dafür verantwortlich sein. In einem zweiten Experiment wurde die gesamte Gruppe A in das Gebiet der Gruppe B überführt und die gesamte Gruppe B in das Gebiet der Gruppe A. Die beiden Gruppen behielten ihr ursprüngliches Verhalten bei; Das heißt, das Verhalten ist nicht auf unterschiedliche Umweltbedingungen zurückzuführen, sondern wurde sozial gelernt. Es handelt sich also um Kultur.
223
8 Inhalte der Erziehung Traditionen, die nicht auf ökologische Bedingungen zurückgeführt werden können und ebenso nicht genetisch bedingt sind. In Bezug auf andere Säugetiere steckt diese Art der Forschung noch in den Kinderschuhen. Die folgende Übersicht gibt die Datenlage zur Kultur bei verschiedenen Tiergruppen wieder.
8.4.1 Rodentia, Nagetiere Gandolfi & Parisi (1973) untersuchten Wanderrattenpopulationen (Rattus norvegicus), am Po, in Italien. Einige der Populationen hatten sich darauf spezialisiert, Muscheln (Unio pictorum) zu knacken. Interessant war, dass nur einige der Populationen die Muscheln als Beutetiere nutzten, obwohl sie auch in anderen Gebieten, gemeinsam mit den Ratten, vorkamen. Zusätzlich öffneten die verschiedenen Populationen, die Muscheln öffneten, diese auf unterschiedliche Art und Weise. Häufig wird beim Öffnen der Muschel nur eine der Klappen bzw. Schalenhälften gebrochen. Ob das die rechte oder linke ist, unterschied sich zwischen den Populationen. Ebenso wurden die Muscheln in einigen Populationen von Sandbänken genommen, andere bevorzugten Muscheln direkt aus dem Wasser. Auch wenn – wie experimentelle Studien zeigten – Ratten prinzipiell in der Lage sind, das Muschelknacken individuell zu lernen, gehen Gandolfi & Parisi (1973) davon aus, dass sie sich das Verhalten durch Beobachtungslernen aneignen, da es nur in einigen Populationen anzutreffen ist und sich jede Population durch eine eigene, spezifische Technik auszeichnet. Auch, dass das Verhalten, wenn es denn in einer Population anzutreffen ist, in dieser weit verbreitet ist – von sehr vielen Mitgliedern gezeigt wird – spricht dafür, dass soziale Lernprozesse involviert sind. Es ist unwahrscheinlich, dass die Individuen das Öffnen der Muscheln unabhängig voneinander erlernt haben. Es handelt sich beim Muschelknacken also um kulturelles Verhalten, da es nur bei einigen Populationen anzutreffen ist, es keine offensichtlichen Unterschiede in der Umwelt der verschiedenen Gruppen gibt, die für die Verhaltensunterschiede verantwortlich sein könnten und die Verhaltensunterschiede vermutlich nicht auf genetische Ursachen zurückgeführt werden können, da experimentelle Studien zeigten, dass prinzipiell alle Individuen in der Lage sind, das Muschelknacken zu erlernen. Interessant ist auch das Verhalten einer Rattenpopulation (Rattus rattus) in Israel. Die in den Pinienplantagen lebenden Tiere haben sich zu „ökologischen Eichhörnchen“ entwickelt (vgl. McGrew 1998, S. 309). Sie sind baumbewohnend und auf die Piniensamen als Futter angewiesen. Diese Veränderung ereignete sich zu schnell, um durch eine gene224
8 Inhalte der Erziehung tische Adaption entstanden sein zu können. Ebenso ist das Verhalten nur bei dieser Population anzutreffen und es kann nicht allein auf Umweltbedingungen zurückgeführt werden, da auch in anderen Gebieten, in denen Ratten vorkommen, Pinien wachsen. Es kann demnach als Kultur bezeichnet werden (siehe auch S. 74).
8.4.2 Carnivora, Raubtiere 8.4.2.1 Canidae, Hundeartige Viele populationsspezifische Verhaltensweisen der Hundeartigen, die in der Literatur beschrieben werden und möglicherweise das Ergebnis einer kulturellen Übertragung sein könnten, erweisen sich bei genauerer Recherche als auf ökologische Bedingungen zurückzuführende Verhaltensweisen. Nel (1999, S. 270) bezieht sich beispielsweise auf Dreyer & Nel (1990) wenn er schreibt, dass verschiedene Populationen von Schabrackenschakalen (Canis mesomelas) unterschiedliche Techniken entwickelt hätten, Kormorane zu fangen. Dreyer & Nel (1990) verweisen aber eindeutig darauf, dass das Vorhandensein der Beutetiere das Nahrungsverhalten der Schakale beeinflusst. Ein Verhalten, bei dem es sich aber sehr wahrscheinlich um ein kulturell übermitteltes Verhalten handelt, ist ein bestimmtes Jagdverhalten der Wildhunde (Lycaon pictus). Die am weitesten verbreiteten Beutetiere sind Antilopen (vgl. Nel 1999, S. 270); zwei von zehn beobachteten Rudel hatten sich auf andere Beutetiere, Zebras, spezialisiert. Zumindest bei einem Rudel kann mit relativer Sicherheit gesagt werden, dass die jüngere Generation diese Tradition von der älteren übernommen hat (vgl. Malcolm 2003). Im Laufe von zehn Jahren wuchsen in dem Rudel von Wildhunden mindestens drei Generationen auf, die das Verhalten zeigten. Es handelt sich beim Jagen von Zebras um ein kulturelles Verhalten, da es nur von einigen Gruppen gezeigt wird und sowohl eine genetische als auch eine ökologische Verursachung der Unterschiede zwischen den Gruppen unwahrscheinlich ist. In ähnlicher Art und Weise sollen das Wissen um Wasserstellen, Beutekonzentrationen oder Territoriumsgrenzen, als Tradition, von Generation zu Generation weitergegeben werden (vgl. Malcolm 2003).
225
8 Inhalte der Erziehung
8.4.2.2 Mustelidae, Marderartige Bei Seeottern (Enhydra lutris) kann ein gruppentypischer Gebrauch von Werkzeug nachgewiesen werden (vgl. Hall & Schaller 1964). Die Populationen im Kalifornien benutzen einen Hammer aus Stein, um damit Muscheln zu knacken, die sie, auf ihrem Rücken schwimmend, auf ihrem Bauch platzieren. Ihre Artgenossen in Alaska zeigen dieses Verhalten nicht. Es handelt sich demnach um ein kulturelles Verhalten, da es nur von einigen Populationen gezeigt wird und nicht durch die Umwelt oder genetische Faktoren beeinflusst ist. Auch hier spricht nichts für individuelles Lernen (zu den beteiligten Lernmechanismen siehe auch das S. 80 f.).
8.4.2.3 Felidae, Katzenartige Im Kalahari Gemsbock Nationalpark in Botswana werden Löwen (Panthera leo) häufig durch Spießböcke (Oryx gazella) getötet, die die Löwen mit ihren scharfen Hörnern aufspießen (vgl. Kitchener 1999, S. 247). In einem Teil des Gebietes haben die Löwen eine spezielle Jagdtechnik entwickelt, um das Risiko von Verletzungen und Tod zu minimieren. Sie beißen in den unteren Rücken der Spießböcke und brechen dabei das Iliosakralgelenk (vgl. Eloff 1973). Diese ganz spezielle Methode, Beute zu töten, kann als lokale Tradition bezeichnet werden, da es keine Hinweise auf eine genetische Verursachung des Verhaltens oder individuelles Lernen aufgrund bestimmter Umweltbedingungen gibt (vgl. auch Kitchener 1999, S. 247).
8.4.3 Cetacea, Wale Neben den Primaten sind die Wale die Tiergruppe mit der meisten Hinweisen auf Kultur (vgl. Rendell & Whitehead 2001). Sie sind vor allem auch von Bedeutung, da sie zu den landlebenden Tieren einen interessanten Kontrast bilden, da sich ihre Habitate, die Umwelten in denen sie leben, radikal unterscheiden. Sie stellen sicher Fälle einer unabhängigen Evolution sozialer Lernprozesse und kultureller Übertragung dar. Trotz der Schwierigkeiten die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen, ist die Anzahl beschriebener kultureller Phänomene groß. Von den ca. 80 Taxa sind 4 besonders gut untersucht: die großen Tümmler (Tursiops spp.), die Orkas (Orcinus orca), die Pottwale (Physeter macrocephalus) und die Buckelwale (Megaptera novaengliae). 226
8 Inhalte der Erziehung Männliche Buckelwale produzieren zur Paarungszeit, in den Winterquartieren, Gesänge. Alle Männchen einer Population produzieren einen nahezu identischen Gesang, wobei sich dieser Gesang mit der Zeit, vor allem während der Paarungszeit, strukturell verändert. Über die Sommermonate, in denen die Tiere nicht singen, bleibt er relativ stabil (vgl. Payne & Payne 1985). Je nach Gebiet dominieren bestimmte Gesänge. Individuen verändern ihren Gesang so, wie ihn die Gruppe ändert. Es handelt sich also sehr wahrscheinlich um Kultur, da jede Gruppe einen eigenen Gesang hat, den sich die Individuen durch soziales Lernen aneignen. Die Unterschiede im Gesang können weder auf Unterschiede in den Umweltbedingungen, noch auf genetische Unterschiede der Individuen verschiedener Gruppen zurückgeführt werden. Payne & Payne (1985) sprechen in diesem Kontext von „culture“. Auch bezüglich der Fresstechniken gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen. Im südlichen Golf von Maine haben die Tiere eine neue, komplexe Technik, das sogenannte „lobtail feeding“, entwickelt (vgl. Weinrich et al. 1992). Diese Technik ist eine Abwandlung des „bubble-cluod feeding“, eine relativ weit verbreitete Strategie der Buckelwale, bei der Fischschwärme mit Hilfe eines Netzes aus Wasserblasen, die bei einem Tauchgang abgegeben werden und dann nach oben steigen, gefangen werden. Die Modifikation beim „lobtail feeding“ besteht nun darin, dass vor dem Abtauchen die Schwanzflosse heftig auf die Wasseroberfläche geschlagen wird (siehe auch S. 93 f.). Die Großen Tümmler von Shark Bay in Australien tragen Schwämme auf ihrem Rostrum (vgl. Krützen et al. 2005; Mann & Sargeant 2003; Smolker et al. 1997). Dieses sogenannte „sponging“ ist eine bestimmte Jagdtechnik. Mit Hilfe der Schwämme wird im Substrat nach Fischen gesucht. Interessant ist, dass das Verhalten nicht von allen Individuen der Gruppe gezeigt wird. Das Verhalten wird nur von einigen Weibchen und deren Töchtern gezeigt. Untersuchungen zeigten, dass diese Weibchen einer Mutterlinie zugeordnet werden können. Da Individuen, die Schwämme benutzen und die, die dies nicht tun, gemeinsam in einem Habitat leben und jagen, kann eine ökologische Verursachung ausgeschlossen werden. Da das Verhalten auf eine bestimmte Mutterlinie beschränkt ist, muss genau untersucht werden, ob das Verhalten nicht auf genetische Ursachen zurückgeführt werden kann. Krützen et al. (2005) kommen aufgrund ihrer Studien zu dem Schluss, dass eine genetische Verursachung extrem unwahrscheinlich ist. Sie schreiben (S. 8943): „The only other possible transmission mechanism of sponging is cultural transmission within a matriline, and bottlenose dolphins are certainly capable of such transmission.”
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8 Inhalte der Erziehung Die meisten vorgeschlagenen Definitionen von Kultur schließen diesen Fall nicht mit ein, da nicht die Gruppe, sondern nur die Mitglieder einer ganz bestimmten Mutterline innerhalb der Gruppe das Verhalten zeigen. Krützen et al. (2005) schlagen deshalb vor, die Definition zu erweitern und auch solche Verhaltensweisen die von einigen aber nicht allen Individuen einer Population gezeigt werden, als Tradition zu bezeichnen (vgl. auch Mann & Sargeant 2003). Eine beeindruckende, gruppenspezifische Jagdtechnik haben die großen Tümmler von Laguna, an der Küste Brasiliens, entwickelt. Sie jagen gemeinsam mit den einheimischen Fischern. Das Verhalten wurde schon 1847 beschrieben und seit dem über viele Generationen von Delfinen weitergegeben. Pryor & Lindbergh (1990) schreiben, dass 25-30 Delfine und Fischer einem strikten Protokoll folgen, das weder Training noch Anweisungen von Seiten der Fischer erfordert und den Delfinen und Menschen erlaubt, ihre Aktionen zu koordinieren. Die Delfine zeigen den Fischern durch eine bestimmte Tauchbewegung („rolling dive“) das Vorkommen von Fischen an. Die Fischer werfen daraufhin ihre Netze aus und die Delfine treiben die Fische in die Netze. Je nachdem, wie viel von einem Delfin, bei einem Tauchgang noch aus dem Wasser schaut, desto mehr oder weniger Fisch ist vorhanden. Die Delfine fressen den Fisch, der benommen ist oder dem Netz entkommt (vgl. Pryor & Lindbergh 1990).50 Andere in dem Gebiet vorkommende Delfine nehmen nicht an dieser Jagd teil und versuchen sie z.T. sogar zu stören. Nur Tiere, deren Mütter dieses Verhalten zeigen, werden später selbst zu kooperativen Fischern; wobei nicht der gesamte Nachwuchs einer Mutter das Verhalten übernimmt (Pryor & Lindbergh 1990). Auch aus anderen Gebieten gibt es vergleichbare Berichte des gemeinsamen Fischens. Rendell & Whitehead (2001) schreiben, dass die beeindruckende Diversität spezieller Jagdtechniken der großen Tümmler innerhalb und zwischen verschiedenen Gebieten nur mit der der Schimpansen vergleichbar sei (für Überblick und andere gruppenspezifische Jagdtechniken vgl. Mann & Sargeant 2003; Rendell & Whitehead 2001). Orkas sind weltweit verbreitet. Aufgrund ihres Verhaltens, der Jagdstrategien und des Körperbaus können verschiedene Ökotypen unterschieden werden, die auch reproduktiv isoliert sind (im Nordost-Pazifik unterscheidet man „transient“ „resident“ und „offshore“; in der Antarktis werden die vier Ökotypen A, B, C und D unterschieden). Neuere Studien sprechen dafür, dass eine Reihe separater Arten und Unterarten unterschieden werden können (vgl. Morin et al. 2010). Da eine genauere Bestimmung noch aussteht, wird im Folgenden weiter von Ökotypen gesprochen. Orkagruppen bestehen aus Mut50
siehe auch: http://www.youtube.com/watch?v=0GOb3nFpewM&feature=related
228
8 Inhalte der Erziehung tertieren und Jungtieren mehrerer Generationen. Die erwachsenen Männchen sind in der Regel verwandte Tiere. Die Paarungspartner werden außerhalb des matrilinealen Verbandes gesucht. Der Zusammenhalt der einzelnen Gruppen über sehr lange Zeiträume und die wechselnde Verbreitung der Beutetiere führte zu vielfältigen Spezialisierungen z.B. in Bezug auf die Gesänge oder Jagdstrategien. Beispielsweise hat bei den „residents“ der Küste British Columbias jede Gruppe („pod“) zwischen sieben und siebzehn diskreten Rufen (vgl. Ford 1991). Diese Dialekte bleiben auch erhalten, wenn es zu umfassenden Assoziationen zwischen den Gruppen kommt. Einige Gruppen teilen bis zu zehn Rufe und können nach den gemeinsamen Rufen in „clans“ eingeteilt werden (vgl. Ford 1991). Diese akustischen „clans“ reflektieren eine gemeinsame mütterliche Abstammung und die Anzahl der gemeinsamen Rufe pro „pod“ spiegelt deren Verwandtschaft wider (vgl. Ford 1991). Einige sympatrisch vorkommende „pods“ („residents“) der Küste British Columbias haben sich auf das Jagen verschiedener Lachsarten (Oncorhynchus spp.) spezialisiert. Es wird vermutet, dass eine Anhäufung des Wissens zur Verbreitung des Lachses aus einer traditionellen Nutzung verschiedener Gebiete durch die verschiedenen „pods“ resultierte (vgl. Nichol & Shackleton 1996). Es könnte sich hierbei um ein kulturell übermitteltes Verhalten handeln, die ökologischen Faktoren sind aber genau zu untersuchen. Auch die „transients“, die in diesem Gebiet (südlich von Vancouver Island) beobachtet werden können, unterscheiden sich in ihrem Jagdverhalten. Einige „pods“ waren nur während der „pupping period“ der Seehunde (Phoca vitulina) zu sehen und spezialisiert auf das Jagen junger Seehunde; andere Gruppen waren das ganze Jahr über auf See zu sehen, zeigten aber kein Interesse an den Aufzuchtgebieten der Seehunde (vgl. Baird & Dill 1995). Neben diesen sind noch zahlreiche weitere gruppenspezifische Jagdstrategien zu finden (für einen Überblick vgl. auch Rendell & Whitehead 2001; Riesch et al. 2012). Pottwale zeigen ein unverwechselbares, stereotypes Muster von drei bis über 40 Klicklauten, die „codas“ genannt werden und vermutlich der Kommunikation dienen (vgl. z.B. Watkins & Schevill 1977). Verschiedene, miteinander interagierende Gruppen, haben verschiedene, unterscheidbare Dialekte (vgl. z.B. Marcoux et al. 2007; Rendell & Whitehead 2003). Bei diesen Dialekten handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um kulturell übermitteltes Verhalten (für einen Überblick zur Kultur bei Walen vgl. auch Rendell & Whitehead 2001; Whitehead 2003).
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8 Inhalte der Erziehung
8.4.4 Artiodactyla, Paarhufer Das Verhalten von Huftiere ist im Vergleich zu z.B. Carnivoren eher unauffällig und weniger spektakulär – man denke an die oft beeindruckenden Jagdtechniken der Raubtiere. Damit zusammenhängend werden auch weniger Verhaltensweisen dokumentiert, die als Tradition oder Kultur bezeichnet werden könnten. Schaut man aber genauer hin, entdeckt man auch in weniger auffälligen Verhaltensweisen Hinweise auf Traditionen und Kultur. Ein Beispiel sind die Wanderruten und Territorien des Dickhornschafes (Ovis canadensis; vgl. Geist 1971). Die Weibchen übernehmen das Territorium der Gruppe, in der sie aufgewachsen sind. Die Schafe folgen vorhersagbaren, traditionellen Wegen, die sie auf ein bestimmtes Gebiet beschränken. Solange das Führungssystem funktioniert, haben sie keine Möglichkeit aus diesen Grenzen auszubrechen. Schafe, als Weidetiere, nutzen ganz bestimmte Stellen, die stabil mit Gras oder alpiner Vegetation bewachsen sind. Das führt zu einer Selektion gegen das Abwandern von Jungtieren, was wiederum gesellige Jungtiere (Herdentieren) hervorbringt, die nah bei ihren Eltern bleiben und ihnen folgen. So wird das Reviergebiet, als Tradition, von Generation zu Generation weitergegeben (vgl. Geist 1971).51 Ähnlich werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch Nahrungsgewohnheiten weitergegeben. Edwards (1976) beschreibt, wie junge Elche (Alces alces andersoni) lernen, welche Nahrung gefressen werden kann, indem sie der Mutter folgen (siehe auch S. 91 f.). Es können so Traditionen entstehen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
8.4.5 Proboscidea, Elefanten Ein klassisches, oft zitiertes Beispiel, wie bei Elefanten Tradition und Kultur entstehen können, geben Douglas-Hamilton & Douglas-Hamilton (1976). Sie beschreiben das Verhalten der Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) im Addo-Nationalpark in Südafrika. Es heißt (S. 235): „Die Farmer, die Zitrusfrüchte in der Nähe des Parks pflanzten, 51
Weibchen folgen älteren, Lamm leitenden Weibchen, wohingegen Widder dem am wenigsten behornten
Widder ihrer Gruppe folgen. Wenn die Widder älter und unabhängig werden, folgen ihnen die jüngeren Widder. Die älteren Widder geben ihre Gewohnheiten dadurch passiv an die jüngeren weiter. Das Muster der Reviergrenze eines Widders scheint festgelegt zu sein, wenn er ein Alter von viereinhalb Jahren erreicht hat. Das Ergebnis ist, dass die Schafe ihr Ausbreitungsgebiet, als Tradition, aufrechterhalten und nur selten davon abweichen (vgl. Geist 1971).
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8 Inhalte der Erziehung hatten 1919 darum gebeten, zum Schutz ihrer Plantagen die nur etwa hundertfünfzig in der Nähe lebenden Elefanten auszurotten. Der bekannte Elefantenjäger Pretorius erhielt den Auftrag, dies zu tun. Anders als die von Ian Parker eingesetzten Schützen, die mit ihren halbautomatischen Schnellfeuergewehren ganze Familienverbände auf einmal erlegten, schoß Pretorius die Elefanten einzeln. Jedesmal überlebten einige Tiere und wurden Zeugen, wenn ein Familienmitglied tot zusammenbrach oder im Todeskampf lag. […] Nach einem Jahr waren hier nur noch sechzehn bis dreißig Elefanten am Leben. Allem Anschein nach konnte man jetzt die Farmer mit einem Schlag endgültig von der Elefantenplage befreien. Aber die übriggebliebenen Tiere waren inzwischen so vorsichtig geworden, daß sie nie vor Einbruch der Dunkelheit aus dem dichten Busch herauskamen. […] Pretorius gab sich schließlich geschlagen, und 1930 räumte man den Elefanten von Addo in dem von dichtem Buschwald bestandenen Hügelland ein etwa 8000 Morgen großes Gebiet als Reservat ein. Diese Herde hat ihr Verhalten seither kaum verändert, obwohl das Revier heute eingezäunt ist und nicht mehr auf sie geschossen wird. Auch jetzt sind sie fast nur nachts unterwegs und verhalten sich gegenüber dem Menschen äußerst aggressiv. Sie gelten als die gefährlichsten Elefanten Afrikas. Von denen, auf die 1919 geschossen wurde, kann kaum noch einer am Leben sein. Aber sie scheinen ihr defensives Verhalten an die Nachkommen weitergegeben zu haben, die heute erwachsen sind, ja sogar an die Kälber der dritten und vierten Generation, die nie selbst vom Menschen angegriffen worden sind“ (vgl. auch Bonner 1983, S. 182). Dieses Verhalten kann als kulturell bezeichnet werden, da es nur von dieser Gruppe gezeigt wird und sehr wahrscheinlich auf soziale Lernprozesse zurückzuführen ist.
8.4.6 Primates, Affen Die meisten Beispiele für soziales Lernen gruppenspezifischer Verhaltensweisen findet man bei den Primaten. Es ist zu erwarten, dass bei diesen Taxa Phänomene, die als Kultur bezeichnet werden können, zu finden sind (für eine Übersicht zu Traditionen bei „monkeys“ siehe auch Perry & Manson 2003).
8.4.6.1 Platyrrhini, Neuweltaffen Unter den Affen der Neuen Welt sind die Kapuzineraffen (Cebus spp.) einzigartig, was ihre Lernfähigkeit oder den Gebrauch von Werkzeug angeht (für Überblick vgl. z.B. Beck 1980, S. 45 ff.; McGrew & Marchant 1997; Ottoni & Izar 2008; Panger et al. 2002). Be231
8 Inhalte der Erziehung eindruckende Beispiele ihrer Fähigkeiten stammen aus Beobachtungen in Gefangenschaft und hier ist der Gehaubte Kapuzineraffe (Cebus apella) Spitzenreiter. Diese Art benutzt Stöcke als Sonde, Harke, Leiter oder Hebel (vgl. Beck 1980; Westergaard & Suomi 1994a; 1995; Westergaard & Fragaszy 1987), harte Bambussplitter oder Steinsplitter zum Schneiden (vgl. Westergaard & Suomi 1994b; Westergaard & Suomi 1995), Steine als Hammer (vgl. Anderson 1990; Westergaard & Suomi 1993b), Papier als Schwamm (vgl. Westergaard & Suomi 1993a; Westergaard & Fragaszy 1987) oder Futterbissen als Köder (vgl. Boulenger 1936, S. 181). Sie beschlagen sogar die von ihnen genutzten Steinwerkzeuge mit anderen Steinen (vgl. Westergaard & Suomi 1994b). Der Gebrauch von Werkzeug hat ein hohes kulturelles Potential. Es ist sehr wahrscheinlich, dass soziales Lernen auftritt und die Techniken von Generation zu Generation weitergegeben werden. In neueren experimentellen Studien konnte nachgewiesen werden, dass bestimmte Methoden der Nahrungsgewinnung an die Artgenossen übermittelt werden (vgl. Crast et al. 2010; Dindo et al. 2008; 2009). Crast et al. (2010) sprechen in diesem Zusammenhang von induzierten Traditionen bei Kapuzineraffen. Seltsamerweise stehen Beobachtungen aus freier Wildbahn in keinem Verhältnis zu diesen Beschreibungen des Verhaltens aus der Gefangenschaft. McGrew (1998) schreibt (S. 311): „However, none of these activities has yet been seen to be even habitual, much less customary in nature.” Mit zunehmender Untersuchung werden zwar auch in freier Wildbahn immer mehr dieser Fähigkeiten gefunden; sie sind aber deutlich seltener, als man erwarten würde. So benutzt beispielsweise eine Kapuzineraffengruppe in Brasilien, Steine als Hammer und Amboss, um damit Nüsse (Syagrus romanzoffiana) zu knacken (vgl. Ottoni & Izar 2008; Ottoni & Mannu 2001). Obwohl die benötigten Materialien auch bei anderen Gruppen zu finden sind, knackt nur diese Gruppe Gehaubter Kapuzineraffen Nüsse. Es handelt sich also sehr wahrscheinlich um Kultur, da weder genetische noch ökologische Faktoren diese Unterschiede erklären können. Langzeitstudien an Weißschulterkapuzineraffen (Cebus capucinus) auf Costa Rica, brachten einige populationsspezifische und sehr wahrscheinlich kulturell bedingte Verhaltensweisen zu Tage. Neben Beispielen für unterschiedliche Methoden der Nahrungsgewinnung (vgl. z.B. O'Malley & Fedigan 2005; Panger et al. 2002; Perry 2009) beeindrucken vor allem recht kuriose, gruppenspezifische, soziale Konventionen (vgl. Perry 2003). Perry und seine Kollegen (Perry 2003; Perry et al. 2003) beschreiben drei Verhaltensweisen aus diesem Bereich, die als Kultur bezeichnet werden können:
232
8 Inhalte der Erziehung (1) Das Handriechen Ein Affe platziert den Fuß oder die Hand eines anderen vor sein Gesicht. Während die Augen geschlossen sind, inhaliert er wiederholt tief, für ca. eine Minute. Zum Teil wird der Finger des anderen in das eigene Nasenloch gesteckt. Das Verhalten beruht auf Gegenseitigkeit, wobei die Affen gleichzeitig die Hand oder den Fuß des anderen vor oder in der Nase haben. Die Affen können so, einige Minuten, mit einem tranceartigen Gesichtsausdruck dasitzen. Bei den verschiedenen Gruppen gibt es subtile Unterschiede bei diesem Verhalten, so wird bei einigen eher die Hand benutzt, während andere Hand und Fuß gleichermaßen benutzen. Eine Bedeutung als olfaktorische Kommunikation ist unwahrscheinlich (vgl. Fedigan 1993, S. 861; Perry et al. 2003). (2) Saugen Ein weiteres kurioses Verhalten einiger der untersuchten Gruppen ist das Saugen an verschiedenen Körperteilen andere Individuen (vgl. Perry et al. 2003). Bevorzugt werden dabei Finger, Zehen, Ohren und der Schwanz. Beide Verhaltensweisen sind häufig mit dem Grooming assoziiert und werden in einem entspannten Kontext, meist etwas abseits der Gruppe, ausgeführt. (3) „Finger-in-den-Mund-Spiel“ Die Gruppen zeigen außerdem unterschiedliche „Spiele“. Perry et al. (2003) sprechen von Spielen, da die Aktivitäten häufig im Kontext des Spielens gezeigt werden. Im Gegensatz zu dem allgemein verbreiteten, eher rauen Spiel, ist das „Finger-in-den-MundSpiel“ ruhig. Ein Paar, welches das Verhalten zeigt, befindet sich oft etwas abseits der Gruppe, häufig während einer Ruhephase. Affe A steckt seinen Finger in Bs Mund – was z.B. im Kontext des Groomens der Mundregion geschehen kann. Affe B beißt dann so stark zu, dass As Finger zwar nicht verletzt wird, aber ohne Weiteres auch nicht aus dem Mund gezogen werden kann. Affe A versucht daraufhin auf vielfältige Art und Weise, seien Finger zu befreien. Er versucht mit Händen und Füßen Bs Mund aufzustemmen oder er stellt seinen Fuß in Bs Gesicht und zieht an der gefangenen Hand. Sobald A seinen Finger befreit hat, legt er ihn entweder erneut in Bs Mund, damit das Spiel von vorne beginnen kann oder die Rollen werden getauscht und B steckt jetzt seine Hand in As Mund (vgl. Perry et al. 2003). Eine weitere Kapuzineraffenart, von der recht vielfältige Fähigkeiten beschrieben sind, ist der Rückenstreifen-Kapuziner (Cebus libidinosus). Die Individuen der Population des Serra da Capivara Nationalparks (Sao Raimundo Nonato, Piaui) benutzen Steine, um Wurzeln aus dem Boden auszugraben oder um Holz anzuritzen, um darin nach Insekten oder Larven zu suchen (vgl. Mannu & Ottoni 2009; Moura & Lee 2004). Ebenso benutzen 233
8 Inhalte der Erziehung Individuen dieser Population Stöcke als Sonden, um an Futter oder Wasser in Spalten oder Löchern oder an Insektennester heranzukommen. Es ist allerdings schwierig zu beurteilen, ob es sich hierbei um Kultur handelt, da der Vergleich zu anderen Gruppen fehlt. Neben diesen beschriebenen Fällen gibt es zahlreiche Einzelbeobachtungen oder Anekdoten der anderen Kapuzineraffenarten, die die bemerkenswerten Fähigkeiten der Tiere beschreiben. So konnten z.B. Faunaffen (Cebus fatuellus) wiederholt dabei beobachtet werden, wie sie einen Stock als Waffe benutzten, um damit nach anderen Affen zu schlagen (vgl. Cooper & Harlow 1961). Weitere Untersuchungen müssen zeigen, ob es sich hierbei um ein kulturelles Verhalten handelt.
8.4.6.2 Catarrhini, Altweltaffen (ohne Hominidae) Jeder Biologiestudent, selbst wenn er sich nur am Rande für das Verhalten der Tiere interessiert, wird im Laufe seines Studiums von Imo hören. Auf der Insel Koshima wurden die dort heimischen Japanmakaken (Macaca fuscata) am Strand mit Süßkartoffeln gefüttert, um sie besser beobachten zu können. Imo war ein Weibchen, das im Alter von 18 Monaten anfing, diese Kartoffeln, die von Sand bedeckt waren, in einem Fluss zu waschen. Die meisten Japanmakaken entfernten den Sand mit den Händen, doch Imo wusch sie sauber. In den folgenden neun Jahren wurde das Waschen von Kartoffeln in Imos Gruppe zur Gewohnheit; mit Ausnahme der Tiere, die älter als zwölf Jahre waren, und der Tiere, die jünger, als ein Jahr waren, wuschen alle Affen die Kartoffeln. Das Verhalten breitete sich nicht zufällig, sondern entlang der sozialen Zugehörigkeit, aus. Die erste, die damit anfing, war Imos Spielkameradin Semushi, wenig später kamen die Mutter Eba und eine weitere Spielkameradin, Uni, hinzu. In den folgenden zwei Jahren folgten sieben weitere Jungtiere (vgl. Itani & Nishimura 1973; Kawai 1965; Kawamura 1959; Nishida 1987). In Lehrbüchern und der Sekundärliteratur wird die Ausbreitung des Verhaltens damit begründet, dass naive Individuen Imo und andere Affen dabei beobachteten, wie sie Kartoffeln wuschen und das Verhalten imitierten. Das Kartoffelwaschen wurde zur Kultur (vgl. z.B. McFarland 1999, S. 456). In den folgenden Jahren wurde die Bezeichnung dieses Verhaltens als Kultur häufig kritisiert. Der wesentliche Kritikpunkt bezog sich auf die Annahme, dass sich das Kartoffelwaschen durch soziale Lernprozesse ausgebreitet hat (vgl. Galef 1992, S. 165; Laland & Hoppitt 2003). Wenn Imitieren der entscheidende Mechanismus gewesen sein soll, hätte sich das Verhalten schneller ausbreiten müssen. Im Durchschnitt brauchten die 234
8 Inhalte der Erziehung Tiere aber zwei Jahre um das Verhalten zu erlernen.52 Es wird deshalb geschlussfolgert, dass das Verhalten individuell gelernt wurde und es sich deshalb nicht um Kultur handeln kann. Andererseits ist es kaum vorstellbar, dass die Individuen einer Makakengruppe, die auf vielfältige Weise sozial interagieren, das Kartoffelwaschen individuell, also unabhängig voneinander, erlernt haben sollen. Individuen, die Kartoffeln waschen und diese, die das nicht tun, befinden sich häufig, zumindest in Sichtkontakt zueinander. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Individuum, das Kartoffeln wäscht, keinerlei Einfluss auf das Erlernen des Kartoffelwaschens eines anderen Individuums haben soll. Außerdem spricht die Tatsache, dass das sich das Verhalten zunächst unter bekannten Individuen, die viel miteinander interagierten, ausgebreitet hat, dafür, dass soziales Lernen stattgefunden hat. Deutlich ist beim Kartoffelwaschen allerdings der Einfluss des Menschen. Anscheinend wird bei Fütterungen bevorzugt den Affen Futter gegeben, die das Kartoffelwaschen zeigen. Sie lernen durch Belohnung und zeigen das Verhalten deshalb vermehrt (vgl. Galef 1992). Zwei Jahre nachdem Imo das Kartoffelwaschen eingeführt hatte, erfand sie eine weitere Methode der Nahrungssäuberung. Man hatte begonnen, die Tiere auch mit Getreide zuzufüttern. Die Makaken lasen Korn für Korn vom Strand auf. Imo hingegen nahm eine Hand voll Sand-Korn-Gemisch und warf es ins Wasser. Der Sand sank zu Boden und die Getreidekörner konnten von der Oberfläche abgeschöpft werden. Diese Methode breitete sich, ähnlich wie das Kartoffelwaschen, in der Gruppe aus, nur, dass die Ausbreitung langsamer vonstattenging (vgl. Nishida 1987). Wie das Kartoffelwaschen wird auch das Getreidewaschen häufig als klassisches Beispiel für Kultur angesehen (vgl. z.B. Strayer, 1976), aber ebenso auch die Existenz einer kulturellen Weitergabe abgestritten. Abgesehen von diesen zwei klassischen Beispielen zeigen Japanmakaken viele weitere gruppentypische Verhaltensweisen. Unterschiede sind vor allem beim Nahrungsspektrum zu finden. Jede wild lebende Makakengruppe hat anscheinend ihre eigene Speisekarte (vgl. Kawamura 1959). Die Affen von Osaka ernähren sich beispielsweise von 52
Gegen ein Lernen durch Nachahmung spricht auch, dass sich das Verhalten mit zunehmender Anzahl an
Individuen, die es zeigten (mehr Modelle), immer schneller hätte ausbreiten müssen; das tat es aber nicht (vgl. Galef 1992). Es ist wahrscheinlicher, dass das Verhalten individuell gelernt wurde. Für diese Interpretation spricht auch, dass das Waschen von Nahrung auch bei anderen Gruppen auf Koshima und bei in Gefangenschaft lebenden Gruppen beobachtet werden kann (vgl. Galef 1992; Laland & Hoppitt 2003; Visalberghi & Fragaszy 1990). Es scheint ein bei Makaken nicht unübliches Verhalten zu sein, das sich die Tiere relativ einfach durch individuelles Lernen aneignen können. Das Imitieren eines besonders kreativen Vorbildes – wie Imo oft bezeichnet wird – ist dafür nicht nötig.
235
8 Inhalte der Erziehung Yams und Lilien, während die Affen von Takasakiyama diese Pflanzen nicht konsumieren, obwohl sie auch bei ihnen vorkommen (vgl. Kawamura 1965, zit. nach Nishida 1987). Die Jungen der Takasakiyamagruppe kennen im Alter von einem Jahr das vollständige Nahrungsspektrum ihrer Gruppe. Auch die Reviergrenzen werden kulturell übermittelt. Gruppen von Japanmakaken – aber auch andere Primatenarten – nutzen über Jahre hinweg immer das gleiche Gebiet (vgl. Nishida 1987, S. 464). Zum Teil sind die Reviergrenzen sicherlich durch ökologische Faktoren, wie der Verfügbarkeit von Futter, bestimmt; andererseits spielen aber auch psychologische Faktoren, wie Vertrautheit, eine Rolle. Diese Vertrautheit entsteht dadurch, dass die jüngeren Individuen die älteren begleiten und so in das Revier eingeführt werden. Es entsteht Kultur. In Jigokudani (Präfektur Nagano) baden Japanmakaken, vor allem im Winter, bei kühlen Temperaturen, in vom Menschen geschaffenen Badestellen, die durch heiße Quellen gespeist werden. Dieses, als „hot-spring bathing“ bezeichnete Verhalten, wurde erstmals von Suzuki (1965) beschrieben. Jungtiere, im Alter von ein bis zwei Jahren, waren die ersten, die diese Badestellen nutzten. Das Verhalten breitete sich dann auch auf die erwachsenen Tiere der Gruppe aus (vgl. auch Zhang et al. 2007).53 Die wohl rätselhafteste Tradition bei Japanmakaken ist aber das Spielen mit Steinen („stone handling“, vgl. Huffman 1984; 1996; Huffman & Quiatt 1986). Die Tiere bauen aus Kieselsteinen Haufen, sie heben einzelne Steine auf, zerstreuen sie dann wieder, sie rollen sie, reiben sie aneinander, klappern damit, tragen sie umher, knuddeln damit, lassen sie fallen oder werfen damit. Keiner dieser Aktivitäten kann ein Ziel zugeordnet werden und die Steine werden nicht als Werkzeug gebraucht. Seitdem das Verhalten erstmals im Jahr 1979 beobachtet werden konnte, breitete es sich in der Arashiyamagruppe weiter aus, so dass in den späten 80ern alle Jungtiere das Spiel in den ersten sechs Monaten ihres Lebens erlernten (vgl. Huffman 1996). Mittlerweile kann das Verhalten in fünf weiteren, geographisch getrennten Populationen, beobachtet werden (vgl. Leca et al. 2007). Zwischen diesen Populationen gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede im Gebrauch der Steine. Jede Gruppe ist, bezogen auf das gesamte Repertoire, einzigartig. Geographisch weniger entfernte Gruppen zeigen mehr Gemeinsamkeiten als weiter entfernt lebende Gruppen (vgl. Leca et al. 2007). Die Funktion des Spielens mit Steinen ist unklar. Es ist jedoch anzunehmen, dass es mit dem Konsum von Weizen und Mais zusammenhängt. Die Tiere wurden mit Getreide zugefüttert, um sie besser beobachten zu können. Getreide muss, im Vergleich zur her53
siehe auch: http://www.youtube.com/watch?v=LgAd1_buq40
236
8 Inhalte der Erziehung kömmlichen Nahrung der Tiere, relativ lange gekaut werden. Normalerweise sind die Hände beim Konsumieren von Nahrung voll beschäftigt. Die Autoren vermuten, dass die verhältnismäßig lange Phase des Kauens von Getreide, kombiniert mit der kurzen Phase des Gebrauchs der Hände dazu führt, dass die Tiere „das Bedürfnis haben“, etwas mit ihren Händen zu tun (vgl. Huffman & Quiatt 1986). Auch unterschiedliche Kontaktrufe beim Grooming können als Kultur bezeichnet werden. Diese Rufe unterscheiden sich je nach Gruppe (vgl. Sakura 1989). Des Weiteren konnten in einer Untersuchung, je nach Mutterlinie, vier verschiedene Techniken des Entfernens von Lauseiern identifiziert werden. Die Art und Weise, wie Parasiten beim Lausen entfernt werden, wird von der Mutter auf die Jungen, als Familientradition, weitergegeben (vgl. Tanaka 1995; 1998). Ein ähnlicher Unterschied kann bei Gesten und Körperhaltungen der Paarung beobachtet werden. Sowohl Weibchen als auch Männchen dreier untersuchter Gruppen unterschieden sich (vgl. Stephenson 1973). Auf Koshima begann das dominante Männchen regelmäßig, während der Paarungszeit, zu masturbieren. Innerhalb von drei Jahren zeigten alle höherrangigen Männchen das Verhalten (vgl. Stephenson 1973). Auch in einigen in Gefangenschaft lebenden Gruppen traten spontan einige Verhaltensweisen auf, die sich etablierten. Dazu gehört z.B. das Her-stellen von Schneebällen, um auf ihnen zu sitzen (vgl. Eaton 1972a), das Anlehnen starker Äste an Hindernisse, um sie als Leiter zu benutzten (vgl. Machida 1990) und das Benutzen von Steinen im Kontext des Groomens (vgl. Weinberg & Candland 1981). McGrew (1998) fast zusammen, dass alle Populationen von Japanmakaken, sowohl in Gefangenschaft als auch in freier Wildbahn, eine Vielfalt an Verhaltensweisen zeigen, die als Kultur bezeichnet werden können. Diese Verhaltensweisen können sozial sein, der Existenz oder einfach nur der Erholung dienen. Die meisten Daten stammen dabei aus Studien bei denen Generationen von Wissenschaftlern, Generationen von Affen beobachtet haben. Für die anderen Makakenarten sind, in Bezug auf kulturelle Phänomene, nur wenige Daten vorhanden. Gut untersucht ist hingegen das soziale Lernen, vor allem des Jungen von der Mutter (siehe z.B. Kapitel 4). Obwohl bestimmte Nahrungspflanzen in mehreren Gebieten vorkommen, werden sie nicht gleichermaßen von den dort lebenden Nilgiri-Languren (Presbytis johnii) konsumiert. In der Untersuchung von Poirier (1970, S. 272) kamen z.B. im Revier aller vier untersuchten Populationen, Akazienbäume vor; diese wurden aber nur von drei Gruppen zu Ernährungszwecken genutzt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Unterschiede kulturell bedingt sind. 237
8 Inhalte der Erziehung
8.4.6.3 Hominidae, Menschenaffen Unter den Menschenaffen werden fünf rezente Taxa zusammengefasst: die Menschen (Homo sapiens), Orang-Utans (Borneo-Orang-Utan, Pongo pygmaeus und SumatraOrang-Utan, Pongo abelii), Gorillas (Westlicher Gorilla, Gorilla gorilla und Östlicher Gorilla, Gorilla beringei), Bonobos oder Zwergschimpansen (Pan paniscus) und die Schimpansen (Pan troglodytes mit vier Unterarten) (vgl. z.B. McGrew 1998, S. 315). Als unsere nächsten lebenden Verwandten sind alle anderen Menschenaffen viel versprechende Kandidaten für Kultur. Mit Abstand am besten sind die Schimpansen untersucht. Seit den 60er Jahren werden Orang-Utans (Pongo pygmaeus, P. abelii) in freier Wildbahn untersucht, dennoch entdeckte man erst Mitte der 90er Jahre, dass auch diese Tiere regelmäßig Werkzeug gebrauchen (vgl. Fox et al. 1999; van Schaik et al. 1996). Lange Zeit standen keine Langzeitdaten zur Verfügung. Galdikas (1988) war der erste, der für die Borneo-Orang-Utans in Tanjung Puting genügend Daten gesammelt hatte, um sie auf Hinweise auf Kultur zu untersuchen. Schlussfolgerungen waren jedoch nicht einfach, da Vergleichsdaten zu anderen Populationen fehlten und weil es schwer ist, bei einer als Einzelgänger lebenden Art, gruppentypisches Verhalten zu identifizieren (vgl. McGrew 1998). In den darauffolgenden Jahren häuften sich Einzelnachweise, die auf Kultur hinwiesen. So benutzen z.B. nur die Sumatra-Orang-Utans von Suaq Balimbing Stöcke, um damit in Baumlöchern nach Insekten zu angeln (vgl. van Schaik et al. 1996). In anderen Gruppen, die z.T. wesentlich länger untersucht wurden, fand sich kein Hinweis auf einen solchen Werkzeuggebrauch (vgl. Fox et al. 1999; Galdikas 1988; Galdikas 1982). Im Jahr 2003 veröffentlichten van Schaik et al. (2003) schließlich erstmalig eine Zusammenfassung zahlreicher Einzeluntersuchungen, die das Verhalten von Tieren aus sechs verschiedenen Untersuchungsgebieten zusammenfasste. Der Vergleich ergab 19 Verhaltensweisen, die als kulturell bezeichnet werden können und 5, die zwar das Potential für Kultur haben, eine ökologische Beeinflussung und damit verbundenes individuelles Lernen, jedoch nicht ausgeschlossen werden kann. Schwierig ist in diesem Zusammenhang der Ausschluss genetischer Einflussfaktoren, da der Sumatra- und BorneoOrang-Utan als unterschiedliche Arten angesehen werden. Die genetische Variabilität ist aber nicht mit der, der Verhaltensweisen korreliert (vgl. Krützen et al. 2011). Es ist also trotzdem wahrscheinlich, dass es sich um Kultur handelt (Für eine Zusammenfassung der Kultur bei Orang-Utans siehe auch Krützen et al. 2011; Wich et al. 2009, S. 299 ff.). 238
8 Inhalte der Erziehung Hinweise auf die Mechanismen, die der kulturellen Übertragung zugrundeliegen, liefert die Untersuchung von Jaeggi et al. (2010). Sie befassten sich mit der Entwicklung des Fressverhaltens frei lebender Borneo-Orang-Utans. Jungtiere stimmten in Bezug auf ihr Nahrungsspektrum erstaunlich gut mit ihrer Mutter überein. Das Spektrum verschiedener Mütter einer Gruppe unterschied sich, obwohl für alle die gleichen Pflanzen verfügbar waren. Welche Nahrung gefressen wird, wird also als Tradition von der Mutter an das Jungtier weitergegeben. Orang-Utans, die in Gefangenschaft leben oder in Rehabilitationszentren aufgezogen werden, zeigen – vergleichbar mit Berichten anderer Arten in Gefangenschaft – erstaunliche Fähigkeiten, die in keinem Vergleich zu dem stehen, was in freier Wildbahn beobachtet werden kann. Rehabilitierte Tiere starten Außenbordmotoren, sie benutzen Insektenschutzmittel und schlagen Nägel mit einem Hammer (vgl. Russon & Galdikas 1993). Die meisten der gezeigten Aktivitäten sind typisch menschliche Verhaltensweisen und keine dieser außergewöhnlichen Verhaltensweisen wird regelmäßig gezeigt. Meist sind es nur wenige Tiere, die die Neigung haben, menschliches Verhalten zu kopieren. Die Tiere sind außergewöhnlich gute individuelle Lerner, es findet aber nur selten eine Weitergabe des Verhaltens an andere Tiere statt (vgl. Russon & Galdikas 1993; 1995). Eine Ausnahme sind Jungtiere, die das Verhalten der Mutter oder älterer Geschwister imitieren (vgl. Russon & Galdikas 1995). In Gefangenschaft lebende Tiere sind ebenso ausgezeichnete Problemlöser, die z.T. sehr komplexe technische Lösungen entwerfen (vgl. Lethmate 1982). Aber auch hier weist nichts auf soziales Lernen hin, auch wenn die Tiere in einer künstlichen Gruppe gehalten werden. Bei Gorillas kann ein Westlicher Gorilla (G. gorilla) und einen Östlicher Gorilla (G. beringei) unterschieden werden. Zum Westlichen Gorilla gehört der Westliche Flachlandgorilla (Gorilla gorilla gorilla). Unter dem Östliche Gorilla werden der Östliche Flachlandgorilla oder Grauergorilla (Gorilla beringei graueri) und der Berggorilla (Gorilla beringei beringei) zusammengefasst (vgl. z.B. Cipolletta et al. 2007; siehe Abb. 10). Gorillas stellen unter den Menschenaffen wohl die größte Herausforderung dar, wenn es um das Phänomen der Kultur geht. Bisher konnte nur eine Feldstudie, individuelle Langzeitdaten aufnehmen. Bei der untersuchten Population handelt es sich aber um die am meisten abweichende Population der Art. Es sind die Berggorillas (Gorilla beringei beringei) der Virunga Vulkane von Ruanda, die unter anderem von Diane Fossey und ihren Kollegen untersucht wurden (vgl. z.B. Byrne 1996; Fossey 1983; Watts 1984). Es ist eine sehr kleine, reliktartige Population die isoliert auf einer Erhebung lebt. McGrew (1998)
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8 Inhalte der Erziehung schreibt sie seien für die restlichen Gorillas so repräsentativ, wie die Tibetaner für Homo sapiens.
Abbildung 10: Verbreitung der verschiedenen Gorillaarten bzw. -populationen Unterschiede des Nahrungsspektrums können – insofern sie eine Anpassung an verschiedene Lebensräume darstellen – nicht als Kultur bezeichnet werden. So sind z.B. die Westlichen Flachlandgorillas (Gorilla gorilla gorilla) primär Fruchtfresser, die Berggorillas (Gorilla beringei beringei) ernähren sich hauptsächlich von Blättern und der Östliche Flachlandgorilla (Gorilla beringei graueri) liegt – sowohl, was die Ernährung, als auch die geographische Verbreitung und Zuordnung zu einer Höhenstufe betrifft – zwischen diesen beiden (vgl. Byrne 1996; McGrew 1998; Watts 1984; 1996; Yamagiwa et al. 1996). Es lassen sich aber auch Ernährungsgewohnheiten ausmachen, die unabhängig von ökologischen Faktoren sind. Casimir (1975) beschreibt, wie die Gorillagruppen des KahuziBerges regelmäßig das Innere der Baumfarnwedel (Cvathea niannana) konsumieren; ebenso die Tiere des Kayonza-Waldes, nicht aber die des Kabona-Gebietes. Obwohl die Pflanze in allen drei Gebieten gleichermaßen vorkommt (vgl. auch Kawai & Mizuhara 1959). Ähnlich verhält es sich mit dem Kletten-Labkraut (Galium spurium). Es ist eine der Hauptnahrungspflanzen der Östlichen Gorillas im Gebiet der Virunga Vulkane (vgl. Schaller 1963, S. 149), wird aber nicht von den Gorillas des Kahuzi-Bergs gefressen, obwohl es auch hier häufig vorkommt (vgl. Casimir 1975). Auch in Bezug auf tierische Nahrung finden sich Unterschiede zwischen den Gruppen, die nicht auf Umweltbedingungen zurückgeführt werden können. Tutin & Fernandez (1992) untersuchten zwei Populationen des Westlichen Flachlandgorillas (Gorilla gorilla gorilla), Lopé und Belinga, die in 250 km Entfernung, in Gabun, leben. In beiden Gebieten 240
8 Inhalte der Erziehung gibt es „weaver ants“ (Oecophylla longinoda) und kleine, Pilze züchtende Termiten (Cubitermes sulcifrons). Die Lopé-Gorillas fressen nur die „weaver ants“, nicht aber die Termiten; bei den Belinga-Gorillas verhält es sich genau andersherum. In einer weiteren Untersuchung zum Fressen von Termiten (Cubitermes sp.) beim Westlichen Flachlandgorilla (Gorilla gorilla gorilla) wurden zwei Populationen in ZentralAfrika verglichen: die Munye- und Makumba-Gorillas. Die Gorillas benutzen zwar kein Werkzeug, um die Termiten zu extrahieren, aber zwei unterschiedliche Techniken, um sie aus den Bauten herauszubekommen.54 Die Autoren vermuten kulturelle oder soziale Traditionen als Ursache für den Unterschied der beiden Populationen (vgl. Cipolletta et al. 2007). Das „hand clapping“ ist eine kommunikative Geste, die dazu dient, die anderen Gruppenmitglieder in Gefahrensituationen zu warnen; in den beobachtete Fällen, hauptsächlich aufgrund der Anwesenheit des Menschen (vgl. Kalan & Rainey 2009). Das Verhalten kann nur beim Westlichen Flachlandgorilla (Gorilla gorilla gorilla) beobachtet werden; hier aber unabhängig voneinander in vier verschiedenen Gruppen. Kalan & Rainey (2009) schreiben, dass diese Beobachtungen darauf hindeuten, dass der Westliche Gorilla ein Mittel der Kommunikation hat, das dem östlichen Gegenstück fehlt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung von Fossey (1983), die das „hand clapping“ bei einem in freier Wildbahn lebenden weiblichen Berggorilla (Gorilla beringei beringei), also einem Östlichen Gorilla, beobachten konnte. Das Tier zeigte das Verhalten über einen Zeitraum von vier Jahren, hörte aber wieder damit auf. Weitere Studien müssen zeigen, ob es sich bei dem Verhalten um ein kulturelles Phänomen handelt und ob zwischen den verschiedenen Populationen Varianten existieren. Allerdings kann aufgrund dieser Beobachtungen ausgeschlossen werden, dass das Verhalten nicht genetisch bedingt ist, da es nicht nur von einer Art gezeigt wird. Der Gebrauch von Werkzeug bietet immer Potential für die Entstehung von Kultur. Auch wenn bisher nicht bekannt ist, dass Gorillas regelmäßig Werkzeug gebrauchen, konnten zwei Fälle beobachtet werden (vgl. Breuer et al. 2005). Im ersten Fall nutzte ein erwachsenes Weibchen (Westlicher Gorilla, Gorilla gorilla) einen Stock, um die Tiefe einer Wassergrube zu überprüfen und anschließend als Hilfe um durch diese hindurchzugehen. Im zweiten beobachteten Fall benutzte ein Weibchen (Westlicher Gorilla, Gorilla gorilla) 54
„pound-on-hand“: Der Termitenhügel wird in kleine Stücke zerbrochen. Die Stücke werden dann gegen
die offene Hand geschlagen und die Termiten aus der Hand konsumiert. „remove-with-tongue“: Nachdem ein Stück vom Hügel abgebrochen wurde, werden die Termiten direkt mit der Zunge vom Stück abgefressen.
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8 Inhalte der Erziehung einen kleinen Stamm als Stabilisator während der Futterbearbeitung. Anschließend benutzte sie ihn als Brücke, um über einen sumpfigen Graben zu gelangen. Beobachtungen in Gefangenschaft lebender Tiere lassen nur spärlich Rückschlüsse auf die Fähigkeit zum Werkzeuggebrauch oder zur Kultur zu – vor allem auch im Vergleich zu den anderen Primatenarten, die unter menschlicher Obhut oft erstaunliche Fertigkeiten zeigen. Einiges ist sicherlich durch die Haltebedingungen zu erklären. In den meisten Fällen sind die Gruppen deutlich kleiner als der Standard in der Wildnis. Wenn es den Tieren aber erlaubt wird, größere Gruppen zu bilden, die dann auch bestehen bleiben, kann sich – insofern der Kontext hilfreich ist – auch der Gebrauch von Werkzeug etablieren und zu einer gruppeneigenen Verhaltensweise werden. Wood (1984) beschreibt, wie die Gorillas des Howlett-Zoo (England) Stöcke benutzten um Futter, das außerhalb ihres Geheges lag, heranzuholen und Nakamichi (1998) berichtet von drei in einer Gruppe lebenden Tieren, die Stöcke in einen Baum warfen, um damit Blätter und Samen abzuschlagen. In Bezug auf die Frage einer Kultur sind die verschiedenen Gorillapopulationen aber schwer einzuordnen, da es sich bei der östlichen und westlichen Variante um unterschiedliche Arten handelt (vgl. Yamagiwa et al. 1996). Es ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen, dass die Unterschiede im Verhalten eine genetische Ursache haben. Um wirklich sicher zu sein, müsste untersucht werden, ob die genetische Variabilität mit der, der Verhaltensweisen korreliert (vgl. auch die entsprechende Problematik beim Orang-Utan). Bonobos (Pan paniscus) sind die am schlechtesten untersuchten Menschenaffen. Wenige hundert Tiere leben in Gefangenschaft und das Vorkommen wildlebender Bonobos ist auf den Kongo beschränkt (siehe Abb. 11). In Gefangenschaft lebende Bonobos werden meist in kleinen Gruppen gehalten und die Managementpläne für die Gruppen führen zu häufigen Migrationen, so dass sich in einer Gruppe nur schwer eine Kultur entwickeln kann. Dennoch können gelegentlich bestimmte Gewohnheiten einer Gruppe beobachtet werden: Die Bonobos im Zoo von San Diego klatschen z.B. mit ihren Händen, um die Aufmerksamkeit anderer Individuen auf sich zu ziehen. Mit dem Auswandern des Nachwuchses in andere Zoos, wurde diese Gewohnheit auch weitergegeben (vgl. de Waal 1989). Der Regenwald im Heimatgebiet der Bonobos zeichnet sich durch eine relative Gleichförmigkeit der Vegetation aus. Viele der Hauptnahrungspflanzen sind über das gesamte Gebiet verteilt. Trotzdem haben die unterschiedlichen Bonobopopulationen z.T. unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten (vgl. Kano 1992). In den Sümpfen von Yalosidi 242
8 Inhalte der Erziehung (siehe Abb. 11) gedeiht die Wasserpflanze Ranalisma humile. Sind andere Fruchtpflanzen knapp, wird dieses Gras von den hiesigen Bonobos regelmäßig verzehrt. Auch in Wamba (siehe Abb. 11) wächst dieses Graß relativ großflächig am schlammigen Boden im Flachwasserbereich des Flusses Bokela. Die hier lebenden Bonobos suchen in den schlammigen Bereichen zwar nach Würmern, konsumieren aber nie das Gras.
Abbildung 11: Demokratische Republik Kongo mit den im Text erwähnten Bonobopopulationen (in rot) Betrachtet man nicht nur die pflanzliche, sondern auch die tierische Nahrung, treten regionale Unterschiede noch deutlicher zu Tage. Am Lake Tumba (vgl. Horn 1980), in Lomako (vgl. Badrian et al. 1981) und wahrscheinlich auch in Yalosidi stehen Termiten auf dem Speiseplan der Bonobos; in Wamba gibt es dafür keine Anhaltspunkte (vgl. Kano 1992). Insgesamt konsumieren die Bonobos in Lomako eine größere Vielfalt tierischer Beute als in Wamba (vgl. Kano 1992). Regenwürmer stehen aber anscheinend nur in Wamba relativ häufig auf dem Speiseplan, in Lomako werden sie nicht als Nahrung 243
8 Inhalte der Erziehung genutzt (vgl. Kano 1992). Es ist davon auszugehen, dass Regenwürmer in beiden Gebieten vorkommen, da sie sich klimatisch nicht wesentlich unterscheiden. Da sich die verschiedenen Gruppen bzgl. ihrer Ernährungsgewohnheiten unterscheiden und diese Unterschiede sehr wahrscheinlich nicht ökologisch oder genetisch bedingt sind, kann hier von Kultur gesprochen werden. Ein Beispiel, bei dem es sich nicht unbedingt um Kultur aber doch um eine „Modeerscheinung“ handelt, gibt Kano (1992). Im Dickicht des Regenwaldes kann häufig ein ca. 20 cm langer, fingerdicker Tausendfüßler beobachtet werden, den die Einheimischen „kongori“ nennen. Unter den Menschen des Mongo-Stamms ist es ein Tabu ihn zu essen, da er als Bote Satans gilt. Die Schimpansen in Lomako konsumierten für eine bestimmte Zeit im Jahr 1979 sehr häufig diesen Tausendfüßler (vgl. Badrian et al. 1981). In Wamba konnte das nicht beobachtet werden. Bemerkenswert ist, dass die Bonobos in Lomako das Verhalten nur in diesem einen Jahr zeigten; es konnte nicht wieder beobachtet werden, obwohl auch in den darauffolgenden Jahren große Tausendfüßler in ausreichender Zahl zur Verfügung standen (N. Badrian, persönl. Mitteilung, zit. in Kano 1992). Kano (1992) schreibt dazu (S. 105): „I wonder if pygmy chimpanzees also have fads in food.” Auf unterschiedliche Gewohnheiten bzw. Traditionen deutet auch der Umgang mit Nutzpflanzen hin. Ein im Reviergebiet der Wamba-B-Gruppe angepflanztes Zuckerrohrfeld wurde von den Bonobos ignoriert; das Feld im Gebiet der Wamba-E-Gruppe wurde, als das Zuckerrohr reif war, von den Tieren besiedelt und nicht wieder verlassen, bis das komplette Zuckerrohr konsumiert war (vgl. Kano 1992). Die Erklärung dafür ist, dass die E-Gruppe vorher schon Erfahrungen mit Zuckerrohr machen konnte, die B-Gruppe hingegen nicht. Ähnlich verhält es sich mit anderen angebauten Früchten, wie z.B. Ananas, wobei Ananas im Vergleich zu Zuckerrohr die bevorzugte Nahrung zu sein scheint, vorausgesetzt die Tiere sind mit der Nahrung vertraut (vgl. Kano 1992). Als einmal die Mitglieder der P-Gruppe an die Futterstelle kamen, passierte etwas Interessantes. Unter den Gruppenmitgliedern gab es zwei Typen. Die einen rannten zur Ananas und nahmen so viel sie nur tragen konnten; die anderen nahmen gleichgültig etwas vom Zuckerrohr und verließen die Futterstelle (vgl. Kano 1992). Kano (1992) sieht die Ursache für dieses Verhaltens darin, dass die Individuen, die die Ananas bevorzugten, aus einer anderen Gruppe in die P-Gruppe eingewandert sind und Ananas in ihrer Ursprungsgruppe eine beliebte Nahrungspflanze war. Er fand aber keinen Hinweis darauf, dass die Tradition des Ananaskonsums an die neue Gruppe weitergegeben wurde. Ähnlich wie bestimmte Gruppen bestimmte Nahrungspräferenzen haben, gibt es regionale Unterschiede im Nestbau (vgl. Kano 1992). Sowohl die Bonobos von Yalosidi als 244
8 Inhalte der Erziehung auch die vom Tumbasee bauen Nester am Boden. Von mehreren tausend dokumentierten Nestern in Wamba befanden sich nur sehr wenige am Boden. Vergleichbar konnten im Lomako-Wald keine Nester am Boden gefunden werden (hier werden die Nester relativ hoch gebaut). Die Bonobos von Lomako bauen außerdem, im Gegensatz zu den anderen Bonobos, ihre Nester in den Bäumen, die sie auch zu Ernährungszwecken nutzen. Woher diese Unterschiede kommen, ist schwer zu sagen. Kano (1992) geht prinzipiell davon aus, dass in Gebieten, wo Bonobos vom Menschen gejagt werden, die Nester höher gebaut werden. Gerade in Lomako ist der Jagddruck durch den Menschen aber nicht sehr hoch. Am Tumbasee hingegen werden Bonobos häufig vom Menschen gejagt, sie bauen ihre Nester aber am Boden. Ein Zusammenhang zum Vorkommen natürlicher Räuber (wie z.B. Leoparden) konnte ebenso nicht gefunden werden. Kano (1992) fasst zusammen, dass es in Bezug auf das Nestbau-Verhalten Unterschiede zwischen den Populationen gibt. Zukünftige Untersuchungen müssten zeigen, was die Ursachen für diese Unterschiede sind und ob es sich um kulturelle Verhaltensweisen handelt (für weitere Verhaltensweisen, die nur von einigen Bonobogruppen gezeigt werden und bei denen es sich wahrscheinlich um Kultur handelt, siehe auch Hohmann & Fruth 2003). Die weitaus größte Anzahl unterschiedlicher Traditionen ist bei Schimpansen (Pan troglodytes) zu finden. Jede Gemeinschaft hat z.B. in Bezug auf den Werkzeuggebrauch, soziale Verhaltensweisen, wie das Grooming oder das Balzverhalten, ihre eigene Technik; ebenso gibt es Unterschiede bei der Ernährung und beim Jagdverhalten (für Übersicht vgl. z.B. Boesch 1996a; 1996b; Boesch & Tomasello 1998; McGrew 1992; Nishida 1987; Nishida et al. 1983; Tomasello 1990; Whiten et al. 1999; 2001; Wrangham et al. 1996). Tabelle 6 gibt einen Überblick über den Werkzeuggebrauch im Kontext der Nahrungssuche bei verschiedenen Populationen. Exemplarisch soll im Folgenden das „nut cracking“, „termite fishing“ und „ant dipping“ beschrieben werden. Tabelle 6: Werkzeuggebrauch im Kontext der Nahrungssuche bei den bisher am besten untersuchten Populationen (aus Boesch & Tomasello 1998, S. 593) Schimpansenpopulationen Bossou
Taї
Kibale
Assirik
Gombe
Mahale
ant dip
+
+
-
+
+
-
honey dip
-
+
-
-
+
-
bee probe
-
+
-
-
-
-
245
8 Inhalte der Erziehung leaf sponge
+
+
+
-
+
-
marrow pick
(-)
+
-
(-)
-
-
nut crack
+
+
(-)
(-)
(-)
(-)
termite dig
-
-
-
(-)
-
-
pestle pound
+
-
-
-
-
-
hook stick
+
-
-
-
-
-
gum gouge
+
(-)
-
-
-
-
termte fish
-
(-)
-
+
+
+
algae fish
+
(-)
-
-
-
-
+ das Verhalten kann beobachtet werden (-) das Verhalten wird nicht gezeigt, was aber durch das Fehlen von Ressourcen erklärt werden kann - das Verhalten wird nicht gezeigt, eine einfache Erklärung durch ökologische Faktoren ist aber nicht möglich (Quellen: für Bossou vgl. Matsuzawa 1999; Matsuzawa & Yamakoshi 1996; Sugiyama 1981; Sugiyama & Koman 1979; für Taї vgl. Boesch 1993; 1996b; Boesch & Boesch 1990; für Gombe vgl. Goodall 1986; McGrew 1992; für Mahale vgl. McGrew 1992; Nishida 1973; 1987; für Assirik (Senegal) vgl. McGrew et al. 1979; 1988; für Kibale (Uganda) vgl. Ghiglieri 1984; zum Werkzeuggebrauch in Kibale siehe auch Watts 2008, z.B. auch „honey dip“, zwar sehr selten, kommt aber vor)
Abbildung 12: Übersichtskarte der im Text erwähnten Schimpansenpopulationen (Schraffierte Punkte bezeichnen keine bestimmte Population, sondern mehrere Populationen, die nicht näher bezeichnet werden) Nüsseknacken („nut cracking“) Das Knacken von Nüssen kann nur bei den Taї- und Bossou-Schimpansen beobachtet werden (siehe Abb. 12). Bossou-Schimpansen knacken die Nüsse der Ölpalme (Elaeis 246
8 Inhalte der Erziehung guineensis) indem sie sie auf einen Amboss aus Stein legen und mit einem Steinhammer bearbeiten (vgl. Matsuzawa 1999; Sugiyama 1981; Sugiyama & Koman 1979). TaїSchimpansen knacken fünf verschiedene Nussarten: Coula edulis, Detarium senegalense, Parinari excels, Sacoglottis gabonensis, Panda oleosa (vgl. Boesch & Boesch 1983). Der Amboss besteht meist aus Holz in Form einer Wurzel, der Hammer ist – je nach Härte der Nuss – aus Holz oder Stein (vgl. Boesch & Boesch 1983). Die sowohl in Bossou als auch in Taї vorkommenden Nüsse der Ölpalme (Elaeis guineensis) werden in Taї nicht geknackt (vgl. Boesch & Boesch 1983). Boesch & Boesch (1983) schreiben dazu (S. 283): „Might there be a traditional difference between our two populations, separated by 200 km?” Die fünf in Taї vorkommenden Nussarten sind in Bossou nicht zu finden. Ein Fehlen des Knackens kann in diesem Fall also auf ökologische Faktoren zurückgeführt werden. Ölpalmen (Elaeis guineensis) sind auch in Gombe und Mahale vorhanden (vgl. McGrew 1992, S. 1 ff.; siehe Abb. 12) und die Nüsse werden von den Gombe-Schimpansen auch konsumiert. Sie öffnen diese, und andere hartschalige Früchte, indem sie sie gegen Baumstämme oder Felsen schlagen, Mahale-Schimpansen öffnen andere hartschalige Früchte mit ihren Zähnen (vgl. Goodall 1963; Nishida 1987). Gombe-Schimpansen benutzen, im Kontext sozialer Interaktionen, auch Steine (vgl. Goodall 1986). Der Gebrauch von Steinen als Werkzeug scheint aber eine Eigenart der westlichen Schimpansen zu sein. Nishida (1987) beschreibt aus diesem Grund das Nüsseknacken mit Hammer und Amboss als „regional culture of the far western chimpanzees” (Nishida 1987, S. 464). Coula edulis und Panda oleosa kommen im östlichen Teil Afrikas nicht vor. Die Abwesenheit des Knackens dieser Nüsse kann also leicht durch ökologische Faktoren erklärt werden (vgl. Boesch & Tomasello 1998). In den meisten Teilen West- und Zentralafrikas sind diese beiden Nussarten aber durchaus zu finden (vgl. Aubreville 1959, zit. nach Boesch 1998). Die hier lebenden Schimpansen knacken aber keine Nüsse (für Lopé vgl. z.B. Tutin & Fernandez 1992; für Kamerun, Campo Animal Reserve vgl. z.B. Sugiyama 1985; 1993; für Ghana und das zentrale und westliche Côte d´lvoire vgl. z.B. Boesch et al. 1994). Diese Diskrepanz zwischen geographischer Verbreitung der Nüsse und dem Auftreten des Nüsseknackens bei Schimpansen überzeugte viele Autoren davon, das Knacken von Nüssen als traditionelles Verhalten zu bezeichnen (vgl. z.B. Boesch & Boesch 1990; Goodall 1986, S. 560 f.). Eine genauere Analyse des Nüsseknackens in Côte d´lvoire zeigte, dass der Sassandra River (siehe Abb. 12) die Grenze des Verhaltens darstellt. Schimpansen westlich des Flusses knacken Nüsse, wohingegen östlich des Flusses kein Nüsseknacken beobachtet werden kann (vgl. Boesch & Tomasello 1998). Einige 247
8 Inhalte der Erziehung Populationen, die durch den Fluss getrennt sind, ansonsten aber nur 30-50 km voneinander entfernt leben und die wesentlichen ökologischen Faktoren – wie das Vorhandensein von Nüssen und des Materials für Werkzeuge – übereinstimmen, unterscheiden sich dennoch in ihrem Verhalten (vgl. Boesch 1996b; Boesch et al. 1994). Es handelt sich dann also um ein kulturelles Verhalten, dessen Ausbreitung durch den Fluss, als Barriere, verhindert wurde. Boeschs Idee des Flusses als Grenze des Verhaltens wird dadurch in Frage gestellt, dass das Knacken von Nüssen einige Jahre später auch in Kamerun – also mehr als 1700 km östlich der angenommenen Barriere – beobachtet werden konnte. Die Tiere im EboWald benutzen Steine als Hammer um Coula edulis direkt im Baum zu knacken (vgl. Morgan & Abwe 2006). Ein Vergleich von Populationen, die sehr weit voneinander getrennt leben (wie z.B. Taї und Gombe), birgt immer auch das Risiko, dass subtile ökologische Einflussfaktoren übersehen werden. Sinnvoller ist es, Populationen, die in einem räumlich kleineren Gebiet leben, aber dennoch unterschiedliche Verhaltensweisen zeigen, zu vergleichen. Matsuzawa et al. (2001) und auch Biro et al. (2003) verglichen Bossou-Schimpansen mit ihnen angrenzenden Populationen (Seringbara, Yelé, Diéké). Jede dieser Populationen konsumiert eine einzigartige Kombination von Nüssen, was z.T. auf ökologische Faktoren zurückgeführt werden kann, in manchen Fällen scheint der Konsum aber auch unabhängig vom Vorkommen der Nüsse zu sein (siehe Tab. 7). Dass die Schimpansen in Seringbara keine Nüsse der Ölpalme (Elaeis guineensis) knacken oder die in Yalé kein Interesse an Pandanüssen (Panda oleosa) haben, obwohl die Nüsse im jeweiligen Gebiet vorkommen, legt nahe, dass diese Unterschiede kulturell bedingt sind. Tabelle 7: Die Arten von Nüssen, die von den Schimpansen in Bossou, Seringbara, Yelé und Diéké geknackt werden (nach Biro et al. 2003; Matsuzawa et al. 2001) Population Entfernung zu Bossou
Art der Nüsse Elaeis guineensis Coula edulis Panda oleosa
Bossou Seringbara Yelé Diéké Taї
ja
-
-
5km östlich
nein
-
-
12km südöstlich
ja
ja
nein
50km westlich
nein
ja
ja
240km südöstlich
nein
ja
ja
-: Nuss im Gebiet nicht vorhanden ja: Nuss ist vorhanden und wird konsumiert nein: Nuss ist vorhanden und wird nicht konsumiert 248
8 Inhalte der Erziehung Zusammenfassend kann man sagen, dass ökologische Faktoren, also das Vorhandensein von Nüssen oder geeignetem Material zum Knacken der Nüsse, einen Teil der Unterschiede erklären können – das Knacken von Nüssen also auf individuelles Lernen zurückgeführt werden kann; man findet aber immer wieder auch Unterschiede die mit größerer Wahrscheinlichkeit kulturell bedingt sind. Termitenfischen („termite fishing“) Die ersten Hinweise darauf, dass Schimpansen nach Termiten fischen, fand man in Gombe. Von hier stammen auch die ausführlichsten Daten (vgl. Goodall 1968; 1986; McGrew 1992; McGrew et al. 1979). Am häufigsten wird die Gattung Macrotermes konsumiert. Die Schimpansen fischen das ganze Jahr über nach Termiten, mit einem Höhepunkt in der Regenzeit, in der weibliche Tiere bis zu 15% ihrer Zeit mit dem Termitenfischen verbringen (vgl. McGrew 1992, S. 91). Auch die Population vom Assirik-Berg fischt nach Termiten. Wie in Gombe wird hier hauptsächlich M. subhyalinus konsumiert (vgl. McBeath & McGrew 1982; McGrew et al. 1979; Goodall 1986 (S. 249) bezeichnete die Art noch als M. bellicosus, Collins & McGrew 1987 bestimmen sie als M. subhyalinus). McGrew et al. (1979) beschreibt bezüglich des Termitenfischens Unterschiede der beiden Populationen, die auf Umwelteinflüsse zurückgeführt werden können, aber auch solche, die unabhängig von äußeren Einflüssen, als kulturell bedingt, bezeichnet werden können: Assirik-Schimpansen entfernen z.B. die Rinde der Stöcke, die sie zum Beproben der Bauten benutzen, Gombe-Schimpansen machen das nicht. Gombe-Schimpansen benutzen wiederum sehr oft beide Enden des Stabes, bevor sie ihn verwerfen, Assirik-Schimpansen nur ein Ende. Die Schimpansen von Mahale werden in drei Untergruppen unterteilt: die K-, M- und die B-Gruppe (Kansyana, Myako und Bilenge, vgl. z.B. McGrew & Collins 1985). Man konnte sich lange Zeit nicht erklären, warum die Tiere der K- und M- Gruppe nicht nach Termiten fischen, obwohl sie z.B. dabei beobachtet wurden, wie sie nach Ameisen fischen (vgl. Nishida 1973). Gelöst wurde das Rätsel, als man die Termiten genauer untersuchte. Die in Gombe konsumierten Macrotermes kommen bei den beiden Mahale-Gruppen nicht vor (vgl. Collins & McGrew 1987; McGrew & Collins 1985; Nishida & Uehara 1980). Die hier vorkommenden Odontotermes sind zwar – zumindest für einen Menschen – genauso leicht zu fischen, sie werden aber von den Schimpansen verschmäht; vielleicht weil sie ein schlecht schmeckendes Verteidigungssekret produzieren (vgl. Collins & McGrew 1987; Nishida 1987; Nishida & Uehara 1980).
249
8 Inhalte der Erziehung Im Gebiet der Mahale-B-Gruppe ist Macrotermes zu finden und wird hier auch von den Schimpansen konsumiert (vgl. McGrew & Collins 1985; Nishida & Uehara 1980; Uehara 1982). Die Unterschiede zwischen B- und K- bzw. M-Gruppe können also recht leicht durch ökologische Faktoren erklärt werden. Wo die entsprechenden Termiten vorkommen, werden sie auch konsumiert. Das Vorhandensein der Termiten ist wiederum von der Regenwahrscheinlichkeit abhängig, die sich von Gebiet zu Gebiet unterscheidet (vgl. McGrew 1992). Die Abwesenheit des Termitenfischens bei Taї-Schimpansen kann auf ähnliche Ursachen zurückgeführt werden. Die am häufigsten konsumierte Macrotermes-Art (M. subhyalinus) ist eher in der Savanne zu finden (vgl. z.B. Collins & McGrew 1987) bzw. wird nur in trockeneren Gebieten Werkzeug benutzt, um diese Art zu konsumieren (vgl. McBeath & McGrew 1982). Sie ist im Taї-Wald nicht vorhanden. Obwohl fünf andere Termitenarten auf dem Speiseplan der Taї-Schimpansen stehen, benutzen sie kein Werkzeug (vgl. Boesch & Boesch 1990, S. 92 f.). In Bossou sind Termiten der Art Macrotermes bellicosus zu finden, dennoch können die Schimpansen nicht dabei beobachtet werden, wie sie nach den Termiten fischen (vgl. Sugiyama & Koman 1979; Sugiyama et al. 1988; siehe aber auch Matsuzawa 1999, S. 651). Sugiyama et al. (1988, S. 59) vermuten, dass Umwelteinflüsse für das Fehlen des Fischens verantwortlich sind; welche genau das sein sollen, wird aber nicht weiter ausgeführt. Die Schimpansen in Kibale fischen nicht nach Termiten, obwohl Macrotermes hier vorhanden ist (vgl. Ghiglieri 1984, S. 72; Sherrow 2005; Watts 2008). Flexible Stöckchen werden zwar auch hier in Löcher gesteckt, um damit Insekten zu extrahieren; das Verhalten ist aber äußerst selten und die Löcher befinden sich in umgefallenen Baumstümpfen und nicht in Termitenhügeln. Zusammenfassend kann man sagen, dass es aufgrund der vielschichtigen Datenlage schwierig ist, aussagekräftige Vergleiche anzustellen. Sicherlich können viele der Unterschiede auf ökologische Faktoren – und damit zusammenhängend es individuelles Lernen – zurückgeführt werden; ebenso kommen aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch kulturelle Eigenheiten in den jeweiligen Gruppen vor.55
55
Beschreibungen des Termitenfischens in anderen Gebieten: für Goualugu vgl. Sanz et al. 2004; für Ga-
bon vgl. McGrew & Rogers 1983; für Fongoli vgl. McGrew et al. 2005; für Budongo vgl. Reynolds 2005
250
8 Inhalte der Erziehung Ameisenangeln („ant dipping“) Von den in der Tab. 6 angegebenen sechs Schimpansenpopulationen (Bossou, Taї, Kibale, Assirik, Gombe und Mahale) angeln vier nach Ameisen (Taї, Bossou, Assirik und Gombe) (vgl. Boesch 1996b, S. 424). Interessant ist, dass dabei zwei unterschiedliche Techniken genutzt werden (vgl. Boesch & Boesch 1990; McGrew 1974). Beim sogenannten „direct mouthing“ wird die Spitze des Stockes an den Ameisenbau gehalten. Die Ameisen, die den Nesteingang bewachen, strömen das Stöckchen hoch. Haben diese eine Höhe von 10cm erreicht, wird das Stöckchen weggenommen, zum Mund geführt und die Ameisen werden mit den Lippen direkt von Stock abgenommen. Die „pull through“ Technik beginnt zunächst genauso, die Stöcke sind aber ca. doppelt so lang. Haben die Ameisen aber ca. die Hälfte des Stöckchens erklommen, wird der Stock vom Boden gehoben und durch die geschlossenen Finger der anderen Hand gestrichen. Der Insektenklumpen, der an den Fingern hängen geblieben ist, wird dann zügig zum Mund geführt. Welche der beiden Techniken gezeigt wird, ist populationsspezifisch (vgl. Boesch 1996a; 1996b; Boesch & Tomasello 1998). Taї-Schimpansen zeigen z.B. nur das „directmouthing“, Gombe-Schimpansen die „pull through“ Technik. Nach Boesch (1996a; Boesch & Boesch 1990; Boesch & Tomasello 1998) wird in Taї- und Gombe die gleiche Ameisenart (Dorylus nigricans) konsumiert. Interessant ist, dass sich diese beiden Techniken in ihrer Effizienz unterscheiden. Die Technik der Gombe-Schimpansen ist viermal effektiver.56 Boesch (1996a, S. 260) schlussfolgert vor allem aus dem Zeigen einer ineffektiven Lösung, dass es sich bei der Technik des Ameisenangelns um ein kulturell übermitteltes Verhalten handeln muss. Würde das Verhalten individuell gelernt, hätte sich in beiden Gruppen die effektivere Variante durchsetzen sollen. Es scheint also eine soziale Norm, irgendeine Art von Druck zu geben, der verhindert, dass die Individuen alle Möglichkeiten testen. Gut 15 Jahre später untersuchten Schöning et al. (2008) erneut das Ameisenfischen bei Schimpansen und fassen den bisherigen Kenntnisstand zusammen. Sie beziehen in ihre Untersuchungen auch die Goualougo-, Budongo- und Fongoli-Schimpansen mit ein. Von
56
Bei den Taї-Schimpansen sind die Stöcke im Durchschnitt 30cm lang, die Bewegung wird 12 mal pro
Minute durchgeführt. Bei jedem Versuch werden durchschnittlich 15 Ameisen aufgenommen (vgl. Boesch & Boesch 1990). Das ergibt eine Bilanz von 180 Ameisen pro Minute. Die Stöcke der Gombe-Schimpansen sind im Durchschnitt 66 cm lang, die Bewegung wird 2,6 mal pro Minute gezeigt und es werden pro Versuch ca. 292 Ameisen aufgenommen (vgl. McGrew 1974). Die Bilanz fällt hier, mit 760 Ameisen pro Minute, deutlich besser aus.
251
8 Inhalte der Erziehung diesen drei Gruppen fischen die Goualougo- und Fongoli-Schimpansen ebenfalls nach Ameisen. Der wesentliche Zugewinn ihrer Untersuchungen ist aber, dass sie die Ameisenarten genauer untersuchten und entscheidende Unterschiede feststellen konnten (vgl. dazu auch Schöning et al. 2005). Bei den Ameisen in Gombe und Taї handelt es sich um unterschiedliche Arten und das Praktizieren verschiedener Techniken des Fischens kann auf das Verhalten der Ameisen zurückgeführt werden. Die effektivere Technik („pull-through“) mit relativ langen Stöcken wird bei den sogenannten „epigaeic species“ gezeigt. Die Arbeiter dieser Art sind aggressiver und greifen an, wenn sie gestört werden. Die weniger effektive Technik („direct mouthing“) mit kürzeren Stöcken wird bei „intermediate species“ gezeigt, die weniger aggressiv sind.57 Auch wenn das unterschiedliche Verhalten von Gombe- und Taї-Schimpansen auf das unterschiedliche Verhalten der Ameisen zurückgeführt werden kann, finden auch Schöning et al. (2008) Unterschiede zwischen den Populationen, die nicht auf ökologische Bedingungen zurückgeführt werden können und damit sehr wahrscheinlich kulturell bedingt sind. In Budongo, Kibale und Mahale fischen die Schimpansen nicht nach Ameisen, obwohl hier Arten vorkommen, die an anderen Orten konsumiert werden. Das geografische Muster des Ameisenfischens entspricht ebenso nicht dem, der SchimpansenUnterarten, was genetische Unterschiede als Ursache des Ausbreitungsmusters unwahrscheinlich macht (vgl. Schöning et al. 2008). Des Weiteren konnten sie bemerkenswerte Unterschiede zwischen Bossou- und TaїSchimpansen feststellen. Es ist sinnvoll diese beiden Populationen zu vergleichen, da hier die gleichen Beutetiere vorkommen und konsumiert werden. Schöning et al. (2008) beschreiben fünf wesentliche Unterschiede: (1) Taї-Schimpansen benutzen kein „pull through“, sondern nur „direct mouthing“, Bossou-Schimpansen machen beides. (2) Taї-Schimpansen jagen nicht nach Ameisen in Kolonnen, sondern nur nach Ameisen in Nestern. (3) Die Stöcke der Taї-Schimpansen sind kürzer, wenn sie Nester intermediärer (weniger aggressiverer) Arten beproben. (4) Taї-Schimpansen machen beim „direct mouthing“ kein „swiping“ (Die Ameisen werden mit Lippen oder Zähnen vom Stock abgefegt), sonder nur „nibbling“ (Die Ameisen werden vom Stock abgeknabbert); Bossou-Schimpansen zeigen beide Verhaltensweisen.
57
„direct mouthing” in Bossou, Gombe und Taї (vgl. Boesch & Boesch 1990; Schöning et al. 2008); “pull-
through“ in Bossou und Gombe, nicht in Taї (vgl. Boesch & Boesch 1990; Schöning et al. 2008)
252
8 Inhalte der Erziehung (5) Taї Schimpansen benutzen kein Werkzeug, um nach epigäischen (aggressiven) Arten zu jagen. Sie öffnen die Nester per Hand, um an die Brut (Puppen, Larven) heranzukommen. In Bossou wird auch Werkzeug benutzt. Schöning et al. (2008) interpretieren diese Unterschiede folgendermaßen: zu (1) Taї-Schimpansen benutzen Werkzeug nur, um intermediäre (wenig aggressive) Arten zu jagen. Die „direct mouthing“ Technik ist auch bei anderen Populationen mit dem Jagen nach den weniger aggressiven Arten korreliert. Nach den aggressiveren Arten wird nur mit der Hand, ohne Werkzeug gejagt (siehe (5)) zu (2) Das Jagen von Kolonnen ist weniger effizient. Vielleicht haben Taї andere Quellen energiereicher Nahrung, was das Jagen von Kolonnen unnötig macht. Vielleicht sind bei den Taї-Schimpansen die Nester aber auch leichter zugänglich als bei Bossou-Schimpansen. zu (3) Im Zusammenhang mit der Stocklänge unterscheidet sich das „direct mouthing“ der beiden Populationen. Taї-Schimpansen benutzen kürzere Stöcke und machen „nibbling“, Bossou-Schimpansen benutzen längere Stöcke und machen „swiping“ (siehe auch (4)). zu (4) Wenn man kürzere Stöcke benutzt, reicht „nibbling“ aus, bei längeren Stöcken ergibt hingegen nur „swiping“ Sinn. Beim „nibbling“ mit einem langen Stock würden zu viele Ameisen entkommen, im Gesicht herumkrabbeln und schmerzhafte Bisse verursachen. zu (5) Wahrscheinlich ist das Aufbrechen mit der Hand die effizientere Technik. Die Tiere gelangen in kurzer Zeit an eine große Menge energiereicher Nahrung, die zudem auch – im Gegensatz zu den ausgewachsenen Ameisen – weniger wehrhaft ist. Warum benutzen die Bossou-Schimpansen dann immer noch Werkzeug? Das Fischen nach den Ameisen mit Werkzeug ist dann von Vorteil, wenn z.B. Wurzeln den Zugang zum Nest versperren. Durch das Fischen kommt man immer noch an mehr Ameisen, als wenn man das Nest aufgeben müsste. Auffällig ist, dass viele Einschränkungen der Taї-Schimpansen mit dem Benutzen nur kurzer und nicht auch langer Stöcke zusammenhängen. Einiges spricht dafür, dass das Benutzen kurzer Stöcke ein sozial übermitteltes Verhalten ist (vgl. Schöning et al. 2008): - Taї-Schimpansen brechen zwar die Nester der aggressiveren Arten auf, um an die Brut zu kommen, sie benutzen aber kein Werkzeug, um nach ihnen zu jagen. Als Ursache kommt in Frage, dass zum Beproben der aggressiveren Arten lange Stöcke nötig sind. 253
8 Inhalte der Erziehung - Taї-Schimpansen machen kein „pull through“, weil diese Technik mit langen Stöcken assoziiert ist. - Taї-Schimpansen machen kein „swiping“, weil diese Technik mit langen Stöcken assoziiert ist. Neben den beschriebenen Unterschieden zwischen Bossou- und Taї-Schimpansen gibt es noch weitere Unterschiede zwischen den verschiedenen Populationen die, nach bisherigem Kenntnisstand, nicht auf unterschiedliche Umweltbedingungen zurückgeführt werden können (vgl. z.B. Schöning et al. 2008). Zu einem ähnlichen Ergebnis beim Vergleich von Bossou und Taї kommen auch Möbius et al. (2008). Was am Beispiel des „ant dipping“ deutlich wird, ist dass die Bedingungen, unter denen viele Verhaltensweisen gezeigt werden sehr komplex sind und man sie genau untersuchen muss, um den Einfluss von Umweltfaktoren – und damit individuelles Lernen – auszuschließen. Bei Verhaltensweisen, die mit der Ernährung assoziiert sind, ist das prinzipiell recht schwierig; zumindest schwieriger, als bei kommunikativem Verhalten.58 Kommunikatives bzw. körperorientiertes Verhalten ist im Vergleich zum Werkzeuggebrauch oder anderen Verhaltensweisen, die die Ernährung betreffen, für die Untersuchung von Kultur besser geeignet, da es weniger von ökologischen Faktoren abhängig ist. Andererseits ist es aber z.T. schwerer zu überblicken bzw. zu vergleichen, da ein Verhalten, das in verschiedenen Populationen gezeigt wird, eine jeweils andere Bedeutung haben kann (z.B. „leaf clipping“, siehe S. 258). Gerade daran wird aber ebenso die Unabhängigkeit von ökologischen Faktoren deutlich, da das gleiche Verhalten der Lösung unterschiedlicher Probleme dient, und eine Bezeichnung als Kultur rechtfertigt (vgl. z.B. Boesch & Tomasello 1998, S. 595). Eine Übersicht kommunikativer bzw. körperorientierter Verhaltensweisen geben die Tab. 8 und 9 wieder. Im Folgenden wird das „hand clasp grooming“, „leaf grooming“ und das „leaf clipping“ im Detail erläutert.
58
für Übersicht zum Ameisenfischen vgl. auch Boesch & Boesch 1990; McGrew 1974; 1992; 2004; Schö-
ning et al. 2008; Whiten et al. 1999; 2001; für Bossou (Guinea) vgl. Humle & Matsuzawa 2002; Matsuzawa 1999, S. 650; Möbius et al. 2008; Sugiyama 1995; Sugiyama et al. 1988; für Fongoli (Senegal) vgl. P. Bertolani, persönl. Mitteilung, zit in Schöning et al. 2008; McGrew et al. 2005; für Gombe (Tansania) vgl. Goodall 1963; McGrew 1974; für Goualougo (Demokratische Republik Kongo) vgl. Sanz & Morgan 2007; Sanz et al. 2010; für Taї (Ivory Coast) vgl. Boesch & Boesch 1990; für Assirik (Senegal) vgl. McGrew et al. 1988; für Kibale (Uganda) vgl. Watts 2008; Wrangham et al. 1991; für Mahale vgl. Nishida 1973; 1990; Nishida & Hiraiwa 1982
254
8 Inhalte der Erziehung Tabelle 8: Kommunikatives Verhalten verschiedener Schimpansenpopulationen (nach Boesch & Tomasello 1998, S. 593) Schimpansenpopulation Bossou
Taї
Kibale
Assirik
Gombe
Mahale
missile throw
+
+
-
-
+
+
branch haul
+
+
-
-
-
-
stick club
-
+
-
-
+
+
hand clasp
-
+
+
-
-
+
leaf clip*
+
+
-
-
-
+
play start
-
+
-
-
+
+
knuckle knock
-
+
-
-
-
-
leaf groom
-
-
+
-
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Legende: siehe Tabelle 7 * für Kibale ist „leaf clip“ mit „-“ angegeben, in späteren Untersuchungen hat man es dann aber doch beobachten können (vgl. Watts 2008) Tabelle 9: Körperorientiertes Verhalten verschiedener Schimpansenpopulationen (nach Boesch & Tomasello 1998, S. 593) Schimpansenpopulation Bossou
Taї
Kibale
Assirik
Gombe
Mahale
fly whisk
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index hit
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ground nest
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leaf napkin
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seld-tickle
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Legende: siehe Tabelle 7 „Hand clasp grooming“ Das „hand clasp grooming“ kann bei den Taї- (vgl. Whiten et al. 2001), Kibale- (vgl. Ghiglieri 1984, S. 145 f.) und Mahale-Schimpansen (vgl. McGrew 1992, S. 68; 2004, S. 137; McGrew & Tutin 1978; Nakamura 2002, S. 238) beobachtet werden. Die ersten Beschreibungen dieser Variante des Groomens stammen von McGrew & Tutin (1978, S. 238) für die Mahale-Schimpansen (K-Gruppe). Die beiden beteiligten Schimpansen heben gleichzeitig den Arm über den Kopf und einer der beiden ergreift das Handgelenk oder die Hand des anderen. Währenddessen groomt jedes Tier mit der frei255
8 Inhalte der Erziehung en Hand die Achselregion des anderen, die durch den nach oben gehaltenen Arm freigelegt wird. Die Schimpansen sitzen sich, Angesicht zu Angesicht, auf dem Boden, in symmetrischer Konfiguration, gegenüber. Entweder halten beide den rechten Arm nach oben und groomen mit der linken Hand oder andersherum (vgl. auch McGrew 1992, S. 68; 2004, S. 137). Der Schwerpunkt von W. C. McGrews Untersuchungen – von dem diese Beschreibung stammt – lag eigentlich auf den Gombe-Schimpansen. Er und C. E. G. Tutin wurden von J. Itani, der die Mahale-Schimpansen untersuchte, für einige Tage eingeladen. Als sie J. Itani von dem für sie unbekannten Verhalten des Groomens, das sie während ihres Aufenthaltes beobachtet hatten, berichteten, fragte dieser nur erstaunt, ob das nicht alle Schimpansen machen würden (vgl. McGrew 2004, S. 137). Obwohl Mahale- und GombeSchimpansen nur 170 km voneinander entfernt leben, wird das Verhalten nur von Mahale-Schimpansen gezeigt. Erste Ideen zu gruppeneigenen Verhaltensweisen und Kultur bei Schimpansen waren geboren. W. C. McGrew und C. E. G. Tutin sprachen zunächst von „social custom”. Ein Verhalten, das die Gombe-Schimpansen zeigen und das dem beschriebenen recht ähnlich ist, könnte eine ähnliche Funktion erfüllen, wie das „hand clasp grooming“ der Mahale-Schimpansen. Gombe-Schimpansen ergreifen gelegentlich während des Groomings nicht die Hand des anderen, sondern einen Ast, der über dem Kopf hängt („branch clasp grooming“; vgl. McGrew 2004, S. 139; McGrew et al. 2001; McGrew & Tutin 1978; Whiten et al. 2001). Diese Haltung ermöglicht es ihnen – genauso wie beim Ergreifen der Hand des anderen über dem Kopf – die Achselhöhle frei zu legen, um dort gegroomt zu werden. Ghiglieri (1984, S. 145 f.) beschrieb das Verhalten einige Jahre später für die KibaleSchimpansen und Whiten et al. (2001) für die westafrikanischen Taї-Schimpansen. Weitere Untersuchungen brachten ein zusätzliches, interessantes Detail zu Tage. Innerhalb der Mahale-Schimpansen sind zwei unterschiedliche Formen des „hand clasp groomings“ zu finden. Die Tiere der K-Gruppe zeigen die „klassische“ Variante, bei der die beiden Handflächen aneinandergelegt werden, die der M-Gruppe machen das nie. Deren Variante mutet etwas liederlicher an, z.T. umfassen sich die Hände nicht einmal; lediglich die Handgelenke berühren sich. Oft umfasst ein Schimpanse das Handgelenk des anderen, während dieser seine Hand locker hängen lässt oder gegen den Arm des anderen lehnt. Dieser Stil führt zu Abstrichen in der Symmetrie und auch die Arme sind nicht voll ausgestreckt (vgl. McGrew 2004, S. 141; McGrew et al. 2001; Nakamura 2002; Nakamura & Uehara 2004). 256
8 Inhalte der Erziehung Man kann sicherlich argumentieren, dass für dieses Verhalten eine bestimmte Notwendigkeit besteht: die Achselhöhle zu groomen und die hier vorhandenen Parasiten zu entfernen. Die verschiedenen Varianten, die die Gruppen zeigen, können aber nicht durch bestimmte Erfordernisse (oder umweltbedingte Faktoren) erklärt werden. Dass eine Gruppe genau eine bestimmte Variante des Groomens zeigt und eine andere Gruppe eine andere Variante, kann nur durch einen bestimmten sozialen Druck in der Gruppe, eine soziale Norm, erklärt werden. Das Verhalten ist mit ziemlicher Sicherheit auf soziales Lernen zurückzuführen und demzufolge als Kultur zu bezeichnen. „Leaf grooming“ „Leaf grooming“ ist ein Verhalten, das in Kibale (vgl. R. Wrangham, persönl. Mitteilung, zit. in McGrew 1992), Gombe (vgl. Boesch 1995; 1996a; 1996b; Boesch & Tomasello 1998; Goodall 1986) und Mahale (vgl. Nishida 1980) beobachtet werden kann. Das Verhalten konnte bisher nicht in Bossou, Taї und bei den Schimpansen des Assirik-Berges beobachtet werden. Boesch (1995) beschreibt das Verhalten für die Gombe-Schimpansen folgendermaßen: Die Tiere legen Ektoparasiten, die sie beim Groomen anderer Tiere oder an sich selbst finden, auf ein Blatt und zerdrücken sie dann mit dem Daumen, bevor sie sie fressen (vgl. dazu auch Boesch 1996a; 1996b; Boesch & Tomasello 1998; Goodall 1986). Taї-Schimpansen betreiben zwar kein „leaf grooming“, sie zeigen aber ein anderes Verhalten, das anscheinend eine ähnliche Funktion erfüllt und als „index hitting“ bezeichnet wird. Sie platzieren die Parasiten, die sie beim Groomen gefunden haben, auf ihrem Unterarm und zerquetschen sie, indem sie mit dem Zeigefinger der anderen Hand draufklopfen. Nach einigen Schlägen wird der Parasit zum Mund geführt und zerkaut (vgl. Boesch 1995; 1996a; 1996b; Boesch & Tomasello 1998). Auch hier erfüllen beide Varianten des Verhaltens die gleiche Funktion. Die Entscheidung, welches Verhalten gezeigt wird, scheint willkürlich zu sein (vgl. z.B. Boesch & Tomasello 1998, S. 595), in dem Sinne, dass es nicht von äußeren, ökologischen Faktoren abhängig ist. Jede Population hat zur Lösung des gleichen Problems ihre eigene Variante entwickelt. Die Willkürlichkeit über die Entscheidung, welche Variante entsteht oder beibehalten wird, legt nahe, dass es eine soziale Norm, einen sozialen Druck gibt, der bei den Gruppenmitgliedern dazu führt, dass nur eine bestimmte Variante gezeigt wird (vgl. z.B. Boesch 1996a). Das Verhalten wird demnach sozial gelernt und kann als Kultur bezeichnet werden.
257
8 Inhalte der Erziehung „Leaf clipping“ „Leaf clipping“ ist ein Veralten, das zuerst bei Mahale-Schimpansen beschrieben wurde (vgl. Nishida 1980; 1987, S. 466). Ein Schimpanse nimmt ein bis fünf feste Blätter in die Hand; den Stiel zwischen Daumen und Zeigefinger. Anschließend wird das Blatt hin und her gedreht und Teile mit den Schneidezähnen abgebissen, so dass das Blatt in Stücke zerbissen wird. Während dieses Vorgangs ist ein charakteristisches Geräusch des Zerreißens deutlich vernehmbar. Wenn nur noch die Mittelrippe übrig ist, wird das Blatt fallen gelassen und eine neue Sequenz, mit einem neuen Blatt, kann beginnen. Das Verhalten wird mit verschiedenen Blättern durchgeführt und kein Teil des Blattes wird verzehrt (vgl. Boesch 1996a; 1996b). Außer in Mahale kann das Verhalten regelmäßig in Bossou (vgl. Sugiyama 1981), Taї (vgl. Boesch 1995; 1996a; 1996b)59 und Kibale (vgl. Watts 2008) beobachtet werden. In Gombe wurde das Verhalten zweimal beobachtet (vgl. J. Goodall, persönl. Mitteilung, zit. in Nishida 1987) und in Assirik ist es, nach bisherigem Kenntnisstand, abwesend. Bemerkenswert ist nicht nur, dass das Verhalten nur von einigen Populationen gezeigt wird, sondern auch, dass es in den Populationen, in denen es vorkommt, in unterschiedlichen Kontexten gezeigt wird. In Mahale wird es vor allem von den Männchen, als ein Werbeverhalten, in einem sexuellen Kontext gezeigt, um die Aufmerksamkeit der Weibchen auf sich zu ziehen (vgl. Nishida 1980; 1987), ebenso in Kibale (vgl. Watts 2008). In Bossou wird das „leaf clipping“ vor allem im Kontext der Frustration und beim Spiel gezeigt, selten auch um die Aufmerksamkeit paarungsbereiter Weibchen auf sich zu ziehen (vgl. Sugiyama 1981). Bei Taї-Schimpansen wird das „leaf clipping“ vor dem „drumming“60 vollzogen (vgl. Boesch 1995; 1996b); in einer späteren Beobachtungsphase wurde es dann von allen Alters- und Geschlechtsklassen auch während der Ruhephasen gezeigt (vgl. Boesch 1995; 1996b). Dieser neue Kontext des Verhaltens breitete sich sehr schnell über die Gruppe aus. Es ist unwahrscheinlich, dass ökologische Ursachen dafür verantwortlich sind, dass verschiedene Schimpansenpopulationen das „leaf clipping“ benutzen, es aber überall in einem anderen Kontext anzutreffen ist. Die Willkürlichkeit des beobachteten Kontexts legt nahe, dass das „leaf clipping“ ein kulturelles Verhalten ist, dessen Kontext durch eine „soziale Norm“ unter den Gruppenmitgliedern fixiert ist (vgl. Boesch 1996a). Da das Verhalten auf sozialen Lernprozessen beruht, kann es als Kultur bezeichnet werden. 59
Die Form unterscheidet sich ein wenig zwischen Mahale und Taї (vgl. Boesch 1995).
60
Beim „drumming“ schlagen oder treten die Tiere gegen Baumstämme. Das Verhalten wird im Kontext
des Drohens oder Angreifens gezeigt.
258
8 Inhalte der Erziehung Bei einem Vergleich der verschiedenen Schimpansenpopulationen ist es insgesamt schwierig, genetisch bedingte Unterschiede im Verhalten auszuschließen, da vier Unterarten unterschieden werden können. Vor allem die Methode der „exclusion“ führt zu Verschleierungen. Man dokumentiert Verhaltensunterschiede zwischen Gruppen und schlussfolgert, dass es sich um Kultur handelt, indem man mögliche ökologische Ursachen ausschließt. Häufig wird kritisiert, dass es Wissenschaftler weniger ernst nehmen, eine genetische Verursachung der Verhaltensunterschiede zwischen den Gruppen auszuschließen. Langergraber et al. (2011) untersuchten aus diesem Grund genauer mögliche genetische Ursachen der Verhaltensunterscheide, die bisher als kulturell betrachtet wurden. Sie verglichen direkt Verhaltensdaten mit den genetischen Daten von neun Schimpansenpopulationen und kommen zu dem Ergebnis, dass genetische Unterschiede und Unterschiede im Verhalten hoch korreliert sind. Innerhalb genetisch gleicher Gruppen gibt es nur sehr geringe Unterschiede im Verhalten. Eine genetische Verursachung der Unterschiede wird nahegelegt; oder anders formuliert: Sie kann nicht ausgeschlossen werden. Whiten et al. (1999) fanden hingegen keinen Hinweis darauf, dass Verhaltensweisen mehr zwischen, als innerhalb drei existierender Unterarten variieren, was eine genetische Verursachung der Verhaltensunterschiede unwahrscheinlich macht. Ebenso muss klargestellt werden, dass aus genetischen Unterschieden zweier Populationen nicht direkt geschlussfolgert werden kann, dass genau diese Unterschiede auch für die Unterschiede im Verhalten verantwortlich sind. Genau genommen, müssten sich die Gene, die ein bestimmtes Verhalten bedingen, unterscheiden. Dieser Nachweis fehlt aber. Es ist außerdem sehr unwahrscheinlich, dass so komplexe Verhaltensweisen, vor allem in ihren Details, wie sie hier beschrieben wurden, genetisch bedingt sein sollen. De Waal (1999) schreibt dazu (S. 635): „Genes determine general abilities, such as tool use, but it is hard to imagine that they instruct apes how exactly to fish for ants or whether or not to make cushy seats out of vegetation.” Außerdem ist zu bedenken, dass auch beim Menschen – wendet man die Methode der „exclusion“ an – eine hohe Korrelation von Verhaltensweisen mit sowohl genetischen (vgl. z.B. Cavalli-Sforza 2000, S. 185) als auch ökologischen (vgl. Nettle 2009) Faktoren zu finden ist. Dieser Zusammenhang bedeutet, dass auch ein großer Teil der Diversität gruppenspezifischen Verhaltens beim Menschen dann nicht als Kultur zu bezeichnen wäre.
259
8 Inhalte der Erziehung
8.5 Diskussion Im Rahmen dieser Arbeit wurde für die Primaten die größte Fülle kulturelle Phänomene beschrieben. Die Populationen unterscheiden sich im Werkzeuggebrauch, dem Jagdverhalten oder anderen Verhaltensweisen, die nicht auf ökologische oder genetische Ursachen zurückgeführt werden können und daher sozial gelernt werden und als kulturell bezeichnet werden können. Die folgende Diskussion bezieht sich deshalb zunächst auf die Primaten und insbesondere auf die Menschenaffen; werden Beispiele aus anderen Taxa hinzugezogen, wird darauf verwiesen. Eine der wichtigsten Fragen ist, warum bei einigen Arten mehr Kultur zu finden ist als bei anderen. Man kann eine Antwort auf diese Frage finden, indem man versucht den Kontext zu verstehen, in dem kulturelle Fähigkeiten evolvierten und gezeigt werden. Im Wesentlichen können drei Faktoren beschrieben werden (siehe dazu auch Parker & Russon 1996, S. 439; van Schaik et al. 1999): (1) Kultur ist abhängig von den „life history“-Parametern und damit assoziierten kognitiven Fähigkeiten einer Art. (2) Kultur ist abhängig von den sozialen Strukturen. (3) Kultur ist abhängig von den Strategien des Nahrungserwerbs.
8.5.1 „Life history“-Parameter und kognitive Fähigkeiten Alle Menschenaffen teilen gemeinsame „life history“-Merkmale, wie eine verlängerte Tragezeit, Kindheit und Jugend; eine lange Lebensspanne und ein großes Gehirn. Diese Merkmale, die ihre gemeinsame Abstammung reflektieren, verbinden sie mit den Menschen und trennen sie von den anderen Primaten, die kürzere Tragezeiten haben, eine kürzere Kindheit und Jugend; eine kürzere Lebensspanne und ein kleineres Gehirn (vgl. z.B. Harvey et al. 1987). Parker & Russon (1996) argumentieren, dass eine ähnliche „life history“ aller Großen Menschenaffen die Basis gemeinsamer kognitiver Fähigkeiten und ein damit verbundenes gemeinsames kulturelles Potential darstellt. Im Gegensatz zu ihrer „life history“ divergierten die Nahrungs- und Futtersuchstrategien und die soziale Organisation der Großen Menschenaffen signifikant während ihrer Evolution. Als Konsequenz unterscheiden sie sich heute deutlich in diesen Merkmalen. Es ist wahrscheinlich, dass die Unterschiede in den Nahrungsgewohnheiten und in der sozia260
8 Inhalte der Erziehung len Organisation die Unterschiede innerhalb der Großen Menschenaffen in Bezug auf das kulturelle Potential, erklären (vgl. Parker & Russon 1996).
8.5.2 Kultur in Abhängigkeit sozialer Strukturen Es ist auffällig, aber nicht erstaunlich, dass Kultur häufiger bei Tieren, die in Gruppen leben, anzutreffen ist als bei solitär lebenden Taxa. Solitär lebende Arten, wie z.B. die Orang-Utans, die bis auf die Mutter-Jungtier-Einheit keine stabilen Verbände bilden, weisen deutlich weniger kulturelle Phänomene auf als Schimpansen oder Bonobos, die in Gruppen mit vielen Männchen und Weibchen leben (vgl. z.B. Parker & Russon 1996, S. 442). Ebenso ist für das Entstehen von Kultur eine gewisse Kontinuität bzgl. der Gruppenmitglieder nötig. Bei den Gorillas verlassen beispielsweise beide Geschlechter ihre Geburtsgruppe. Im Vergleich zu den Schimpansen, bei denen nur die Weibchen ihre Geburtsgruppe verlassen, herrscht bei den Gorillas also weniger Kontinuität, was die Möglichkeit zur Etablierung von Traditionen verringert (vgl. z.B. Parker & Russon 1996, S. 443). Auch innerhalb der gleichen Art können kulturelle Phänomene abhängig von der sozialen Struktur beschrieben werden. Die Orang-Utans von Suaq Balimbing sind die einzige frei lebende Orang-Utan-Gruppe, bei der ein regelmäßiger Gebrauch von Werkzeug festgestellt werden kann. Eine Verbreitung dieser Technik könnte durch die ungewöhnlich hohe Dichte der Tiere in diesem Gebiet begünstigt worden sein (vgl. Fox et al. 1999). Es gibt mehrere mögliche Erklärungen, warum ein stabiles Gruppenleben das Auftreten von Kultur begünstigt. Grundsätzlich gibt es einfach mehr Möglichkeiten zum sozialen Lernen, wenn die Tiere mehr Zeit in der Nähe andere Tiere verbringen (vgl. Fox et al. 1999); sicherlich spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle. So könnte eine höhere Dichte der Tiere zu einem größeren Wettbewerb um Ressourcen führen, was z.B. einen Aufschluss weiterer Nahrungsquellen nötig macht (vgl. Fox et al. 1999). Rendell & Whitehead (2001), die hauptsächlich Wale untersuchten, führen an, dass das Leben in einer Gruppe zwar viele Vorteile hat – wie die Möglichkeit zum gemeinsamen Jagen, dem Teilen von Futter, einer gemeinsamen Verteidigung der Gruppe – aber auch Nachteile. Es besteht das Risiko, Nahrung mit Individuen zu teilen, die nicht der eigenen Gruppe angehören oder beim Versuch, die Gruppe zu verteidigen, verletzt zu werden. Bestimmte Eigenheiten der eigenen Gruppe – bestimmt Signaturen – verringern dieses Risiko. Gruppenleben fördert also die Entstehung von Kultur, da die eigene Gruppe gegenüber anderen Gruppen verteidigt werden muss. Bestimmte gruppeneigene Signale 261
8 Inhalte der Erziehung dienen als Erkennungsmerkmal der eigenen Gruppe und grenzen sie gegenüber anderen Gruppen ab. Kappeler (2006) geht noch weiter und beschreibt nicht nur das Leben in der Gruppe als eine Voraussetzung für die Entstehung von Kultur, sondern Situationen gegenseitiger Toleranz und Nähe innerhalb einer Gruppe, die den Nährboden für Erfindungen und deren Ausbreitung darstellen (vgl. auch van Schaik et al. 1999). Ein besonders hohes Maß an Toleranz und Nähe bietet die Mutter-Jungtier-Einheit. Vor allem bei den Menschenaffen sind die juvenilen Individuen erst sehr spät unabhängig, wodurch sich ihnen zahlreiche Gelegenheiten zum Lernen von der Mutter und anderen Erwachsenen bieten (vgl. Kappeler 2006). So benötigen z.B. junge Schimpansen mehrere Jahre, um die Komplexität des Termitenfischens von ihren Müttern zu lernen (vgl. Lonsdorf 2006b). Innerhalb der Sozialstruktur einer Gruppe scheint den Weibchen eine besondere Bedeutung zuzukommen. Vor allem bei den Schimpansen wird im Zusammenhang der Forschung zur Kultur immer wieder die Rolle der weiblichen Gruppenmitglieder betont. Mit einsetzender Geschlechtsreife verlassen diese ihre Geburtsgruppe und schließen sich einer anderen Gruppe an (vgl. z.B. Goodall 1986; Nishida 1979; Nishida & Kawanaka 1972; Pusey 1979). Somit sind optimale Voraussetzungen dafür gegeben, dass sie die Traditionen ihrer Geburtsgruppe an die neue Gruppe weitergeben (siehe z.B. auch Parker & Russon 1996, S. 443). Nishida (1980) beschrieb das „leaf clipping“ bei Mahale-Schimpansen (siehe S. 256 ff.); am Anfang konnte er das Verhalten nur in der K-Gruppe beobachten. Einer der beobachteten Fälle beschreibt aber deutlich, dass das „leaf clipping“ auch von adoleszenten Männchen der M-Gruppe verstanden wird. Ein Weibchen der K-Gruppe, das sich im Östrus befand, näherte sich einigen Männchen der M-Gruppe und zeigte „leaf clipping“, was von diesen eindeutig als Signal der Paarungsbereitschaft verstanden wurde. Nishida (1980) nehmen diesen Sachverhalt als Indiz dafür, dass das „leaf clipping“ ein Verhalten ist, das den Schimpansen des gesamten Mahale-Gebietes eigen ist. Aufgrund der Wanderungen der Weibchen zwischen benachbarten Gruppen ist es unwahrscheinlich, dass eine kommunikative Verhaltensweise auf eine der Gruppen beschränkt bleibt. Hinweise darauf, dass Verhaltensweisen durch die wandernden Weibchen an andere Gruppen weitergegebene werden, liefert auch McGrew (2004, S. 141). Alle Schimpansen des Mahale-Gebietes zeigen das sogenannte „hand clasp grooming“ (siehe S. 256). Die genaue Technik unterscheidet sich aber bei den einzelnen Untergruppen. Die Tiere der K-Gruppe berühren sich gegenseitig an den Handflächen; die Technik der Schimpansen der M-Gruppe mutet etwas liederlicher an. Zum Teil hält nur ein Tier den Arm des ande262
8 Inhalte der Erziehung ren am Handgelenk nach oben oder beide Tiere berühren sich gegenseitig an den Handgelenken. McGrew (2004, S. 141) konnte einige Fälle beobachten, in denen Mitglieder der M-Gruppe die Variante der K-Gruppe zeigten. In all diesen Fällen wurde das Verhalten von Weibchen gezeigt, die aus der K-Gruppe in die M-Gruppe eingewandert sind. Wirklich befriedigend sind diese Ergebnisse nicht, da in keinem Fall wirklich nachgewiesen werden kann, dass Weibchen eine neue Verhaltensweise in eine Gruppe einführen und dass sich dieses Verhalten dann auch in der neuen Gruppe ausbreitet (siehe aber auch Hannah & McGrew 1987; Matsuzawa & Yamakoshi 1996, S. 224 ff.; Matsuzawa 199961 mit einer experimentellen Studien, bei denen ein Weibchen eine neue Tradition in die Gruppe einführte). Dafür könnte es verschiedene Ursachen geben. Zum einen sind Schimpansen xenophob und territorial (vgl. McGrew 1998, S. 321). Dies könnte Auswirkungen auf das gruppenspezifische Verhalten haben. Einwandernde Individuen passen sich wahrscheinlich eher an, als dass sich ihre mitgebrachten Verhaltensweisen durchsetzen würden. Zum anderen ist die Ausbreitung des Verhaltens schwer zu untersuchen. Man muss entweder das Wandern bekannter Weibchen in eine fremde Gruppe beobachten können oder das Einwandern fremder Weibchen in eine bekannte Gruppe. Auch wenn nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, dass Weibchen kulturelle Errungenschaften von einer Gruppe an eine andere weitergeben, gibt es noch weitere Hinweise darauf, dass Weibchen im Kontext der Kultur eine besondere Rolle spielen.
61
S. 662: Einer Gruppe von Bossou-Schimpansen wurden ihnen unbekannte Coulanüsse gegeben. Die
meisten Tiere untersuchten die Frucht und versuchten sie aufzubeißen. Sie versuchten allerdings nicht, sie zu knacken, obwohl sie das mit den Nüssen der Ölpalme regelmäßig taten. Ein erwachsenes Weibchen namens Yo nahm jedoch unmittelbar eine der Nüsse, legte sie auf den Amboss, knackte sie und aß den Kern. Eine Gruppe von Jungtieren versammelte sich um Yo und sie schauten, was sie tat. Keines versuchte aber selbst eine Coulanuss zu knacken. Am nächsten Tag knackte ein sechs Jahre altes Männchen eine Nuss, ohne es vorher geübt zu haben. Vier Tage später folgte ein fünf Jahre altes Weibchen. Beide Jungtiere öffneten die Nuss, beschnupperten den Kern, kauten ihn und spuckten ihn wieder aus. Obwohl die Nüsse, der Gruppe, für weitere zwei Wochen präsentiert wurden, blieben die beiden Jungtiere die einzigen beiden Individuen, die das Nüsseknacken erlernten. Generell lässt sich sagen, dass die älteren Tiere die Nüsse ignorierten, wohingegen die jüngeren großes Interesse an Yo und ihrem Verhalten zeigten und weiterhin versuchten die Nüsse mit den Händen zu öffnen. (Matsuzawa 1999, S. 662) interpretieret die Beobachtungen folgendermaßen: Das Weibchen Yo wurde in einer anderen Gruppe geboren, z.B. der vom Mount Nimba, etwa 10km von Bossou entfernt. Diese Gruppe knackt regelmäßig Coulanüsse. Sie wuchs auf und lernte das Nüsseknacken, bevor sie nach Bossou kam. In Bossou hatte sie keine Möglichkeit weiter Coulanüsse zu knacken, da diese hier nicht vorkommen. Durch das Experiment kam sie wieder in Kontakt mit Coulanüssen; sie fungierte nun als Erfinder und führte eine neue Art des Nüsseknackens in Bossou ein.
263
8 Inhalte der Erziehung Lind & Lindenfors (2010) konnten z.B. nachweisen, dass eine Gruppe mehr Kultur hat, je mehr Weibchen ihr angehören. Beim Werkzeuggebrauch und hier vor allem beim Nüsseknacken können geschlechtsspezifische Unterschiede nachgewiesen werden. Weibchen benutzen häufiger Werkzeuge, sie sind effizienter und sie benutzen kompliziertere Techniken (für das Nüsseknacken vgl. Boesch & Boesch 1984; Boesch & Boesch-Achermann 2000, S. 204 f. u. 218 f.; für das Termitenfischen vgl. Lonsdorf 2006a; McGrew 1979). Warum das so ist, ist nicht ganz klar. Verschiedene Hypothesen, die getestet wurden, führten zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Idee, dass Nüsse ein besonders kalorienhaltiges Nahrungsmittel sind, das für Weibchen von größerer Bedeutung ist, da sie weniger Jagen gehen, konnte nicht bestätigt werden (vgl. Boesch & Boesch 1984). Im Gegensatz dazu geht McGrew (1979) davon aus, dass Termiten und Ameisen für die weiblichen Schimpansen in Gombe eine echte, alternative Proteinquelle darstellen. Abhängige Jungtiere erlauben es ihnen in einem deutlich geringeren Maße als den Männchen, zu jagen; die Jungtiere stören aber nicht beim Termitenfischen. In diesem Kontext ist es ebenso wichtig, zu erwähnen, dass weibliche Jungtiere besser und schneller lernen als männliche Jungtiere (für das Termitenfischen vgl. Lonsdorf 2006a; Lonsdorf et al. 2004; McGrew 1979; für das Nüsseknacken vgl. Boesch & BoeschAchermann 2000; McGrew 1979). Diese Tatsache ist in Einklang mit den Ergebnissen, dass die Weibchen als erwachsene Tiere mehr Werkzeug gebrauchen und dabei auch effizienter sind. Die Bedeutung der Weibchen als Erhalter und Übermittler von Kultur ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf die Schimpansen beschränkt. Van de Waal et al. (2010) fanden heraus, dass auch Meerkatzen (Cercopithecus aethiops) eher von Weibchen, als von Männchen lernen. Im Gegensatz zu den Schimpansen bleiben bei den Meerkatzen die Weibchen in ihrer Geburtsgruppe; es ist sinnvoll, sie als Vorbild zu nutzen, da sie das Revier besser kennen und besser wissen, wo Nahrung zu finden ist. Auch Russell & Russell (1989, S. 753) heben die Bedeutung der Weibchen hervor. Ihr Ausgangspunkt sind die entspannten Umstände, die die Mutter dem Jungen bereitstellt. Diese bieten dem Jungen Schutz und ermöglichen es ihm, gefahrlos seine Umgebung zu erkunden und sie sind essentiell für einen kulturellen Fortschritt. Bei Säugetieren ist das Weibchen immer die erste Bezugsperson (siehe S. 35). Es kann daher erwartet werden, dass die Weibchen eine maßgebliche Rolle in Bezug auf den kulturellen Fortschritt einer Gruppe spielen.
264
8 Inhalte der Erziehung
8.5.3 Kultur in Abhängigkeit von Strategien des Nahrungserwerbs Eine Nahrungsnische ist die notwendige Folge, die sich aus der räumlichen und zeitlichen Verteilung verschiedener Nahrung ergibt. Schimpansen und Orang-Utans, als Spezialisten für weit verbreitete, saisonale Nahrungsressourcen, sind gezwungen, sich zu trennen und in großen Revieren weit zu wandern. Bonobos haben kleinere Reviere und Gorillas, als Spezialisten für reichlich vorhandenes pflanzliches Material, legen relativ geringe Distanzen in einem relativ kleinen Revier zurück (vgl. Parker & Russon 1996, S. 440). Diese Unterschiede im Muster der räumlichen Ausbreitung bedingen wiederum bestimmte Eigenschaften des Paarungssystems, der sozialen Interaktionen und Organisation (vgl. Wrangham 1987), was wiederum das Auftreten kultureller Verhaltensweisen beeinflusst (vgl. Parker & Russon 1996, S. 440). Ebenso haben Strategien des Nahrungserwerbs an sich, vor allem wenn sie mit dem Gebrauch von Werkzeug assoziiert sind, einen direkten Einfluss auf das Entstehen von Kultur. Schimpansen weisen im Vergleich zu den anderen Menschenaffen einige Besonderheiten auf, die das Auftreten von Kultur begünstigen. Die kleinsten Arten unter den Menschenaffen, die Bonobos und Schimpansen, sind omnivor und haben das größte Nahrungsspektrum. Je vielfältiger die Nahrung ist, desto mehr sind die Tiere von saisonalen Bedingungen beeinflusst (bzw. ist in bestimmten Habitaten die Saisonalität stärker ausgeprägt). Ein saisonales Vorhandensein bestimmter Nahrungsressourcen führt wiederum zu einer größeren Abhängigkeit von eingelagerter Nahrung während der Trockenzeit. Solch eingelagerte Nahrung, wie soziale Insekten (Termiten, Ameisen, Bienen), Wurzeln, im Boden lebende Tiere, hartschalige Früchte und Nüsse, sind für Arten mit starken Zähnen oder Händen zugänglich oder mit Hilfe von Werkzeug erreichbar. Da Schimpansen im Vergleich zu Orang-Utans oder Gorillas weniger kräftig sind, bleibt ihnen nur der Gebrauch von Werkzeug, um diese Art von Nahrung zu erschließen. Das Benutzen von Werkzeug ist wiederum mit sozialem Lernen und Lehren assoziiert, was die Entstehung von Kultur begünstigt. Bei omnivor lebenden Arten, wie den Schimpansen, können zwei Populationen in Gebieten mit sehr unterschiedlicher Nahrung leben (wie z.B. im Regenwald und in der bewaldeten Savanne) und dementsprechend auch sehr unterschiedliche Nahrung konsumieren. Ebenso können sich zwei Populationen, die im gleichen Gebiet leben, auf unterschiedliche Nahrung spezialisieren. Das alles sind Faktoren, die das Auftreten kultureller Verhaltensweisen begünstigen (zur großen ökologischen Spannbreite des Nahrungsspektrums der Schimpansen vgl. auch Kano 1992). 265
8 Inhalte der Erziehung Im Vergleich zu den Schimpansen leben Bonobos ausschließlich im tropischen Regenwald. Obwohl das Nahrungsspektrum dem der Schimpansen ähnelt, ist ihr Habitat reicher und weniger variabel und sie sind dadurch in der Lage in einem kleineren Revier ausreichend Nahrung zu finden und dadurch weniger auf den Gebrauch von Werkzeug angewiesen (vgl. Parker & Russon 1996). Berggorillas sind vorrangig herbivor. Nahrung ist im Überfluss vorhanden und unterliegt relativ geringen saisonalen Schwankungen. Sie sind in der Lage auf einem relativ kleinen Gebiet genügend Nahrung zu finden, was einen Gebrauch von Werkzeug nicht erforderlich macht. Flachlandgorillas, vor allem der Westliche Flachlandgorilla, zeigen ein etwas größeres Nahrungsspektrum (vgl. z.B. Tutin & Fernandez 1983). Ihre enorme Körperkraft macht aber in vielen Fällen den Gebrauch von Werkzeug überflüssig (vgl. Parker & Gibson 1979; Parker & Russon 1996). Orang-Utans sind vorrangig frugivor. Dementsprechend ist das Nahrungsangebot starken saisonalen Schwankungen unterworfen. Sie haben aber im Vergleich zu den anderen großen Menschenaffen, die größten Reviergebiete (vgl. MacKinnon 1974). Im Vergleich zu den Schimpansen sind die relativ starken Orang-Utans durch ihre Anatomie in der Lage, an bestimmte Nahrung heranzukommen ohne dafür Werkzeug benutzen zu müssen (vgl. Lethmate 1982; Parker & Gibson 1979; Parker & Russon 1996, S. 441). Zusammenfassend kann man sagen, dass Kultur dann auftritt, wenn es für die Lebensweise einer Art, in einem evolutionsbiologischen Sinn, von Vorteil ist, Wissen auf kulturellem Wege weiterzugeben. Das heißt, Kultur ist nicht unter allen Umständen von Vorteil. Sie ist nur eine von vielen möglichen Strategien. Begünstigend auf die Entstehung von Kultur wirken: (a) bestimmte kognitive Fähigkeiten (und damit zusammenhängend soziales Lernen und Lehren), (b) große soziale Gruppen, in denen Toleranz herrscht und zumindest ein Teil der Gruppenmitglieder in der Gruppe verbleibt und (c) eine omnivore Ernährungsweise, bei der bestimmte Nahrung nur saisonal vorhanden ist bzw. Werkzeug nötig ist, um an diese Nahrung heranzukommen (vgl. z.B. auch Parker & Russon 1996, S. 443). Schimpansen entsprechen am Besten diesen Kriterien und weisen dementsprechend die größte Fülle kultureller Errungenschaften auf.
8.5.4 Kultur bei Walen Neben den Primaten sind die Wale die Gruppe, bei der die meisten Hinweise auf Kultur gefunden werden können. Die Kultur dieser Tiere weist im Vergleich zu der, landleben266
8 Inhalte der Erziehung der Tiere, einige Besonderheiten auf. Auf dem Land ist eine Gruppe, die eine bestimmte Kultur hat, meist auf ein ganz bestimmtes Gebiet beschränkt. Im Gegensatz dazu kommen kulturell bedingte Varianten im Verhalten bei Orkas, Pottwalen und Großen Tümmlern sympatrisch vor und Individuen verschiedener Kulturen interagieren häufig miteinander. Mitglieder dieser Tiergruppen sind wiederholt einer großen Bandbreite kultureller Variationen ausgesetzt, behalten aber ihre eigene bei (vgl. Rendell & Whitehead 2001, S. 316). Eine weitere Besonderheit ist die Stabilität der Traditionen. Die Dialekte einiger Orkapopulationen existieren schon seit vielen Generationen (vgl. Ford 1991). Rendell & Whitehead (2001, S. 317) schreiben, dass ihnen, abgesehen vom Menschen, nirgends ein Phänomen bekannt ist, dass mit den stark ausgeprägten, stabilen und sympatrisch vorkommenden Gesangs- und Verhaltenskulturen der Orkas vergleichbar wäre. Warum gerade die Wale so außergewöhnliche Fähigkeiten haben, ist nicht ganz klar. Es gibt aber einige, plausibel klingende Erklärungen. Prinzipiell besitzen Wale die biologischen Attribute, die im Allgemeinen mit einer Fähigkeit zum sozialen Lernen und damit zu Kultur in Verbindung gebracht werden: ein langes Leben, weitreichende kognitive Fähigkeiten und eine verlängerte Phase elterlicher Fürsorge (vgl. z.B. Whitehead 1998). Neben diesen Voraussetzungen kann bei Walen aber auch das Leben im Meer zu einem gehäuften Auftreten kultureller Verhaltensweisen führen. Es ist anzunehmen, dass eine kulturelle Übertragung nur unter bestimmten Umweltbedingungen die – in einem evolutionsbiologischen Sinne – günstigste Strategie ist. In einer konstanten Umwelt ist soziales Lernen vorteilhafter als individuelles. Unter diesen Bedingungen ist aber ebenso eine genetische Verursachung des Verhaltens sinnvoll. Soziales Lernen ist also, vereinfacht ausgedrückt, in einer moderat variablen Umwelt am vorteilhaftesten (vgl. Boyd & Richerson 1988; siehe auch Boyd & Richerson 1985; Laland et al. 1996). Interessanterweise entsprechen marine Ökosysteme genau diesen Bedingungen. Sie schwanken, im Vergleich zu terrestrischen Systemen, auf einer größeren Zeitskala von Monaten oder mehr (vgl. Steele 1985). Diese erhöhte aber niederfrequente zeitliche Variabilität mariner Systeme könnte die Entstehung von Kultur bei Delfinen und Walen begünstigt haben (vgl. auch Boyd & Richerson 1988; Laland et al. 1996; Rendell & Whitehead 2001; Whitehead 1998). Neben den zeitlichen Schwankungen scheint das Ausmaß der räumlichen Variation ebenso von Bedeutung zu sein. Wale können ungünstigen Umweltbedingungen umgehen, indem sie wandern (vgl. Whitehead 1996). Im Vergleich zu landlebenden Tieren 267
8 Inhalte der Erziehung sind die Kosten für eine Wanderung relativ gering. Die Effizienz dieser Wanderungen kann durch eine kulturelle Weitergabe bestimmter Strategien gesteigert werden (vgl. Rendell & Whitehead 2001; Whitehead 1996).
8.5.5 Besonderheiten der Kultur des Menschen Ein bisher noch nicht angesprochenes Merkmal, indem sich die menschliche Kultur von der anderer Tiere unterschieden soll, ist eine Weiterentwicklung – der sogenannte „Wagenhebereffekt“ („ratchet effect“, vgl. Tomasello 1999b; 2002, S. 15; Tomasello et al. 1993a; S. 508 oder auch „cumulative cultural evolution“, vgl. Boesch & Tomasello 1998, S. 602). Damit ist gemeint, dass Erfindungen oder Technologien in ihrer Komplexität und Effizienz im Laufe der Zeit zunehmen; dass sie sich von Generation zu Generation weiterentwickeln (So zeigt z.B. der Gebrauch von hammerähnlichen Werkzeugen eine allmähliche Zunahme der Komplexität über die Zeit). Selbst wenn Tiere auch bestimmte kulturelle Techniken weitergeben, würde keine oder nur in sehr seltenen Fällen eine Weiterentwicklung stattfinden (vgl. Boesch & Tomasello 1998, S. 602; Laland & Hoppitt 2003; Tomasello 2002, S. 15). „Local encancement“, „emulation“ oder „ontogenetic ritualization” würden zu viel Rauschen im Übertragungsprozess erlauben, um einen guten „Wagenhebereffekt“ zu erzeugen. Wenn z.B. ein Schimpanse eine effektivere Variante des Ameisenfischens erfinden würde, könnten Jungtiere, die nur zum „emulation“ fähig sind, diese Variante nie im Detail reproduzieren, da sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf die genaue Technik richten würden. Durch den „ratched effect“ kommt es nicht nur zu einer Veränderung, sondern ebenso zu einer Anhäufung von Informationen. Geschichte wird möglich (vgl. Alvard 2003, S. 142). Weit definiert kann Geschichte als ein Körper an Informationen über Ereignisse der Vergangenheit definiert werden (vgl. Alvard 2003, S. 142). So definiert, haben auch Gesellschaften ohne geschriebene Sprache Geschichte, die Informationen aus verschiedensten Gebieten, wie z.B. zur Ökologie, zur sozialen Organisation, zu bestimmten Technologien, zur Verteilung von Ressourcen und zum Gebrauch von Medizin, beinhalten kann. Der selektive Vorteil ist enorm, da Geschichte den Individuen erlaubt, auf Lösungen für Probleme zurückzugreifen, die weit in der Vergangenheit liegen. Ein Individuum kann diese Informationen verwenden, ohne selbst die entsprechende Erfahrung gemacht haben zu müssen (vgl. Alvard 2003, S. 142). 268
8 Inhalte der Erziehung Laland & Hoppitt (2003) betont aber, dass es vielleicht noch etwas zu früh ist, uns zu gratulieren, endlich das einzigartige Charakteristikum menschlicher Kultur gefunden zu haben. Es sei lohnenswert, das Augenmerk vorher noch auf zwei Punkte zu lenken. Erstens können auch wir als Menschen auf eine Millionen Jahre dauernde Phase der Steinbearbeitungstechnik unserer Vorfahren und ethnographische Studien traditioneller Gesellschaften schauen und keinen Hinweis auf eine Veränderung oder Weiterentwicklung der Technik finden (z.B. der acheuléenische Faustkeil, der vom Homo erectus regelmäßig benutzt wurde; diese Technologie wurde auf kulturellem Wege von Generation zu Generation weitergegeben und blieb über eine Million Jahre stabil (vgl. Ambrose 2001)). Zweitens ist die Aussage, bei Tieren gäbe es keinen „ratched effect“, gleichbedeutend mit der Annahme, dass die gruppentypischen Verhaltensweisen, wie sie bei Tieren zu finden sind, irgendwann in ihrer heutigen Form von einem einzelnen erfindungsreichen Individuum eingeführt wurden. Betrachtet man das z.T. sehr komplexe Verhalten einiger nichtmenschlicher Primatenarten ist das kaum vorstellbar. Auch Huffman & Quiatt (1986) beschreiben, dass sich das Steinspiel der Japanmakaken veränderte. Sie nennen diese Veränderung „transformation phase“. Es könnte sich hierbei aber auch um eine Variante des „ratched effects“ handeln. Ebenso sprechen Laland & Hoppitt (2003) davon, dass es zwar spekulativ sei, dass es aber dennoch einige Verhaltensweisen – wie das „leaf clipping“ und Nüsseknacken der Schimpansen oder das Kartoffelwaschen der Japanmakaken – gäbe, die für einen „ratched effect“ infrage kämen (vgl. dazu Boesch 1993; 2003). Ein einzigartiges Element der Kultur des Menschen ist sicherlich der Gebrauch von Sprache oder Symbolen (vgl. Alvard 2003, S. 147; Kroeber & Kluckhohn 1952, S. 186; Laland & Hoppitt 2003; White 1959, S. 3). Ein Symbol kann als etwas definiert werden, deren Bedeutung durch die, die es nutzen, festgelegt ist (vgl. Kroeber & Kluckhohn 1952, S. 186). Symbole oder Marker können die Gruppenidentität festlegen und damit auch für bestimmte Normen oder Verhaltensregeln, die in der Gruppe gelten, stehen. Diese Art von Marker kann von großem Vorteil sein, wenn es darum geht gemeinschaftliche Aktionen zu organisieren oder kollektiv Probleme zu lösen (vgl. Alvard 2003, S. 147). Allerdings müssen sich der Gebrauch und das Verstehen von Symbolen auch beim Menschen erst entwickeln. Studien deuten darauf hin, dass Kinder erst im dritten Lebensjahr beginnen, bestimmte Symbole zu verstehen (deLoache 1995). Eng mit Symbolen ist der Gebrauch von Sprache verbunden. Sprache führt dazu, dass die „Früchte der Arbeit einer Generation für die folgende nicht verloren sind“ (Durkheim 1972, S. 36). Deswegen hat der Mensch nach Durkheim (1972, S. 36) „die Stufe auf der 269
8 Inhalte der Erziehung die Tiere stehenblieben, überwunden.“ Sprache und damit verbunden auch Schrift ermöglichen es, Wissen in abstrakter Form zu speichern. Es kann zu einer Übertragung kommen, ohne dass die Individuen in direkten Kontakt miteinander treten müssen. Kulturelle Veränderungen können auf einer viel größeren räumlichen und zeitlichen Skala stattfinden. Nach Boesch & Tomasello (1998, S. 598) handelt es sich dabei um einen wirklichen qualitativen Unterschied zwischen dem Menschen und den restlichen Tieren (vgl. auch Washburn & Benedict 1979). Ist es nun möglich, Kultur als Kriterium zu benutzen, um den Menschen vom Tier zu unterscheiden? Dazu vorweg noch eine Notiz: Im Vergleich zum Menschen – der am besten untersuchten Art auf Erden – weiß man erstaunlich wenig über frei lebende Schimpansen (oder auch alle anderen Lebewesen). Diese Tiere werden seit gerade einmal 40 Jahren in ihrem natürlichen Habitat untersucht. Vergleiche sollten also mit Vorsicht angestellt werden. Ich denke, es konnte gezeigt werden, dass die prinzipiellen Mechanismen der Kultur des Menschen mit denen der Kultur der Schimpansen vergleichbar sind. Aus den Bedingungen, die ein Entstehen von Kultur bei Tieren wahrscheinlich machen, können interessante Rückschlüsse auf die Entstehung der Kultur des Menschen gezogen werden. Es ist fragwürdig, ob es sich bei den Unterschieden der Kultur des Menschen und der der übrigen Tiere wirklich um qualitative Unterschiede handelt. Rendell & Whitehead (2001) schreiben (S. 318): „Along with Mundinger (1980), we find that there is no ‘empirical evidence for any qualitative difference that would support a basic human/nonhuman dichotomy.’”
8.6 Verhalte dich deinem Geschlecht entsprechend Bei allen Primaten (inkl. des Menschen) unterscheidet sich das Verhalten der erwachsenen Männchen und Weibchen (für Weißschulterkapuzineraffen, Cebus capucinus vgl. z.B. Fedigan 1993) und es ist möglich, dass der Grundstein für diesen Sexualdimorphismus, der sowohl reproduktiver als auch nicht-reproduktiver Natur ist, in der Kindheit gelegt wird. Die Ergebnisse hierzu sind allerdings widersprüchlich. Es gibt sowohl Berichte, die die Existenz geschlechtsspezifischen Verhaltens von Seiten der Jungtiere und auch eine geschlechtsspezifische Behandlung durch die Mutter beschreiben als auch solche, die das verneinen (Zsf. z.B. Nash & Wheeler 1982, S. 47 ff.). 270
8 Inhalte der Erziehung Relativ konstant sind jedoch die Ergebnisse, dass männliche Jungtiere von ihren Müttern mehr bestraft, weniger einschränkt und mehr zurückgewiesen werden als weibliche Jungtiere (für Rhesusaffen Macaca mulatta und Schweinsaffen Macaca nemestrina vgl. Bolwig 1980; Jensen et al. 1967b; Mitchell & Brandt 1970; Mitchell & Schroers 1973; Mitchell 1968b; White & Hinde 1975; für Gorillas Gorilla gorilla vgl. Fossey 1979, S. 163; Maestripieri et al. 2002). Diese geschlechtsspezifische Behandlung ist nicht nur auf die Mutter beschränkt, auch andere erwachsene Tiere behandeln männliche und weibliche Jungtiere unterschiedlich (vgl. Mitchell 1970, S. 205) und auch die jungen Männchen und Weibchen zeigen von sich aus unterschiedliches Verhalten. Die Männchen interagieren weniger mit den erwachsenen Tieren der Gruppe als ihre weiblichen Geschwister (für Makaken, M. mulatta, M. nemestrina vgl. Mitchell 1970, S. 205). Wenn sie interagieren, sind deutliche Präferenzen zu erkennen. Männliche Jungtiere fühlen sich mehr zu Erwachsenen des gleichen Geschlechts hingezogen. Sie schaffen somit auch selbst Situationen, die es ihnen ermöglichen, geschlechtsspezifisches Verhalten zu erlernen (für Paviane, Papio cynocephalus vgl. Pereira 1988, S. 199 f.; für Javaneraffen, Macaca fascicularis vgl. van Noordwijk et al. 1993, S. 84 f.). Weibchen interagieren mehr mit Verwandten, Männchen auch mit NichtVerwandten. Deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede sind auch im Spielverhalten zu erkennen. Das Spiel der Männchen ist rauer und aggressiver (vgl. z.B. Goy 1968, S. 21 u. 25; Harlow 1962, S. 5; Jay 1963, S. 294 ff.), was wiederum auch die Beziehung zur Mutter beeinflusst. Dieses Verhalten gegenüber dem Jungtier und das Verhalten des Jungtieres selbst wird häufig mit der Unabhängigkeit des Männchens im Erwachsenenalter, seiner sozialen Dominanz und dem aggressiven Verhalten der Männchen untereinander, in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Mitchell 1970, S. 205); Qualitäten, die es ihm erlauben, in der sozialen Gruppe eine wichtige Position einzunehmen und möglichst viel Nachwuchs zu zeugen (vgl. auch Nash & Wheeler 1982). Dieses Verhalten könnte vor allem in Gruppen von Bedeutung sein, in denen die Männchen ihre Geburtsgruppe verlassen und sich einer anderen Gruppe anschließen. Die frühe Unabhängigkeit von der Mutter spiegelt die Rolle, die die Tiere im Erwachsenenalter einnehmen, wider. Die Weibchen bilden hingegen den Kern der Gruppe und interagieren auch mehr. Männchen stehen eher außerhalb des Sozialverbandes (vgl. auch Nash & Wheeler 1982). Loy & Loy (1987) beschreiben diesen Sachverhalt für Husarenaffen (Erythrocebus patas). Weibchen, die in der Geburtsgruppe bleiben, sind schon als Jung271
8 Inhalte der Erziehung tiere mehr in das Gruppengeschehen integriert als die Männchen (was sich z.B. in der Häufigkeit des Groomens widerspiegelt); die Männchen werden auf ein Leben am Rande der Gruppe und das Abwandern aus ihrer Geburtsgruppe vorbereitet. Für einen Vergleich wäre es interessant zu wissen, ob bei den Taxa, bei denen die Weibchen ihre Geburtsgruppe verlassen, diese dann auch aggressiver und unabhängiger sind (wie z.B. beim Schimpansen, bei dem die Weibchen wandern oder beim Gibbon, bei dem beide Geschlechter ihre Geburtsgruppe verlassen). Ein Einfluss von Seiten der Erwachsenen auf das geschlechtsspezifische Verhalten des Jungen wird ebenso durch Isolationsexperimente belegt. Eine frühe Isolation erhöht z.B. den Rang der Weibchen und erniedrigt den der Männchen und auch andere geschlechtsspezifische Unterschiede werden verringert (für Rhesusaffen, Macaca mulatta vgl. Mitchell 1968a; für Mantelpaviane, Papio hamadryas vgl. Bolwig 1980, S. 365). Zusammenfassend kann man sagen, dass sich bei allen Primaten, Männchen und Weibchen in ihrem Verhalten, das sie als Erwachsene zeigen, unterscheiden und dass dieses Verhalten durch die frühe Mutter-Jungtier-Interaktion beeinflusst wird. Die Mütter bereiten ihre Jungen darauf vor, im Erwachsenenalter unterschiedliche Geschlechterrollen einzunehmen (für einen Überblick zu geschlechtsspezifischem Verhalten bei nichtmenschlichen Primaten siehe auch Mitchell 1979). Abgesehen von den Primaten gibt es nur wenige Untersuchungen, die ein geschlechtsspezifisches Verhalten gegenüber dem Jungtier beschreiben. Die wenigen Ausnahmen betreffen Elefanten und Beuteltiere. Bei Elefanten (Loxodonta africana) konnte beobachtet werden, dass die Mütter Söhne gegenüber den Töchtern bevorzugt behandeln (vgl. Lee & Moss 1999, S. 112). Diese Behandlung betrifft das Saugen, die Aufrechterhaltung der Nähe zum Jungen und ganz allgemein den freundlichen Kontakt zwischen Mutter und Jungem. Natürlich muss man sich aber auch hier fragen, ob die Mütter allein für dieses geschlechtsspezifische Verhalten verantwortlich sind oder ob nicht auch das Verhalten der Jungen, das der Mutter beeinflusst. Die Unterschiede beim Saugen können z.B. auf die hartnäckigeren und dauerhafteren Bestrebungen männlicher Jungtiere zurückgeführt werden (vgl. Lee & Moss 1986). So unternehmen Männchen häufiger den Versuch zu Saugen, was von der Mutter toleriert wird, wobei hier auch die Erfahrung der Mutter eine Rolle spielt. Im Gegensatz zu ihrer passiven Rolle beim Saugen sind weibliche Jungtiere recht aktiv, wenn es um die Interaktion mit anderen Familienmitgliedern geht. Sowohl die physische als auch die soziale Reife tritt eher ein als bei den männlichen Jungtieren. Sie beginnen sich in einem jüngeren Alter zu reproduzieren und fungieren in ihrer Familie zu einem 272
8 Inhalte der Erziehung früheren Zeitpunkt als autonomes, aber integriertes Mitglied (vgl. Lee & Moss 1999, S. 121). Higginbottom & Croft (1999) führen auch bei den Beuteltieren das unterschiedliche Verhalten im Erwachsenenalter auf unterschiedliche Erfahrungen und Möglichkeiten zum sozialen Lernen als Jungtier zurück. Bei Rotnacken-Wallabys (Macropus rufogriseus) verbringen die Mütter mehr Zeit mit ihren Söhnen als mit ihren Töchtern. Ebenso ergreifen aber auch die Söhne häufiger als die Töchter die Initiative und suchen selbst den Kontakt zur Mutter (vgl. Higginbottom 1991, zit. nach Higginbottom & Croft 1999, S. 92). Es scheint so, dass Weibchen und Männchen, als Jungtiere, deutlich unterschiedliche Möglichkeiten zum sozialen Lernen haben.
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9 Erziehung im Tierreich
9 Erziehung im Tierreich Bisher wurden die einzelnen Elemente, die Erziehung ausmachen, getrennt voneinander betrachtet und ihr Vorkommen bei Tieren beschrieben. Zurückzuführend auf einen formalen Erziehungsbegriff ist eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen, eine Voraussetzung für Erziehung (siehe Kapitel 4). Auf der Grundlage eines materialen Erziehungsbegriffs wurde zunächst die Frage, wie erzogen wird, abgehandelt; zentrale Methoden des Erziehens ist das Lehren (siehe Kapitel 5). Des Weiteren wurde auf das Zeigen, als Methode der Erziehung, eingegangen (Kapitel 6) und es wurde deutlich gemacht, dass es individuelle Unterschiede im Verhalten der Weibchen gegenüber ihren Jungen gibt (Kapitel 7). Weiterhin kann die Frage, wozu (oder wohin) erzogen wird, von einem materialen Erziehungsbegriff abgeleitet werden. Elterntiere fördern die individuellen Fähigkeiten ihrer Jungen; ein sehr viel deutlicher zutage tretender Inhalt (oder Ziel) von Erziehung ist aber die Kultur (siehe Kapitel 8). Diese drei Elemente sind die notwendigen Bedingungen für Erziehung. Sie können aber auch unabhängig voneinander auftreten. So wie die Begriffe in dieser Arbeit verwendet werden, kann es Kultur auch ohne Erziehung geben. Kulturelle Inhalte können sowohl durch Lehren als auch durch soziales Lernen von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Um Erziehung handelt es sich nur im ersten dieser beiden Fälle, da ein aktives Verhalten von Seiten des Erwachsenen – also Lehren – notwendig ist. Auch bestimmte individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten können gelehrt werden oder das Junge eignet sich diese ohne aktive Beteiligung eines potentiellen Lehrers – durch soziales Lernen – an. Nur im ersten Fall handelt es sich um Erziehung. Ebenso kann Lehren auch in einem anderen Kontext, als dem des Erziehens, stattfinden. Von Erziehung kann man erst dann sprechen, wenn das Lehren in einem Generationenverhältnis stattfindet und Inhalte übermittelt werden, die das Junge zu einem funktionierenden Mitglied der Gesellschaft machen. Die hinreichende Bedingung für Erziehung ergibt sich aus dem gleichzeitigen Vorhandensein der drei Elemente (siehe auch S. 29 f.). In vielen Fällen konnte eine solche Überschneidung nachgewiesen werden. In weiteren, zahlreichen Fällen konnten bisher zwar nicht alle Elemente der Erziehung nachgewiesen werden, es ist aber sehr wahrscheinlich, dass auch in vielen dieser Fälle Erziehung stattfindet. Insgesamt kann man sagen, dass nicht nur der Mensch, sondern auch die anderen Tiere ihre Kinder bzw. Jungen erziehen. Ebenso kann festgestellt werden, dass nicht alle Tiergruppen ihre Jungen erziehen. Sowohl beim Lehren als auch in Bezug auf die Kultur 275
9 Erziehung im Tierreich konnten Bedingungen ausgemacht werden, die eine Entstehung dieser Phänomene fördern. Daraus kann abgeleitet werden, dass auch Erziehung nur unter bestimmten Bedingungen von Vorteil ist. Sie ist nur eine von vielen möglichen Strategien, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet hat. Da sowohl beim Lehren als auch bei der Kultur, die Bedingungen, unter denen diese Phänomene beobachtet werden können, ähnlich sind, gelten sie auch für die Erziehung. Ob Erziehung – in einem evolutionsbiologischen Sinn – sinnvoll ist, ist abhängig von: (1) der phylogenetischen Stellung und den damit verbundenen kognitiven Fähigkeiten und „life history“ Merkmalen einer Art, (2) bestimmten ökologischen Rahmenbedingungen, wie bestimmte Anpassungen bzgl. des Nahrungserwerbs und (3) der Sozialstruktur, die der Art eigen ist.
9.1 Phylogenetische Stellung, kognitive Fähigkeiten und „life history“ Merkmale Da Erziehung vor allem bei Taxa gefunden werden kann, denen relativ weitreichende kognitive Fähigkeiten zugeschrieben werden, ist anzunehmen, dass gewisse derartige Fähigkeiten eine Voraussetzung für Erziehung sind. Dementsprechend ist auch die phylogenetische Stellung ein Prädiktor für Erziehung. Daran gekoppelt sind bestimmte „life history“ Merkmale. Auffällig ist die Übereinstimmung bei den Großen Menschenaffen und den Menschen. Sie weisen eine verlängerte Tragezeit, Kindheit und Jugend, eine lange Lebensspanne und ein großes Gehirn auf. Diese Merkmale reflektieren eine gemeinsame Abstammung und ein damit verbundenes gemeinsames Potential zu erziehen. Hieraus kann auch abgeleitet werden, dass es sich in diesen Fällen sehr wahrscheinlich um ein homologes Verhalten handelt. Erziehung kann aber ebenso bei anderen Taxa, mit anderen „life history“ Merkmalen und weniger ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten gefunden werden (wie z.B. Ratten und Seeottern). Es handelt sich dann um analoges Verhalten, das in der Evolution mehrfach unabhängig voneinander entstanden ist. Das bedeutet auch, dass es weitere Faktoren geben muss, die das Auftreten des Erziehungsverhaltens beeinflussen. Diese sind zum einen bestimmte ökologische Rahmenbedingungendie unter denen das Taxon lebt und zum anderen die Sozialstruktur. 276
9 Erziehung im Tierreich
9.2 Ökologische Rahmenbedingungen Grundsätzlich gilt, dass Erziehung nur dann auftritt, wenn es nötig ist. Kann das gleiche Resultat auch mit einem geringeren Aufwand – mit geringeren Kosten – erreicht werden, wird Erziehung nicht stattfinden. Sowohl Lehren als auch Kultur sind von den Strategien des Nahrungserwerbs abhängig. Es ist also naheliegend, dass diese auch das Erziehungsverhalten beeinflussen. Je vielfältiger die Nahrung und je komplexer die Strategien der Nahrungsgewinnung sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass Erziehung auftritt. Dies wird z.B. bei den sich omnivor ernährenden Schimpansen und ihren komplexen Techniken des Nahrungserwerbs deutlich. Auch der frühe Mensch ernährte sich omnivor und nutzte vielfältige Strategien der Nahrungsgewinnung und -verarbeitung. Ohne Erziehung hätten diese Techniken niemals Bestand haben können. Bezüglich der Variabilität bzw. Vorhersagbarkeit der Umweltbedingungen gibt es unterschiedliche Meinungen, wann Umweltoffenheit, Lernfähigkeit oder Kultur und damit auch Erziehung von Vorteil sind. Clutton-Brock (1991, S. 126) argumentiert, dass raue und unvorhersehbare Bedingungen zu erhöhten elterlichen Investitionen und damit auch zu elterlicher Fürsorge führen. Unter diesen Bedingungen würden die Vorteile elterlicher Fürsorge besonders zutage treten. Da Erziehung als Teil der elterlichen Fürsorge verstanden werden kann, sollte auch sie unter diesen Bedingungen auftreten. Stephens (1991) hingegen schreibt überzeugend, dass soziales Lernen oder Umweltoffenheit in einer komplett unvorhersehbaren Umwelt nutzlos seien, da die ältere Generation der jüngeren keine hilfreichen Informationen oder Fertigkeiten übermitteln kann. Ebenso ergibt Lernen in Umwelten, die sich nicht verändern bzw. deren Veränderungen regelmäßig und vorhersehbar sind, wenig Sinn. Eine genetische oder hormonell regulierte Anpassung an z.B. Jahreszeiten, Mondphasen oder Gezeiten ist weniger kompliziert, weniger kostspielig und das Risiko von Fehlern ist geringer. Wissen und Fähigkeiten über Lernen und Lehren weiterzugeben ist dann sinnvoll, wenn die Umweltbedingungen auf einem mittleren Niveau schwanken (vgl. auch Bergman & Feldman 1995). Lernen und Lehren und eine damit verbundene Erziehung ist demzufolge nur bei Arten zu erwarten, die unter Umweltbedingungen leben, die zwar variabel sind, aber bis zu einem gewissen Grad auch vorhersagbar. Das Habitat, das den Ausgangspunkt bei der Entstehung des Menschen bildete, war der tropische Regenwald. Die Vorfahren des Menschen siedelten dann in offenere Wälder und schließlich in Graslandschaften und die Savanne um (vgl. z.B. Wilson 1975, S. 566). 277
9 Erziehung im Tierreich Die Vorfahren des Menschen weisen damit eine ähnliche Flexibilität bzgl. des Lebensraumes und der damit verbundenen Ernährung auf wie die Schimpansen. Saisonale Schwankungen im Nahrungsangebot führten zur Erschließung neuer Nahrungsquellen, zum Gebrauch von Werkzeug und zur Weitergabe dieser Techniken über Erziehung.
9.3 Sozialstruktur Insofern es bei den Inhalten oder Zielen von Erziehung darum geht, bestimmte gruppeneigene Verhaltensweisen (Kultur) zu verinnerlichen und durch Lehren weiterzugeben, ist Erziehung auch nur in einem Gruppenverband sinnvoll. Rowell (1999, S. 14) schreibt, dass eine Gruppe, sobald sie existiert, als erzieherische Einrichtung funktionieren wird. Jedes Mitglied passt sich früher oder später den Gegebenheiten an. Auch Jäger- und Sammlergesellschaften – und damit sehr wahrscheinlich auch der frühe Mensch – lebten in Gruppen von 100 oder weniger Individuen. Es herrschte eine Arbeitsteilung vor, bei der die Frauen ernten und sammeln gingen und die Männer jagten. Nahezu universell war in diesen Gesellschaften eine Langzeit-Paarbindung; z.T. auch Polygynie (vgl. z.B. Wilson 1975, S. 568). Allgegenwertig sind auch eine verlängerte Phase mütterlicher Fürsorge, eine ausgeprägte Sozialisation der Kinder und eine weitreichende Beziehung zw. der Mutter und den Kindern, besonders zur Tochter (vgl. z.B. Wilson 1975, S. 568). Wie bei den Schimpansen treten also auch beim Menschen die weiblichen Individuen der Gruppe besonders hervor. Auch beim Menschen haben die Frauen eine besondere Bedeutung bei der Entstehung von Kultur (vgl. Russell & Russell 1989, S. 753). Es ist ebenso naheliegend, dass sie bzgl. der Erziehung – zumindest der Kleinkinder – eine wesentlich wichtigere Rolle spielten als die Männer.
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10 Ausblick – Was ist der Mensch?
10 Ausblick – Was ist der Mensch? „Willst du das Wesen deiner Heimat erkennen, so unternimm zunächst eine Weltreise; denn alles bewußte Auffassen setzt ein Vergleichen voraus. Willst du das Verhalten des Säuglings und Kleinkindes verstehen, so studiere auch die Jungen und Jungenfürsorge bei Tieren: Du wirst danach am Menschenkind viel mehr bemerken und verstehen als zuvor. Vor allem wird dir dann das Erwachen des Spezifisch-Menschlichen in der Entwicklung des Kindes nicht mehr selbstverständlich erscheinen, sondern es wird dir – vor dem Hintergrund der naturhaften Entwicklung – zum atemberaubenden Erlebnis werden“ (Hassenstein 1973, S. 20). Anhand der im Rahmen dieser Arbeit zusammengetragenen Beispiele des Erziehungsverhaltens der Tiere und der theoretischen Überlegungen lässt sich nun auch über spezifisch menschliche Eigenheiten der Erziehung spekulieren. Allerdings ist dies nicht Hauptbestandteil dieser Arbeit; vielmehr sind es Ansätze, die zum Weiterdenken anregen sollen.
10.1 Erziehung zur Individualität Das Ergebnis der Erziehung bei Tieren ist, dass sich ein Individuum an die vorherrschenden Strukturen anpasst, was dazu führte, dass in Bezug auf die Inhalte der Erziehung, im Rahmen dieser Arbeit, hauptsächlich die Kultur in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt wurde. Bei der Erziehung des Menschen wird aber auch immer wieder betont, dass Kinder auch dazu erzogen werden sollen, „so zu sein, wie kein anderer“ (Kron 2001, S. 49). Individualität und eine Entfaltung der eigenen Talente stehen dabei im Vordergrund. Bei Tieren scheint ein derartiges Ziel deutlich geringer ausgeprägt zu sein. Natürlich ist bei Wirbeltieren und insbesondere bei den Säugetieren (im Vergleich zu den Wirbellosen) eine deutlich größere Umweltoffenheit und Lernfähigkeit vorhanden. Das ermöglicht es, dem einzelnen Individuum auf wechselnde Umstände zu reagieren. Dass diese Offenheit aber genutzt wird, um beim Jungtier „Individualität“ zu fördern ist unwahrscheinlich und bisher nicht untersucht. Aber auch beim Menschen ist es kultur- bzw. gesellschaftsabhängig, welchen Stellenwert Individualität einnimmt. In vielen Gesellschaften hat diese Eigenschaft einen deutlich geringeren Stellenwert, als unsere westlich geprägte Sichtweise vermuten lässt. 279
10 Ausblick – Was ist der Mensch?
10.2 Erziehung mit schöpferischer Qualität Durkheim (1972, S. 31) schreibt, dass es die „schöpferische Qualität“ sei, die die Erziehung des Menschen von der der Tiere (falls man diesen Begriff – wie er meint – hier überhaupt verwenden könne) unterscheide. Mit diesem Ausdruck meint er, dass Erziehung im Menschen ein neues „Sein“ schafft, das „Soziale Sein“. Das Tier hingegen würde nichts lernen, „was es nicht durch seine eigene individuelle Erfahrung hätte entdecken können.“ Beim Tier füge „Erziehung […] folglich nichts Wesentliches zur Natur hinzu […], da letztere für alles adäquat ist.“ Vielleicht hat Durkheim in Bezug auf die Tiere recht, aber könnten sich die Menschen nicht im Prinzip auch alles durch individuelles Lernen aneignen? Natürlich gibt es beim Menschen, aufgrund der Gesellschaftsstruktur in der er lebt, eine enorme Menge an Wissen und Informationen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden; aber im Prinzip sind die einzelnen Elemente auch irgendwann einmal von einem Individuum erschaffen oder erdacht wurden. Warum sollte also nicht jedes Individuum prinzipiell dazu in der Lage sein? Ebenso ist es fragwürdig, ob Erziehung dazu dient, etwas Neues zu schaffen. Geht es nicht gerade im Gegenteil darum, das „geschichtlich-gesellschaftliche Erbe“ zu erhalten (Winkler 2006, S. 66), zu verhindern, „daß jede Generation von vorn anfangen müßte und etwas tun, was vorher schon getan wäre“ (Schleiermacher 1826/1983, S. 11), den „Bestand der jeweiligen Gruppe“ zu gewahren (Lassahn 1983, S. 7)? Mensch und Tier mögen sich im Ausmaß der „schöpferischen Qualität“ der Erziehung unterscheiden, nicht aber prinzipiell.
10.3 Erziehung über Sprache Sowohl beim Lernen und Lehren als auch bei der Kultur, ergeben sich durch die Fähigkeit zum Sprechen und letztlich auch Schreiben für den Menschen ganz neue Möglichkeiten. Wissen kann in abstrakter Form gespeichert und auch ohne direkten Kontakt zweier Individuen übermittelt werden. Zudem ist die Fülle an Informationen, die dadurch zur Verfügung steht, immens. Es ist schwierig, diese Fähigkeit mit den Fähigkeiten der anderen Tiere zu vergleichen. Es ist wichtig zu betonen, dass es in diesem Kontext nicht an sich um die Fähigkeit zu sprechen geht; vielmehr um die damit verbundene Möglichkeit, Wissen in abstrakter Form zu speichern. Es scheint bei Tieren nicht der Fall 280
10 Ausblick – Was ist der Mensch? zu sein, dass Fähigkeiten und Fertigkeiten ohne direkten Kontakt zweier Individuen weitergegeben werden können.
10.4 Institutionalisierung von Erziehung, Erziehung als Aufgabe der Gemeinschaft Einzigartig menschlich ist die Institutionalisierung von Erziehung, wie sie z.B. in der Schule verwirklicht ist. Anscheinend ist das Aufrechterhalten bestimmter kultureller Standards und die damit verbundene Weitergabe einer enormen Menge an Wissen nur möglich, indem Kinder und Jugendliche eine lange Phase der Schulzeit durchmachen, in denen ihnen dieses Wissen in konzentrierter Form vermittelt wird. Boesch (1996b, S. 418) geht davon aus, dass Lehren dann an Bedeutung zunimmt, wenn eine Aufgabe mehr als eine Lösung hat, aber nur eine dieser Lösungen sozial akzeptiert ist. Diese Idee ist auch auf das Erziehungskonzept übertragbar. Erziehung nimmt dann an Bedeutung zu, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, aber nur eine dieser Möglichkeiten dem Standard der Gesellschaft entspricht. Davon lässt sich ableiten, dass durch die Starrheit unserer westlichen Gesellschaft oder Kultur ein gewisser Zwang besteht, bestimmte Dinge zu wissen oder auf eine ganz bestimmte Art und Weise auszuführen und dass Erziehung damit an Wichtigkeit zunimmt. Die Gesellschaftsform, in der wir leben, kann nur durch eine Institutionalisierung von Erziehung aufrecht erhalten werden. So kommt auch Draper (1976, S. 216), der die !Kung untersuchte, zu dem Schluss, dass die relativ einfachen Methoden und Techniken der Arbeit der Erwachsenen und ein Fehlen von Spezialisierungen, bei dieser Form des Zusammenlebens, ein Lernen im Kindesalter überflüssig machen.
10.5 Erziehung und Moral „Wir bezeichnen uns nicht nur als Menschen, sondern rühmen uns zudem menschlich zu sein. Wahrlich brillant, wie wir auf diese Weise Moralität als Kennzeichen menschlicher Wesensart hinstellen – indem wir die Bemühungen für unsere Spezies mit einiger Neigung zu Mitgefühl und Barmherzigkeit gleichsetzen! Natürlich, Tiere sind keine Menschen; wie könnten sie also menschlich sein?“ (de Waal 1997, S. 9).
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10 Ausblick – Was ist der Mensch? Erziehung wird immer wieder mit dem Begriff der Moral in Verbindung gebracht. Die Moral sei das höchste Ziel der Erziehung und es gelte, gute Menschen hervorzubringen. Als Moral kann ganz allgemein richtiges und gutes Handeln verstanden werden; ein Handeln nach den Sitten und Gebräuche der Gesellschaft, deren Mitglied man ist. Dieses Regelwerk bestimmt, wann ein Handeln als gut bezeichnet werden kann. Die Moral wird häufig als Abgrenzung zwischen Mensch und Tier benutzt. Schon Thomas Henry Huxley beschrieb in seinem einflussreichen Vortrag „Evolution and Ethics“ aus dem Jahr 1894 die Moral als etwas typisch Menschliches. Es ginge bei der moralischen Höherentwicklung der Gesellschaft nicht darum, das kosmische Geschehen nachzuahmen, noch weniger darum, ihm zu entfliehen, sondern darum, es zu bekämpfen (vgl. Huxley 1989, S. 83; siehe auch Dux 2000 S. 3). Da die Moral – in diesem Sinne – als etwas dem Menschen eigenes, etwas, das erst durch die kulturelle Entwicklung entstandenes, angesehen wurde, war sie nie wirklich ein Thema der Biologie. In jüngerer Zeit hat vor allem die Soziobiologie – oder die Interpretation ihrer Aussagen – die eine Gegenüberstellung der Moral und der Natur des Menschen beinhaltet, dazu beigetragen, dass dieses Thema aus der Biologie verbannt wurde. Richard Dawkins berühmtes Buch „The Selfish Gene“ hat wesentlich dazu beigesteuert, dass der angeborene Egoismus, der auf Darwins Prinzip des Überleben des Stärkeren zurückzuführen sein soll, der Moral, den edlen Charakterzügen, die sich der Mensch erst im Laufe seines Lebens erwerben muss, gegenübergestellt wurde (vgl. Dawkins 1976, z.B. S. 215). Etwas abgeschwächt spricht auch Christian Vogel (1989) davon, dass es wirkliche Moral erst beim Menschen geben kann. Nur er hat die Freiheit und Verantwortung gegen Normen zu verstoßen (z.B. S. 60 u. 98). Die Natur könne weder „gut“ noch „böse“ sein. Das „Töten gerät [erst] dem Menschen zum ‚Mord‘“ (S. 97). Natur sei moralisch indifferent. Dennoch seien natürlich bestimmte Eigenschaften, die als Voraussetzung der Moral des Menschen angesehen werden können, wie absichtliches Handeln, Entscheidungsfreiheit, eine personale Identität oder Empathie, ein Ergebnis der Evolution und haben ihre Wurzeln in unserem „stammesgeschichtlichen Primaten-Erbe“ (S. 101). Mit dem zunehmenden Einfluss der Evolutionstheorie entbrannte ein Streit, warum gerade die Fähigkeit des Menschen, moralische Normen aufzustellen und gemäß ihnen zu handeln, nicht auch evolutionär erklärt werden könne. Warum solle die Ethik der Philosophie vorbehalten sein und die Forschungsergebnisse über den Menschen und seine nächsten Verwandten keinerlei Relevanz besitzen? So spricht sich auch Edward O. Wilson – als einer der einflussreichsten Vertreter dieser Theorie – dafür aus, dass die Zeit 282
10 Ausblick – Was ist der Mensch? gekommen sei um die Ethik – zumindest zeitweise – aus der Hand der Philosophen zu nehmen und sie zu biologisieren (vgl. Wilson 1975, S. 562). Aber wie sieht nun eigentlich die Datenlage hierzu aus? Haben Tiere eine Moral? Sind Tiere gut? Frans de Waal würde diese Frage sicherlich mit „ja“ beantworten. Schon der Titel seines Buches „Der gute Affe“ (de Waal 1997) verdeutlicht seine Sichtweise. Auf vielfältige Weise beschreibt er, wie Primaten – aber auch andere Tiergruppen – Verhaltensweisen zeigen, die dem, was wir als Menschen unter Moral verstehen, erstaunlich nahe kommen. Die Wurzeln unseres moralischen Verständnisses liegen im Tierreich und sind ein Ergebnis der Evolution (siehe auch de Waal 2011). Häufig wird vergessen, dass auch Darwin nicht nur vom Überleben des Stärkeren oder vom Egoismus sprach. In „The descent of man“ (Darwin 1871) argumentiert er, dass wir einen „moralischen Sinn“ als evolutionäre Anpassung hätten. Neben den besonderen intellektuellen Fähigkeiten des Menschen hätten auch bereits bei höheren Tieren vorhandene soziale Instinkte – wie der Mutterinstinkt, eine Neigung zur Geselligkeit, eine Anlage für wechselseitige Unterstützung und ein Bedürfnis nach Unterordnung – zu der Entstehung dieses Sinns beigetragen. Michael Tomasello hingegen betont den Unterschied zwischen dem Menschen und den ihm am nächsten verwandten Primaten. Kinder seien von Geburt an hilfsbereit und kooperativ (vgl. z.B. Tomasello 2010, S. 19). Diese Kooperation sei die Grundlage für Moral. Andere Tiere – insbesondere die Menschenaffen – würden zwar auch Hilfeverhalten zeigen; ihnen würden aber weitere wesentliche Voraussetzungen für Moral fehlen. Diese seien zum einen die Fähigkeit andere zu informieren – dem anderen die für ihn notwendigen Informationen mitzuteilen – und zum anderen das Teilen von Nahrungsmitteln oder anderen Objekten (vgl. z.B. Tomasello 2010). Schon Kinder, die gerade erst anfangen zu sprechen, zeigen diese Fähigkeiten; die von ihm und seinen Kollegen untersuchten Schimpansen nicht. Über die Frage, ob Tiere gut sind, lässt sich viel philosophieren. Die Datenlage legt nahe, dass Tiere – mit Sicherheit die Menschenaffen – die Fähigkeit zur Empathie besitzen, nach dem Prinzip der Reziprozität handeln oder auch einen Sinn für Fairness haben. Eigentlich interessanter ist die Frage, ob Tiere andere Tiere zu gutem Verhalten drängen, da man erst daran wirklich erkennen kann, ob es in der Gruppe bestimmte soziale Regeln gibt, die einen Verhaltensstandart festlegen. In der Tat lassen sich auch hierzu, auch schon bei einer oberflächlichen Suche, einige Beispiele finden.
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10 Ausblick – Was ist der Mensch? Rhesusaffen (Macaca mulatta) geben normalerweise beim Entdecken neuer Futterstellen Rufe von sich, die die andern animieren, auch zu der Stelle zu kommen. Verhält sich ein Individuum nicht entsprechend dieser Norm, gibt also keine Rufe von sich, wird es von den Anderen aggressiv behandelt (vgl. Hauser & Marler 1993). Ebenso scheint es bei Rhesusaffen ein Gebot zu geben, dass Jungtiere nicht zu misshandeln sind. Ein Missbrauch führt bei der ganzen Gruppe zu deutlicher Erregung. Häufig nähern sich juvenile Tiere und erwachsene Weibchen der misshandelnden Mutter mit ihrem Jungen und versuchen das schreiende Junge anzufassen und es vor der Mutter zu retten. Ebenso werden misshandelte Jungtiere von den anderen Gruppenmitgliedern häufiger gegroomt und weniger drangsaliert als die anderen Jungtiere (vgl. Maestripieri 1998a; für ein ähnliches Verhalten bei Japanmakaken, Macaca fuscata siehe auch Troisi et al. 1982, S. 455). De Waal (1997) beschreibt einen Vorfall, bei dem ein Kattajungtier (Lemur catta) einen Stromschlag von einem elektrischen Zaun erhielt und benommen zu Boden fiel. Interessanterweise kümmerte sich anschließend die Großmutter – und nicht die Mutter – um das Jungtier. Auch Altersgenossen groomten das Junge ausgiebig; was ein eher untypisches Verhalten ist. Die Mutter schenkte dem Ganzen keinerlei Beachtung und schüttelte das Junge sogar von ihrem Rücken ab, als dieses auf ihr reiten wollte, da die Gruppe nach einiger Zeit weiterzog. Interessant war nun das Verhalten der Großmutter. Sie ging augenblicklich zu ihrer Tochter und griff diese an, was dazu führte, dass sie ihrem Jungen erlaubte auf den Rücken zu klettern und auch über eine längere Zeit dort zu bleiben. De Waal schreibt dazu (S. 78): „Am faszinierendsten finde ich, daß sie ihrer Tochter offenbar zeigen wollte, wie sie sich verhalten sollte; genau die Art von sozialem Druck, den man beim Menschen als Moral umschreibt. In der Tat, absolut unfassbar!“ De Waal (1997, S. 46) beschreibt außerdem, wie sich die Männchen der Goldstumpfnasen (Rhinopithecus roxellana) aktiv um ein friedliches Zusammenleben der Weibchen bemühen. Sie greifen in praktisch jede Auseinandersetzung zwischen ihnen ein. Als einmal ein Männchen von einer in Gefangenschaft lebenden Gruppe getrennt wurde, weil es krank war, gab es bei den Weibchen übermäßige Gewaltbereitschaft. Kaum war das Männchen wieder da, entspannte sich die Situation. Die im Kontext dieser Arbeit eigentlich spannende Frage kann aber nicht beantwortet werden: Erziehen Elterntiere ihre Jungen zu „guten“ Mitgliedern einer Gesellschaft? Die bisherigen Ausführungen lassen das vermuten; es fehlen aber Daten oder Beispiele. Dies liegt sicherlich daran, dass es schwer ist, einen Begriff der Moral zu definieren, der für alle Tiere gilt und dass Moral lange Zeit kein Thema der Biologie war. 284
10 Ausblick – Was ist der Mensch? Was jedoch festgestellt werden kann, ist dass auch andere Tiere Verhaltensweisen zeigen, die der Mensch mit dem Begriff der Moral in Verbindung bringt. Auch lässt sich – vor allem aus Beobachtungen an Primaten – ableiten, dass die „Wurzeln“ menschlicher Moral im Tierreich liegen. Mit „Wurzeln“ ist gemeint, dass der Mensch eine angeborene Veranlagung hat, in bestimmten Situationen ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Dennoch kann die Evolutionstheorie (oder die Naturwissenschaften im Allgemeinen) eine philosophische Betrachtung der Moral und Ethik des Menschen nicht ersetzten. Die Naturwissenschaften oder die Evolutionstheorie können Phänomene beschreiben oder erklären, wie sie zustande gekommen sind, sie können aber nicht – wie schon Hume (1906, S. 211) feststellte – sagen, was sein soll. Trotzdem ist es nicht falsch, auf der Basis von empirischen Erkenntnissen zur Evolution des Menschen, moralische Normen abzuleiten, aber keine moralische Norm kann auf dieser Grundlage gerechtfertigt werden (vgl. Illies 2010, S. 276; Vogel 1989 S. 57). Des Weiteren können Ergebnisse, die aus Untersuchungen zur Evolution des Menschen gewonnen wurden, die „Grenzen der Lebbarkeit der Moral“ bestimmen (Kaiser 2010, S. 276; siehe auch Vogel 1989 S. 58). Erkenntnisse aus der Evolutionsbiologie können zwar keine Grundlage für Normen sein, aber sie können einen Rahmen abstecken, innerhalb dessen Normen Sinn ergeben, weil sie nur in diesem Rahmen vom Menschen prinzipiell befolgt werden können. Was deutlich geworden ist, ist dass die Philosophie Ergebnisse aus den Naturwissenschaften berücksichtigen muss (auch „empirischer Naturalismus“, vgl. z.B. Kaiser 2010, S. 271). Es geht nicht darum, dass die Philosophie „naturalisiert“ werden soll. Philosophische Fragen sollen mithilfe philosophischer Methoden bearbeitet werden; es sollen aber relevante empirische Erkenntnisse der Naturwissenschaften beachtet werden.
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11 Schluss
11 Schluss Ist ein weiteres Merkmal, dass den Menschen von den restlichen Tieren unterscheiden soll, mit dieser Arbeit hinfällig geworden? Ist es überhaupt sinnvoll, ständig nach diesem Unterschied zu suchen, um die Sonderstellung des Menschen doch irgendwie begründen zu können? Viele Merkmale, die zu diesem Zweck immer wieder herangezogen wurden, wie z.B. der Werkzeuggebrauch, Intelligenz, Selbstbewusstsein oder die Fähigkeit zu vorausscheuendem Handeln, mussten früher oder später verworfen werden. Schon Darwin war sich nicht sicher, wie er die kognitiven und mentalen Fähigkeiten der anderen Tiere in Bezug auf den Menschen einzuordnen habe. Zum einen heißt es (Darwin 1871, S. 35): „there is no fundamental difference between man and the higher mammals in their mental facilities”; zum anderen schreibt er (S. 104): „differences between the mind of the lowest man and that of the highest animal is immense.” Was mit dieser Arbeit deutlich geworden ist, ist dass die meisten Merkmale oder Verhaltensweisen vielschichtiger sind, als man zunächst vermuten würde und es stehen uns sicherlich noch viele, viele Jahre der Erforschung dieser Phänomene bevor.
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12 Zusammenfassung
12 Zusammenfassung Erziehung ist ein Begriff, der in der Regel nur in Bezug auf den Menschen verwendet wird. Diese spezielle Behandlung geht z.T. so weit, dass Erziehung instrumentalisiert wird, um den Menschen von den restlichen Tieren abzugrenzen. Diese Arbeit beginnt mit einer Darstellung, wie dieser Sachverhalt auf philosophisch, historisch gewachsene Wurzeln, der Benutzung des Begriffs, zurückgeführt werden kann. Wenn gesagt wird, Tiere könnten nicht erziehen, muss außerdem eindeutig sein, was genau unter Erziehung zu verstehen ist. Schaut man aber in die entsprechende Literatur gibt es keinesfalls ein einheitliches Konzept der Erziehung. Um zu klären, was Erziehung ausmacht, werden in dieser Arbeit ein formaler und ein materialer Erziehungsbegriff unterschieden. Ein formaler Erziehungsbegriff ist feststellend. Er ist beschreibend und versucht Erziehung nach den objektiven Gegebenheiten zu fassen. Dem gegenüber steht ein materialer Erziehungsbegriff, der die normativen Aspekte des Begriffs vereinigt. Er lässt sich durch die Fragen, wie und wozu erzogen werden soll, fassen. Ein umfassender Erziehungsbegriff beinhaltet immer all diese Aspekte. Das Konzept ist die Grundlage der weiteren Betrachtungen, in denen diese einzelnen Teile in ihrer Bedeutung für das Tierreich geprüft werden. Nach einem formalen Verständnis des Erziehungsbegriffs ist eine Interaktion von Individuen verschiedener Generationen eine Voraussetzung für Erziehung. Dementsprechend wird ein Überblick darüber gegeben, bei welchen Tiergruppen eine solche Interaktion gegeben ist und damit die Voraussetzungen für Erziehung erfüllt sind. Als besonders Erfolg versprechend erweisen sich Vögel und Säugetiere. Die weitere Arbeit bezieht sich dann im Wesentlichen auf die Säugetiere. Die folgenden Teile der Arbeit beschäftigen sich mit dem materialen Begriff der Erziehung – zunächst genauer mit der Frage, wie erzogen wird. Aus einer theoretischen Analyse der Methoden der Erziehung kann man ableiten, dass Lehren (und als Voraussetzung dafür Lernen, insb. soziales Lernen) die maßgebliche Methode des Erziehens ist. Anschließend werden die verschiedenen Tiergruppen – mithilfe einer umfassenden Literaturrecherche – hinsichtlich des Vorhandenseins dieser Operationen oder Methoden untersucht. Abschließend wird aus einem Vergleich der verschiedenen Tiergruppen erschlossen, unter welchen Bedingungen die jeweiligen Methoden, evolutionstheoretisch betrachtet, Sinn ergeben. Eine weitere Methode der Erziehung – die vor allem in jüngerer Zeit an Popularität gewonnen hat – ist das Zeigen. Ein recht weites Verständnis des Lehrens schließt auch das 289
12 Zusammenfassung Zeigen mit ein. Dennoch wird diesem Sachverhalt – nicht zuletzt aufgrund eines zunehmenden Interesses einiger Primatenforscher an den diesbezüglichen Fähigkeiten ihrer Untersuchungsobjekte – ein eigenes Kapitel gewidmet. Interessant ist, dass man bei den Primatenweibchen (und z.T. auch bei Weibchen anderer Taxa) individuelle Unterschiede im Verhalten gegenüber den Jungen beobachten kann. Das Verhalten einer Mutter ist dabei über verschiedene Jungtiere hinweg konstant und kann demzufolge als Stil bezeichnet werden. Es wird dargestellt, welche Faktoren diesen Stil beeinflussen und welche Auswirkungen er auf das Jungtier hat. Die Misshandlung oder Vernachlässigung des Jungen kann dabei als Extremform eines Stils bezeichnet werden. Der nächste, größere Teil der Arbeit widmet sich dem zweiten Aspekt des materialen Begriffsverständnisses. Diskutiert wird die Frage, wozu oder „wohin“ erzogen wird. Erziehung kann nicht an sich vonstattengehen; sie hat immer einen Inhalt oder ein Ziel. Im Wesentlichen geht es darum, ein Individuum zu schaffen, das sich an eine bestimmte, bestehende Gesellschaftsstruktur anpasst – die Kultur einer bestimmten Gruppe übernimmt. Nach einigen theoretischen Darstellungen und einer Definition des Kulturbegriffs, wird aufgezeigt, bei welchen Tiergruppen Kultur zu finden ist und wie sich diese Kultur äußert. Abschließend wird diskutiert, von welchen Bedingungen es abhängt, dass Kultur evolvieren konnte bzw. unter welchen Bedingungen Kultur – unter einer evolutionstheoretischen Perspektive – Sinn ergibt. Im letzten Teil der Arbeit werden diese drei notwendigen Bedingungen für Erziehung zusammengeführt, denn erst eine Kombination dieser drei Aspekte lässt Aussagen zum Erziehungsverhalten der Tiere zu. Neben der Feststellung, dass Erziehung stattfindet, lassen sich weitere Fragen beantworten: Warum erziehen einige Tiere und andere nicht? Wie leben diese Tiergruppen? Was sind die Bedingungen die dazu führten, dass Erziehung evolvierte? Letztendlich geht es um die Frage, was aus dem bisher Beschriebenen zum Erziehungsverhalten des Menschen abgeleitet werden kann. Was unterscheidet die Erziehung des Menschen von der, anderer Tiere?
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370
A Anhang
A Anhang Tabelle A1: Übersicht der erwähnten Studien zum Lernen und Lehren Taxon
Kontext
Mechanismus soziales Lernen
Art der Lehren
Quelle
Studie*
Marsupialia Macrocopus
Nahrung
„local”- bzw. „sti-
A:B
mulus enhance-
Croft 1999; Russel
ment” Rotnackenwallaby
Feindvermeidung
Higginbottom & 1973
„local”- bzw. „sti-
A:B
K. Higginbottom,
(Macropus rufogri-
mulus enhance-
unveröffentlicht,
seus)
ment”
zit. in Higginbottom & Croft 1999
Futterplätze, Ruheplätze
„local”- bzw. „sti-
A:B
K. Higginbottom,
mulus enhance-
unveröffentlicht,
ment”
zit. in Higginbottom & Croft 1999
Training in den Beutel zu
interaktiv/
hüpfen
positiv
A:B
K. Higginbottom, unveröffentlicht, zit. in Higginbottom & Croft 1999
Eingewöhnung in das
direktiv
A:B
Gebiet
K. Higginbottom, unveröffentlicht, zit. in Higginbottom & Croft 1999
Derbywallaby
Folgeverhalten
interaktiv/
(Macropus eugenii)
A:B
positiv
R. I. Stuart-Dick persönl. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999
Östliches Graues
Training in den Beutel zu
interaktiv/
Riesenkänguru
hüpfen
positiv
A:B
Stuart-Dick 1987, zit. nach Higgin-
(Macrocopus
bottom & Croft
giganteus)
1999 Folgeverhalten
interaktiv/
A:B
positiv
R. I. Stuart-Dick pers. Mitteilung; zit. in Higginbottom & Croft 1999
Überwinden von Hinder-
interaktiv/
nissen
positiv
A:B
R. I. Stuart-Dick pers. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999
Eingewöhnung in das
direktiv
A:B
Gebiet
R. I. Stuart-Dick pers. Mitteilung, zit. in Higginbottom & Croft 1999
Riesenkänguru
Folgeverhalten
interaktiv/
(Macropus rufus)
positiv
371
A:B
Stuart-Dick pers. Mitteilung, zit. in
A Anhang Higginbottom & Croft 1999 Placentalia Rodentia Ratte
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
(Rattus norvegi-
Futters
mulus enhance-
Galef & Clark,
ment”
1971
cus)
B
Q:E
Barnett 1973;
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
Futters
mulus enhance-
Flandera & Novakova 1975; siehe
ment”
aber auch Galef 1996
Ratte
Nahrung, bestimmte
„local”- bzw. „sti-
Q:E
(Rattus rattus)
Technik
mulus enhance-
Aisner & Terkel 1992; Terkel 1996;
ment”
Zohar & Terkel 1991
Goldhamster
Nahrung, bestimmte
(Mesocricetus
Technik
Imitation
Q:E
Previde & Poli 1996
auratus) Maus
Problemlösen
(Mus domesticus)
„local”- bzw. „sti-
Q:E
Mainardi & Mai-
mulus enhance-
nardi 1988; Val-
ment”
secchi et al. 1993; 1989
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
Futters
mulus enhance-
Q:E
Valsecchi & Galef 1989
ment” Microhiroptera Große Spießblatt-
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
nase
Futters
mulus enhance-
unveröffentlicht,
ment”
zit. in Wilkinson &
(Vampyrum spect-
A:B
rum)
Boughmann 1999
Gemeinen Vampir
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
(Desmodus rotun-
Futters
mulus enhance-
dus) Große Hufeisenna-
G. S. Wilkinson,
A,Q:B
Wilkinson 1985;
ment” Rufe, Echolokation
Wilkinson 1984; Turner 1975
„local”- bzw. „sti-
se
mulus enhance-
(Rhinolophus
ment”
Q:B
Jones & Ransome 1993
ferrumequinum) Kleine Lanzennase
Rufe, Richtungsrufe.
„local”- bzw. „sti-
(Phyllostomus
Isolationsrufe
mulus enhance-
discolor)
Q:E
Esser 1994
direktiv
A:B
Macdonald 1980
direktiv
B
Corbett 1995
direktiv
A:B
Nel 1978; 1996 zit.
ment”
Carnivora Canidae Rotfuchs
Nahrung, bestimmte
(Vulpes vulpes)
Technik
Dingo
Nahrung, bestimmte
(Canis lupus dingo)
Technik
Löffelfuchs
Nahrung, bestimmte
(Otocyon megalo-
Technik
nach Nel 1999;
tis)
Pauw 1997
Mustelidae Seeotter
Nahrung, bestimmte
„local”- bzw. „sti-
(Enhydra lutris)
Technik
mulus enhance-
372
(?)
(?)
A:B
Estes et al. 2003; Riedman et al.
A Anhang ment”, Imitieren
1989, zit. nach
(?)
Riedman & Estes 1990; Hall & Schaller 1964
Fischotter
Nahrung, bestimmte
(Lutra canadensis)
Technik
direktiv
Schwimmen
interaktiv/
A:B
Liers 1951
A:B
Liers 1951
A:B
Liers 1951
A,Q:B,E
Ewer 1963; Thorn-
positiv Folgeverhalten
interaktiv/ negativ
Herpestinae Erdmännchen
Nahrung, bestimmte
(Suricata suricat-
Technik
direktiv
ton & McAuliffe
ta)
2006
Zwergamanguste
Nahrung, bestimmte
(Helogale parvula)
Technik
direktiv
A:B
Ewer 1973
direktiv
B
Leyhausen 1979
direktiv
Q:E
Caro 1980b; 1981
direktiv
A:B
Leyhausen 1975
direktiv
A:B
Schaller 1967
direktiv
A:B
Schenkel 1966;
direktiv
Q:B
Caro 1994
direktiv
A:B
Turnbull-Kemp
Felidae Hauskatze
Nahrung, bestimmte
(Felis cattus)
Technik Nahrung, bestimmte Technik
Schwarzfußkatze
Nahrung, bestimmte
(Felis nigripes)
Technik
Tiger
Nahrung, bestimmte
(Panthera tigris)
Technik
Löwe
Nahrung, bestimmte
(Panthera leo)
Technik
Gepard
Nahrung, bestimmte
(Acinonyx jubatus)
Technik
Leopard
Nahrung, bestimmte
(Panthera pardus)
Technik
Europäischer
Nahrung, bestimmte
Luchs (Lynx lynx)
Technik
Schaller 1972
1967 direktiv
Haglund 1966
(?)
Dröscher 2002;
Ursidae Polarbär
Nahrung, bestimmte
„local”- bzw. „sti-
(Ursus maritimus)
Technik
mulus enhance-
Braunbär
Nahrung, Verbreitung
(?)
A:B
Gilbert 1999
Nahrung, Verbreitung
(?)
A:B
Gilbert 1999
A:B
B. Le Boeuf, pers.
Ramsay & Stirling
ment”
1988
(Ursus arctos) Schwarzbär (Ursus americanus) Pinnipedia Kalifornischer
Fortbewegung, Schwim-
Seelöwe
men
(?)
? interaktiv/ positiv
Mitteilung, zit. in
(Zalophus califor-
Caro & Hauser
nianus)
1992
Seebär
Fortbewegung, Schwim-
interaktiv/
(Arctocephalus sp.)
men
positiv
Fleckendelfin
Regeln sozialer Interak-
interaktiv/
(Stenella frontalis)
tionen
positiv,
A:B
Durrell 1961
A:B
Herzing, pers.
Cetacea
373
Mitteilung, zit. in
A Anhang acitve
Boran & Heimlich
teaching
1999
(?) Nahrungserwerb
direktiv
A:B
Herzing pers. Mitteilung, zit. in Boran & Heimlich 1999
Großer Tümmler
Regeln sozialer Interak-
interaktiv/
(Tursiops trunca-
tionen
negativ
A:B
Herzing 1996
A:B
Hoese 1971
Q:E
Bauer & Johnson
tus) Nahrung, bestimmte
(?)
Technik Verschiedenes
Imitieren
1994; Kuczaj et al. 1998; Richards 1986; Richards et al. 1984 Großer Tümmler
Sozialverhalten
Imitieren
A:B
Gesang
Imitieren
Q:E
Bowles et al. 1988
A:B
Baird 2000; Boran
(Tursiops aduncus) Orka
Tayler & Saayman 1973
(Orcinus orca) Nahrung, bestimmte
direktiv
(?)
Technik
& Heimlich 1999; Guinet 1991; Guinet & Bouvier 1995; Hoelzel 1991; Lopez & Lopez 1985
Buckelwal
Nahrung, bestimmte
(Megaptera no-
Technik
direktiv
Q:B
Weinrich et al. 1992
vaeangliae) Artiodactyla/ Ungulates Karibu, Rentier
Migrationsruten, Plätze,
„local”- bzw. „sti-
(Rangifer taran-
Nahrung
mulus enhance-
dus) Elch
Klein 1999
ment” Nahrung
direktiv
Q:B
Edwards 1976
B
Lee & Moss 1999;
(Alces alces andersoni) Afrikanischer
Nahrung
„local”- bzw. „sti-
Elefant
mulus enhance-
(Loxodonta africa-
ment”
Moss 1988
na) Paarungsverhalten
direktiv
B
Moss 1988; 1983, zit. nach Lee & Moss 1999
Primates Neue Welt Rotrücken-
Nahrung, Auswahl des
Totenkopfäffchen
Futters; Schutz vor Ge-
(Saimiri oerstedi)
fahr
direktiv
A:B
Boinski & Fragaszy 1989
374
A Anhang Lisztaffe
Nahrung, Auswahl des
(Saguinus oedipus)
Futters
direktiv
(?)
Q:B
Roush, 1996, zit. nach King 1999; Roush & Snowdon 2001
Nahrung, Auswahl des
interaktiv/
Futters Löwenäffchen
Q:E
King 1999
A:B
Brown & Mack
negativ
Nahrung, Futtersuche
direktiv
(Leontopithecus
positiv/ interaktiv
1978; Rapaport &
rosalia)
Ruiz-Miranda 2002 Nahrung, Futtersuche
direktiv
Weißbüschelaffe
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
(Callithrix jacchus)
Futters
mulus enhance-
Q:B
Rapaport 1999
Q:E
Brown et al. 2005; Voelkl et al. 2006
ment” Gelbkopf Büschel-
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
affe
Futters
mulus enhance-
(Callithrix flavi-
Q:B
Ferrari 1987
ment”
ceps) Katta
Folgeverhalten
positiv/
(Lemur catta) Klammeraffe
Sussman 1977
interaktiv Nahrungsroute
(?)
A:B
Milton 1988
B
Izawa & Mizuno
(Ateles geoffroyi) Kapuzineraffe
Nahrung, bestimmte
„emulation“, Imi-
(Cebus apella)
Technik
tieren (?)
Weißschulter-
Sozialverhalten
„ontogenetic ritua-
1977; Struhsaker & Leland 1977
kapuzineraffe
Q:B
lization“
Perry 2003; Perry et al. 2003
(Cebus capucinus) Brüllaffe
Nahrung, Auswahl des
Beobachtungsler-
(Allouata palliata)
Futters
nen
B
Whitehead 1986
Q:B
Seyfarth & Cheney
alte Welt Grüne Meerkatze
prädatorspezifische
positiv/
(Cercopithecus
Warnrufe
interaktiv
aethiops)
1986; Cheney &
(?) prädatorspezifische
negativ/
Warnrufe
interaktiv
Seyfarth 1990 A:B
Hauser 1987, zit. nach Caro & Hauser 1992
Hanuman-Langur
Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
(Presbytis entellus)
Futters
mulus enhance-
Rhesusaffe
Lokomotion
Jay 1963
ment” positiv/
(Macaca mulatta)
A:B
interaktiv Lokomotion
positiv/
1975 Q:B
interaktiv Feindvermeidung
„local”- bzw. „sti-
Hinde & Simpson Maestripieri 1995a
A:B
Baldwin 1969;
mulus enhance-
Mineka & Cook
ment”
1988; Mineka et al. 1984
„double hold“, soziale
(?)
A:B
Beziehungen Schweinsaffe
de Waal 1990; King 1994
Lokomotion
positiv/
(Macaca nemestri-
interaktiv
375
Q:B
Bolwig 1980; Maestripieri 1996
A Anhang na) Berberaffe
Lokomotion
positiv/
(Macaca sylvana) Javaneraffe
A:B
Burton 1972
Q:B
Masataka et al.
interaktiv Sozialverhalten
direktiv
(Macaca fascicula-
2009
ris) Japanmakak
Nahrung
(Macaca fuscata).
„local”- bzw. „sti-
B
Kawamura 1959
B
Huffman & Quiatt
mulus enhancement”, Imitieren (?) Sozialverhalten (Stein-
„local”- bzw. „sti-
spiel)
mulus enhance-
1986; Leca et al.
ment”,
2010; Nahallage &
Imitieren (?)
Huffman 2007a; 2007b
Sozialverhalten („hot
„local”- bzw. „sti-
spring bathing“)
mulus enhance-
B
Zhang et al. 2007
A:B
Ransom & Rowell
ment” Anubispavian
Lokomotion
positiv/
(Papio anubis)
interaktiv Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
Futters
mulus enhance-
1972 B
Ransom & Rowell 1972
ment”, Imitieren (?) Paviane
Nahrung, Auswahl des
negativ/
(Papio doguera)
Futters; Vermeidung von
interaktiv
B
Maxim & BuettnerJanusch 1963
Gefahr Manelpavian
Lokomotion
positiv/
(Papio hamadryas) Steppenpavian
A:B
Bolwig 1980
A:B
Altmann 1980
A:B
Bolwig 1959
A:B
Carstensen 1975,
interaktiv Lokomotion
positiv/
(Papio cynocepha-
interaktiv
lus) Bärenpavian
Sozialverhalten
negativ/
(Papio ursinus) Schopfpavian
interaktiv Lokomotion
positiv/
(Cynocephalus
interaktiv
zit. nach Bolwig
niger) Husarenaffe
1980 Nahrung
„local”- bzw. „sti-
A:E
Hall 1965, zit. nach
(Erythrocebus
mulus enhance-
Higley & Suomi
patas)
ment”,
1986
Imitieren (?) Groomen
„local”- bzw. „sti-
positiv,
mulus enhance-
negativ/
ment”,
interaktiv
Havel 1994
„ontogenetic ritualization“, Imitieren (?) Hominidae Orang-Utan
Lokomotion
positiv/
(Pongo pygmaeus)
A:B
Maple 1980
A:B
Horr 1977; Rijksen
interaktiv Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
Futters
mulus enhance-
376
(?)
1978; Wich et al.
A Anhang ment”,
2009
Imitieren (?) Nahrung, bestimmte
„local”- bzw. „sti-
Technik
mulus enhance-
Q:E
Stoinski & Whiten 2003
ment”, Imitieren (?) Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
Futters
mulus enhance-
Q:B
Jaeggi et al. 2010
B
Fox et al. 1999
B
Wich et al. 2009
A:B
Whiten 1975, zit.
ment”, Imitieren (?) Werkzeuggebrauch
„local”- bzw. „stimulus enhancement”, Imitieren (?)
Nestbau
„local”- bzw. „stimulus enhancement”, Imitieren (?)
Gorilla
Lokomotion
positiv/
(Gorilla gorilla)
interaktiv Nahrung, Auswahl des
„local”- bzw. „sti-
Futters
mulus enhance-
nach Whiten 1999 B
Maestripieri et al. 2002; Watts 1985
ment”, „emulation“, Imitieren (?) Bonobo
Lokomotion
positiv/
(Pan paniscus)
A:B
King 1999
A:B
Kano 1992
A:B
Kano 1992
A:B
Bard 1994; van
interaktiv Nahrung, Auswahl des
positiv/
Futters
interaktiv (?)
Sexualverhalten
positiv/ interaktiv
Schimpanse
Lokomotion
positiv/
(Pan troglodytes)
interaktiv
Lawick-Goodall 1968; Nicolson 1977; Plooij 1978; van de Rijt-Plooij & Plooij 1987; Yerkes & Tomilin 1935
Nestbau
„local”- bzw. „sti-
A:B
Goodall 1968;
mulus enhance-
Bernstein 1969,
ment”,
zit. nach Kano
„emulation” (?),
1992
Imitieren (?) Nahrung, bestimmte
„local”- bzw. „sti-
Technik
mulus enhance-
Q:B
Corp & Byrne 2002
ment”, „emulation“ (?), Imitieren (?) Werkzeuggebrauch
„local”- bzw. „stimulus enhance-
377
Q:E
Hirata & Celli 2003
A Anhang ment”, „emulation” (?), Imitieren (?) Werkzeuggebrauch
positiv/
A:B
Hirata & Celli 2003
A:B
Boesch 1991
Q:E
Boesch 1996a;
interaktiv Werkzeuggebrauch
direktiv
positiv/ interaktiv, „active teaching“
Werkzeuggebrauch
Imitieren
1996b Werkzeuggebrauch
„emulation“
Q:E
Tomasello et al. 1987
Werkzeuggebrauch
„local”- bzw. „sti-
Q:B
Lonsdorf 2006b
Q:B
Matsuzawa 1999;
mulus enhancement”, „emulation” (?), Imitieren (?) Werkzeuggebrauch
„local”- bzw. „stimulus enhance-
Matsuzawa et al.
ment”
2001
Werkzeuggebrauch
positiv/
A:B
Köhler 1917
A:B
Fouts et al. 1982;
interaktiv Zeichensprache
Imitieren (?)
Sozialverhalten (Men-
positiv/
(?)
interaktiv negativ/
schen nicht anspucken) Aufgabe an Computer
direktiv
1989 A:B
Fouts et al. 1982
A:B
Matsuzawa 2002
interaktiv Imitieren
lösen * A: anektodisch; Q: quantitativ; E: experimentell; B: Beobachtung (?): es ist stark anzunehmen
378
A Anhang Tabelle A2: Übersicht einiger Experimente zu verschiedenen Formen des Zeigens Taxon
Untersuchungs-
Ergebnis
Hinweise zum Versuchsauf-
gegenstand
Quelle
Bemerkungen
bau
Schimpanse
„pointing“ ohne
- Versuch mit „guesser” und
Povinelli et
- they „quickly learned to
(Pan troglodytes)
„gaze“ (oder
positiv
„knower“
al. 1990
respond to the knower” (S.
ohne Angabe)
- keine Angaben ob mit
203)
(passiv)
„gaze“ oder ohne
- Tiere mit Vorerfahrung:
- 4 Tiere (Sarah, Sheba,
„During the course of that
Darrell, Kermet)
experiment [1 Jahr zuvor] all subjects had learned to point at baited food cups inside the trays and to respond to pointing by an experimenter” (S. 205).
- Versuch zum „role reversal“
Povinelli et
- they „learned to respond to
- keine Angaben ob mit
al. 1992a
the pointing of the human
„gaze“ oder ohne
partner”
- 4 Tiere (Sarah, Sheba,
- Tiere mit Vorerfahrung
Darrell, Kermit) - OCT (2 Behälter)
Povinelli et
- wurden trainiert Zeigegeste
- 7 Tiere, 6 Jahre alt (Kara,
al. 1999
zu verstehen
Jadine, Mindy, Brandy, Can-
- anschließend wurden „gaze
dy, Apollo, Megan)
following“ Fähigkeiten getestet - 5 Tiere hatten vorher schon gelernt Zeigegeste zu verstehen
- in die Ferne
Menzel
S. 126: E zeigt dem „leader”
- keine Angaben ob mit
1974
die Stelle, an der das Futter
„gaze“ oder ohne
liegt. - E „pointed ahead manually“ oder „pointed in the direction of the food”
negativ
- OCT (2 Behälter)
Povinelli et
- eigentliche Fragestellung:
- 7 Tiere (Kara, Jadine, Min-
al. 1997
proximal vs. distal: Tiere
dy, Brandy, Candy, Apollo,
wurden vorher trainiert, auf
Megan)
„proximal pointing“ richtig zu
- bei Kara positiv
antworten. Getestet wurde dann, ob sie auf „distal pointing“ generalisieren können.
- OCT (3 Behälter)
Tomasello
- mit „hider“ und „communica-
-mit „hider“ und „communi-
et al. 1997a
tor“
cator“
- im Experiment Vergleich mit
- „E. made eye contact but did
Kindern
not look at the container
- auch mit „marker” und
directly”
„replica“ negativ
- 6 Tiere (Tai, Amos, Erika,
- „Erika know how to point
Jesse, Cissie, Travis)
but she still performed randomly in the comprehension of pointing.”
- OCT (2 Behälter)
Barth et al.
- unter „STAY“ (Tiere bleiben
- 5 erwachsene Tiere (Apollo,
2005
für alle Versuche im Raum)
379
A Anhang Kara, Candy, Brandy, Megan)
und „LEAVE“ (Tiere kommen
- es wird nicht erwähnt, ob
für jeden einzelnen Versuch
mit oder ohne „gaze“ „pointing“ mit
positiv
neu in den Raum) Bedingung
- OCT (2 Behälter)
Povinelli et
- eigentliche Fragestellung:
„gaze“
- 7 Tiere (Kara, Jadine, Min-
al. 1997
„proximal“ vs. „distal“: Tiere
(passiv)
dy, Brandy, Candy, Apollo,
wurden vorher trainiert, auf
Megan)
„proximal pointing“ richtig zu antworten. Getestet wurde dann, ob sie auf „distal pointing“ generalisieren können.
- OCT (2 Behälter)
Itakura &
- 2 Tiere (Pendesa, Pan)
Tanaka 1998
- OCT (2 Behälter)
Okamoto et
-„by the age of 13 month, the
- 1 Jungtier (Ayumu)
al. 2002
subject showed reliable fol-
- Studie zur Entwicklung
lowing responses to the object that was indicated by the various cues” („pointing” sogar schon mit 9 Monaten)
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- Vergleich mit Kooperation
- 10 Tiere (Fraukje, Corry,
& Tomasel-
(„cooperation task”)
Jahaga, Gertruida, Fifi, Sand-
lo 2006
- vorher wird Wettbewerbssi-
ra, Frodo, Patrick, Brent,
tuation erzeugt (E nimmt dem
Alexandra)
Tier Essen weg)
- unter Wettbewerbsbedin-
- im Testsituation: E mit
gungen („competition”)
ausgestrecktem Arm und
- alternierender Blick
Handfläche zu Behälter, ernster Gesichtsausdruck, dazu Worte: „No, don’t take this one“
- OCT(3 Behälter)
Herrmann
- über Durchschnitt, aber
- 106 Tiere
et al. 2007
schlechter als 2,5 Jahre alte
- OCT (2 Behälter)
Okamoto-
- Longitudinalstudie zur
- 8 Monate bis 3 Jahre (Ayu-
Barth et al.
Entwicklung des Verstehens
mu, Cleo, Pal)
2008
von Hinweisreizen
- in die Ferne
Menzel
S. 219: E „oriented and
1973
pointed manually in the direc-
Kinder
tion of the hidden food” - in die Ferne
Itakura
- 6 Individuen
1996
- in die Ferne
Okamoto et
- „by the age of 21 month, the
- 1 Jungtier (Ayumu)
al. 2004
infant reliably followed the experimenter’s cues and looked back to the target behind him”
negativ
- OCT (2 Behälter)
Itakura et
- kein Unterschied, ob Mensch
- 4 Tiere (Jessie, Travis,
al. 1999
oder Artgenosse den Hinweis-
Barbara, Cissie)
reiz gibt - einige konnten Hinweisreiz deuten, dass waren aber Tiere, die sehr viel Erfahrung
380
A Anhang mit dem Menschen hatten - OCT (2 Behälter)
Hare &
- Vergleich mit Wettbewerbs-
- 12 Tiere (Robert, Riet
Tomasello
situation („competition task“)
Fraukje, Natasha, Corry, Ulla,
2004
- Wettbewerb besser als
Frodo, Fifi, Sandra, Jahaga,
Kooperation
Trudy, Patrick)
- in späterem Teilversuch
- Kooperation („coopera-
waren die Tiere beim Verste-
tion“)
hen des Zeigens über dem
- alternierender Blick
Durchschnitt
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- Vergleich mit Wettbewerbs-
- 10 Tiere (Fraukje, Corry,
& Tomasel-
situation („competition task”)
Jahaga, Gertruida, Fifi, San-
lo 2006
dra, Frodo, Patrick, Brent, Alexandra) - Kooperation („cooperation”) - alternierender Blick - OCT (2 Behälter)
Bräuer et al.
- im Versuch wurden die
- 16 Tiere (darunter 4 Bono-
2006
Fähigkeiten mit Hunden
bos)
verglichen
- alternierender Blick „gaze following“ (passiv)
positiv
- OCT (2 Behälter); aber nur
Call et al.
- E kann Belohnung/Futter
wenn Behälter „tube“ oder
1998
direkt sehen
„barrier“ war (vs. bowl)
- „Chimpanzees used E’s gaze
- 6 Weibchen (Jesse, Cissie,
direction to select the baited
Peony, Tai, Ericka, Sonia)
tube, but still did not use E’s gaze direction to select the baited bowl.”
- OCT (2 Behälter)
Itakura &
- sowohl mit 15 als auch mit
- 2 Tiere (Pendesa, Pan)
Tanaka
60 cm Entfernung
1998 - OCT (2 Behälter)
Itakura et
- kein Unterschied, ob Mensch
- 4 Tiere (Jessie, Travis,
al. 1999
oder Artgenosse den Hinweis-
Barbara, Cissie)
reiz gibt
- „local enhancement cue“:
- mit Annäherung entspricht
mit vorheriger Annäherung
eher dem natürlichen Futter-
an richtigen Behälter
suchverhalten
- alternierender Blick - OCT (2 Behälter)
Call et al.
- 12 Tiere (11 Weibchen, 1
2000
Männchen) teilweise mit sehr viel Kontakt zum Menschen; alle haben schon bei anderer OCT mitgemacht - mit vorheriger Annäherung an richtigen Behälter - ohne alternierenden Blick - OCT (2 Behälter)
Okamoto et
- „by the age of 13 month, the
- 1 Jungtier (Ayumu)
al. 2002
subject showed reliable fol-
- Studie zur Entwicklung
lowing responses to the object that was indicated by the various cues.”
381
A Anhang - „gaze” ab einem Alter von 10 Monaten - Belohnung (Futter) wurde unabhängig von der Entscheidung des Subjekts gegeben - OCT (2 Behälter)
Barth et al.
- Versuch mit „STAY“ und
- 5 erwachsene Tiere (Apollo,
2005
„LEAVE“ Bedingung gemacht
Kara, Candy, Brandy, Megan)
„STAY“: Individuum ist die
- nur unter „LEAVE“ Bedin-
ganze Zeit im Raum
gung
„LEAVE“: Individuum kommt für jede Aufgabe erneut in den Raum (ist während des Versteckens nicht im Raum), E gibt von Anfang an Hinweisreiz
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- „E held the photo in her hand
- 12 Tiere (Robert, Fraukje,
et al. 2006
and alternated her gaze three
Corry, Ulla, Riet, Natascha,
times between the photo and
Jahaga, Gertruida, Fifi, Sand-
the subject. Then, while look-
ra, Frodo, Patrick)
ing straight to the subject, E
- „gaze“ war eigentlich nur
placed the photo on top of the
zusätzlicher Hinweisreiz zu
baited cup.”
photo oder replica - OCT (3 Behälter)
Herrmann
- über Durchschnitt, aber
- 106 Tiere
et al. 2007
schlechter als 2,5 Jahre alte
- in die Ferne (rechts, links,
Povinelli &
- „Humans and children may
hinten)
Eddy 1996
share a common cognitive
Kinder
- 7 Tiere (5 bis 6 Jahre alt;
development program con-
Brandy, Jadine, Mindy, Me-
trolling the understanding of
gan, Kara, Apollo, Candy)
visual perception as the mental state of attention.”
- in die Ferne (hinter Sub-
Povinelli &
- „[…] chimpanzees […] are
jekt)
Eddy 1997
capable of determining the
- 7 Tiere (5 bis 6 Jahre alt;
specific location in space
(Brandy, Jadine, Mindy,
behind them into which
Megan, Kara, Apollo, Candy)
another looks.”
- in die Ferne
Call et al.
- „[…] checked back when
- 6 erwachsene Weibchen
1998
they did not find anything
(Jesse, Cissie, Peony, Tai,
interesting or unusual”
Ericka, Sonia) - in die Ferne
Tomasello
- E zeigt einem Individuum
- 18 Tiere
et al. 1998
Futter. Das Individuum schaut
- folgen Blick eines Artgenos-
auf E.
sen
- Beobachtet wir die Reaktion
- „semi-natural captive“
eines weiteren Individuums: Folgt es dem Blick des anderen und schaut auch zu E/Futter? - „Although primate field workers have long suspected that primates use the gaze
382
A Anhang direction of others as a cue to the presence of external entities, the current findings are the first to document this fact experimentally.” - in die Ferne (hinter Tier)
Tomasello
- „geometrical gaze following“
- mit Distraktor-Objekt
et al. 1999
- Ergebnisse sprechen für
- 14 Tiere (Ericka, Jesse, Cici,
„high-level“ Modell
Sonia, Vivian, Buffy, Tai, Barbara, Sheila, Magnum, Jamie, Dover , Stuart, Abbey) - in die Ferne (nach oben)
Tomasello
- Longitudinalstudie: Ontoge-
- 9 Tiere (1 bis 5 Jahre; Ste-
et al. 2001
nie des „gaze followings“
ward, Liza, Dover, Kerri,
- je älter die Tiere sind, desto
Jamie, Abbey, Tara, Azalea,
eher folgen sie E’s Blick (fol-
Juliette)
gen dem Blick ab einem Alter von 3-4 Jahren)
- in die Ferne
Okamoto et
- Ontogenie des „gaze follow-
- 1 Jungtier (Ayumu)
al. 2004
ings“ - „By the age of 12 month, the infant reliably followed the experimenter’s cues and looked back to the target behind him.”
- in die Ferne (an die Decke)
Bräuer et al.
- „Individuals from all species
- 11 Tiere (Fraukje, Riet, Ulla,
2005
[Menschenaffen] reliably
Natascha, Sandra, Frodo,
followed the human’s gaze
Patrick, Brent, Pia, Anette,
direction and sometimes even
Alexandra; 3Männchen, 8
checked back when they
Weibchen)
found no target.”
- in die Ferne (an die Decke)
Tomasello
- Versuch wurde gemacht, um
- 11 Tiere
et al. 2007
herauszufinden ob Kopfrichtung oder Blickrichtung entscheidend ist - „Both the direction of E’s head and the status of his eyes affected whether apes in the current study looked to the ceiling, but the head was clearly the most important factor.”
- hinter Barriere
Tomasello
- „geometrical gaze following“
- 14 Tiere (Ericka, Jesse, Cici,
et al. 1999
- Ergebnisse sprechen für
Sonia, Vivian, Buffy, Tai,
„high-level“ Modell
Barbara, Sheila, Magnum, Jamie, Dover , Stuart, Abbey) - hinter Barriere
Bräuer et al.
- bringen sich selbst in eine
- 11 Tiere (Fraukje, Riet, Ulla,
2005
Position, dass sie hinter Bar-
Natascha, Sandra, Frodo, Patrick, Brent, Pia, Anette, Alexandra; 3 Männchen, 8
383
riere schauen können
A Anhang Weibchen) - hinter/durch Barriere (mit
Okamoto-
- Vergleich der 4 Menschenaf-
und ohne Fenster)
Barth et al.
fenarten
- 8 Tiere (Brent, Patrick,
2007
Robert, Fifi, Sandra, Dorien, Riet, Corry) negativ
- OCT (2 Behälter)
Povinelli et
- eigentliche Fragestellung:
- 7 Tiere (Kara, Jadine, Min-
al. 1997
proximal vs. distal
dy, Brandy, Candy, Apollo,
- Tiere wurden vorher trai-
Megan)
niert, auf „proximal pointing“
- bei Kara positiv
richtig zu antworten. Getestet wurde dann, ob sie auf „distal pointing“ generalisieren können.
- OCT (2 Behälter)
Call et al.
- „Chimpanzees did not show
- 6 erwachsene Weibchen
1998
an understanding that seeing
(Jesse, Cissie, Peony, Tai,
leads to knowing.”
Ericka, Sonia) - nicht alternierend - OCT (2 Behälter)
Call &
- Versuch wurde gemacht, um
- 5 Tiere (Cissie, Ericka,
Tomasello
bei Untersuchung zur Intenti-
Sonia,Tai, Travis)
1998
on „gaze“ als möglichen Stör-
- OCT (2 Behälter)
Povinelli et
- Vergleich mit Kindern
- 7 Tiere, 6 Jahre alt (Kara,
al. 1999
- für „low-level“ Model
faktor auszuschließen
Jadine, Mindy, Brandy, Can-
- wurden vorher trainiert
dy, Apollo, Megan)
„pointing“ zu verstehen
- mit und ohne alternierendem Blick - OCT (2 Behälter)
Barth et al.
- 5 erwachsene Tiere (Apollo,
2005
Kara, Candy, Brandy, Megan) - waren während verstecken im Raum („STAY“ Bedingung) - OCT (2 Behälter)
Bräuer et al.
- im Versuch wurden die
- 16 Tiere (darunter 4 Bono-
2006
Fähigkeiten mit denen von
bos)
Hunden verglichen
- alternierender Blick - in die Ferne (rechts, links
Itakura
oder hinter Subjekt)
1996
- 6 Individuen
„gaze+vocal
positiv
- in die Ferne (an die Decke)
Herrmann
- Vergleich mit 2,5 Jahre alten
- 106 Tiere
et al. 2007
Kindern
- OCT (2 Behälter)
Itakura et
- „’food-bark’ and human
cue”
- 12 Tiere (Peony, Erika,
al. 1999
word as vocal cue”
(passiv)
Phinneas, Gwinnie, Jesse, Tai,
- geringe Unterschiede zwi-
Sheila, Buffy, Cissie, Atlanta,
schen beiden Formen
Sonya, Barbara)
- „vocal“ als futterrelevanter Hinweisreiz - „need of additional cues“ nur „gaze“ reicht nicht
- OCT (2 Behälter)
384
Call et al.
- egal, ob erst „vocal cue“ oder
A Anhang - mit Lärm bei einigen Tieren
2000
erst „gaze“
besser
- egal, was für ein „vocal cue“
- 13 Tiere (Atlanta, Barbara,
- „noise of various types help
Buffy, Cissie, Ericka, Gwen-
chimpanzees focus their
nie, Jesse, Peony, Phineas,
attention on the testing situa-
Rita, Sheila, Sonia, Tai)
tion.” - „[Sounds] may even inform chimpanzees that this is a foraging situation in which it would be useful to attend to what others are doing.”
negativ „glance”
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Itakura &
- 2 Tiere (Pendesa und Pan)
Tanaka 1998
- OCT (2 Behälter)
Okamoto et
- Studie zur Entwicklung
-1 Jungtier (Ayumu)
al. 2002
- „By the age of 13 month, the subject showed reliable following responses to the object that was indicated by the various cues.”
- in die Ferne (rechts, links,
Povinelli &
- „Humans and children may
hinten)
Eddy 1996
share a common cognitive
- 7 Tiere (5 bis 6 Jahre alt;
development program con-
Brandy, Jadine, Mindy, Me-
trolling the understanding of
gan, Kara, Apollo, Candy)
visual perception as the mental state of attention.”
negativ
- OCT (2 Behälter)
Povinelli et
- Vergleich mit Kindern
- 7 Tiere (6 Jahre alt; Kara,
al. 1999
-für „low-level“ Modell
Jadine, Mindy, Brandy, Can-
- wurden vorher trainiert
dy, Apollo, Megan)
pointing zu verstehen
- mit und ohne alternierendem Blick - OCT (2 Behälter)
Call et al.
- egal ob erst „vocalisation“
- mit Lärm bei einigen Tieren
2000
oder erst „glance“
- OCT
Barth et al.
- sowohl unter „STAY“ als
- 5 erwachsene Tiere (Apollo,
2005
auch unter „LEAVE“ Bedin-
besser - 15 Tiere (14 Weibchen, 1 Männchen; teilweise mit sehr viel Kontakt zum Menschen; alle haben schon bei anderer OCT mitgemacht)
Kara, Candy, Brnady, Megan) „glance+vocal
positiv
gung
- OCT (2 Behälter)
Call et al.
- egal ob erst „vocalisation“
cue“
- mit Lärm bei einigen Tieren
2000
oder erst „glance“
(passiv)
besser
- egal was für ein „vocal cue“
- 12 Tiere (Atlanta, Barbara, Buffy, Cissie, Ericka, Gwennie, Jesse, Peony, Phineas, Rita, Sheila, Sonia, Tai) negativ
385
A Anhang „marker“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Call &
- verstehen Tiere die Intenti-
- wird entweder absichtlich
Tomasello
on?
oder zufällig mit Marker
1998
- Vergleich mit Menschen
versehen
- eigentlich sollten es 7 Tiere
- Tiere wählen nur den ab-
sein, 2 konnten aber nicht
sichtlichen
lernen Marker als Hinweisreiz
- wurden vorher trainiert
zu benutzen
marker als Hinweisreiz zu benutzen - 5 Tiere (Cissie, Ericka, Sonia,Tai, Travis) - OCT (3 Behälter)
Herrmann
- über Durchschnitt, aber
- 106 Tiere
et al. 2007
schlechter als 2,5 Jahre alte Kinder
negativ „noise“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Call 2004
- auch wenn leerer Behälter
- 12 Tiere (Robert , Reit,
geschüttelt wird (nehmen
Natascha, Dorien, Fraukje,
vollen; es wurden aber nur die
Ulla, Jahaga, Fifi, Sandra,
Tiere benutzt, die geschüttel-
Gertrudia, Frodo, Patrick)
ten vollen Behälter richtig gelöst hatten)
- OCT (2 Behälter)
Bräuer et al.
- auch wenn leerer Behälter
- 16 Tiere (darunter 4 Bono-
2006
geschüttelt wird (nehmen
bos)
vollen)
negativ „reach“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Hare &
- Vergleich mit Kooperation
- 12 Tiere (Robert, Riet
Tomasello
(„cooperation task“)
Fraukje, Natasha, Corry, Ulla,
2004
- 6 Tiere „cooperatiion“; 6
Frodo, Fifi, Sandra, Jahaga,
Tiere „competition“
Trudy, Patrick) - Wettbewerbssituation („competition”) - OCT (2 Behälter)
Bräuer et al.
- im Gegensatz zu Hare &
- 16 Tiere (darunter 4 Bono-
2006
Tomasello (2004) war nicht
bos)
klar, dass es sich um „competition“ handelt
- Versuch zum Hilfeverhalten
Warneken
- Mensch/Artgenosse versucht
- 36 „semi-free ranging“
et al. 2007
an Gegenstand zu kommen;
Tiere (21 Weibchen, 15
Schimpanse hilft auch ohne
Männchen; 3 bis 20 Jahre)
Belohnung und gibt dem
- sowohl mit als auch ohne
Rezipienten Gegenstand
alternierendem Blick
- Vergleich mit Kindern: kein Unterschied - ohne Blickkontakt mit Individuum (nur auf Gegenstand schauen) sind Kinder besser als Schimpansen
negativ
- OCT (2 Behälter)
Call et al.
- kein Unterschied zu Kon-
- mit Lärm bei einigen Tieren
2000
trollbedingung (nur „gaze“)
besser - 12 Tiere (Atlanta, Barbara, Buffy, Cissie, Ericka, Gwen-
386
A Anhang nie, Jesse, Peony, Phineas, Rita, Sheila, Sonia, Tai) „try to open“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Bräuer et al.
- Versuch im Vergleich mit
- 16 Tiere (darunter 4 Bono-
2006
Hunden
- OCT (2 Behälter)
Buttelmann
- reagieren auch auf andere
- 12 Tiere (Corry, Dorien, Fifi,
et al. 2008
Aktionen aber nur, wenn sie
bos; Corry, Dorien, Fifi, Fraukje, Frodo, Jahaga, Natascha, Riet, Robert, Sandra, Gertruida, Ulla, Joey, Kuno, Limbuko, Ulindi)
Fraukje, Frodo, Jahaga, Nata-
funktional relevant sind
scha, Riet, Robert, Sandra,
- reagieren nicht, wenn sie
Gertruida, Ulla)
wissen, dass Behälter leer ist
- zusätzlich „smelling” und „shaking” negativ „pointing” (aktiv)
positiv
- „point to self”
Furness
- zeigte spontan im Zusam-
- 1 Tier (Mimi)
1916
menhang mit dem Sprechen lernen - „When asked for the letter I she is apt to mistake it for her eye to which she points.”
- „point to self, food, distal
Kellogg &
- „The pointing reaction is first
location, object or event”
Kellogg
noted shortly after she begins
- 1 Tier (Gua)
1933
her civilized existence and must consequently have been acquired by Gua without any assistance from her human associates.”
- 1 Tier (Viki)
Hayes &
- „She often points to things
Hayes 1954
she wants, when they are near by and could be touched if that were allowed; but she seldom points to the door across the room, for instance, though she responds appropriately when we do so.”
- 1 Tier (Washoe)
Gardner &
- „pointing in a human raised
- Tier beherrscht die Zei-
Gardner
language trained chimpanzee”
chensprache (ASL)
1969
- e.g.: „you”; „I/me”
- 1 Tier (Washoe)
Gardner &
- z.B. Zeichen für „you”: „Index
- Tier beherrscht die Zei-
Gardner
finger extended from compact
chensprache (ASL)
1971
hand (pointing at the person, without touching)” - oder: „me”, „listen”, „look”
- 1 Tier (Nim)
Terrace
- „point to self, social agent,
- sprachtrainiert
1979
distal location, object or
- OCT
Woodruff &
- mit „cooperator“ und „com-
- 4 Tiere (Bert, Sadie, Luvie,
Premack
petitorr“
Jessie)
1979
- zeigten bei „cooperator“ auf
event”
387
A Anhang - „pointing”: „she…walked to
richtigen Behälter, bei „com-
one side oft he mesh, sat
petitor“ auf falschen oder gar
facing the near container,
nicht
extended one leg under the mesh toward the container […] and then glanced back and forth from trainer to container.” - „’pointing’ with outstretched arm or leg.” - 1 Tier (Tepel)
de Waal
- „point to event”
1998
- „pointing during communication between apes” - 4 Tiere (Washoe, Moja,
Gardner et
- „index finger extension in the
Tatu, Dar)
al. 1989
pointing” - Analysierten in welcher Reihenfolge die Tiere bestimmte Zeichen erlernten. Die Zeigegeste war eine der ersten Gesten, die die vier Schimpansen zuverlässig benutzten.
- Beobachtung zur Entwick-
Tomasello
- Das Verhalten konnte in
lung der Gesten bei Jungtie-
et al. 1985
nachfolgenden Beobachtun-
ren
gen (1989, 1994) nicht mehr
- Ein Tier (Kipper) zeigte im
beobachtet werden.
Zusammenhang mit „Tickle“ auf Stelle an seinem Körper und schaute dabei ins Gesicht des Erwachsenen. - 2 Tiere (Sherman, Austin)
Savage-
- „They also spontaneously
- „point to distal food”
Rumbaugh
used pointing gestures to
1986
show us which food they whished to have held up as we sat next to them with eight seperated bowls.”
- „Schimpanse fing im Zu-
Boysen &
- „[…] she was observed to
sammenhang mit dem Zählen
Berntson
begin to touch, point to, or
(Studie zur numerischen
1989
move items in the array be-
Kompetenz) spontan an zu
fore making her final decision.
zeigen
Such motor tagging and parti-
- 1 Tier (Sheba)
tioning have been noted in
- „point to distal food, distal
very young children in the
location, object or event”
early stages of learning to count.”
- 4 Tiere (Sheba, Kermit,
Povinelli et
- Im Versuch ging es um das
Darrell, Sarah)
al. 1990
Verstehen des Zeigens. Die
- S. 205: „all subjects had
Tiere wurden aber ein Jahr
learned to point to baited
vorher trainiert zu Zeigen.
food cups” - Versuch zum „role reversal“
388
Povinelli et
- They „adopted spontaneous
A Anhang - keine Angaben, wie zeigen
al. 1992a
gestures to indicate the loca-
genau aussah
tion of food.”
- 4 Tiere (Sarah, Sheba,
- Die „Zeigegeste” war z.B.
Darrell, Kermit; 2 Weibchen,
ähnlich einer „food begging“
2 Männchen)
Geste, aber auch mit Finger.
- Schimpanse fing während
Boysen
des Zählen lernens spontan
1995
an zu zeigen - 1 Tier (Sheba) - 3 Tiere (Clint, Anna, Flora)
Leavens et
- Krause (1997) schreiben,
- „spontaneous pointing in
al. 1996
dass das die erste experimen-
laboratory chimpanzees”
telle Studie zum Zeigen bei
- „they point to social agent,
Schimpansen ist.
distal food, distal location,
- „whole-hand and indexical
object, or event”
points”
- OCT (2 Behälter)
Krause &
- konnten vorher schon zeigen
- „pointing to container
Fouts 1997
(„two signing chimpanzees“)
containing food (to unin-
- Im Experiment wurde die
formed experimenter)”
Augenbewegung, Händigkeit
- 2 Tiere (Moja, Tatu)
usw. während des Zeigens
- „[The] attention-getting
untersucht.
sounds with which the chim-
- „how do they acquire the
panzees established mutual
attention of a human and how
eye contact, gaze direction
do they direct it toward a
when pointing, and hand use
distal, out-of-reach object”
and configuration were
- „index-finger extension was
recorded.”
the most common hand confi-
- „the pointing was commu-
guration used”
nicative” - OCT (4 Behälter)
Krause &
- konnten vorher schon zeigen
- 2 Tiere (Moja; Tatu)
Fouts 1997
(„two signing chimpanzees“)
- Wie genau können die Tiere
- „Would humans be able to
zeigen? (mehr Container in
readily identify the specific
unterschiedlichen Höhen)
locations toward which the
- „The chimpanzees directed
chimpanzees point?”
their points spatially to one
- „Index-finger extension was
of four locations with a high
the most common hand confi-
level of accuracy”
guration used.”
- im Kontext des Nüssekna-
Inoue-
ckens
Nakamura
- mit Finger/Hand auf Stein
& Matsuza-
oder Nuss zeigen
wa 1997
- auf Objekt in der Ferne
Hopkins &
- E1 legte eine Banane vor den
- 115 Tieren zeigten
Leavens
Käfig und ging. E2 kam zum
1998;
Käfig aber beachtet die Bana-
Leavens &
ne nicht. Wie reagieren die
Hopkins
Tiere?
1998
- Zeigen: Ausgestreckter Arm in Richtung der Banane, oft mit alternierendem Blick - Autoren sagen das war Zeigen, kein einfaches „rea-
389
A Anhang ching“ - in die Ferne
Menzel
- sehr erfahren: „language
- 1 Tier (Panzee)
1999
trained” - E versteckt außerhalb des Geheges Essen o. Spielzeug. Anderer E kommt in Gehege. Tier zeigt auf das entsprechende Lexigramm und zeigt dann an die Stelle. Wenn E rausgeht und Objekt sucht zeigt Tier weiter und ruft dazu.
- OCT (2 Behälter)
Whiten
- „In the course of this they
- 3 Tiere (Austin, Sherman,
2000a
had acquired ‘pointing’ ges-
Panzee)
tures which are not a natural part of chimpanzee behaviour in the wild, but which do seem to emerge without explicit training in some apes who undergo intensive interaction with humans.” - auch mit ganzer Hand Zeigen, wenn der Sinn der Geste darin bestand, den anderen auf etwas aufmerksam zu machen - Panzee zeigte aber auch mit Zeigefinger
- OCT (2 Behälter)
Leavens et
- pro Tier nur ein Versuch
- 101 Tiere
al. 2004
- konnten einem unwissenden E erfolgreich zeigen, wo das Futter versteckt ist (vorher hatte es anderer E versteckt)
- „pointing to ob-
Rivas 2005
- Untersuchung und Analyse
ject/location/person”
der Zeichen sprachtrainierter
- 5 Tiere (Washoe, Moja,
Schimpansen
Tatu, Dar, Loulis) - „pointing to object“
Russell et al.
- Außerhalb des Käfigs liegt
- 26 Tiere die in kleineren
2005
Essen. E sitzt davor und hat
Gruppen leben und für Ver-
verschiedene Werkzeuge bei
such nicht separiert wurden
sich. Wie werden sich Tiere verhalten? - „Note that gestures include whole-hand pointing, food begs, and single-digit pointing.”
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- kein Unterschied zu 2,5 Jahre
- 106 Tiere
et al. 2007
alten Kindern
- auf Futter (in die Ferne)
de Waal
- 1 Tier (Nikkie)
2001
- 1 Tier (Flo)
Plooij 1978
negativ „gaze following“ (aktiv)
positiv
390
A Anhang - als Aufforderung zum Folgen negativ Bonobo
„pointing“ mit
(Pan paniscus)
positiv
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- Vergleich mit Kooperation
„gaze“
- 2 Tiere (Joey, Limbuko)
& Tomasel-
(„cooperation“)
(passiv)
- Wettbewerbssituation
lo 2006
(„competition”) - alternierender Blick negativ
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- Vergleich mit Wettbewerbs-
- 2 Tiere (Joey, Limbuko)
& Tomasel-
situation („competition“)
- Kooperation („cooperati-
lo 2006
on”) - alternierender Blick „gaze following“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- „E held the photo in her hand
- 4 Tiere (Joey, Ulindi, Lim-
et al. 2006
and alternated her gaze three
buko, Kuno)
times between the photo and
- „gaze“ war eigentlich nur
the subject. Then, while look-
zusätzlicher Hinweisreiz zu
ing straight to the subject, E
„photo“ oder „replica“
placed the photo on top of the baited cup.”
- in die Ferne (Decke)
Tomasello
- Versuch wurde gemacht, um
- 4 Tiere
et al. 2007
herauszufinden ob Kopfrichtung oder Blickrichtung entscheidend ist - „Both the direction of E’s head and the status of his eyes affected whether apes in the current study looked to the ceiling, but the head was clearly the most important factor.”
- hinter Barriere
Bräuer et al.
- bringen sich selbst in eine
- 4 Tiere (Joey, Ulindi, Lim-
2005
Position, dass sie hinter Bar-
buko, Kuno; 3 Männchen, 1
riere schauen können
Weibchen) - hinter/durch Barriere (mit
Okamoto-
- Vergleich der 4 Menschenaf-
und ohne Fenster)
Barth et al.
fenarten: Bonobos waren am
- 4 Tiere (Kuno, Limbuko,
2007
besten
Call 2004
- auch wenn leerer Behälter
Joey, Ulindi) „noise“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter) - 4 Tiere (Joey, Ulindi, Lim-
geschüttelt wird (nehmen
buko, Kuno)
vollen)
negativ „try to open“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Buttelmann
- 4 Tiere
et al. 2008
- zusätzlich „smelling” und „shaking” negativ „pointing” (aktiv)
positiv
- 3 Tiere (Lokalema, Bosond-
Savage-
jo, Matata)
Rumbaugh
- „iconic hand motions”
et al. 1977 - 1 Tiere (Kanzi)
391
Savage-
- „Kanzi quikly learned to lean
A Anhang - „point to distal food, distal
Rumbaugh
in the direction he wished to
location, object or event”
1984b
be carried and then to simply hold one arm out in that direction to indicate to the teacher where he wanted to go.”
- ein frei lebendes Tier
Vea & Sabater-Pi 1998
negativ Gorilla
„pointing” ohne
(Gorilla gorilla)
positiv
- OCT (3 Behälter)
Peignot &
„gaze”
- 4 Tiere (Cola, Caroline Zoe,
Anderson
(passiv)
Diana)
1999
negativ „pointing“ mit
- OCT (3 Behälter)
Peignot &
„gaze“
positiv
- 4 Tiere (Cola, Caroline, Zoe,
Anderson
(passiv)
Diana)
1999
- OCT(3 Behälter)
Peignot &
- verschiedene Entfernungen
- 4 Tiere (Cola, Caroline, Zoe,
Anderson
(10cm und 1m)
Diana)
1999
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- „E held the photo in her hand
- 5 Tiere (N’diki, Bebe, Virin-
et al. 2006
and alternated her gaze three
negativ „gaze following“
positiv
(passiv)
gika, N’kwango, Ruby)
times between the photo and
- „gaze“ war eigentlich nur
the subject. Then, while look-
zusätzlicher Hinweisreiz zu
ing straight to the subject, E
„photo“ oder „replica“
placed the photo on top of the baited cup” (S. 121).
- hinter Barriere
Bräuer et al.
- bringen sich selbst in eine
- 8 Tiere (Bebe, Gorgo, Vimo-
2005
Position, dass sie hinter Bar-
to, Vizuri, Viringika, Ruby,
riere schauen können
N‘diki, Kwango; 3 Männchen, 5 Weibchen) - hinter/durch Barriere (mit
Okamoto-
- Vergleich der 4 Menschenaf-
und ohne Fenster)
Barth et al.
fenarten
- 5 Tiere (N‘kwango, Goro,
2007
Ruby, Bebe, N‘diki) - in die Ferne (Decke)
Tomasello
- Versuch wurde gemacht, um
- 4 Tiere
et al. 2007
herauszufinden ob Kopfrichtung oder Blickrichtung entscheidend ist. - „Both the direction of E’s head and the status of his eyes affected whether apes in the current study looked to the ceiling, but the head was clearly the most important factor.”
negativ „glance“
positiv
(passiv) negativ
- OCT (3 Behälter)
392
Peignot &
- hatten große Probleme
A Anhang - 3 Tiere (Cola, Caroline, Zoe)
Anderson
Gorilla dazu zu bringen, E in
1999
die Augen zu schauen - z.B.: „Cola, the adult male gorilla, was calm at the start of eye-gaze-only sessions, but after several trials with no acceptable response, he got up, threw objects against the bars of the cage in proximity to the experimenter, and abandoned the session.”
„noise”
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Call 2004
- auch wenn leerer Behälter
- 8 Tiere (Gorgo, Bebe, Ndiki,
geschüttelt wird (nehmen
Vimoto, Viringika, Vizuri,
vollen)
Nkwango, Ruby) negativ „reach“
positiv
(passiv) „try to open“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Buttelmann
- 6 Tiere (vermutlich 6 der 8
et al. 2008
Tiere von Call 2004) - zusätzlich „smelling” und „shaking” negativ „pointing“
positiv
(aktiv)
- 1 Tier (Koko)
Patterson
- sehr enger Kontakt zum
- lernte ASL
1978a; b
Menschen - z.B. „me“, „you“
- 1 Tier (Koko)
Bonvillian &
- Project Koko
Patterson
- „noncommunicative (53
1999
weeks) and later communicative (14 month) pointing”
- Beobachtung von Flachland
Tanner &
- „Other gestures appeared to
Gorillas im Zoo
Byrne 2000
be pointing, indicating the location where gestural motion came to rest.”
negativ „gaze following“
positiv
(aktiv)
- 1 Tier
Gómez
- musste verschiedene Prob-
1991
lemlöseaufgaben lösen - Tier forderte E mit seinem Blick auf, ihm zu helfen negativ Orang-Utan
„pointing“ ohne
(Pongo pygmaeus)
„gaze“
positiv
(passiv) negativ
- OCT (3 Behälter)
Tomasello
- mit „hider“ und „communica-
- 3 Tiere (Tiram, Penari,
et al. 1997a
tor“
Chantek)
- im Experiment Vergleich mit
- „E made eye contact but did
Kindern
not look at any of the con-
- auch mit „marker” und
tainers directly”
„replica“ negativ - Chantek mit Vorerfahrung;
393
A Anhang konnte Aufgabe richtig lösen „pointing“ mit
- OCT (2 Behälter)
Itakura &
„gaze“
positiv
- 1 Tier (Sakura): sehr viel
Tanaka
(passiv)
Erfahrung (Show Orang-
1998
- 100% korrekt
Utan) - OCT (2 Behälter)
Byrnit 2004
- 4 weibliche Tiere (Sandy, Fientje, Jos, Katja) - „nonenculturated” - OCT (3 Behälter)
Herrmann
- über Durchschnitt, aber
- 32 Tiere
et al. 2007
schlechter als 2,5 Jahre alte Kinder
- in die Ferne
Itakura
- Tier hatte schon sehr viel
- 1 Individuum (Sakura)
1996
Erfahrung mit Menschen - Versuch wurde von seinem Trainer durchgeführt
negativ „gaze following“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Itakura &
- 100% korrekt
- 1 Tier (Sakura): sehr viel
Tanaka
- sowohl 15, als auch 60 cm
Erfahrung (Show Orang-
1998
Entfernung
- OCT (2 Behälter)
Herrmann
- „E held the photo in her hand
- 12 Tiere (Dunja, Bimbo,
et al. 2006
and alternated her gaze three
Utan)
Pini, Walter, Toba, Padana)
times between the photo and
- „gaze“ war eigentlich nur
the subject. Then, while look-
zusätzlicher Hinweisreiz zu
ing straight to the subject, E
„photo“ oder „replica“
placed the photo on top of the baited cup.”
- OCT (3 Behälter)
Herrmann
- „über Durchschnitt, aber
- 32 Tiere
et al. 2007
schlechter als 2,5 Jahre alte Kinder“
- in die Ferne
Itakura
- Tier hatte schon sehr viel
- 1 Individuum (Sakura)
1996
Erfahrung mit Menschen - Versuch wurde von seinem Trainer durchgeführt
- hinter Barriere
Bräuer et al.
- bringen sich selbst in eine
- 6 Tiere (Dunja, Bimbo, Pini,
2005
Position, dass sie hinter Bar-
Walter, Toba, Padana;
riere schauen können
2Männchen, 4 Weibchen) negativ
- OCT (2 Behälter)
Call &
- wurde gemacht, um bei
- 5 Tiere (Chantek, Penari,
Tomasello
Untersuchung zur Intention
Sibu, Solok, Teriang)
1998
„gaze“ als möglichen Störfak-
- OCT (2 Behälter)
Byrnit 2004
tor auszuschließen - „great apes tend to be better
- 4 weibliche Tiere (Sandy,
than prosimians and mon-
Fientje, Jos, Katja)
keys”
- „nonenculturated“ -mit unterschiedlichen Entfernungen von Behälter (10cm; 60cm)
394
A Anhang - in die Ferne (Decke)
Herrmann
- Vergleich mit 2,5 Jahre alten
- 32 Tiere
et al. 2007
Kindern
- hinter/durch Barriere (mit
Okamoto-
- Vergleich der 4 Menschenaf-
und ohne Fenster)
Barth et al.
fenarten: die anderen folgten
- 5 Tiere (Padana, Toba,
2007
E‘s Blick
- OCT (2 Behälter)
Itakura &
- fast 100% korrekt
- 1 Tier (Sakura): sehr viel
Tanaka
Erfahrung (Show Orang-
1998
Dokana, Pini, Dunja) „glance“
positiv
(passiv)
Utan) negativ
- OCT (2 Behälter)
Byrnit 2004
- 4 weibliche Tiere (Sandy, Fientje, Jos, Katja) - „nonenculturated” „marker“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Call &
- verstehen Tiere die Intenti-
- wird entweder absichtlich
Tomasello
on?
oder zufällig mit Marker
1998
versehen - Tiere wählen nur den absichtlichen - wurden vorher trainiert marker als Hinweisreiz zu benutzen - 5 Tiere (Chantek, Penari, Sibu, Solok, Teriang) - OCT (3 Behälter)
Herrmann
- über Durchschnitt, aber
- 32 Tiere
et al. 2007
schlechter als 2,5 Jahre alte Kinder
negativ „noise“
positiv
(passiv) negativ
- OCT (2 Behälter)
Call 2004
- schütteln des vollen Behäl-
- bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas positiv
ters - 6 Tiere (Dunja, Bimbo, Pini, Walter, Toba, Padana) „try to open“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Buttelmann
- 7 Tiere
et al. 2008
- zusätzlich „smelling” und „shaking” negativ „pointing” (aktiv)
positiv
- 1 Tier
Furness
- „When she asked ‘Where is
- Teilname an Sprachtraining
1916
Papa?‘ she would at once
- „point to social agent”
point to me or pat me on the shoulder.” - Sie hatte auch gelernt „Papa” zu sagen
- 1 Tier (Chantek)
Miles 1990
- sprachtrainiert (ASL) - 1 Tier (Chantek)
395
- sehr enger Kontakt zum Menschen
Miles 1993
- „Chantek began to point to
A Anhang - sprachtrainiert (ASL)
objects when he was two
- auf Objekte und Ereignisse
years old.”
- OCT (3 Behälter)
Call &
- zuerst Futter, dann „tool”,
- 2 Individuen (Chantek, Puti)
Tomasello
das Individuen aus früheren
- Chantek (beim Menschen
1994
Untersuchungen kannten und
aufgewachsen) war wesent-
das nötig war, damit E an
lich besser, als Puti
Futter herankommt und es dem Subjekt geben konnte.
- OCT (3 Behälter)
Herrmann
- genauso gut wie 2,5 Jahre
- 32 Tiere
et al. 2007
alte Kinder
- OCT (2 Behälter)
Inoue et al.
- sowohl aus 5 als auch 20 cm
- 1 Tier (Satuki)
2004
Entfernung
- OCT (2 Behälter)
Inoue et al.
- „body, head, and eyes” („Full-
- 1 Tier (Satuki)
2004
Body-Orienting condition”)
- OCT (2 Behälter)
Inoue et al.
- „The subject was high famili-
- 1 Tier (Satuki)
2004
ar with humans and might
negativ Weißhandgibbon
„pointing“ mit
(Hylobates lar)
„gaze“
positiv
(passiv) negativ „gaze following“
positiv
(passiv) negativ „glance“
positiv
(passiv)
have been enculturated by humans to some extend.” negativ Rhesusaffe
„pointing“ ohne
(Macaca mulatta)
„gaze“ (passiv)
positiv negativ
- OCT (2 Behälter)
Blaschke &
- Tiere wurden trainiert, auf
- 4 Tiere
Ettlinger
richtigen Behälter zu zeigen
1987
(428 Durchgänge). Diese Gruppe war daraufhin (im Vergleich zur Kontrollgruppe) in der Lage auf Zeigen des E richtig zu reagieren. - ohne lernen: negativ - mit lernen: positiv
- OCT (3 Behälter)
Hess et al.
- Das Tier wurde trainiert zu
- 1 Tier (Scarlet)
1993
zeigen. Damit konnte es E die
- im Zusammenhang mit
Position des richtigen Hüt-
„role reversal task“
chens anzeigen. Dieser betätigte einen Hebel und beide bekamen eine Belohnung. Daraufhin wurden Rollen getauscht. Der Affe war unfähig auf das Zeigen von E zu reagieren.
- OCT (2 Behälter)
Anderson et
- 3 weibliche Tiere (Rap, Fri,
al. 1996
Pla) - bei einem Tier positiv „pointing“ mit
- OCT
Povinelli et
- lernten auf Zeigen zu reagie-
„gaze“
positiv
- 2 Tiere (Sundari, Fuzzy)
al. 1992b
ren, konnten nach „role rever-
(passiv)
- wurden im Zusammenhang mit einer „role-reversal task“
396
sal“ aber nicht sebst zeigen
A Anhang trainiert auf Zeigegeste E‘s zu reagieren - OCT (2 Behälter)
Hauser et al.
- 40 erwachsene Tiere (un-
2007
- pro Tier einmal zeigen
terschiedlichen Geschlechts) negativ
- OCT (3 Behälter)
Povinelli et
- „Subjects made no obvious
- „guesser-knower” Paradig-
al. 1991
discrimination between the
ma
guesser and knower.”
- 3 weibliche Tiere (Tuck, Stud, Fuzzy) - OCT (2 Behälter)
Anderson et
- 3 weibliche Tiere (Rap, Fri,
al. 1996
Pla) - bei einem Tier positiv
„gaze following“ (passiv)
positiv
- in die Ferne
Itakura
- 3 Individuen
1996
- OCT (Objekt in einer Bild-
Emery et al.
schirmecke)
1997
- 2 Männchen (Terry, Steve) - sahen Video von Artgenosse - OCT (2 Behälter)
Hauser et al.
- pro Tier einmal zeigen
- 40 erwachsene Tiere (un-
2007
- „gaze“ war im Stil der „rec-
terschiedlichen Geschlechts)
ruitment gesture“ dieser Art (alternierend)
- OCT (3 Behälter)
Herrmann
- über Durchschnitt, aber
- 106 Tiere
et al. 2007
schlechter als 2,5 Jahre alte Kinder
- in die Ferne
Tomasello
- E zeigt einem Individuum
- 15 Tiere
et al. 1998
Futter. Das Individuum schaut
- mit Artgenosse
auf E.
- „captive“
- Beobachtet wir die Reaktion eines weiteren Individuums: Folgt es dem Blick des anderen und schaut auch zu E/Futter?
- in die Ferne
Itakura
- 3 Individuen
1996
- in die Ferne
Tomasello et al. 2001
- in die Ferne
Deaner &
- Sowohl Rhesusaffen als auch
- 3 erwachsene Männchen
Platt 2003
Menschen folgen der Blick-
- es wurde Bild von Rhesusaf-
richtung eines Rhesusaffen
fe gezeigt
(Vergleich Mensch, Affe).
- 8 Tiere
Mendelson
- „Infant rhesus monkeys
- „the development of gaze
et al. 1982
develop responsiveness to
aversion in infant rhesus
visual social cues during the
monkeys (pictures of mon-
first few weeks of life. By
key faces)”
week 3, rhesus infants responded emotionally to pictures of faces looking back and scanned them less than faces looking away. By Week
397
A Anhang 7, the same infants no longer responded emotionally but still scanned faces looking back less than faces looking away.” - 2 Männchen (Terry, Steve)
Lorincz et
- sahen Bild von Artgenosse,
al. 2000
folgten dessen Blickrichtung negativ
- OCT (2 Behälter)
Anderson et
- keine Perspektivenüber-
- 3 weibliche Tiere (Rap, Fri,
al. 1996
nahme bei monkeys
- OCT (3 Behälter)
Herrmann
- Vergleich mit 2,5 Jahre alten
- 106 Tiere
et al. 2007
Kindern
- 2 Männchen (Terry, Steve)
Lorincz et
- sahen Bild von Artgenosse,
al. 2000
Pla) - auch nicht bei Verkürzung des Abstandes
„glance“
positiv
(passiv)
folgten dessen Blickrichtung - 3 erwachsene Männchen
Deaner &
- Sowohl Rhesusaffen als auch
- es wurde Bild von Rhesusaf-
Platt 2003
Menschen folgen der Blick-
fe gezeigt
richtung eines Rhesusaffen (Vergleich Mensch, Affe).
negativ „pointing“
positiv
(aktiv)
- OCT (2 Behälter)
Blaschke &
- Tiere wurden trainiert, auf
- 4 Tiere
Ettlinger
richtigen Behälter zu zeigen
1987
(428 Durchgänge).
- OCT
Povinelli et
- lernten zu zeigen, verstan-
- 2 Tiere (Tuck, Stuck)
al. 1992b
den nach „role reversal“ aber
- wurden im Zusammenhang
nicht das Zeigen E‘s
mit einer „role-reversal task“ trainiert auf richtigen Behälter zu zeigen - 1 Tier (Scarlet)
Hess et al.
- In der eigentlichen Untersu-
- „A rhesus macaque who
1993
chung wurde „role reversal“
since adolescence has spon-
gestestet.
taneously engaged in point-
- „first she was trained to
ing-like gestures similar to
produce a pointing gesture”
those seen in captive chim-
(das klappte auch sehr gut).
panzees”
- Nach dem Rollentausch war sie allerdings unfähig auf das Zeigen des Experimentators zu reagieren.
negativ Bärenmakak
„pointing” mit
(Macaca arctoides)
„gaze”
positiv
(passiv) negativ „gaze following“ (passiv)
positiv
- in die Ferne
Itakura
- 1 juveniles Männchen
1996
- in die Ferne
Tomasello
- E zeigt einem Individuum
- 38 Tiere
et al. 1998
Futter. Das Individuum schaut
- mit Artgenosse
auf E.
- „semi-natural captive“
- Beobachtet wir die Reaktion
398
A Anhang eines weiteren Individuums: Folgt es dem Blick des anderen und schaut auch zu E/Futter? - VCO: visual co-orientation
Anderson &
- „VCO: turning to look in the
- in die Ferne
Mitchell
same direction as another
- 5 Individuen (1 erwachse-
1999
individual whose focus of
nes Männchen; 2 erwachsene
attention changes.”
Weibchen; 2 weibliche Jung-
- Die Autoren sagen, dass die
tiere)
Tiere in diesem Versuch besser waren als bei Itakura (1996), da die Vertrautheit mit dem Experimentator größer war. - Vergleich mit Eulemur macaco und phylogenetische Interpretation
negativ Javaneraffe
„gaze following“
(Macaca fascicula-
(passiv)
- in die Ferne
Itakura
- 1 juveniles Männchen
1996
- 7 Tiere
Kummer et
- Die Tiere wurden darauf
al. 1996
trainiert, nur zu trinken, wenn
positiv
ris) negativ
Experimentator mit dem Rücken zu ihnen steht. - Im Folgenden hatten sie die Wahl zw. einer Tränke, die der Experimentator sehen konnte und einer Tränke, die durch eine Barriere verdeckt war. - Die Tiere zeigten keine Präfernz für die verdeckte Tränke. Schweinsaffe
„pointing“ mit
(Macaca nemestri-
„gaze“ (passiv)
positiv
na) negativ
- in die Ferne
Itakura
- 1 juveniles und ein erwach-
1996
senes Männchen „gaze following“ (passiv)
positiv
- in die Ferne
Tomasello
- E zeigt einem Individuum
- 44 Tiere
et al. 1998
Futter. Das Individuum schaut
- mit Artgenosse
auf E.
- „captive“
- Beobachtet wir die Reaktion eines weiteren Individuums: Folgt es dem Blick des anderen und schaut auch zu E/Futter?
- in die Ferne (mit menschli-
Ferrari et al.
- zusätzliche Körperbewegung
chem E, ohne Zielobjekt)
2000
hatte keinen Einfluss
- 13 Tiere unterschiedlichen
- bei Jungtieren negativ:
Alters und Geschlechts
Lerneffekt
399
A Anhang negativ
- in die Ferne
Itakura
- 1 juveniles und ein erwach-
1996
senes Männchen „glance“
positiv
(passiv)
- in die Ferne (mit menschli-
Ferrari et al.
- zusätzliche Körperbewegung
chem E, ohne Zielobjekt)
2000
hatte keinen Einfluss
- 13 Tiere unterschiedlichen
- bei Jungtieren negativ:
Alters und Geschlechts
Lerneffekt
negativ Tonkeamakak
„pointing” mit
(Macaca tonkea-
„gaze” (passiv)
positiv
na) negativ „gaze following“
- in die Ferne
Itakura
- 4 Individuen
1996
- in die Ferne
Itakura
- 4 Individuen
1996
- OCT (2 Behälter)
Kumashiro
- es wurde aus 13 und 30 cm
- 1 Tier (Pin)
et al. 2002
Entfernung gezeigt
positiv
(passiv) negativ Rotgesichtsmakak
„pointing“ ohne
(Macaca fuscata)
„gaze“ (passiv)
positiv
- weiter weg war schwieriger negativ „gaze following“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälte)
Kumashiro
- als Behälter dienten sowohl
- 2 Tiere (Pin, Zen)
et al. 2002
Hütchen als auch Hände
- nur Pin konnte Aufgabe
- der Abstand zw. Behälter
lösen
und Augen war 20 oder 40 cm
negativ „pointing“
positiv
(aktiv)
- 3 Tiere (ohne Namen)
Silberberg
- schwer zu sagen, ob wirklich
- zeigen auf Hände mit Futter
& Fujita
„pointing“ oder doch „rea-
1996
ching“
- OCT (2 Behälter: Hände)
Kumashiro
- „pre-training: eye contact
- 2 Tiere (Pin, Zen)
et al. 2002
(holding food in front of the
- wurden trainiert zu zeigen
experimenter’s eyes) and target-oriented pointing ((1) presenting food out of the subjects reach (2) presenting hidden food).”
negativ Pavian
„gaze following“
(Papio papio)
(passiv)
positiv negativ
- in die Ferne
Fagot &
- in späteren Durchgang
- 8 Tiere (5 Männchen, 3
Deruelle
folgeten sie dem Blick: kein
Weibchen)
2002
spontanes „gaze following“, vor allem, wenn kein Zielobjekt vorhanden ist - mit Zielobjekt lernen sie schnell dem Blick zu folgen
Anubispavian
„gaze following“
(Papio anubis)
(passiv)
positiv
- OCT (2 Behälter)
Vick &
- Wettbewerbssituation
Anderson
(„competition”)
2003
- 4 Tiere (Sylvestre, Balthazar, Ida, Green) negativ
- OCT (2 Behälter)
400
Vick et al.
- 2 der Tiere waren vorher in
A Anhang - 4 Tiere (Gaspard, Kiki,
2001
Esperance, Ida)
der Lage gewesen, die Blickrichtung von Fotos zu deuten. Konfrontiert mit einem echten Experimentator, waren sie aber nicht in der Lage ihr Können zu übertragen.
Halsbandmangabe
„gaze following“
(Cercocebus atys
(passiv)
positiv
torquatus)
- in die Ferne
Tomasello
- E zeigt einem Individuum
- 28 Tiere
et al. 1998
Futter. Das Individuum schaut
- mit Artgenosse
auf E.
- „captive”
- Beobachtet wir die Reaktion eines weiteren Individuums: Folgt es dem Blick des anderen und schaut auch zu E/Futter?
negativ Kapuzineraffe
„pointing“ ohne
(Cebus apella)
„gaze (passiv)
positiv
- OCT (3 Behälter)
Anderson et
- Kapuzineraffen sind aber
- 3 erwachsene Tiere (1
al. 1995
auch sehr gute Lerner.
Männchen, 2 Weibchen;
- Sie schreiben aber auch (S.
Brutus, Sauvage, Curieuse)
206): „The fact that pointing was the only cue used effectively by the monkeys in the present study does not mean that monkeys understand the referential meaning of pointing. [The] monkeys simply responded ‘to the object bearest the hand’.”
negativ „pointing“ mit
positiv
„gaze“ (passiv)
- OCT (3 Behälter)
Anderson et
- 3 erwachsene Tiere (1
al. 1995
Männchen, 2 Weibchen; Brutus, Sauvage, Curieuse) - OCT (2 Behälter)
Itakura &
- 1 männliches Jungtier
Anderson
(Kloklo)
1996
- OCT (2 Behälter)
Vick &
-3 Tiere (Zilla, Theta, Kiki)
Anderson
- nach intensivem Training
2000 negativ „touch“ (passiv)
positiv
- in die Ferne
Itakura
- „primates do not follow the
- 3 Tiere
1996
gaze direction of humans”
- OCT (3 Behälter)
Kuroshima
- wurden trainiert auf Geste
- „guesser-knower” Paradig-
et al. 2002
des Experimentators zu rea-
ma
gieren
- 4 Tiere (Heiji, Zilla, Kiki,
- wählten im Experiment
Theta)
„knower“
- OCT (5 Behälter)
Kuroshima
- wurden trainiert auf Geste
- „guesser-knower” Paradig-
et al. 2003
des Experimentators zu rea-
ma
gieren
- 4 Tiere (Heiji, Zilla, Kiki,
2 der 4 Tiere wählten im
Theta)
Experiment „knower“
negativ „gaze following“
positiv
- OCT (2 Behälter)
401
Itakura &
- nach intensivem Training
A Anhang (passiv)
- 1 männliches Jungtier
Anderson
- sowohl 15 als auch 60 cm
(Kloklo)
1996
Entfernung
- OCT (2 Behälter)
Vick &
- 3 Tiere (Zilla, Theta, Kiki)
Anderson 2000
negativ
- OCT (3 Behälter)
Anderson et
- Sagen von sich, dass das die
- 3 erwachsene Tiere (1
al. 1995
erste systematische Untersu-
Männchen, 2 Weibchen;
chung zum „gaze following“
Brutus, Sauvage, Curieuse)
mit Hilfe der OCT bei Affen („monkeys“) ist.
„glance“
- in die Ferne
Itakura
- 3 Tiere (ohne Namen)
1996
- OCT (2 Behälter)
Itakura &
- auch kein Lernen, nach
- 1 männliches Jungtier
Anderson
langem Training
(Kloklo)
1996
- „eye movement may be a less
positiv
(passiv) negativ
salient stimulus than head orientation for monkeys in such a task.” - OCT (2 Behälter)
Vick &
- 3 Tiere (Zilla, Theta, Kiki)
Anderson 2000
„pointing”
positiv
(aktiv)
- OCT (2 Behälter)
Mitchell &
- „response inhibition and
- „communicative and decep-
Anderson
conditional discrimination
tive pointing”
1997
learning”
- 3 Tiere (Boy, Churchill,
- „these 3 monkeys were
Coluche)
tested because of their exten-
- „Pointing occurs when the
sive experience and skill in
monkey‘s arm and hand are
other cognitive tests.”
extended outside its cage and
- dieser Versuch wurde auch
directed toward one of the
schon mit Schimpansen ge-
two bowls while in the pres-
macht
ence of a trainer (the point-
- „All 3 monkeys pointed with
ing is assumed to be indica-
the whole hand, usually to-
tive).”
ward the baited bowl.” - „The capuchin monkeys in the present study acted similarly to the chimpanzees in Woodruff and Premack’s (1979) experiment.”
- OCT (2 Behälter)
Hattori et al.
- „All of the subjects had been
- 5 Tiere (Heiji, Zilla, Kiki,
2007
already trained to point to one
Pigmon, Zinnia)
of two cups for food before this study.”
negativ Weißschulter-
„pointing” mit
kapuziner
„gaze”
(Cebus capucinus)
(passiv)
positiv
negativ „gaze following“
- in die Ferne
Itakura
-3 Tiere
1996
positiv
402
A Anhang (passiv) negativ Totenkopfaffe
„pointing“ mit
(Saimiri sciureus)
„gaze“ (passiv)
- in die Ferne
Itakura
- 3 Tiere
1996
- in die Ferne
Itakura
- „Squirrel monkeys frequent-
- 10 Tiere
1996
ly moved in the direction
positiv negativ
pointed at by the experimenter” „gaze following“
positiv
(passiv) negativ „gaze following“
positiv
(aktiv)
- in die Ferne
Itakura
- 10 Tiere
1996
- „gaze alternation”
Anderson et
- wo E hinschaut hat keinen
- „they had learned to reach
al. 2007
Einfluss
out-of-reach food in the
- wird von Autoren als Kom-
presence of a human part-
munikation mit einem Partner
ner”
beurteilt
- wenn E jetzt woandershin schaut und ihnen das Futter (auf das sie „zeigen“) nicht gibt, wechselt ihr Blick zw. E und dem Futter - 3 erwachsene Tiere (2 Männchen, 1 Weibchen; Boo, Coboo, Gye) Weißbüschelaffe
„pointing“ mit
(Calltthrix jacchus)
positiv
- OCT (9 Behälter, die im
Burkart &
- Abänderung der standard
„gaze“
Raum verteilt waren; Tiere
Heschl 2006
OCT
(passiv)
durften 2 mal wählen)
- Zeigen mit 10cm, 30cm und
- 11 Tiere (7 Weibchen, 4
100cm Entfernung
Männchen) negativ „gaze following“
positiv
(verstehen)
- OCT (9 Behälter, die im
Burkart &
- Abänderung der standard
Raum verteilt waren; Tiere
Heschl 2006
OCT
- in die Ferne
Burkart &
- „The presence of this ability
- 11 Tiere (7 Weibchen, 4
Heschl 2006
in common marmosets sug-
durften 2 mal wählen) - 11 Tiere (7 Weibchen, 4 Männchen)
Männchen)
gests that higher forms of gaze following might be more widely distributed among nonhuman primates than previously thought”
negativ
- OCT (2 Behälter)
Burkart &
- auch nicht nach 180 Durch-
- 11 Tiere (7 Weibchen, 4
Heschl 2006
gängen (kein Lernen)
Männchen)
- standard OCT; im Vergleich zu verschiedenen Abwandlungen
- OCT (6 Behälter; jeweils 3
Burkart &
- „The marmosets no longer
Behälter mit Brett dazwi-
Heschl 2007
differentiated between what
schen)
another individual could or
403
A Anhang - 11 Tiere (haben schon an
could not see. They were not
anderen Experimenten
able to deal with a visual
teilgenommen)
barrier and did not find the bait more often than would be expected by random search.” - Wenn man aber die beiden Seiten unbeachtet lässt, wählten sie überdurchschnittlich häufig die richtige Position (Das heißt, die Tiere verstehen nicht, dass E. nicht durch Brett durchschauen kann)
„glance“
positiv
(passiv)
- OCT (9 Behälter, die im
Burkart &
Raum verteilt waren; Tiere
Heschl 2006
durften 2 mal wählen) - 11 Tiere (7 Weibchen, 4 Männchen) negativ Krallenaffe
„pointing” mit
- OCT
Neiworth et
- „point and tap“
(Saguinus oedipus)
„gaze”
positiv
- 4 Tere (Caitlin, Ophelia,
al. 2002
- nur „point“ alleine nicht
(passiv)
Olympia, Viola) negativ
signifikant über Durchschnitt
- in die Ferne
Neiworth et
- „macaques, chimpanzees,
- 6 Tiere (Oprah, Fozzy, Mac,
al. 2002
orangutans and human infants
Zhivago, Rolo; Yohoo)
co-orient with humans, whe-
- VCO
reas lemurs, the only prosi-
- keine Angabe, ob mit oder
mian tested, cannot visually
ohne „gaze“
co-orient. Tamarins did not show the capacity to co-orient naturally with a human’s visual perspective.”
„gaze following”
positiv
(passiv)
- OCT
Neiworth et
- in diesem Versuch besser als
- 4 Tere (Caitlin, Ophelia,
al. 2002
„pointing“
- in die Ferne
Neiworth et
- „pointing“ war noch ein
- 6 Tiere (Oprah, Fozzy, Mac,
al. 2002
bisschen besser als „gaze
Olympia, Viola) negativ
Zhivago, Rolo; Yohoo)
following“
- VCO „glance“
positiv
(passiv) negativ
- OCT
Neiworth et
- 4 Tere (Caitlin, Ophelia,
al. 2002
Olympia, Viola) Katta
„gaze following“
(Lemur carra)
(passiv)
positiv
-in natürlicher Umgebung,
Shepherd &
- „They preferentally gaze
mit Artgenossem
Platt 2008
towards other individuals
- „telemetric infrared video
and, moreover, follow other
eye-tracking systems to
lemurs’g aze while freely
record orienting behavior”
moving and interacting in naturalistic social and ecological environments.” - „Contrary to previous reports, our data demonstrate theat Lemur catta use social
404
A Anhang cues to orient their attention during social interactions and often followthe gaze of other lemurs with their own.” negativ Brauner Maki
„pointing“ mit
(Lemur fulvus)
„gaze“ (passiv)
positiv negativ
- in die Ferne
Itakura
- „Lemurs tended to look at
- 3 Tiere
1996
the experimenter’s index finger”
„gaze following“
positiv
(passiv) negativ Mohrenmaki
„pointing“ mit
(Lemur macaco,
„gaze“
Eulemur macaco)
(passiv)
Itakura
- 3 adulte Tiere
1996
- in die Ferne
Itakura
- 4 Tiere
1996
- in die Ferne
Itakura
- 4 Tiere
1996
- VCO: visual co-orientation
Anderson &
- „VCO: turning to look in the
- in die Ferne
Mitchell
same direction as another
- 4 Individuen (1 erwachse-
1999
individual whose focus of
positiv
negativ „gaze following“
- in die Ferne
positiv
(passiv) negativ
nes Männchen, 2 erwachsene
attention changes”
Weibchen, 1 jugendluiches
- Vergleich: „simians“ (Eule-
Männchen)
mur) vs. „prosimians“ (Macaca) - phylogenetische Interpretation aufgrund des Vergleichs mit Macaca arctoides
Hund
„pointing“
(Canis familiaris)
(passiv)
positiv
- OCT („food finding", 2 u. 3
Hare et al.
Behälter)
1998
- 2 Tiere - OCT (2 Behälter; Barrieren)
Hare &
- Versuch wurde auch mit
- 10 Tiere
Tomasello
Artgenossen gemacht
1999
- „gaze direction, involving body orientation and sometimes pointing”
- OCT (2 Behälter)
Miklósi et
- mit der Option zu lernen:
- 5 Tiere
al. 1998
nach falscher Entscheidung wurde richtiger Behälter gezeigt
- OCT (2 Behälter)
McKinley &
- verglichen „normale“ Hunde
- 16 Tiere
Sambrook
mit Jagdhunden: Jagdhunde
2000
waren besser; erwachsene Hunde waren besser als Jungtiere
- OCT (2 Behälter)
Soproni et
- wurden trainiert
- 14 Tiere
al. 2001
- keine Angaben, wie sponta-
405
A Anhang nes Verstehen aussah - OCT (2 Behälter)
Hare et al.
- eigentlich „reaching“
- 11 Tiere
2002
- Vergleich mit Schimpansen: negativ
- OCT (2 Behälter)
Soproni et
- 9 Tiere
al. 2002
- OCT (2 Behälter)
Miklósi et al. 2003
- OCT (2 Behälter)
Miklósi et
- 14 Tiere (7 lebten mit Katze
al. 2005
- Vergleich mit Katzen
zusammen) - OCT (2 Behälter)
Hare et al.
- Vergleich mit domestizierten
- 11 Tiere
2005
und nicht-domestizierten
- OCT (2 Behälter)
Virányi et
- ohne Training
- 4 Monate alt
al. 2008
- Vergleich mit Wölfen
- OCT („food finding”, 2 u. 3
Hare et al.
Behälter)
1998
Füchsen
negativ „gaze following“
positiv
(passiv)
- 2 Tiere - OCT (2 Behälter)
Miklósi et
- mit der Option zu lernen:
- 5 Tiere
al. 1998
nach falscher Entscheidung wurde richtiger Behälter gezeigt
- OCT (2 Behälter; Barrieren)
Hare &
- Versuch wurde auch mit
- 10 Tiere
Tomasello
Artgenossen gemacht
1999
- „gaze direction, involving body orientation and sometimes pointing”
negativ
- OCT (2 Behälter)
McKinley &
- verglichen „normale“ Hunde
- 16 Tiere
Sambrook
mit Jagdhunden: Jagdhunde
2000
waren besser
- OCT (2 Behälter)
Soproni et
- 14 Tiere
al. 2001
- OCT
Agnetta et
- 16 Tiere
al. 2000
- OCT (2 Behälter)
Hare et al.
- Vergleich mit Schimpansen:
- 11 Tiere
2002
negativ
- in die Ferne („non-foraging
Agnetta et
- „dogs did not follow human
situation“)
al. 2000
gaze into ‘empty space’”
- 10 Tiere
- gerade das funktioniert aber bei Affen sehr gut
„glance“
positiv
(passiv)
negativ
- OCT (2 Behälter)
McKinley &
- verglichen „normale“ Hunde
- 16 Tiere
Sambrook
mit Jagdhunden: Jagdhunde
2000
waren besser
- OCT („food finding”, 2 und 3
Hare et al.
Behälter
1998
- 2 Tiere - OCT (2 Behälter)
Miklósi et
- mit der Option zu lernen:
- 5 Tiere
al. 1998
nach falscher Entscheidung
406
A Anhang wurde richtiger Behälter gezeigt
„marker“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Soproni et
- 14 Tiere
al. 2001
- OCT
Agnetta et
- kein altersspezifischer Un-
- 16 Tiere
al. 2000
terschied
- OCT (2 Behälter)
Riedel et al.
- „using a novel cue“
- 64
2006
- OCT (3 Behälter)
Hare et al.
- „[One] of the two dogs was
- bei einem von zwei Tieren
1998
able to lead a naive human to
negativ „pointing/gaze“
positiv
(aktiv) „showing“
one of three locations containing food consistently, mainly by barking and orienting its body to the food.” - OCT (3 Behälter)
Miklósi et
- „showing behavior” mit
- 10 Tiere
al. 2000
„gaze alternation”
- OCT (3 Behälter)
Miklósi et
- Vergleich mit Katzen
- 14 Tiere (7 lebten mit Katze
al. 2005
- Zeigen mit Blick
- OCT (2 Behälter)
Virányi et
- Vergleich mit Hunden
- 9 Tiere
al. 2008
- erst nach intensivem Trai-
zusammen) negativ Wolf
„pointing“
(Canis lupus)
(passiv)
positiv
- 4 Monate alt
ning
- OCT (2 Behälter)
Miklósi et
- Vergleich mit Hunden
- 13 Tiere
al. 2003
- verstanden „pointing“, aber schlechter; zeigten aber kein „gaze alternation“
negativ
„gaze following“
- OCT (2 Behälter)
Agnetta et
- 2 Tiere (1 Jahr alt)
al. 2000
- „pointing“ mit Blick
- OCT (2 Behälter)
Hare et al.
- Vergleich mit Hunden: bei
- 7 Tiere
2002
diesen positiv
- OCT (2 Behälter)
Virányi et
- Vergleich mit Hunden
- 4 Monate alt
al. 2008
- ohne Training negativ
- OCT (2 Behälter)
Agnetta et
- 2 Tiere (1 Jahr alt)
al. 2000
- 2 Tiere (2 Behälter)
Hare et al.
- bei domestizierten Füchsen
- 11 Tiere bei Vergleich mit
2005
(45 Jahre Zucht)
- 2 Tiere (2 Behälter)
Hare et al.
- bei nicht-domestizierten
- 6 Tiere
2005
Füchsen
- OCT (2 Behälter)
Miklósi et
- Vergleich mit Hunden
- 14 Tiere (7 lebten mit Hund
al. 2005
- proximal besser als distal
positiv
(passiv) negativ Fuchs
„pointing“
(Vulpes vulpes)
(passiv)
positiv
Hunden - 6 bei Vergleich mit Füchsen negativ Katze
„pointing“
(Felis cattus)
(passiv)
positiv
zusammen)
(bei Hunden kein Unterschied)
negativ „pointing/gaze“
positiv
(aktiv)
407
A Anhang „showing“ negativ
- OCT (3 Behälter)
Miklósi et
- Vergleich mit Hunden
- 14 Tiere (7 lebten mit Hund
al. 2005
- Zeigen mit Blick wurde
zusammen)
gewertet - im Gegensatz zu Hunden kein „gaze alternation“
Pferd
„pointing“
(Equus caballus)
(passiv)
positiv
- OCT (2 Behälter)
Maros et al.
- verschiedene Formen des
- 20 Tiere
2008
Zeigens: negativ bei „distal
- OCT (2 Behälter)
McKinley &
- bei einem Pferd positiv
- 4 Tiere
Sambrook
- im Vergleich zu Hunden, um
2000
Effekt der Domestikation
momentary pointing“ negativ
herauszufinden (sind auch domestiziert, aber vielleicht weniger als Hunde: sollten zeigen auch verstehen) Delfin
„pointing“
(Tursiops trunca-
(passiv)
positiv
- OCT (3 Behälter)
Herman et
- „These results established
- 2 Tiere
al. 1999
that the dolphin understood
tus)
the referential character of the human manual pointing gesture.” - OCT (2 Behälter)
Tschudin et
- waren aber an einige Hand-
- 6 Tiere (untrainiert)
al. 2001
zeichen gewöhnt, aber kein
- OCT (2 Behälter)
Pack &
- 2 Tiere
Herman
„pointing“ oder „gaze“
2004 OCT (2/4 Behälter)
Pack &
- 2 Tiere
Herman
- „geometrical gaze following“
2007 negativ „gaze following“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Tschudin et
- waren aber an einige Hand-
- 6 Tiere (untrainiert)
al. 2001
zeichen gewöhnt, aber kein „pointing“ oder „gaze“
- OCT (2 Behälter)
Pack &
- 2 Tiere
Herman 2004
negativ
OCT (2/4 Behälter)
Pack &
- „geometrical gaze following”
- 2 Tiere
Herman
- wählen „distractor”
2007 „glance“
positiv
(passiv) negativ
- OCT (2 Behälter)
Pack &
- Stellung des Kopfes, nicht die
- 2 Tiere
Herman
Augen sind entscheidend
2004 „pointing“ (aktiv)
positiv
- 2 Tiere
Xitco et al.
- „spontaneous pointing and
2001
gaze alternation” - OCT (2 Behälter)
Xitco et al.
- Zeigen in Abhängigkeit vom
- 2 Tiere
2004
Aufmerksamkeitsstatus des Receivers
408
A Anhang negativ Robben
„pointing“
(Halichoerus
(passiv)
positiv
grypus, Arctoce-
- OCT (2 Behälter)
Scheumann
- Zootiere
- 4 Tiere (Arctocephalus
& Call 2004
- „without formal training“
pusillus)
- zeigen mit ausgestrecktem
phalus pusillus)
Arm - OCT (2 Behälter)
Shapiro et
- wurde trainiert, auf Zeigen
- 1 Tier (Halichoerus grypus)
al. 2003
zu reagieren, getestet wurde spontanes Generalisieren bzgl. anderer Zeichen
negativ „gaze following“
positiv
(passiv)
- OCT (2 Behälter)
Scheumann
- Zootiere
- 4 Tiere (Arctocephalus
& Call 2004
-